Kultur POP „Das brach mir das Herz“ Der US-Rocker und Schauspieler Jon Bon Jovi über seine Pop-Hymne zur Fußball-Europameisterschaft, den Spott über seine Pudel-Frisur und seinen ersten großen Kinoerfolg im U-Boot-Film „U-571“ Jon Bon Jovi, 38, heißt eigentlich John seit 20 Jahren mit Ihrer Frau zusammen, erstaunliche Wahl, wenn man bedenkt, Francis Bongiovi und wurde als Sohn ei- Ihre Band führen Sie patriarchalisch wie dass sich in Amerika nach wie vor kaum je- nes Friseurs in Perth Amboy (New Jer- eine altmodische Familie; sie ist seit fast mand für diesen Sport interessiert. Haben sey) geboren. Er war als Teenager Sänger zwei Jahrzehnten nahezu unverändert. Sie sich je ein Fußballspiel angesehen? verschiedener Bands und ist heute einer Und auch die Musik klingt auf dem neuen Bon Jovi: Hab ich, aber nur im Fernsehen, der größten US-Rockstars. Seine Band Album sehr der eigenen Tradition ver- und auch ich bin tatsächlich kein großer Bon Jovi, 1983 gegründet, feierte mit den pflichtet. Spüren Sie nie den Druck, etwas Fan. Ich habe keine Ahnung von den Re- Hits „You Give Love a Bad Name“ und zu verändern? geln. Als ich zur Schule ging, hatte bei uns „Livin’ on a Prayer“ große Charts-Erfol- Bon Jovi: Ich will mich nicht verändern. Un- niemand von diesem Spiel gehört. Alles ge und hat 80 Millionen Platten verkauft. sere Entwicklung verläuft eher natürlich. drehte sich um Baseball, Basketball oder 1997 brachte der Sänger sein Solodebüt Die Songs, die ich für dieses Album ge- American Football. „Destination Anywhere“ heraus. Seit schrieben habe, wären mir vor zehn Jahren SPIEGEL: Sagt Ihnen der Name Lothar Mat- 1995 ist Bon Jovi in kleineren Kinofilmen nicht gelungen. Reife erreicht man nur thäus etwas? zu sehen, zuletzt in „No Looking Back“. durch Erfahrung. Die Platte klingt zeit- Bon Jovi: Lothar Matthäus? Nie gehört. gemäß, aber auch eindeutig nach Bon Jovi. Aber dieser Boxer ist toll. Wladimir … ? SPIEGEL: Mr. Bon Jovi, Sie sind nach Rom Mehr erwarte ich nicht. SPIEGEL: Klitschko. gereist, um das neue Album „Crush“ ihrer SPIEGEL: Ihr Song „It’s My Life“ ist die of- Bon Jovi: Genau. Ein Super-Typ. Der ist bei Band Bon Jovi vorzustellen. Haben Sie fizielle ZDF-Hymne zur Fußball-EM. Eine seinem tollen Kampf neulich im New Yor- schon jemals die Gegend be- ker Madison Square Garden sucht, aus der Ihr Urgroßvater Rockstar Bon Jovi: „Reife erreicht man nur durch Erfahrung“ auch mit unserer Musik in den stammt? Ring marschiert. Bon Jovi: Das habe ich vor drei SPIEGEL: Kann es sein, dass Jahren erledigt. Da hatte ich ein Europäer Ihre Musik zurzeit wenig Ahnenforschung betrie- mehr zu schätzen wissen ben und herausgefunden, dass als Ihre Landsleute? Ihr letz- meine Vorfahren, die Bongio- tes Album verkaufte sich hier vis, Fischer in einer kleinen Ha- wesentlich besser als in fenstadt in Sizilien waren. Also den USA. hab ich mich auf den Weg dort- Bon Jovi: Das ist wahr. In Ame- hin gemacht, und das Erste, was rika geht es nur noch um Hip- ich auf der Autobahn bemerke, Hop und Grunge-Rock. Da ste- ist eine Tafel, auf der „Bongio- he ich mit meiner Vorliebe für vi Ceramica“ steht. Verdammt, den Brit-Pop von Blur oder war das cool! Die ganze Insel ist Pulp ziemlich einsam