8 // Bibliotheken in Sachsen Die Welt erlesen Leseförderung in Chemnitz, Glauchau, Hohenstein-Ernstthal und Leipzig von THOMAS BÜRGER, ROBERT ELSTNER, RAMONA FENGER, INGRID HONOMICHL und KIRSTEN PETERMANN 37 % aller Kinder wird niemals ein Buch vorgelesen, weder im Elternhaus noch im Kindergarten oder in der Schule. Dies geht aus einer aktuellen Umfra- ge der Stiftung Lesen hervor. Dabei ist das Vorlesen die Mutter des Lesens, wie Goethe schon wusste. Die Bildungsforschung weiß längst, dass die neuro- nalen Strukturen für Lernkompetenz in den ersten Jahren ausgebildet werden. Die Sprach- und Aus- drucksfähigkeit, die Sozialkompetenz, Neugierde und Selbstsicherheit, alle diese Fertigkeiten werden durch das Lesen befördert. Die jüngsten Studien zeigen allerdings, dass nicht nur in Unterschichten zu wenig gelesen wird. So engagieren sich Väter Lesekultur und Medienkompetenz generell deutlich zu wenig. Die Vorlesekultur Immerhin wächst das Bewusstsein der Gesellschaft, beschränkt sich oft auf Gute-Nacht-Geschichten, wie wichtig die Lesefähigkeit und ein kritischer die von der Mutter vor dem Einschlafen gelesen Umgang mit den Medien ist. Die Erfolge der „Stif- werden. tung Lesen“ sind beachtlich. So werden nach dem sächsischen Pilotprojekt „Lesestart – Mit Büchern Zweiteilung der Gesellschaft wachsen“ jetzt 500.000 Familien bundesweit inner- Während das durchschnittliche Lebensalter, die halb von zwei Jahren mit Lesestart-Sets ausgestattet, Anteile der Freizeit an der Lebenszeit und die Aus- um die frühkindliche Förderung flächendeckend zu stattung der Haushalte mit Computern deutlich organisieren. Auch die Politik unterstützt in der gestiegen sind, stagniert die Lesekultur: Jeder Vierte Folge der PISA-Studien auf verschiedenen Ebenen in Deutschland liest keine Bücher. Die Anzahl der eine aktivere Leseförderung. jährlich gelesenen Bücher sinkt. Das „häppchen- Sprach- und Leseförderung beginnt zu Hause und weise“ Lesen und die Lektüre von Texten an Bild- soll in Kindergarten, Kita und Grundschule ver- schirmen nimmt hingegen deutlich zu. stärkt werden. Im letzten BIS-Heft 4/2008, S. 215ff. haben die Städtischen Bibliotheken Dresden über Es gibt zunehmend eine Zweiteilung der Gesell- ein neues Projekt mit der Bürgerstiftung Dresden schaft in Gruppen mit engagierten und der Drosos Stiftung Zürich zur Gewinnung von THOMAS Viel-Lesern und souveränen Akteu- Vorlesepaten berichtet. Im diesem Heft geben nun BÜRGER ren im Umgang mit den neuen vier Bibliotheken aus Chemnitz, Glauchau, Hohen- Medien einerseits und in konstant stein-Ernstthal und Leipzig einen Einblick in ihre große Gruppen von Nicht-Lesern Alltagsarbeit. Alle haben zum Ziel, mit Lesespaß und Gelegenheitslesern andererseits. die Lebenschancen zu verbessern. Bibliotheken in Sachsen // 9 Kommunaler Eigenbetrieb „DasTIETZ“ Stadtbibliothek Chemnitz Zu den wichtigsten Zielen der Stadtbibliothek Kind & Ko(mmune) Chemnitz gehört die intensive Öffentlichkeitsarbeit Im Jahr 2004 initiierten die Stiftungen Heinz Nix- für Kinder. Besonders die guten Kontakte zu dorf und Bertelsmann das Projekt „Kind & Ko“. Kindertagesstätten und Schulklassen stehen dabei Die Stadt Chemnitz und die Stadtbibliothek waren im Vordergrund. Auf Grund