La Bombonera

La Bombonera

Stadion-Porträt Oben: Kein Provisorium, sondern sorgfältig geplant (Foto: M|SG|S|S|S Architekten, Buenos Aires) Rechts: Gästeblöcke auf den Oberrängen der Südtribüne (Foto: Rössel) La Bombonera – die wahrscheinlich größte Pralinenschachtel der Welt Die Heimstätte der Boca Juniors wartet mit einer merkwürdigen Schachtelform auf, zittert, wackelt, vibriert und gehört zu den eindrucksvollsten Stimmungstempeln der Welt ährt ein Schiff in den Hafen ein… natürlich. Der Klub war gegründet, die 1931 wurde der Bau eines neuen, gro- wahrscheinlich hat jeder Fußballfan Farben blau und gelb, doch wo sollte ge- ßen Stadions aus Beton beschlossen, doch Fschon einmal von der Entstehungs- spielt werden? erst 1935 hatte man genügend Geld zu- geschichte der Boca Juniors gehört. Im Das erste Spiel von Boca wurde am sammen, um das Land zu kaufen. Im Jahre 1905 trafen sich im Haus von Este- 21.4.1905 in Dársena Sur ausgetragen, di- Februar 1938 wurde endlich der Grund- ban Baglietto, mitten im Stadtteil La Boca rekt am Hafenbecken. In den Folgejahren stein gelegt, im August desselben Jahres von Buenos Aires, fünf Söhne italieni- zog der Verein immer wieder um. Dies mit dem Bau begonnen. Federführender scher Einwanderer, um einen neuen Fuß- hatte erst 1923 ein Ende, als die Boca Ju- Architekt war José Luis Delpini: „Zuerst ballklub zu gründen. Für dessen Namen niors neben der Calle Brandsen eine Flä- haben wir das ideale Stadion projektiert“, gab es verschiedene Vorschläge. Damals che anmieteten, auf der ein Stadion aus schreibt Delpini in der Ausgabe 792 der waren englische Bezeichnungen in Mode, Holzlatten errichtet wurde. Dies war der Zeitschrift „La Ingenieria“ von 1941. Den außerdem sollte sich das Stadtviertel im Vorgänger der Bombonera. Noch über- Direktoren schwebte ein Stadion mit Namen wieder nden. So entstand der ragten die anliegenden Häuser die Höhe 100.000 Plätzen vor, und jeder Zuschauer Name „Boca Juniors“, aber noch fehl- der Tribünen, so dass viele Anwohner die sollte von seinem Platz aus optimal sehen ten die Farben. Es folgte die wohl schon Partien verfolgen konnten, ohne Eintritt können. Doch die Häuser der Calle del tausendfach erzählte Entscheidung, die zu zahlen. Die Zeit verging, Boca wurde Valle Iberlucea konnten und durften nicht Farben der Flagge des nächsten in das Ha- immer populärer und irgendwann war weichen. Es war klar, dass ob des sehr be- fenbecken einlaufenden Schiffes zu über- klar, dass die „Holzbude“ keine Zukunft grenzten Platzes ein klassisches Stadion nehmen. Das Schiff kam aus… Schweden, haben konnte. mit gleichmäßig angeordneten Tribünen 84 Stadionwelt 11/2004 s84-87_Stadion_International_1-4_Boca_Juniors.indd 84 21.10.2004 04:30:59 Stadion-Porträt auf allen vier Seiten nicht zu verwirkli- chen war. „Über die Idealskizze zeichne- ten wir dann den Platz, der uns wirklich zur Verfügung stand und radierten die Bereiche, die wir nicht nutzen konnten, aus“, fährt er in den Aufzeichnungen fort. Die Straßen Brandsen, del Valle Iberlucea, Aristóbulo del Valle und die südlichen Eisenbahnschienen bildeten den natürli- chen Rahmen, ein nicht ganz regelmäßi- ges Rechteck. Die zur Verfügung stehende Fläche betrug mit 187 x 114 Metern