62: 143 – 168 29 Dec 2016 © Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, 2016. 14. Knochenfische (Osteichthyes) 14. Bony fishes (Osteichthyes) Martin Licht †, Ilja Kogan 1, Jan Fischer 2 und Stefan Reiss 3 † verstorben — 1 Technische Universität Bergakademie Freiberg, Geologisches Institut, Bereich Paläontologie/Stratigraphie, Bernhard-von- Cotta-Straße 2, 09599 Freiberg, Deutschland und Kazan Federal University, Institute of Geology and Petroleum Technologies, 4/5 Krem- lyovskaya St., 420008 Kazan, Russland; [email protected] — 2 Urweltmuseum GEOSKOP, Burg Lichtenberg (Pfalz), Burgstraße 19, 66871 Thal lichtenberg, Deutschland; [email protected] — 3 Ortweinstraße 10, 50739 Köln, Deutschland; [email protected] Revision accepted 18 July 2016. Published online at www.senckenberg.de/geologica-saxonica on 29 December 2016. Kurzfassung Neun Gattungen von Knochenfischen aus der Gruppe der Actinopterygier können für die sächsische Kreide als gesichert angegeben werden: Anomoeodus, Pycnodus (Pycnodontiformes), Ichthyodectes (Ichthyodectiformes), Osmeroides (Elopiformes), Pachyrhizodus (in- certae sedis), Cimolichthys, Rhynchodercetis, Enchodus (Aulopiformes) und Hoplopteryx (Beryciformes). Diese Fische besetzten unter- schiedliche trophische Nischen vom Spezialisten für hartschalige Nahrung bis zum großen Fischräuber. Eindeutige Sarcopterygier-Reste lassen sich im vorhandenen Sammlungsmaterial nicht nachweisen. Zahlreiche von H.B. Geinitz für isolierte Schuppen und andere Frag- mente vergebene Namen müssen als nomina dubia angesehen werden. Nach weiterer Bearbeitung dieses vermeintlich undiagnostischen Materials ist jedoch mit einer Erhöhung der Diversität zu rechnen. Abstract Nine osteichthyan genera have been ascertained to occur in the Cretaceous of Saxony: the actinopterygians Anomoeodus, Pycnodus (Pyc- nodontiformes), Ichthyodectes (Ichthyodectiformes), Osmeroides (Elopiformes), Pachyrhizodus (incertae sedis), Cimolichthys, Rhyn­ chodercetis, Enchodus (Aulopiformes) and Hoplopteryx (Beryciformes). These fishes occupied various trophic niches from durophagues to large fish predators. We found no unequivocal sarcopterygian remains in the collections. Several taxa erected by H.B. Geinitz for isolated scales and other fragments must be considered nomina dubia. However, further study of this purportedly undiagnostic material is expected to increase the diversity. 14.1. Einführung Unter den etwa 55.000 heute bekannten Wirbeltierarten schichte der Fische entstanden verschiedene Gruppen sind rund 33.200 Fische (Pisces), und jedes Jahr wer- (Abb. 1), welche dadurch charakterisiert werden, dass den im Durchschnitt etwa 300 neue fossile und rezente sie ihr ganzes Leben im Wasser verbringen und mit Hilfe Fischarten beschrieben (Froese & Pauly 2016). Damit von Kiemen atmen. Die urtümlichste Hauptgruppe sind sind Fische nicht nur die größte, sondern auch die älteste die kieferlosen Fische (Agnatha), von welchen es heu- in der Erdgeschichte bekannte Gruppe von Wirbeltieren, te noch zwei Ordnungen mit wenigen Arten gibt: die deren Überreste bis in das Zeitalter des Kambriums vor Neunaugen (Petromyzontiformes) und die Schleimaale über 500 Millionen Jahren zurückreichen (Benton 2015). (Myxi niformes). Diesen Fischen fehlt der Unterkiefer Allerdings sind Fische kein einheitliches Taxon, wie zum und somit ein vollständiges Maul. Sie sind bereits aus Beispiel die Säugetiere. Im Laufe der Entwicklungsge- dem Unterkambrium (vor ca. 520 Mio. Jahren) überlie- ISBN 978-3-910006-68-3 | ISSN 1617-8467 143 M. Licht et al.: Knochenfische (Osteichthyes) fert und bildeten im Paläozoikum eine Vielzahl an Arten muskulösen, „fleischigen“ paarigen Flossen der Sar- aus. Die Agnatha dominierten bis ins Devon, bevor sie copterygier bestehen aus einer gegliederten knöchernen von den kiefertragenden Wirbeltieren (Gnathostomata) Achse, die einerseits mit dem Schulter- oder Becken- als vorherrschende Fischgruppe verdrängt wurden. Die gürtel verbunden ist und am anderen Ende in vielen kur- Entstehung des Unterkiefers, welcher sich aus dem ers- zen Knochenstrahlen ausläuft (Schultze 2010). Bei den ten Kiemenpaar entwickelt hat, war ein großer Evoluti- Actinopterygiern werden alle Flossen dagegen nur von onsschritt in der Geschichte der Fische, der ihnen eine hornigen Strahlen (Lepidotrichia) aufgespannt, während ganz neue Art der Nahrungsaufnahme (z. B. abbeißen die Muskeln innerhalb des Fischkörpers liegen (Lauder und zerkleinern der Nahrung) sowie ein viel größeres 2015). Zu den Fleischflossern gehören die heute noch Spektrum an Nahrungsmöglichkeiten eröffnete. Nun lebenden Quastenflosser (Actinistia) und Lungenfische gab es eine wahre „Explosion“ an verschiedenen Grup- (Dipnoi), aus deren Verwandtschaft sich im Laufe des pen und Formen von Fischen und später auch Landwir- Devons vor 417 bis 360 