neuer Ideen und Kon- von Beginn an dabei. Das Ziel ist die Verbesserung zepte stieg die Nachfrage nach Führungen und Ver- der Lern- und Bildungschancen von Kindern bis anstaltungen in den letzten Jahren deutlich. Stati- acht Jahren. stisch wurden 2005 nur 27 Führungen erfasst, dem In Gesprächen mit 171 Vorschülern und Erstkläss- gegenüber stehen nach neuesten Auswertungen 160 lern entstanden Ideen zur Umgestaltung der Lesebe- Führungen im vergangenen Jahr. reiche für die jüngsten Besucher. Auf dem Papier Gleichzeitig stieg die Zahl der Bibliothekskunden entstanden „Traumbibliotheken“. Anschließend bis 14 Jahre. Im Jahr 2004 waren 2.714 Kinder ange- setzten Handwerker, Spielzeugdesigner, eine Künst- meldet, dagegen konnten 2008 insgesamt 3.553 lerin und Mitarbeiterinnen der Stadtbibliothek die Kinder erfasst werden. realisierbaren Vorschläge der Kinder um. Im April 2007 ist der neu gestaltete Kinderbereich Eine Kinderwelt in der Zentralbibliothek eröffnet worden – und er wurde begeistert ange- Die Stadtbibliothek Chemnitz ist besonders um die nommen. Die hohen Regale waren von einer zwei bis sechsjährigen Besucher bemüht, denn diese Tischlerfirma in Marktstände umgebaut worden, so Zielgruppe sind die Leser von morgen. Seit dem Umzug 2004 in „DasTIETZ“ verfügt die Bibliothek über ideale Bedingungen. Die Kinderbi- bliothek mit 750 Quadratmetern Fläche wurde für Besucher bestens ausgestattet. Die Räumlichkeiten sind großzügig, hell und mit warmen Farben gestal- tet. 28.000 Medien stehen Kindern bis 14 Jahren zur Verfügung. Dennoch gab es Veränderungsbe- darf, um die jüngsten wirklich zu erreichen. Die Aufstellung der Medien erwies sich als nicht kindge- recht, die Regale waren zu hoch, die fachliche Auf- stellung der Bücher bremste die Leselust, als sie zu wecken. Deshalb wurden neue Ideen umgesetzt. 10 // Bibliotheken in Sachsen dass die Bücher mit ihren bunten Umschlägen nun Gesprächen mit allen Schulleitern der Chemnitzer auf Augenhöhe zum Schmökern verlocken. Mittelschulen und Gymnasien wurden Möglichkei- Die Ordnung der Bücher erfolgte nach 27 Themen, ten zur Förderung der Medien- und Informations- die mit den Kindern erarbeitet wurden. Jedes kompetenz vorgestellt. Bis zum Jahresende konnten Thema ist nun durch ein Signet grafisch dargestellt, bereits sechs Kooperationsverträge mit Schulen um die Orientierung und eine selbständige Medien- geschlossen werden, weitere sind in Vorbereitung. auswahl zu erleichtern. Ein Märchenzelt, ein Pira- tenboot mit Lesekojen und farbenfrohe CD-Hör- Durch das Projekt „Kind & Ko“ wurde die Vernet- plätze schafften neue Erlebnisräume innerhalb der zung Chemnitzer Bildungseinrichtungen mit Bibliothek. Aber nicht nur die Aufenthaltsqualität, der Stadtbibliothek intensiviert. Eine besonders auch die Zahl der Entleihungen ist nach der Verbes- positive Entwicklung ist in der Zusammenarbeit mit serung der Bestandspräsentation deutlich gestiegen. dem Amt für Jugend und Familie zu verzeichnen. Gemeinsame Fortbildungen und ein besserer Infor- Kooperationen mit Bildungseinrichtungen mationsaustausch führten im November 2008 zu Die Stadtbibliothek Chemnitz pflegt enge Kontakte einer Kooperationsvereinbarung, die nun 74 städti- zu