da. voll mit Bongiovis, die ausse- Trotzdem sind wir noch immer hen wie meine Cousins. Aber eine Institution und können die Spuren sind leider ver- das größte Stadion in New wischt. Nach fast 100 Jahren in York jederzeit für drei Nächte Amerika sind wir erschreckend am Stück füllen. amerikanisch geworden. SPIEGEL: Besonders von ameri- SPIEGEL: Was ist noch italie- kanischen Kritikern ist die nisch an Ihnen? Gruppe Bon Jovi lange Zeit Bon Jovi: Die Sprache haben leidenschaftlich verhöhnt wor- wir vergessen seit dem Tod den. Hat sich daran etwas meines Großvaters. Nur einige geändert? Traditionen sind geblieben. Bon Jovi: Das hat sich beruhigt. SPIEGEL: Welche? Wir haben uns wirklich viele Bon Jovi: Essen ist wichtig. Eine Gemeinheiten anhören müs- Zeremonie. Und das Familien- sen, aber die Bands, mit denen bewusstsein. Dauernd gibt es wir groß geworden sind, sind Küsse auf die Wange, und es alle nicht mehr da. Guns N’ herrscht Anwesenheitspflicht Roses und wie sie alle heißen bei jeder noch so entfernten mögen – alle weg! Immerhin Hochzeit. haben wir überlebt. SPIEGEL: Das scheinen Sie kon- SPIEGEL: Sie erzählen gern, dass sequent fortzuführen. Sie sind FOTEX Sie als Teenager am liebsten 248 Kultur Bob Dylan und Van Morrison Bon Jovi: Die erste Rolle bekam hörten. Warum hat das in Ih- ich in dem Film „Moonlight and rer Musik keine Spuren hinter- Valentino“. Am ersten Tag der lassen? Dreharbeiten ließ mich der Re- Bon Jovi: Die sind bis heute mei- gisseur eine Szene ständig wie- ne Helden, aber deshalb muss ich derholen, Take 5, 6, 7 … bis ich sie doch nicht imitieren. Außer- irgendwann dachte: Mein Gott, dem sehe ich durchaus Verbin- ich schaff das nicht. Und deshalb dungen, etwa was die Qualität sagte ich zu dem Regisseur: Tut von Texten betrifft. Ich habe mir Leid, dass ich Ihren Film mich stets bemüht, in meinen ruiniere. Lassen Sie mich die Songs Geschichten zu erzählen. Produktionskosten übernehmen, SPIEGEL: Zum Beispiel? okay? Und er antwortete: Ha- Bon Jovi: Zum Beispiel in unse- ben Sie noch nie einen Film ge- rem frühen Hit „Runaway“. Das macht? Jede Szene wird mehr- ist die sozial sehr präzise Ge- fach gedreht. schichte eines Mädchens, das / INTER-TOPICS CORBIS OUTLINE SPIEGEL: Statt in Erfolgsproduk- von zu Hause abgehauen ist, an Band Bon Jovi (1987): „So wie ich sah damals jeder Junge aus“ tionen wie Ihrem aktuellen Zwei- einer Busstation in New York ten-Weltkriegs-Film „U-571“ ha- festhängt und über sein Leben nachdenkt. SPIEGEL: Man wird sich definitiv an Ihre ben Sie lange nur in kleinen Independent- Für solche Texte war von Anfang an der Haare erinnern. Die Frisur, die Sie in den Filmen mitgespielt. Warum haben Sie nicht Einfluss von Dylan und Co. verantwort- achtziger Jahren hatten, trug Ihnen den gleich oben angefangen? lich. Ruf eines „Heavy-Metal-Pudel“ ein. Was Bon Jovi: Es ging mir um Qualität und gute SPIEGEL: Trotz dieser Feinsinnigkeit haben lief da falsch? Dialoge. Die kommerziell erfolgreichsten Sie lange den klassischen Rock’n’Roll- Bon Jovi: Das war nie eine bewusste Ent- Filme sind die, die mich im Kino am we- Lifestyle genossen – zertrümmerte Hotel- scheidung wie: Ich lass mir mein Haar ganz nigsten interessieren. Gut, manchmal