'^i^fiti 100 =00 iOO =o IS ico M^i^ Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from University of Toronto littp://www.archive.org/details/monatsschriftf59gese Monatsschrift FÜR GESCHICHTE UND WISSENSCHAFT DES JUDENTUMS BEGRÜNDET VON Z. FRANKEL. Organ der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums Herausgegeben von Prof. Dr. M. BRANN. Neunundfünfzigster Jahrgang. NEUE FOLGE, DREIUNDZWANZIGSTEB JAHRGANG. BRESLAU. KOEBNER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. (BARASCH UND RIESENFELD.) 1915. Der jetzige Weltkrieg und die Bibel. Vortrag gehalten in der Wiener »Urania« am g. Januar 1915 von M. Güdemann. I. Nichts wird in der Bibel als so erstrebenswert hingestellt, kein Gut wird mit so warmen, eindringlichen Worten als der Güter höchstes gepriesen, wie der Friede. Der Priestersegen, der in allen Gotteshäusern, welcher Konfession sie dienen mögen, in verehrungsvoller Übung steht, lautet in seiner Kürze und Einfach- heit: »Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse dir sein Antlitz leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende dir sein Antlitz zu und gebe dir Frieden.« Der ganze Satz ist bild- haft, nur ein Gut wird ausdrücklich namhaft gemacht und er- beten: das ist nicht Reichtum, nicht Ehre, Herrschaft, Macht und Größe, sondern dasjenige Gut, um das der Mächtigste, der es nicht besitzt, den Ärmsten beneidet, der es besitzt — der Friede. Wir werden diese hohe Veranschlagung des Friedens heute mehr als je begreifen, weil wir uns in einem Weltkriege, in einem Welt- brande befinden. Denn was heute alle im tiefsten Innern bewegt, was alle Herzen ausfüllt, alle Gemüter beseelt, das läßt sich unter Anwendung und entsprechender Umänderung eines be- kannten Goetheschen Satzes in die Worte zusammenfassen: »Nach Frieden drängt, am Frieden hängt doch alles«. Ich habe hier Friede für Gold gesetzt, wie wir jetzt Gold für Eisen geben. Der Tausch ist also zeitgemäß. Der wissenschaftlichen Untersuchung drängt sich indessen die Frage auf: »Welche Stellung mag in dem Gedankenkreise der Bibel der Krieg einnehmen? < In diesem Gedankenkreise, der fast ganz vom Frieden ausgefüUt und beherrscht ist, sollte es für den Krieg überhaupt keinen Raum geben, am wenigsten sollte ihm Monatsschrift, 59. Jahrgang. 1 2 Der jetzige Weltkrieg und die Bibel. eine sittliche, eine religiöse Bedeutung zugeschrieben werden. Wer aber so dächte, befände sich in einem großen Irrtum. Auch die Bibel hat ihre Kriegskunst, ihre Kriegsbegeisterung, ihre Kriegs- verherrlichung. Man hört es in ihr zuweilen donnern und dröhnen wie von fernen Geschützen. Allerdings verlautbart sich die Stimme Gottes in einer Vision des Propheten Elias nicht im Feuer und nicht im Erdbeben, sondern als ein sanftes, leises Säuseln. Das ist allerdings nicht die Sprache der Kanonen. Hinwiederum heißt es aber in den Psalmen: Die Stimme Gottes bricht die Cedern, die Cedern des Libanon zerbricht Gott. — Die Stimme Gottes schlägt Feuerflammen hervor. — Die Stimme Gottes macht zittern die Wüste und entblättert die Wälder.- Meint man in dieser Schilderung nicht das sinnebetäubende, alles zermalmende Krachen der Mörser zu vernehmen? Sagen wir es nur heraus: die Bibel hat neben dem hoch- gepriesenen Frieden auch dem Kriege seine berechtigte Stellung, seine sittliche, ja geradezu eine göttliche Bedeutung zugewiesen. In jenem Triumphgesang, den einst Moses und das Volk Israel nach dem Auszuge aus Aegypten und nach dem Untergang Pharaos und seines Heeres angestimmt haben, in jenem rauschenden und berauschenden Liede, das Johann Gottfried Herder voll Be- wunderung als den eigentlichen Endzweck des ganzen Auszugs- berichts bezeichnet, wird Gott als »Kriegsmann« gefeiert. Die Bibel sagt aber mehr. Er, der Urquell des Friedens und der Spender dieser beglückendsten, beseligendsten Gottesgabe, wird in den Psalmen sogar als Lehrmeister des Kriegs besungen, und der Dichter rühmt von ihm: »Er übt meine Hände für den Kampf, meine Finger für den Krieg.« Die Bibel ist also die älteste Kriegs- schule. Trotzdem kann man der Bibel wegen dieser zugleich dem Frieden und dem Kriege gewidmeten Lobpreisung nicht den Vorwurf des Widerspruchs machen, und ich glaube den Beweis für diese Behauptung kürzer und einleuchtender, als auf dem Wege der Argumentation, durch Vorführung eines kleinen, aber Der jetzige Weltkrieg und die Bibel. 