gerade mal etwas mehr als 21.000 Quadratmeter. Auf den Schienen konnten immerhin die Wagons voller Zement und anderer Ar- beitsmaterialien herangeschafft werden. Architekt Delpini stand vor einer Rei- he von Herausforderungen. Normal wäre gewesen, die Tribünen mit einer Breite von 47 Metern zu kalkulieren, damit sie sich gleichmäßig nach oben ausbreiten könnten. Doch nur 29 Meter standen zur Verfügung, weshalb man die Ränge wie Schuppen regelrecht übereinander legte. Die Grund äche wurde somit zu 160 % ausgenutzt, keine schlechte Quote. Kein Platz für 100.000 Die zu erwartenden Zuschauermassen mussten natürlich sicher und komforta- bel durch das Stadion gelenkt werden. Dort, wo normalerweise eine einzige Treppe Platz gehabt hätte, wurden eben- falls gleich vier davon mehr oder weniger übereinander angeordnet, jeweils vier Meter breit, um im Notfall eine Evakuie- rung reibungslos durchführen zu können. In acht Minuten wäre das Stadion leer ge- wesen, hat man damals errechnet. Die Träger der oberen Tribüne auf der Seite der Eisenbahnschienen waren im- merhin fünf Meter breit, die auf den Seiten der Straßen Brandsen und Aristóbulo del Valle mussten mit der Hälfte auskommen. Um an all die Papiere und Genehmigun- gen zu gelangen, glühten zwischen Boca, der Eisenbahngesellschaft, dem Bauamt und dem Beraterstab die Telefondrähte – am Ende mit Erfolg. Zum Erkennungszeichen schlechthin wurde ein zwischen die dreistöckigen Palcos (Logen) „gep anzter“ Turm. Das extrem schmale Logen-Bauwerk war mit seiner Höhe von 48,20 Metern schon von weitem zu sehen. Der Zugang erfolgte separat ausschließlich von der Calle Del Valle Iberlucea aus. Da am Nachmittag die Sonne auf die Palcos schien, wurden sie mit dünnen Markisen ausgestattet. Die Platznot machte er nderisch, doch die Beleuchtung für Abendspiele wurde, wie Delpini selbst zugeben musste, nur unbefriedigend gelöst. Auf der einen Sei- te, dort oben, wo in Zukunft einmal der dritte Rang dazukommen sollte, � Stadionwelt 11/2004 85 s84-87_Stadion_International_1-4_Boca_Juniors.indd 85 21.10.2004 04:31:30 Stadion-Porträt Stadion-Porträt Auf der Haupttribüne – zwischen Rang 2 und 3 befi nden sich Logen und Presseplätze Foto: Rössel An der oberen Tribünenkante Foto: Rössel Die Palcos, die wahrscheinlich engsten Logen der Welt Foto: Rössel wurden auf einer Leiste nebeneinander selbstverständlich Meister und blieb im war das erste live im Fernsehen übertrage- brechen würde und wollte wieder gehen. Fans von Boca“, schmunzelt Architektin Daten zum Stadion mehre Dutzend Scheinwerfer montiert. neuen Zuhause fast ein Jahr ungeschla- ne Spiel Argentiniens und das halbe Land Darunter waren solch erfahrene Spieler Fina Santos, im August 2004 auf die Um- Von gegenüber, auf sechs kleinen Beton- gen. Hinter einem Tor klaffte übrigens versammelte sich vor den Bildschirmen. wie Davor Suker. Oder fragen Sie nach bauphase zurückblickend. Offi zieller Name: türmen über den Logen verteilt, spende- noch eine Lücke, dort, wo später „La 12“ Endlich war die Bombonera komplett, der bei den Spielern von Borussia Mönchen- Das Spielfeld selbst wurde um 80 Zenti- Estadio Alberto J. Armando (seit 2000) ten jeweils sieben Schweinwerfer Licht, ihren Stammplatz haben