Nr.1 Januar 2000 7 Schweizer Musikzeitung Michael Kunkel «...weniger vergänglich und weniger zeitnah...»: Klaus Huber zum 75. Geburtstag Vor 75 Jahren wurde Klaus Huber am 30. No- vollzog Huber eine Revision seiner Schreibweise, ster in Turnus ‹1973/74› für einen Dirigenten, einen vember 1924 als Sohn des Kirchenmusik-Kompo- indem er seine früheren ausbalancierten, harmoni- Inspizienten, Sinfonieorchester und Tonband). nisten Walter Simon Huber in Bern geboren. Nach- schen Formen bewusst störte, ihr Gleichgewicht ge- dem er eine Lehrerausbildung abgeschlossen und gen sich selbst wandte. Paradoxerweise stand seine «Bekenntnismusik» von 1945 bis 1947 als Primarlehrer in Gibswil (ZH) in dieser Zeit stattfindende Hinwendung zu seriel- gearbeitet hatte, absolvierte er 1949 -1955 ein Stu- len Verfahren gerade nicht im Dienste des rational Die neue Wendung in Hubers Musik ist dabei we- dium der Komposition und Theorie bei seinem Stimmigen, sondern vielmehr der Brechung regel- niger den damals in Mode befindlichen avantgardis- Taufpaten Willy Burkhard am Zürcher Konservato- mässiger Gebilde. Solche planvolle Dissoziierung tischen Spektakeln zuzurechnen, sondern zuneh- rium, das er im Winter 1955/56 durch Komposi- strukturbildender Symmetrien mittels Fibonac- mend politisch motiviert: Nach Hubers Anschauung tionsstudien bei Boris Blacher in Berlin ergänzte. cizahlen und Logarithmen ist ein erster Ausdruck erfüllt der Künstler in Hinblick auf die Gesellschaft Hubers kompositorische Ausgangssituation ist nur scheinbar der rückwärtsgewandten musikali- schen Auffassung seiner Lehrer verpflichtet: Seine Affinität zur älteren Musikgeschichte machte er bald nutzbar, um sich bewusst vom Pathos eines nachromantischen Stils Schoeck’scher Prägung zu distanzieren und eine eigene, durchaus moderne Tonsprache auszubilden. Wie Webern oder wie Strawinsky in seinen späteren geistlichen Werken, die Huber beide nachhaltig beeindruckten, verfolgte er nicht die Absicht der historisierenden Reanima- tion vergangener Epochen; die aktuelle Erfahrung mit der Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barock bot vielmehr eine Chance für die Ent- wicklung neuer Konzeptionen. Die symmetrische Disposition seiner während der Fünfzigerjahre entstandenen Kammerkantaten Des Engels Anredung an die Seele (1957) und Auf die ruhige Nacht-Zeit (1958) geben nicht zuletzt auch einen Hinweis auf Hubers Interesse an Bogenformen Bartók’scher Provenienz, deren Stu- dium er dank seines Violinunterrichts bei Stefi Geyer in Zürich vertiefen konnte. In diesen Vo- kalzyklen kultivierte Huber einen Gestus lyrischer Introspektion, den er den Worten geistlicher Mysti- Klaus Huber (r.) anlässlich der von viel Prominenz besuchten Geburtstagsfeier in Boswil mit (v.l.n.r.) ker des Mittelalters (Jean de la Croix, Hildegard von Walter Grimmer, Younghi Pagh-Paan und Aurèle Nicolet. Foto: Werner Erne, Aarau Bingen, Jakob Böhme, Mechthild von Magdeburg) und den barocken Versen von Catharina Regina von von Widerstand und Zerbrechlichkeit und weist auf eine Spiegelfunktion, daher sind künstlerisch ausge- Greiffenberg und Johann Georg Albini ablauschte. die Themen späterer Werke voraus. Im umfängli- formte Beschädigungen in seiner Musik Ausdruck Solche Texte spielen in seinen Kompositionen immer chen, gleichwohl unvollendet gebliebenen Oratori- von sozialem Engagement. Der Anspruch eines ver- wieder eine wichtige Rolle. Dabei ist Hubers Neigung um Soliloquia Sancti Aurelii Augustini (1959/64) meintlich reinen musikalischen Ausdrucks war für zur mystischen Kontemplation weniger Selbst- nimmt Hubers formale Dialektik exemplarische Ge- ihn nicht länger haltbar. Seit jener Zeit sind seine zweck, sondern Ausdruck einer nach innen gerich- stalt an: Obwohl das Werk auf einer zyklisch-kon- Werke als «Bekenntnismusik» (Huber) kontextbezo- teten Neugier, die nicht in Hermetik erstarrt. zentrischen Ordnung basiert, ist es gleichzeitig als gen und bedürfen in zunehmenden Masse Mittel, die offene Form konzipiert, aus der auch einzelne Teile auch ausserhalb des musikalischen Mediums liegen. Internationaler Durchbruch aufgeführt werden können. So werden auf dem Höhepunkt von ...inwendig voll- Mit Alveare vernat (1965) für Flöte und 12 Solo- er figur... (1970/71), in dem Huber eine Apokalypse- Hubers durch sein Leben in der Schweiz begüns- streicher löste sich Huber endgültig von einer – wenn Vision Albrecht Dürers thematisiert, ab Tonband tigte innere und äussere Isolierung der Fünfziger- auch negativ – auf Regelmässigkeit beruhenden eingespielte Wortfetzen aus den Gesprächen der jahren fand ein Ende, als Des Engels Anredung an Zeitvorstellung zugunsten einer prozesshaften Be- Bomberbesatzung über Hiroshima vernehmbar; die Seele bei den IGNM-Weltmusiktagen in Rom handlung des musikalischen Materials: So wird die mithin