Technische Universität Berlin Fakultät I | Institut für Sprache und Kommunikation Fachgebiet Allgemeine Linguistik Sekretariat H42, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.) zum Abschluss des Masterstudiengangs Sprache und Kommunikation Erstgutachterin: Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesel Zweitgutachter: Dr. Simon Meier Jedem das Seine Von der Gerechtigkeitsformel zum Synonym von Massenmord? Eine korpuslinguistische Zeitungsanalyse einer nationalsozialistisch belasteten Phrase - eingereicht im Juni 2017 vorgelegt von Julian Gerlach (Matrikelnummer: 361761) Türkenstraße 21 13349 Berlin E-Mail: [email protected] Abstract Diese Arbeit setzt sich kritisch mit der Verwendung nationalsozialistisch belasteter Sprache im öffentlichen Diskurs auseinander. Grundlage hierfür ist die jahrtausendealte Gerechtigkeitsformel suum cuique, zu Deutsch Jedem das Seine, die von den Nationalsozialisten als zynische Inschrift am Innentor des Konzentrationslagers Buchenwald angebracht wurde und bis heute für Leidtragende ein Sinnbild des Nationalsozialismus darstellt. Da die Phrase jedoch ebenfalls für Gerechtigkeit, Individualität oder Gleichheit stehen kann und nicht zu den eindeutigen sprachlichen Pejorisierungsstrategien wie Zigeuner oder Neger gehört, wird sie in Printmedien hochfrequent gebraucht. Weiterhin finden sich zahlreiche Verwendungen der Phrase in der Werbebranche, um beispielsweise für einen hohen Grad an Individualität zu werben. Es herrscht somit kein öffentlicher Konsens darüber, wie mit diesem belasteten Ausdruck umgegangen werden soll. Die Arbeit macht es sich zur Aufgabe, diese Ambivalenz genauer zu untersuchen und nach weiteren Gründen zu forschen, warum eine nationalsozialistisch belastete Phrase unbedarft weiterverwendet wird. Inhalt 1 Einleitung ................................................................................................................... 1 1.1 Thesen ................................................................................................................. 2 1.2 Vorgehen ............................................................................................................ 3 2 Forschungsstand ........................................................................................................ 4 2.1 Forschungsstand zur NS-Sprache ....................................................................... 4 2.2 Forschungsstand zu Jedem das Seine ................................................................. 6 2.3 Forschungsstand zur Kenntnis des Nationalsozialismus .................................... 8 3 Phraseologische Merkmale von Jedem das Seine.................................................... 10 4 Geschichte der Phrasen ........................................................................................... 13 4.1 Suum cuique in der Antike ................................................................................ 13 4.2 Suum cuique in der Neuzeit .............................................................................. 15 4.3 Jedem das Seine im deutschsprachigen Raum ................................................. 17 4.3.1 Jedem das Seine im Nationalsozialismus .................................................. 17 4.3.2 Jedem das Seine von 1945-1998 ............................................................... 18 5 Korpusanalyse .......................................................................................................... 21 5.1 Korpus ............................................................................................................... 21 5.1.1 Methodik ................................................................................................... 22 5.1.2 Zeitungen ................................................................................................... 24 5.1.3 Aufklärungsrate ......................................................................................... 25 5.1.4 Aufklärungsrate nach Zeitungen ............................................................... 26 5.1.5 Aufklärungsrate nach Jahren ..................................................................... 28 5.1.5.1 Das Jahr 1998 ..................................................................................... 29 5.1.5.2 Das Jahr 2001 ..................................................................................... 31 5.1.5.3 Das Jahr 2009 ..................................................................................... 33 5.1.5.4 Die Jahre 2014 und 2015 ................................................................... 34 5.1.5.5 Die kontrastiven Jahre ....................................................................... 