MARK BILLINGHAM Die Schuld des Blutes Buch Eigentlich sieht es wie ein ganz normaler Mordfall aus – eine Frau wird in ihrer Londoner Wohnung tot aufgefunden. Doch dann fin- det sich der Fetzen eines Röntgenbildes in der geballten Faust der Leiche. Detective Inspector Tom Thorne ermittelt und findet bald heraus, dass die Mutter des Opfers ebenfalls ermordet wurde. De- ren Mord liegt allerdings bereits fünfzehn Jahre zurück. Sie war eines der Opfer des berüchtigten Serienkillers Raymond Garvey. Die Jagd nach Garvey war eine der größten in der Geschichte der Met und endete erst, nachdem sieben Frauen ihren Tod gefunden hatten. Inzwischen ist Garvey allerdings ebenfalls tot, gestorben an einem Hirntumor. Und trotzdem scheint der Mörder von da- mals etwas mit den Morden von heute zu tun zu haben. Weitere Leichen werden gefunden, und jedes Mal findet sich ein weiteres Stück des Röntgenbildes. Thorne fügt das makabre Puzzle zusam- men, bis er das grausame Bild erkennt … Autor Mark Billingham, geboren in Birmingham, ist als Autor von Dreh- büchern und TV-Serien äußerst erfolgreich und wurde bereits mit dem »Royal Television Award« ausgezeichnet. Die Krimi-Serie um den eigenwilligen Detective Inspector Tom Thorne ist inter- national ein großer Erfolg. Neben dem BCA-Award, dem Theaks- ton’s Award für den besten Krimi des Jahres und Nominierungen für den Gold Dagger wurde die Serie um Tom Thorne mit dem Sherlock Award für die beste Detektivfigur im britischen Krimi- nalroman ausgezeichnet. Sie wird außerdem derzeit von der BBC für das englische Fernsehen verfilmt. Mark Billingham lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in London. Weitere Informa- tionen zum Autor unter: www.markbillingham.com. Von Mark Billingham außerdem bei Goldmann erschienen: Das Geständnis des Toten. Roman (47020) Aus der Reihe mit Detective Inspector Tom Thorne: Der Kuss des Sandmanns (45227) · Die Tränen des Mörders (45537) · Die Blumen des Todes (45730) · Blutzeichen (45913) · In der Stunde des Todes (46095) · Die Geliebte des Mörders (46306) · Das Blut der Opfer (46675) Mark Billingham Die Schuld des Blutes Thriller Aus dem Englischen von Isabella Bruckmaier Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Blood Line« bei Little, Brown, London. Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion. Die Personen, Ereignisse und Dialoge entstammen der Phantasie des Autors. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, lebenden oder toten Personen ist rein zufällig. Zert.-Nr. SGS-COC-001940 Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100 Das fsc-zertifizierte PapierMünchen Super für dieses Buch liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH. 1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung November 2010 Copyright © der Originalausgabe 2009 by Mark Billingham Ltd All rights reserved. Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagfoto: Thom Lang/Corbis Redaktion: Ilse Wagner NG · Herstellung: Str. Satz: omnisatz GmbH, Berlin Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN: 978-3-442-47327-4 www.goldmann-verlag.de Für David Shelley Prolog Debbie und Jason »Komm, Spatz! Gehen wir Züge anpusten.« Debbie Mit- chell packt ihren Sohn am Arm, aber den zieht es in die entgegengesetzte Richtung zu dem schokoladebraunen La- brador, den die alte Frau mühsam zu kontrollieren ver- sucht. »Tsch-tsch.« Debbie bläst die Backen auf. »Komm, das magst du doch so gerne …« Jason zieht stärker. Wenn er will, ist er ganz schön kräf- tig. Das Geräusch, das er macht, liegt irgendwo zwischen einem Grunzen und einem Wimmern. Doch Debbie ver- steht ihn auch so. »Hund«, meint er. »Hund, Hund!« Die alte Frau mit dem Labrador lächelt dem Jungen zu – sie hat die beiden schon oft im Park gesehen –, um dann wie jedes Mal traurig zu seiner Mutter zu schauen. »Armer Kleiner«, sagt sie. »Er weiß, dass ich in meiner Tasche ein paar Leckerlis für Buzz habe. Er will ihm welche geben, stimmt’s?« Der Hund hört zu und zerrt kräftiger an der Leine. Er will zu dem Jungen. »Tut mir leid«, sagt Debbie. »Wir müssen weiter.« Sie zieht an Jasons Arm, und diesmal schreit er vor Schmerz auf. »Jetzt …« Sie geht schnell, sieht sich dabei alle paar Schritte um und zieht Jason hinter sich her. »Tsch-tsch«, wiederholt sie 7 und versucht, sich ihre Angst nicht anhören zu lassen. Sie weiß, wie sensibel er darauf reagiert. Der Junge fängt an zu lächeln, den Hund hat er bereits vergessen. Er läuft neben ihr her und schnauft selbst wie eine Lokomotive. Sie hört den Hund bellen. Die alte Frau – wie hieß sie gleich wieder, Sally? Sarah? – meinte es gut, und an jedem anderen Tag hätte Debbie mit ihr gesprochen. Um ihre Ge- reiztheit zu überspielen, hätte sie gelächelt und erklärt, dass Jason kein armer Kleiner sei. Dass es kein glückliche- res Kind gäbe, kein Kind mehr geliebt würde. Ihr kleiner Schatz. Der schon neun Jahre alt wurde