sollte. Ein Teil Mythos nahm seinen Lauf. Einen Torschrei gladbach des Jahres 1977, als sie anlässlich meter verschoben und speziell die unteren insgesamt also 42 plus ein paar Lampen, dieses Oberrangs konnte (noch) nicht fer- konnte man über 40 Straßenblöcke hinweg des Weltpokal-Hinspiels bei Boca antreten Sitzplätze neu angeordnet. Bruchsicheres Adresse: die am Turm angebracht wurden. Dies tiggestellt werden. hören. Hierbei kam es zu einem beunruhi- mussten… 18,6 Millimeter starkes Verbundglas er- Calle Brandsen 805 konnte nur eine Übergangslösung sein. Ein (erster) of zieller Name sollte übri- genden Phänomen: Wenn das Stadion voll setzte die alten Zäune. Diese Idee stammt Ciudad de Buenos Aires gens erst am 20.4.1986 vergeben werden. war und die Fans feiernd herumsprangen, Modernisierung aus Italien; in Mailand, Cagliari und Flo- C.P. 1161 Zittern und beben „Camilo Cichero“, so der Name eines bewegte sich das gesamte Bauwerk bis zu renz hatte man bereits gute Erfahrungen Argentinien Boca-Präsidenten in den 30er Jahren, hieß vier Zentimeter hin und her. Dies war in Nachlässigkeiten in der Wartung und mit diesem System gemacht. Um im Falle Während der knapp zwei Jahre wäh- der Tempel von nun an. Ein anderer Prä- der Tat beabsichtigt – denn bei einer star- daraus resultierender angesetzter Rost eines Falles aber sofort reagieren zu kön- Im Netz: renden Bauzeit spielte Boca im Stadion sident, ein gewisser Alberto J. Armando, ren Struktur wären die oberen Tribünen führten 1980 zur Schließung des Stadions nen wurde ein einheimischer Fabrikant http://www.bocajuniors.com.ar von Ferro Carril Oeste und „zahlte die hatte bereits 1975 die Zustimmung von schlichtweg abgeknickt. Auf den oberen für einige Monate, 1983 wiederholte sich des speziellen Glastyps aufgetrieben. Miete mit den Holzbrettern des alten Sta- den Mitgliedern des Vereins bekommen, Plätzen schwankt es manchmal bedenk- das traurige Schauspiel, Inspektoren des Die Bauarbeiten im Jahre 1996 dauerten Telefon: 0054-11-4309-4700 dions“, erzählt Fabián Fiozi, ein Historiker ein neues, größeres Stadion an anderer lich, doch selbst auf dem Spielfeld wird es Bauamtes stellten „gefährliche Mängel in insgesamt sechs Monate und brachten als des Klubs. Am 25.5.1940 war es endlich Stelle zu bauen. Aus nanziellen Grün- manchem Pro mulmig zumute – wie auch der Struktur“ fest. Erst im Mai 1985 wurde Verbesserung der Bombonera auch eine Führungen: soweit, das neue Stadion wurde feierlich den wurde nie etwas aus diesen Plänen. den Spielern von Flamengo. Deren Gesich- die Pralinenschachtel wieder eröffnet. moderne Flutlichtanlage mit 1.000 Lux, Vom Klubmuseum werden Stadionführun- eröffnet. Von seinen Mitarbeitern bekam Im Dezember 2000 wurde das Stadion ter zeigten ob des erdbebenartig zitternden So entschied Mauricio Macri, der in den die der Ära schummriger Abendspiele ein gen angeboten. Delpini eine Pralinenschachtel überreicht. in „Estadio Alberto J. Armando“ umbe- Spielfeldes ernsthafte Sorge. Kapitän Ju- neunziger Jahren Präsident von Boca wur- Ende bereitete. Er schaute sie an, blickte rundum und nannt, doch für die zahlreichen Fans wird nior fragte seine Mitspieler: „Was

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