Kindertagesstätten, Grund- und Mittelschulen sche Kindertagestätten und Horte erfasst. Diese sowie Gymnasien der Stadt. Eine gute Grundlage Einrichtungen verpflichten sich, allen Kindern vor dafür bildet die Kooperationsvereinbarung zwi- Schuleintritt den Bibliotheksbesuch zu ermögli- schen den Sächsischen Staatsministerien für Sozia- chen. Weiterhin ist die Teilnahme der Erzieher an les (SMS), für Kultus (SMK) sowie für Wissenschaft einer Fortbildungsveranstaltung zur „Orientierung und Kunst (SMWK) und dem Landesverband Sach- in der Medienlandschaft“ in der Stadtbibliothek sen im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (DBV). verbindlich. Darin wird den Bibliotheken empfohlen, auf loka- ler Ebene Kooperationsvereinbarungen mit Kinder- Neue Wege bei der Elternarbeit tagesstätten und Schulen zu schließen. Leider ist in den Kindertagesstätten und Schulen nur eine geringe Beteiligung der Eltern bei Veran- Die Stadtbibliothek Chemnitz bietet ihren Koope- staltungen, Fortbildungen sowie Elternabenden zu rationspartnern diese Angebote: beobachten. Die Stadtbibliothek bietet deshalb • ein an den Zielgruppen orientierter, ausgebauter Eltern-Kind-Nachmittage an, die gemeinsam mit Medienbestand den Bildungseinrichtungen organisiert und durch- • altersgerechte Bibliothekseinführungen (modulare geführt werden. Während den Eltern gezeigt wird, Angebote) wie sie die Bibliothek für sich und ihre Kinder nut- • thematische Medienboxen für Kindertagesstätten zen können, betreuen Pädagogen der jeweiligen Ein- und Schulen richtung die Kinder. Diese können selbständig • Führungen und Fortbildungsveranstaltungen für Medien auswählen oder an einer spannenden Buch- Erzieher und Pädagogen vorstellung teilnehmen. Die Erfahrungen bestätigen RAMONA • Elternabende in der Bibliothek. das Konzept. Die Eltern folgen den Einladungen, FENGER die Zahl der angemeldeten Kinder steigt. Die Inve- Im August 2008 startete eine große stitionen in das Kinderleseparadies im TIETZ und Werbeaktion im Sekundarstufenbe- in die Initiative „Kind & Ko“ haben sich gelohnt reich I und II. In persönlichen und zeigen sichtbare Erfolge. Bibliotheken in Sachsen // 11 Stadt- und Kreisbibliothek Glauchau Mit 80 Veranstaltungen im Jahr 2008 beteiligte sich Angebote gibt es für alle Altersgruppen die Stadt- und Kreisbibliothek Glauchau im Jahr Im Grundschulalter kann man „Das unbekannte 2008 an den Initiativen zur Leseförderung für Vor- Land Bibliothekarien“ entdecken oder aber mit schul- und Schulkinder. Angeboten werden Lese- „Oskar dem Ballonfahrer“ einzelne Themen bespre- Nächte, Bastelnachmittage, Puppentheater, Beteili- chen. „Vom Löwen, der nicht schreiben konnte“ gungen an Kinderfesten und am Weihnachtsmarkt. und „ABC – lesen tut nicht weh“ sind zwei weitere In den Ferien führt die Kinderbibliothek ein Ferien- Veranstaltungsformen, die den Kindern Freude am programm durch. Mit prominenten Vorbildern und Lesen und Schreiben vermitteln. Lehrer können auf in der Zusammenarbeit mit Eltern und Lehrern Wunsch mit Lesungen, ggf. auch unter Beteiligung sollen Kinder und Jugendliche zum Lesen ermun- der Autoren, und mit vorbereiteten Medien unter- tert werden. stützt werden.
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