Millionen Jahren die Landwir- beltieren. Die meisten Fischgruppen sind im Laufe der beltiere entwickelt haben (Amemiya et al. 2013). Die Erdgeschichte allerdings ausgestorben, was in der Regel Actinopterygii bilden die größte Gruppe der heutigen mit veränderten klimatischen Bedingungen oder anderen Fische, wobei die modernen Knochenfische (Teleostei) äußeren Einflüssen, wie dem Konkurrenzdruck durch an- mit über 30.000 Vertretern den Großteil davon ausma- dere Organismengruppen, zusammenhing. chen. Die Teleostei entstanden im Jura vor etwa 150 bis Eine der bekanntesten urtümlichen Fischgruppen sind 200 Millionen Jahren (Benton et al. 2015) und haben aus die Panzerfische (Placodermi). Bereits im Silur nachge- weitgehend unbekannten Gründen die damals vorherr- wiesen, waren sie im Devon eine sehr erfolgreiche Grup- schenden Fische erfolgreich aus deren Lebensräumen pe und in allen Weltmeeren verbreitet. Am Ende des De- verdrängt. Heutzutage haben sie alle wässrigen Lebens- vons vor 360 Millionen Jahren starben die Placodermi räume, von der Tiefsee bis zum Gebirgssee, besetzt. abrupt aus, und durch ihr Verschwinden konnten sich die heute bekannten Hauptgruppen von Fischen endgültig durchsetzen. 14.1.1. Fische in der Elbtalkreide Die heutigen kiefertragenden Fische werden in Knor- pel- und Knochenfische unterteilt (Abb. 1). Zu den Knor- In der Oberkreide von Sachsen gehören Fischreste zu pel fischen (Chondrichthyes) gehören die Haie, die Rochen den häufigeren Fossilien, die von verschiedenen Autoren und die Seekatzen oder Chimären. Knorpelfische sind bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts beschrieben wurden erdgeschichtlich eine äußerst alte Gruppe und Fossilien (z. B. Geinitz 1839, 1840, 1868, 1875a, b, Fischer 1856, belegen, dass sie schon seit dem Ordovizium vor mehr als von Otto 1857, Wanderer 1909, Häntzschel 1933, 1940). 465 Millionen Jahren auf der Erde leben (Sansom et al. Da die meisten Funde fragmentarischer Natur sind, fand 2012). Im Gegensatz zu den Knochenfischen besitzen sie die sächsische Fauna in internationaler Literatur nachfol- ein nur gering kalzifiziertes knorpeliges Skelett und einzig gend wenig Beachtung und befindet sich taxonomisch die Zähne, Körperschuppen und Flossenstacheln bestehen größtenteils nicht auf dem aktuellen Stand. Lediglich aus Knochensubstanz mit Schmelzüberzug. Heute sind eine Gruppe von Knochenfischen, die Pycnodontier, wur- rund 1.200 lebende Arten bekannt (Weigmann 2016), was de in jüngster Zeit wissenschaftlich neu bearbeitet (Licht knapp 4 % aller heutigen Fischarten entspricht (Carrier et & Kogan 2011, 2014). Zusätzlich waren die Haie aus der al. 2012). Die Knorpelfische lassen sich in zwei Großgrup- sächsischen Kreide Gegenstand einer unveröffentlichten pen unterteilen: einerseits die durch fünf bis sieben offene Diplomarbeit an der Universität Leipzig (Meier 2005). Kiemenspalten charakterisierten Plattenkiemer (Elasmo- Eine umfassende Revision der sächsischen Fischfauna branchier), zu denen die Haie und Rochen gehören, ande- steht bis heute jedoch aus. rerseits die einen Kiemendeckel besitzenden Holocepha- Viele von Geinitz’ Abbildungsoriginalen befinden sich lier, welchen die Chimären zuzuordnen sind. Während die noch in den Sammlungen; einige sind jedoch dem Brand Holocephalier im Erdaltertum eine extrem vielfältige und des Dresdner Zwingers im Jahre 1849 zum Opfer gefal- weitverbreitete Gruppe an marinen Fischen bildeten, die len oder wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Bei den erstaunlich viele Merkmale der Elasmobranchier aufwie- fossilen Resten handelt es sich hauptsächlich um Zähne, sen (Stahl 1999, Ginter et al. 2010), stellen die modernen Flossenstacheln, Schuppen und Wirbelkörper; nur wenige Chimären mit 49 bekannten Arten reliktische Vertreter Actinopterygier sind mit Schädeln oder fast vollständi- dieser einst großen Gruppe dar (Weigmann 2016). Holo- gen Skeletten repräsentiert. Nachfolgend geben wir eine cephalier und vor allem Elasmobranchier kamen auch in Aufstellung der validen Knochenfisch-Taxa aus der säch- der Kreide von Sachsen vor; aufgrund ihrer hohen Diver- sischen Kreide. Die hier angeführten Synonymielisten der sität und des umfangreichen Materials werden sie in einer einzelnen Taxa beschränken sich neben den taxonomisch späteren Publikation bearbeitet. ausschlaggebenden Arbeiten auf die entsprechenden Die Knochenfische (Osteichthyes) werden ebenfalls sächsischen Zitate. Die Publikationsdaten einzelner Teile in zwei Untergruppen geteilt, die sogenannten Fleisch- aus Agassiz’ (1833 – 1843) „Recherches sur les Poissons flosser (Sarcopterygii) und Strahlenflosser (Actinoptery- fossiles“ entstammen Jeannet (1928), dem das insgesamt gii) (Abb. 1). Auffälligster Unterschied dieser Gruppen zehnbändige Werk
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