SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde Zum 100. Geburtstag des Geigers Henryk Szeryng (2) Mit Jörg Lengersdorf Sendung: 18. September 2018 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2018 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR2 Musikstunde mit Jörg Lengersdorf 17. September – 21. September 2018 Zum 100. Geburtstag des Geigers Henryk Szeryng (2) Zum zweiten Mal geht es heute um Geigenlegende Henryk Szeryng, dessen Geburt sich in dieser Woche zum hundertsten Mal jährt. Heute folgen wir dem Geiger ins Paris eines jungen Jahrhunderts. Ab 1930 studiert Henryk Szeryng, pendelnd zwischen Baden-Baden und Berlin, beim stilprägenden Pädagogen Carl Flesch. Als Jude Gerät Lehrer Flesch ab Sommer 1933 jedoch ins Visier der Nationalsozialisten. Er soll seine Position an der Berliner Musikhochschule aufgeben. Wilhelm Furtwängler setzt sich für seinen Geigerfreund ein, schreibt Briefe an die Berliner Behörden. Aber auch Furtwänglers Fürsprache hilft nichts, im Zuge des beispiellosen intellektuellen Braindrains verjagt Nazideutschland in Flesch den erfolgreichsten Virtuosenerzieher Mitteleuropas, und mit ihm unzählige jüdische Supertalente, eben auch Henryk Szeryng. Der 14jährige Henryk Szeryng reist im Sommer 1933 nach Paris. Im geigerischen Gepäck vier Jahre härtesten, aber auch fruchtbarsten Geigendrill unter Flesch, alle großen Konzerte hat der junge Szeryng im Repertoire, dazu eine unfehlbare Technik, die ihn in einer Liga mit Präzisionswunder Jascha Heifetz spielen lässt. Der vielleicht einzig weitere satisfaktionsfähige Geiger dieser Perfektionsklasse, David Oistrakh, hat sich der Welt noch nicht offenbart. Nikolai Rimsky-Korsakoff : Der Hummelflug (01.12) Henryk Szeryng Charles Reiner Henryk Szeryng und Charles Reiner mit dem Hummelflug von Nikolai Rimsky- Korsakoff. Im Sommer 1933 kommt Henryk Szeryng mit seinen Eltern erstmals nach Paris. Vorangehende Konzerte in Polen, unter anderem sein Debüt mit dem Brahms Konzert, haben bereits zum Renommee des jungen Geigers beigetragen. Nun haben 2 Szeryngs Eltern ohnehin beste Kontakte zur intellektuellen und politischen Oberklasse Polens, auch, wenn die sich im Ausland aufhält. Im Pariser Luxushotel „Pierre 1er de Serbie“ wird Henryk dem Pianisten und Politiker Ignaz Paderewski vorgestellt. Paderewski eilt in vielfacher Hinsicht ein Wahnsinnsruf voraus. In jungen Jahren soll Pianist Paderewski regelmäßig von schrillen Chören junger Mädchen umringt worden sein, die um Autogramme und Handküsse bettelten. Man sagt, wenn Paderewski nach Klaviertourneen zu Anfang des Jahrhunderts aus New York abgereist sei, hätten die Schreie seiner Verehrerinnen am Hafen sogar die Schiffskapellen und Nebelhörner der Ozeandampfer übertönt. Inzwischen ist Paderewski Politiker, sogar polnischer Premierminister. 1919 hat er in der Nähe von Paris für Polen den Vertrag von Versailles unterschrieben. Und er interessiert sich nach wie vor für musikalische Spitzentalente, zumal, wenn sie so gut erzogen sind, wie Elitenspross Henryk Szeryng. Der erinnert sich noch Jahrzehnte später an den netten Empfang im Nobelhotel beim ersten Bürger Polens. Frédéric Chopin: Mazurka cis-Moll, op. 63 Nr. 3 (02.08) Ignacy Paderewski (Klavier) Auch das ist wieder eine jener herrlich altmodischen, agogisch freien, rhythmisch so elegant biegsamen Chopininterpretationen, die Henryk Szeryng während seiner Kindheit und Jugend wohl oft hört. Von der Mutter, von den anderen großen Pianisten, die daheim ein und ausgehen, und nicht zuletzt ist ja auch Geiger Henryk Szeryng ein ausgezeichneter Pianist. Das war gerade Chopins cis moll Mazurka op. 63,3, gespielt in einer historischen Aufnahme von Pianist Ignaz Paderewski. Als Szeryng Paderewski als polnischen Premierminister in Paris trifft, zeigt er sich von seiner besten Seite. Zitat Szeryng über Paderewski: „Er war außer ordentlich liebenswürdig, hatte ein ausgezeichnetes Auftreten und strahlte sehr viel Güte und Würde aus. Er war beeindruckend, nicht nur durch das, 3 was er war, sondern auch wie er war: Mit wunderbarem, bis zur Schulter herabfallenden Haar – er war einfach königlich.