3 instruktiven Ausschnittes aus der biblischen Geschichte führen zu können. Ich meine den Zweikampf zwischen David und dem Riesen Goliath. Ein Zweikampf ist allerdings kein Krieg, aber ich werde sogleich zeigen, daß der Unterschied, — so groß er sonst sein mag — hier nicht ins Gewicht fällt. Es gibt nicht bald eine so anschauliche Schilderung wie die- jenige, welche die Bibel der Vorbereitung für diesen Zweikampf und ihm selbst widmet. Man sieht förmlich den mächtigen Koloß von einem Menschen in seiner ganzen geharnischten Vierschrötigkeit vor dem Lager des Königs Saul sich aufpflanzen und vernimmt seine spöttische Herausforderung zum Zweikampfe. Zugleich aber sieht' und hört man, wie der kleine Hirtenknabe David den König bittet, ihm den ungleichen Zweikampf zu gestatten, und wie er die Besorgnis des Königs mit der demütig vorgebrachten Ver- sicherung beschwichtigt: »Dein Knecht hat schon Löwen und Bären erschlagen. < Wohlgemerkt, es handelt sich nicht um eine Jagd mit der Schleuder, dem Pfeil oder Wurfspieß, sondern David erzählt in harmloser Weise, wie er die eine oder andere dieser wilden Bestien mit der Faust beim Barte gepackt und ihr das geraubte Lamm aus dem Rachen gerissen habe. Das ist eine Leistung, die gewiß der gewiegteste Tropenjäger David nicht nachgemacht hat. Dennoch ist es nicht das mächtige Kraftbewußt- sein, das David jetzt befeuert, sondern er ruft dem Riesen zu: »Du kommst zu mir mit Schwert, Lanze und Wurfspieß, und ich komme an dich im Namen des Ewigen der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die du gehöhnt.« Ich glaube, daß David auch im Kriege von diesem Gedanken geleitet wurde, deshalb habe ich mich auf seinen Zweikampf berufen, bei dem er diesen Gedanken ausgesprochen hat. Nun, meine Verehrten, in diesen Worten spiegelt sich der Kriegsgeist der Bibel. Der Krieg ist ihr keine Rauferei, wie doch zumeist im Altertum und selbst in der neuesten Zeit, in der noch mitunter die Landsknechte, die Söldner, die bloßen Draufgänger und auch die Falstaffe sich auf dem Kampfplatz tummeln. Für 1* 4 Der jetzige Weltkrieg und die Bibel. die Bibel ist der Krieg die Betätigung einer Idee. Wenn aber der Krieg für eine Idee und in der klaren Erkenntnis geführt wird, daß diese Idee den heiligsten Besitz des Menschen umfaßt, daß diese Idee erst das Leben lebenswert macht, und daß es sich also verlohnt, für diese Idee selbst das Leben hinzugeben, dann erhebt sich der Krieg zu einer sittlichen Potenz von einer alles überragenden Hoheit, dann ist der Krieg eine Offenbarung des Göttlichen in uns, das zur Verwirklichung drängt In diesem Sinne kann man die von Christian Rauch modellierte und von Albert Wolff ausgeführte Gruppe »Moses während der Schlacht mit den Amalekitern auf der Höhe betend« in der Friedenskirche zu Potsdam eine Verherrlichung des Kriegsgeistes der Bibel nennen. Wenn man diesen Moses mit dem von Michel Angelo vergleicht, dann begreift man, wie der Schlachtenlenker und der göttliche Sendbote vom Sinai in seiner Person sich vereinigen und gegen- seitig ergänzen. Ich glaube also sagen zu dürfen: es besteht kein Widerspruch in der Bibel, in dem Punkte, daß sie den Krieg, wenn er geführt werden muß, ebenso hoch bewertet, wie den Frieden. Gestatten Sie mir nun, daß ich den kleinen Ausschnitt aus der biblischen Kriegsgeschichte, den ich Ihnen vorgeführt habe, auf den jetzigen Weltkrieg anwende. Die Episode von dem Zwei- kampf Davids mit dem Riesen Goliath ist gleichsam ein Schein- werfer, der die Vorgeschichte des jetzigen Weltkriegs und ihn selbst nach allen Richtungen beleuchtet. Zuvor aber wollen Sie mir erlauben, daß ich für einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit auf das Leben der Kinder lenke, und dabei an Ihre väterliche und mütterliche Erfahrung appelliere. Denn in dem Leben der Kinder spiegelt sich das Leben der Erwachsenen, das Leben der Völker, ja der gesamten Menschheit. Wenn Kinder, oder, sagen wir höflicher, Knaben mit einander streiten und in ihrer jugendlichen Wildheit irgend einen Schaden anrichten, der sie zur Besinnung bringt, dann ist die erste Wirkung der wiedereingekehrten Vernunft die, daß der eine Knabe den andern beschuldigt: Du hast angefangen«. Der Beschuldigte Der jetzige Weltkrieg und die Bibel. 5 gibt natürlich den Vorwurf zurück, und so entsteht ein langes Hin und Wider, bis der Vater mit dem Stock, oder die Mutter mit einem sanften Wort dazwischen kommt und die Sache in Ordnung bringt. Nun, meine Verehrten, wenn es erlaubt ist. Kleines mit Großem zu vergleichen, so darf man sagen, daß der jetzige Weltkrieg mit demselben Schauspiel eingesetzt hat: Er hatte kaum begonnen, so bemühten sich die Ententemächte, aller- dings nicht infolge der eingekehrten Vernunft, wie bei den Kindern, sondern aus Unvernunft, die Schuld an dem Kriege Österreich- Ungarn und Deutschland aufzuladen und ihnen magna voce et bonis lateribus zuzurufen: Ihr habt angefangen<. Besonders war es England, das nicht müde wurde und nicht aufhört, mit frommer Miene zu bedauern, daß es von Deutschland in seinem heißen Bemühen für die Erhaltung des Friedens gestört worden sei. Als ob der alte Haß Englands gegen Deutschland nicht eine welt- bekannte Tatsache wäre. England erinnert an die alle Fabelbücher der Welt durchlaufende Geschichte von dem Habsüchtigen und dem Neidischen,
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