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2 deutscher herbst Mittwoch, 17. Oktober 2007, Nr. 241 junge Welt Unser Titelfoto zeigt ein Wandbild in der Ham- »An die Massenagitation haben burger Hafenstraße. Es entstand 1986 in »Solida- wir nicht geglaubt. Wir haben rität mit der RAF« zum neunten Jahrestag des dieses Revolutionskonzept der »Deutschen Herbstes«. Der Senat der Freien und diversen K-Gruppen nicht für Hansestadt ließ es unter massivem Polizeischutz Helmut Pohl übermalen. voll genommen.« Neben Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan immer wieder auf, um das gleich heraus- war absolut kein Terrain für eine Stadt- Raspe (siehe Fußnote 5) zugreifen, wie die angebliche Geschichte guerilla, wie wir sie wollten. Sie kamen wird auch Ingrid Schubert von Ulrike 3 verbraten wird. Schon von also nach Westdeutschland, und ich ge- (geb. 1944) erwähnt. Die Anfang an, seit 1970/71, wird behauptet, hörte dann zu den ersten, die von Ulrike Mitbegründerin der RAF Ulrike hätte aussteigen wollen aus dem angesprochen wurden. Sie fragte mich, war an der Befreiung von bewaffneten Kampf. Das ist völliger Un- wie ich zum bewaffneten Kampf stehe. Andreas Baader beteiligt sinn. Es ist psychologische Kriegsfüh- Na ja, ich bin gleich mitgegangen und ha- und wurde im Oktober rung und Propaganda und man muß das be mit ihr in der ersten Zeit zu Beginn der 1970 verhaftet. Sie war in Zusammenhang mit den späteren An- Siebziger eng zusammengearbeitet. seit 1976 im siebenten griffen bringen: Isolationsfolter im toten Ulrike Meinhof wurde in bürger- Stock in Stammheim, bis Trakt, der Versuch einer Zwangsunter- lich-aufgeklärten Verhältnissen zur Zwangsverlegung am suchung ihres Gehirns. 4 Es war in allem groß – und es mag auf sie und viel- 18.8.1977 nach München- der Versuch, die Revolutionärin Ulrike zu leicht auch auf die Pfarrerstochter Stadelheim. Dort wurde demontieren. Und Aust wärmt die uralte, Gudrun Ensslin zurückzuführen sie am 12.11.77 erhängt längst widerlegte Legende von der Aus- sein, daß der RAF auch jetzt wieder aufgefunden. Das Todeser- grenzung Ulrikes, einer bewußten Ab- das Image von Durchgeknallten ver- mittlungsverfahren wurde kanzelung durch Gudrun5 in Stammheim paßt wird. Spiegel-Chef Stefan Aust eingestellt, eine unabhän- wieder einmal auf und konstruiert daraus überschrieb seinen TV-Film »Krieg gige Untersuchung wurde eine tiefe Verzweiflung Ulrikes, die letzt- der Bürgerkinder« und unterstellte trotz offensichtlicher lich zu ihrem unterstellten Selbstmord in einem Interview der FAZ (22.8.) Widersprüche und offener geführt habe. gar so etwas wie das Vorhandensein Fragen nicht zugelassen. Einmal ganz abgesehen davon, daß einer Art »Terror-Gen«: »Den Ex- (ausführlich: Rambert, viele Fragen des Untersuchungsberichts tremismus muß man schon in der Binswanger, Bakker Schut: zu ihrem Tod unbeantwortet blieben, war Persönlichkeitsstruktur haben, um »Todesschüsse, Isolations- auch die Auseinandersetzung um den auf diesem Weg der RAF voranzuge- haule folter, Eingriffe ins Vertei- Angriff auf das Springer-Hochhaus von hen.« Sind Sie »Bürgerkinder«? 