gehe zimmer, tolle Mädchen und Exzesse? wild wachsen, damit ich ein großer Star ich in einen Blockbuster, in „Godzilla“ Bon Jovi: Wir haben das ganze Programm werde. Blödsinn. So wie ich sah damals je- oder „Wild Wild West“ und denke vorher: mitgemacht und jedes gottverdammte Kli- der Junge in New Jersey aus. Das war mein Ich hasse meinen Manager, weil er mir schee nachgelebt. Das war das Privileg un- Alltag und kein genialer Marketing-Plan. nicht dazu verholfen hat, da mitzuspie- serer jungen Jahre, und ich muss Ihnen sa- SPIEGEL: Und doch haben die Scherze Sie len. Aber immer, wenn ich rauskomme, gen: Es war fabelhaft. Aber wenn man an offenbar verletzt. Stimmt es, dass Sie sogar liebe ich meinen Manager, weil er mir mal meine Karriere, mein Leben zurückdenkt, Ihr gutes Aussehen zeitweilig zum Teufel wieder ausgeredet hat, bei dem Schrott soll man sich vor allem an meine Arbeit er- wünschten? mitzumachen. innern. Bon Jovi: So schlimm war es auch wieder SPIEGEL: Leben Sie noch in New Jersey? nicht. Aber es war nicht leicht. Als wir das Bon Jovi: Natürlich, nur 30 Minuten ent- erste Mal auf das Cover des „Rolling fernt von dem Haus, in dem ich aufge- Stone“-Magazins kamen, wollte die Redak- wachsen bin. New Jersey ist mein Zuhau- teurin, die mich dazu interviewte, nur über se. Es liegt nur 20 Autominuten von Man- meine Haare und mein Aussehen sprechen. Da hatte sich einer meiner Jugendträume erfüllt – ein Traum, den in Amerika jeder träumt, der eine Band gründet: einmal auf das Cover vom „Rolling Stone“ kommen. Ich dachte an Klassiker wie „Thriller“, „Like a Virgin“, „Born in the USA“ und daran, dass wir nun auch so eine Platte ge- macht hatten. Und das Mädchen fragte mich nur, wie meine Haare geschnitten sind. Das brach mir das Herz. Heute lache ich darüber. Inzwischen hat Bob Dylan mir CINETEXT gesagt, dass er „Wanted Dead or Alive“ Schauspieler Bon Jovi in „U-571“ großartig findet, Bruce Springsteen hat „Ich übernehme die Produktionskosten“ „Livin’ on a Prayer“ nachgesungen. SPIEGEL: Und weil Sie als Popstar alles er- hattan entfernt und ist doch wie eine an- reicht haben, drängt es Sie nach Holly- dere Welt. Man hat die Vorteile der Vor- wood? stadt: Strände, Farmen, Pferde – und man Bon Jovi: Das hat sich eher zufällig erge- hat Manhattan um die Ecke. ben, als ich 1990 das Angebot bekam, den SPIEGEL: Seit die in New Jersey spielende Soundtrack für den Film „Young Guns II“ Mafia-Fernsehserie „The Sopranos“ in den zu schreiben. Der wurde zum Kassener- USA sensationell erfolgreich ist, gilt New folg. Ich bekam sogar eine Oscar-Nominie- Jersey als cool. Würden Sie gern bei den rung und landete schließlich auf der Lein- „Sopranos“ mitspielen? wand. Da hatte sich noch ein Traum erfüllt. Bon Jovi: Das wäre perfekt. In der Serie tun SPIEGEL: Was war Ihr größter Anfänger- alle so, als wären sie aus New Jersey, und GLOBE / INTER-TOPICS GLOBE fehler? der Name Bon Jovi fällt regelmäßig. Ich bin Bon Jovi und aus New Jersey. Das wäre die Sänger Bon Jovi, Ehefrau Dorothea Rolle meines Lebens. „Italienisches Familienbewusstsein“ Interview: Christoph Dallach, Wolfgang Höbel 250 der spiegel 22/2000.
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages2 Page
-
File Size-