“ Möglich, dass der 14jährige Szeryng im polnischen Nationalhelden Paderewski ein Rollenmodell für sich selbst entdeckt, jedenfalls wird ja auch Szeryng viel später nicht nur als Musiker, sondern auch als Diplomat durch die Welt reisen. Politisch betrachtet, wird Szeryng natürlich niemals, wie Paderewski, Staatsoberhaupt eines Landes werden, aber in einer anderen Hinsicht wird er Landsmann Paderewski sogar überflügeln. Paderewski gilt als Pianist, der zwar ungeheuer charmant und gewinnend spielen kann, aber in rein pianistischer Hinsicht lässt er oft auch mal Fünfe gerade sein, will heißen: falsche Töne oder nonchalante Umschiffungen von pianistischen Kniffligkeiten gehören bei Paderewski zum Programm. Keineswegs bei Szeryng. Sollte der jemals unsauber oder unperfekt gespielt haben, so ist es jedenfalls nicht dokumentiert. Henryk Wieniawski: Scherzo Tarantelle (04.20) Henryk Szeryng Charles Reiner Henryk Szeryng in Henri Wieniawskis Scherzo Tarantelle. Auch Henryk Szeryng selbst komponiert schon als Jugendlicher, das dokumentiert ein Photo eines Programmheftes, das man auf der ausgesprochen informativen Henryk Szeryng Website im Internet finden kann. Das Programmheft stammt aus einem Recital des gerade 16jährigen Geigers 1934 in der polnischen Botschaft in Wien. Auf dem Programm stehen Stücke wie Wieniawskis Scherzo Tarantelle, Kreislerminiaturen, und eine Fantasie des jungen Tonsetzers Szeryng, die leider nie auf CD eingespielt wurde. Neben solchen dokumentarischen Überraschungen findet man auf der Szeryng Website wunderschöne Fotos aus dessen Kindheit: der ernste Fünfjährige beim Fotografen in Warschau, der grinsende elfjährige mit kurzen Hosen und dennoch dickem Wintermantel in einem Berliner Park, der pubertierende Szeryng, der dem 4 gestrengen Lehrer Flesch bei einem Meisterkurs tief und durchaus etwas spöttisch ins Auge sieht. Auf dem Foto des erwähnten Programmheftes aus Wien kann man auch sehen, mit welchen Komplimenten sich Szeryng schon als junger Mensch schmücken kann. Kein Geringerer als Dirigent Arturo Toscanini hat in breiter Schrift leidenschaftlich mit mehreren Ausrufezeichen „Bravo“ ins Heft geschrieben. Noch 1934 spielt Szeryng als 16jähriger im Wiener Musikvereinssaal. Ein halbes Jahr später steht er in Warschau vorm Orchester in Beethovens Violinkonzert. Der Dirigent schlägt nicht nur den Takt, sondern auch, wenn man so will, seinen jungen Solisten zum Ritter: es ist Bruno Walter, Dirigentenkoryphäe, Spezialist für Musik Gustav Mahlers, und gerade von den Nazis aus Deutschland vergrault. Ludwig van Beethoven: Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 61 3. Satz: Rondo. Allegro ( 05.31 ) Henryk Szeryng (Violine) Concertgebouw-Orchester, Amsterdam Leitung: Bernard Haitink Henryk Szeryng im Finale des Violinkonzerts von Beethoven, das neben jenem von Brahms zu den Repertoirestücken gehört, bei denen Szeryng lebenslang mit verschiedenen Aufnahmen Maßstäbe setzen wird in edelster Tongebung, Intonation, Gestaltung des musikalischen Flusses. Szeryngs Einspielungen sind bis heute Musterbeispiele klassischer Schönheit. Mit Lob von Toscanini und Empfehlungen von Bruno Walter im Rücken, auf der anderen Seite vor dem vergifteten Klima Deutschlands und Österreichs zunächst fliehend, zieht Henryk Szeryng 1935 mit der Familie nach Paris, wobei der Vater weiterhin seine Geschäfte in Polen betreibt, und nur sporadisch zu Besuch kommt, „nicht selten im Flugzeug“, wie es im biografischen Abriss heißt, den Szeryngs spätere Ehefrau veröffentlicht. Das zeigt die finanzielle Potenz der Familie. Mehrmals ziehen sie in Paris in schönere Wohnungen zu ziehen, bis Vater Szymon Szeryng seinem Sohn schließlich eine Wohnung in der Rue du Rome kauft. 5 In Paris möchte Henryk derweil am Konservatorium aufgenommen werden, er ist ja noch Teenager und keineswegs dem Studentenalter entwachsen. Allerdings gibt es selbst für einen Genieschüler wie ihn keinen freien Platz in der Klasse von Rene Benedetti. Dafür lässt der unangefochtene König des französisch geprägten Violinspiels, Jaques Thibaud, den Jungen zweimal im Jahr vorspielen, gibt ihm väterlich freundschaftliche Ratschläge für die Karriere. Jaques Thibaud empfiehlt Szeryng, er solle sich bewerben für die Klasse von Gabriel Bouillon. Bouillon ist Thibauds Schüler und ein berühmter Name in Paris, nicht zuletzt, weil er auch in die Geschichtsbücher eingehen wird als Schwager der Skandaltänzerin Josephine Baker. Mit dem Geigenlehrer Bouillon am Pult macht Szeryng später eine seiner schönsten Bach Aufnahmen. Johann Sebastian Bach: Violinkonzert E Dur BWV 1042 Adagio e sempre piano ( 05.03 ) Henryk Szeryng Orchestre de l´Association des Concerts Pasdeloup Leitung: Gabriel Bouillon So ein dichter, jeden Quadratmillimeter des Gehörgangs ausfüllender Ton, mit kleinem, direkt aus dem klanglichen Fokus kommenden Vibrato.
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages9 Page
-
File Size-