6 digungsrecht«, VLA) eva 1972 längst abgeschlossen. Das Thema Rolf Clemens Wagner: Bürgerkinder – Helmut Pohl (rechts), geboren 1943, Journalist, ab 1970 Mitglied der RAF, erste Verhaftung 1971, stellte sich zwar dann im Zusammenhang wenn ich das schon höre ... Es ist doch zwei Jahre Gefängnis wegen Waffenbesitz, zweite Verhaftung 1974, fünf Jahre Haft wegen Mit- mit dem Prozeß erneut, aber nicht mehr völlig egal, wo jemand herkommt. Das gliedschaft in der RAF, darunter im Sommer 1977 (6.7.-12.8.) im Hochsicherheitstrakt Stamm- als Kontroverse. Vielmehr wollte Ulrike ist nicht der Punkt. Es handelt sich viel- heim. Nach der Freilassung 1979 wieder in der RAF, 1984 erneute Verhaftung und Verurteilung vor Gericht etwas zu der Springer-Aktion mehr um einen Kampfbegriff, der tat- zu lebenslanger Haft u.a. wegen des Bombenanschlags auf das Hauptquartier der US-Luftwaffe sagen und diese erklären, während die sächlich auch zur Delegitimierung unse- Europa in Ramstein 1981. Mehrere Hungerstreiks im Gefängnis. 1998 begnadigt. Heute erwerbslos anderen meinten, nein, wir konzentrieren rer Geschichte benutzt wird – bis heute uns auf die Angriffe gegen das US-Militär. und schon immer. Dazu gehört auch der Rolf Clemens Wagner, geboren 1944, Barkeeper und Reiseleiter, ab Mitte der 70er Jahre Mit- Die Aktion gegen Springer in Hamburg Unsinn, unser Weg sei in den Individual- glied der RAF, 1978 zusammen mit Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann und Peter-Jürgen war falsch, obwohl wir natürlich auch strukturen angelegt. Also eine Psycholo- Boock in Jugoslawien verhaftet, aber nicht an die BRD ausgeliefert. 1979 in der Schweiz in der Tradition des Kampfes gegen den gisierung unserer Geschichte, Sozialpsy- verhaftet und 1982 an die BRD ausgeliefert. 1985 zu zweimal lebenslänglicher Haftstrafe ver- Springer-Konzern stehen. Aber es wurde chologisierung, wie sie leider auch von urteilt unter anderem wegen Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer 1977. das Leben von Arbeiter und Angestellten einigen ehemaligen RAF-Leuten betrie- Erneuter Prozeß nach »Kronzeugen«-Aussagen von DDR-Exilanten, zusätzliche Haftstrafe von gefährdet – und das war nie Sache der ben wird. Es handelt sich bei diesen Kon- zwölf Jahren wegen Anschlag auf den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig 1979. Im Dezem- RAF. Wir haben das kritisiert und Schluß- strukten um Mittel der psychologischen 1 Christian Klar (geb. 1952), war ber 2003 begnadigt. Heute erwerbslos folgerungen für später gezogen. Kriegführung, die von den tatsächlichen Mitte der 70er Jahre in der Sie kamen im Sommer 1977 in den politischen Analysen der RAF, der poli- RAF organisiert, wurde 1982 Bundeswehr im Inneren. Sie verschaffen befürchten, daß – wie in London oder Ma- siebenten Stock des Hochsicher- tischen Bestimmung der Aktionen und verhaftet und in zwei Prozes- sich schon heute die Mittel zur Bekämp- drid geschehen – auf irgendeinem Park- heitstrakts Stammheim. Da war des ganzen Konzepts völlig ablenken. Ich sen wegen Beteiligung an fast allen Aktionen der RAF zwi- fung dessen, was sie selber erwarten. Von platz oder in irgendeiner U-Bahn eine Ulrike Meinhof bereits über ein Jahr bin ja nicht zur RAF gekommen, weil ich schen 1977 und 1981 zu lebens- daher war die ganze Kampagne auch ein Bombe hochgeht. Wir haben gezielte Ak- lang tot. Bürgerkind war. Sondern ich hatte