sind Teile eines den Weltenbrand darstellen- 1959 zur Uraufführung gelangte; hatte die sinnliche d-Moll Chaconne aus Purcells Dido and Aeneas in des Bildes von Dürer in die Noten eingeflochten. Fragilität seiner frühen Werke auf andere Schweizer Ein Hauch von Unzeit (1972) einem ausgedehnten Die in früheren Werken dominierenden geistli- Komponisten ohnedies schon einen starken Einfluss Auflösungsprozess ausgesetzt. Im «Aufsprengen chen Inhalte spielten auch weiterhin eine grosse Rol- gehabt, wie etwa im Falle der kleinen Kantate Erde konventioneller Klangproduktion» (Huber) avan- le, weil sie für Huber keinen Gegensatz zum politi- und Himmel (1961) von Heinz Holliger, bedeutete cierten vormals akzidentiell erscheinende Deforma- schen Engagement darstellen; in seiner Haltung ist der bislang grösste Erfolg auch Hubers internatio- tionen zur Hauptsache der Musik – was auch dazu Solidarität unmittelbarer Ausdruck eines «Charisma nalen Durchbruch. Die Öffnung zeigte sich auch in führte, dass die Orchestermusiker bei der Bonner des Bruder-Seins» (Huber). Immer wieder betont er kompositionstechnischer Hinsicht: In Noctes intel- Aufführung 1970 von Tenebrae (1966-67) zunächst die Aktualität von Mystizismen wie der Apokalypse, ligibilis lucis für Oboe und Cembalo (1961) und dem ihren Dienst verweigerten (später thematisierte Hu- deren Perspektive im Atomzeitalter längst wirkliche ersten Streichquartett Moteti – Cantiones (1962) ber die Problematik der Institution Sinfonieorche- Gestalt angenommen hat. Doch obwohl er sich in Revue Musicale Suisse 8 No1 Janvier 2000 seiner Musik mit Gehalten auseinandersetzt, die sel- sche Struktur wird hier unmittelbar zum Bedeu- Herr zurück (nach Philip Oxman, 1972/73...) und ten Anlass zu Frohsinn geben mögen, entspricht sei- tungsträger; Max Nyffeler prägte den Begriff der Im Paradies oder der Alte vom Berge (nach Alfred ner neu-humanistischen Überzeugung auch der strukturellen Semantik. Nach solch drastischer Dar- Jarry, 1973/75) sein drittes Opernprojekt), das vom Glaube auf Hoffnung; so lässt Huber, offenbar eher stellung bodenloser Monströsitäten öffnet sich in Theater Basel in Auftrag gegeben wurde. zu Bloch als zu Adorno hinneigend, in seinem musi- der hymnenartigen Prosodie des Schlussteils «Das Hand in Hand mit seinem Engagement als schaf- kalischen Endzeit-Darstellungen stets Raum für Volk stirbt nie» noch einmal die heilsverkündende fender Künstler geht sein pädagogisches Engage- klingende Trostspender, oft als formaler Auffang: So Perspektive einer obligaten Utopie. ment: Die Lehrtätigkeit bedeutet für Huber mehr als bei den hymnusartigen Melodien in Alveare vernat, nur Broterwerb. Von 1950-60 wirkte er als Violin- den Choralfragmenten («in modo choralis») von Te- Späte Werke lehrer am Zürcher Konservatorium, später als Do- nebrae, dem (Doppel-)Zitat der Kärtner Weise aus Al- zent für Musikgeschichte und Literaturkunde am ban Bergs Violinkonzert in Tempora (1969/70) für Hubers spätere Kompositionen stehen nur ihrer Konservatorium Luzern. 1964 wurde er an die Mu- Violine und Orchester, den Naturlauten und Kinder- äusseren Erscheinung nach im Gegensatz zu den sikakademie Basel berufen (für Komposition und stimmen von Turnus – selbst in ...inwendig voller fi- grossen oratorisch dimensionierten Werken: In sei- Instrumentenkunde, ab 1968 übernahm er als gur... erscheint ein Eigenzitat aus Tempora aus- nem zweiten Streichquartett ...von Zeit zu Zeit... Nachfolger von Boulez und Stockhausen die Mei- drücklich als «Schimmer der Hoffnung». (1984/85) kehrt sich sein Engagement, nicht unähn- sterklasse für Komposition). 1966, 1968 und 1972 Hubers Werke nahmen immer grössere Ausdeh- lich Luigi Nonos Musik seit Fragmente – Stille...an leitete er Analysekurse in Bilthoven, 1969 war er nung an, so dass sie es bald ohne weiteres mit Diotima, gleichsam reflektierend nach innen. Der Mitbegründer des internationalen Komponistense- Stücken wie Bernd Alois Zimmermanns Requiem für zumeist zarte, zerbrechliche Duktus vieler jüngerer minars Boswil (AG); 1973-90 wurde er als Nachfol- einen jungen Dichter aufnehmen konnten; das Rie- Stücke bedeutet nicht Rücknahme des früher Postu- ger Wolfgang Fortners Leiter der Kompositions- senformat mancher Partitur übertraf teilweise die lierten, sondern ist Ausdruck einer inneren Span- klasse und des Instituts für Neue Musik an der Körpergrösse des Dirigenten. Nach den gross ange- nung, die, je seltener sie sich entlädt, umso intensi- Musikhochschule Freiburg/Br., und er unterrichte- legten Soliloquia und ...inwendig voller figur... ent- ver erfahrbar wird. Auch der immer häufigere te seit 1983 u.a. in Brasilien, Nicaragua, Kanada, stand sein bislang umfangreichstes Werk mit dem Gebrauch von Mikrointervallen entspricht der Suche Italien,
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