und bereits Haare an den Beinen und ein übergroßes Arsenal- T-Shirt hatte. Der wahrscheinlich nie lernen würde, selbst zu essen oder sich anzuziehen. »Zug«, sagt Jason. Versucht Jason zu sagen. Sie läuft über das tiefer gelegene Gelände, an der Bank vorbei, auf der sie normalerweise eine Weile sitzen, an hei- ßeren Tagen manchmal ein Eis essen. Dann, als sie den Fußballplatz erreichen, läuft Jason voraus. Sie kommen schon seit einigen Jahren hierher, und während sie auf die vertraute Baumreihe entlang der Bahngleise zuläuft, fällt ihr auf, dass sie nicht einmal weiß, wie dieser Ort heißt. Ob er überhaupt einen Namen hat. Hampstead Heath oder Richmond Park ist es nicht – letzten Sommer trieb sich hier wochenlang ein Exhibitionist herum, und die Kids aus der Gegend machten nachts manchmal Feuer – aber das hier gehörte ihnen. Ihr und Jason. Sie blickt sich erneut um und marschiert weiter. Sie kämpft gegen den Wunsch an, zu rennen, weil sie fürch- tet, jemand könne sie sehen und sie aufhalten. Als sie den Mann nirgends entdeckt, nach dem sie Ausschau hält, geht 8 sie schneller, um Jason einzuholen. Er ist wie immer vor den Torpfosten stehen geblieben, um sich auszumalen, ei- nen Elfmeter zu schießen. Das macht er, egal ob jemand spielt oder nicht. Die Jungs, die hier rumbolzen, sind es gewohnt, dass er auf ihr Spielfeld stürmt und vor dem Tor herumfuchtelt wie Ronaldo. Manchmal feuern sie ihn an, und keiner von den Jungs lacht oder grimassiert mehr. Da- für könnte Debbie die kleinen Mistkerle küssen. Sie bringt ihnen ab und zu eine kalte Limo mit oder aufgeschnittene Orangen. Sie greift nach Jasons Hand und deutet mit einer Kopf- bewegung zur Brücke, die hundert Meter links vor ihnen liegt. Sie gehen rasch darauf zu. Normalerweise hätten sie den anderen Weg genommen, durch den Eingang gegenüber ihrer Wohnung. Sie wären dann über die Brücke hierhergekommen und hätten nicht über die Plastikstühle und den Gartenzaun ihrer Freundin klettern müssen. Aber das war kein normaler Tag. Als sie sich wieder umsieht, entdeckt sie auf der anderen Seite des Fußballfelds den Mann. Er winkt, und sie muss dagegen ankämpfen, in die Hose zu pinkeln. Er könnte sie unmöglich rechtzeitig erreichen, selbst wenn er lief. Oder etwa doch? Aber die Tatsache, dass er gar nicht schnell läuft, sondern dass er selbstbewusst ausschreitet, jagt ihr mehr Angst ein, als sie für möglich gehalten hätte. Sie hat- te es gewusst, bevor sie ihn am Telefon gehört hatte. Sie hatte es in seinen Augen gesehen und an dem schreck- lichen roten Fleck unter seiner Jacke. Der Mann winkt wieder und fängt an zu rennen. Auf der Brücke bleibt Jason an der gewohnten Stelle ste- 9 hen und wartet auf sie. Er weiß, dass sie ihm helfen wird, den Zug zu sehen, wenn er kommt. Er wirkt verwirrt, als sie ihn erreicht. Er bläst die Backen auf und winkt mit den Armen. Es gab mal ein Metallgeländer als Schutz, aber im Lauf der Zeit war es stückweise herausgerissen worden, als die, die nichts Besseres zu tun hatten, jedes Stück Mauerwerk mit Graffiti besprühten. Wer wen gefickt hatte. Wer schwul war. Wer hier gewe- sen war. Sie legt Jason die Hand auf die Schulter und zieht sich hoch. Sie ignoriert die Schmerzen, als sie sich die Knie an der Mauer aufreißt, und hievt sich vorsichtig Zentimeter für Zentimeter nach oben. Dann holt sie ein paarmal schnell Luft, bevor sie langsam die Beine nacheinander über die Mauer schwingt, bis sie sitzt. Sie wagt es nicht, hinunterzuschauen, noch nicht. Sie blickt sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtet, und da hört sie die Stimme des echten Poli- zisten. Er ist irgendwo in der Nähe der anderen Brücken- seite, er kommt von der anderen Richtung. Er klingt heiser und krächzend, als er ihren Namen ruft. Er muss gerannt sein. Er hört nicht auf zu rufen und zu suchen, aber Debbie wendet sich ab. Zu spät, denkt sie. Viel zu spät. Sie greift nach unten, um Jason heraufzuziehen. Ihr Herz macht einen Sprung, als sie sein aufgeregtes Lächeln sieht. Bisher hatte sie ihn immer nur so weit hochgehoben, dass er über die Kante sehen konnte, wie der Zug unten vor- beidonnerte. Das ist ein ganz neues Abenteuer. Als sie ihn hochzieht, schreit sie vor Anstrengung auf 10 und unterdrückt die Tränen, als er sich setzt, die Beine baumeln lässt und sich an sie kuschelt. Er spürt die Vi- brationen und schnappt nach Luft und ruft, um sie darauf aufmerksam zu machen. Debbie wird mulmig zumute, und sie blickt auf. In der Ferne biegt der Zug um die Kurve. Die U-Bahn aus High Barnet. Vor der Brücke wird sie abbremsen, um in den Bahnhof von Totteridge and Whetstone einzufahren, aber noch immer schnell genug sein. Debbie sucht nach der Hand ihres Sohns und drückt sie. Sie beugt sich zu ihm und flüstert ihm ins Ohr, ein Ge- heimnis – was immer die Experten sagen, sie weiß, dass er sie versteht.
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