eine länglich verurteilt. Inhaftiert in politisches Muß für die herrschende Klas- tionen gemacht und nicht irgendwelche Helmut Pohl: Trotzdem drehten sich die bestimmte Politisierung, an deren Ende der JVA Bruchsal se. unbeteiligten Zivilisten angegriffen. Wir ersten Gespräche sofort um Ulrike. Für dann die Erkenntnis stand: Das ist ein Helmut Pohl: Bei mir war es ähnlich haben uns an dem grundsätzlichen Sche- Andreas, Gudrun und Jan 5 war ganz aus- richtiger Weg. 2 Adelheid Schulz (geb. 1955), war Mitte der 70er in der RAF, wie bei Rolf. Ich wurde 1999 begnadigt, ma vom begrenzten Krieg orientiert. Der geschlossen, daß Ulrike sich umgebracht In der aktuell von den Medien ge- 2 wurde 1982 verhaftet und u.a. Rolf 2003, dazwischen kam noch Heidi militärische Einsatz sollte dazu dienen, hat. Völlig klar war kurz vor ihrem Tod: schriebenen RAF-Geschichte, aber wegen der Schleyer- Entfüh- frei. Der Vorgang durchlief die Institu- eine politische Wirkung zu entfalten. Ulrike ging es gut. Sie hat viel gearbeitet, auch schon früher, wurde versucht, rung verurteilt. 1998 mußte tionen, wurde irgendwann nach längerer Wenn Sie einverstanden sind, hatte Pläne für die Zukunft, also ... – ich insbesondere Andreas Baader in die die Haft wegen schwerer Zeit entschieden, dann war ich draußen. kommen wir darauf, auf Sinn und weiß jetzt nicht, was ich dazu noch sagen kriminelle Ecke zu stellen. Wie ha- Krankheit unterbrochen wer- den. 2002 wurde Heidi Schulz Niemand wollte von mir Aussagen oder Unsinn der RAF-Angriffe später zu- soll. ben Sie ihn erlebt? begnadigt Reuebekenntnisse. Das lief bei Christian rück. Vielleicht sollten wir an dieser Wie haben Sie Ulrike Meinhof ken- Helmut Pohl: Wie bei Ulrike dreht es völlig anders – derzeit werden offensicht- Stelle doch noch auf die Wirkung nengelernt? sich bei dieser Mythenbildung um Propa- 3 Ulrike Meinhof (geb. 1934), Mit- lich starke Anstrengungen unternommen, der Deutsche-Herbst-Kampagne Helmut Pohl: Bei journalistischen Ar- ganda. Die ganze «kriminelle Vergangen- begründerin der RAF, wurde eine bewußtseinsmäßige Aufrüstung in eingehen. Warum schalten Sie sich beiten für den Hessischen Rundfunk in heit« ist doch lächerlich. Andreas hatte 1972 verhaftet und starb 1976 in Stammheim. Die staatliche der Bevölkerung zu erreichen. zwar spät, aber doch noch in die De- Frankfurt. Das war etwa zwei, drei Jahre, von uns allen die größte Fähigkeit zum Version: Selbstmord. Eine inter- Nach dem Motto die bösen Baader- batte ein? bevor es mit der RAF begann, also etwa strategischen Denken und zur Praxis. Alle nationale Untersuchungskom- Meinhof-Terroristen damals, die bö- Helmut Pohl: Mir liegt daran, das in 1967/68. Sie besuchte mich öfter, wenn erkannten das an, er war Orientierung. mission kam zu dem Schluß, sen Al-Qaida-Terroristen heute? den vergangenen Monaten präsentierte sie in der Ecke etwas zu tun hatte. Später Kennzeichnend für den medialen daß sie sich nicht umgebracht Helmut Pohl: Sicher gehört dazu auch, Bild von der RAF und von meinen toten dann, als die Geschichte der RAF 1970 Umgang mit der RAF und deren hat, sondern ermordet wurde (ausführlich: »Der Tod Ulrike Anschläge von heute mit unseren Ak- Genossinnen

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