35 5.2 Thematische Domänen ..................................................................................... 36 5.2.1 Aufklärungsrate nach thematischen Domänen ........................................ 37 5.2.2 Funktionen von Phraseologismen ............................................................. 38 5.2.3 Die Domäne Sport ..................................................................................... 39 5.2.4 Die Domäne Werbung/Werbungsannoncen ............................................. 44 5.2.5 Die Domäne Politik .................................................................................... 49 5.2.6 Die Domäne Wirtschaft ............................................................................. 55 5.2.7 Die Domäne Bildung .................................................................................. 58 5.2.8 Ausgewählte Belege der restlichen Domänen .......................................... 62 5.2.9 Phraseologische Aspekte ........................................................................... 65 5.2.9.1 Definition als Geflügeltes Wort .......................................................... 65 5.2.9.2 Extension ............................................................................................ 67 5.2.10 Zusammenfassung der Verwendung in Domänen .................................... 69 5.2.10.1 Muster zur Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe ................. 70 5.3 Metasprachliche Belege ................................................................................... 72 5.3.1 Die Domäne Buchenwald .......................................................................... 72 5.3.2 Sprachkritische Ansätze nach Verfehlungen ............................................. 74 5.3.3 Die Domäne Sprachkritik ........................................................................... 76 5.3.4 Metasprachliche Deutung der Phrase ....................................................... 82 6 Diskussion ................................................................................................................ 85 6.1 Zusammenfassung ............................................................................................ 88 6.2 Ausblick ............................................................................................................. 89 7 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 91 8 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. 98 9 Tabellenverzeichnis ................................................................................................ 100 10 Selbständigkeitserklärung .................................................................................. 101 1 1 Einleitung „Alle Leute haben eben so ihre eigenen Ansichten und Vorlieben. Auch vergleichbare Wendungen tragen dem Rechnung. So kann man auch sagen: "jeder, wie es ihm beliebt" oder "jedem das Seine" - ein sehr altes ethisches Prinzip und geflügeltes Wort.“1 Jedem das Seine. Eine Phrase, die Toleranz predigt. Die es ermöglicht, jedem das zu gewähren was ihm zusteht, das was er persönlich für richtig hält, das Seine eben. Dem im obigen Zitat beschriebenen ethischen Prinzip wohnt jedoch noch ein weiterer Kontext inne, der Teil dieser Arbeit ist. Im Zuge des Baus des Konzentrationslagers Buchenwald wurde die Phrase am Innentor des Lagers angebracht, um die Insassen zu verhöhnen und ihnen tagtäglich vor Augen zu führen, dass sie die an ihnen vollzogenen Gräueltaten verdienen und die Nationalsozialisten legitim handeln. In der Phrase spiegelt sich somit ein immenser Kontrast wider. Sie ist eine wünschenswerte Gerechtigkeitsformel, nach welcher eine Gesellschaft leben sollte und zugleich ein Synonym für das Leid von Millionen von Menschen und Massenmord. Die beschriebene Ambivalenz ist Grundlage dieser Arbeit. Auf Basis von 1242 Belegen der Phrase von deutschen und ausländischen Zeitungen soll erörtert werden, wie dieser Bedeutungskontrast zustande kommt. Es soll dabei analog beantwortet werden, ob eine unbedarfte Weiterverwendung der Phrase ohne Bezugnahme auf den nationalsozialistischen Kontext gebilligt wird und ob sich hier womöglich Unterschiede hinsichtlich Zeitungen, Ländern und thematischen Domänen finden lassen. Potenzielle Veränderungen über Zeit können ebenfalls betrachtet werden, da die Belege von 1956 bis 2015 reichen. Die Arbeit bietet somit sowohl eine statistisch-quantitative Analyse der Phrase als auch eine qualitative, die die Untersuchung von 82 Einzelbelegen beinhaltet. Dass die Thematik außerdem ein hohes Maß an Kontroversität beinhaltet und sich über mehrere Jahrtausende erstreckt, wird auch von KLENNER (2002:328) erkannt. „Denn Jedem das Seine! ist ins Gerede gekommen.
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