Zeitgeschichte 40 Jahre »Deutschland Archiv« Eine Zeitschrift im Dienst von DDR-Forschung und Wiedervereinigung1 Karl Wilhelm Fricke, Köln Die Chronik einer Zeitschrift aus Anlass eines Er- torisch absehbarer Zeit erreichbar schien, war für nie- scheinungsjubiläums aufzuzeichnen, Rückschau zu manden absehbar. Manche Politiker und Publizisten halten auf das in vier Jahrzehnten Geleistete, das hatten das Ziel schon abgeschrieben und wähnten den Abwägen von Kontinuität und Wandel eines Perio- Status quo als Dauerzustand. Umso nachdrücklicher dikums mit zeithistorischer Perspektive – das alles war daher die Herausgabe einer Zeitschrift speziell kann zur geschichtspolitischen Erinnerungskultur für Fragen der DDR und der Deutschlandpolitik an- beitragen, wenn es sich wie im gegebenen Fall um gesagt, die sich fortan auch der sich herausbildenden das Deutschland Archiv handelt. Oder scheint dieses wissenschaftlichen DDR-Forschung widmen wollte. Unterfangen anmaßend? Nein, es ist nicht anmaßend – Nicht zufällig kam es zur Gründung des Deutschland es ist Chronistenpflicht. Archiv im Kontext der ersten, ihrer Kontroversen we- gen legendären DDR-Forschertagung, die vom 19. – 23. Im Grunde genommen spiegelt sich die Geschichte September 1967 an der Akademie für Politische Bil- des Deutschland Archiv in seinem Untertitel wider, dung in Tutzing zum Generalthema »Situation, Aufga- der in seiner 40-jährigen Existenz dreimal neu for- ben und Probleme der DDR-Forschung« stattgefunden muliert wurde. Als das DA, wie die Zeitschrift häufig hatte. Grundlegend war ein kluges Referat, das Dieter zitiert wird, im April 1968 erstmals erschien, lautete Haack, damals Oberregierungsrat im Bundesminis- der Untertitel »Zeitschrift für Fragen der DDR und terium für Gesamtdeutsche Fragen, in Tutzing hielt. der Deutschlandpolitik«. Der Untertitel hatte Bestand Sein Postulat war eindeutig: »Gesamtdeutsche Politik bis Juni 1990. Als sich die Endzeit der DDR absehen braucht die DDR-Forschung«. Aus Gründen, die auch ließ, war der Untertitel politisch obsolet geworden, zur Geschichte des Deutschland Archiv gehören, lohnt sodass als Alternative die Formulierung »Zeitschrift es sich, seine Kernsätze hier zu zitieren: »Die gesamt- für deutsche Einheit« nahelag. Das war ein gleich- deutsche Politik ist auf lange Sicht angelegt – nicht sam programmatischer Untertitel, der aber mit dem dogmatisch starr und frei von Illusionen. Und gerade Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grund- deshalb ist sie auch auf die objektive Information und gesetzes historisch auch schon wieder überholt war. die wissenschaftliche Erforschung der Verhältnisse Folglich erhielt das Journal im Januar 1991 den Un- tertitel, den es bis heute führt: »Zeitschrift für das vereinigte Deutschland«. 1 Der folgende Artikel stützt sich auf eine frühere, aktualisierte und überarbeitete Veröffentlichung d. Vf. – Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Medium der DDR-Forschung. Zur Geschichte des 1. Die Gründung »Deutschland Archiv«, in: Günther Heydemann/Eckhard Jesse (Hg.), 15 Jahre deutsche Einheit. Deutsch-deutsche Als das Deutschland Archiv in die Publizistik eintrat, Begegnungen, deutsch-deutsche Beziehungen, Berlin 2006, war die deutsche Einheit ein fernes Ziel. Ob es in his- S. 345 – 360. © W. Bertelsmann Verlag Bielefeld 218 Zeitgeschichte im anderen Teil Deutschlands angewiesen. Die DDR- Die seinerzeit gestellte Aufgabe war sinnvoll und Forschung ist daher für diese Politik nicht nur aus dem ist in vollem Umfang erfüllt worden. Es wäre aller- Grund wichtig, weil ganz allgemein jedes gesamtdeut- dings unzureichend, dies einfach einen Glücksfall sche Interesse, auf welchen Gebieten auch immer, also zu nennen. Dahinter stand eine publizistische Leis- auch dem wissenschaftlichen, für den Zusammenhalt tung, das Verdienst von Herausgeber und Redaktion. der Deutschen notwendig ist. Noch aus einem anderen Herausgeber waren anfangs für kurze Zeit Reinhold Grund braucht die Politik die DDR-Forschung: Wenn Neven DuMont, Leiter des Verlages Kiepenheuer & die Bundesregierung den politisch-moralischen An- Witsch, und Ilse Spittmann, die beide zuvor schon spruch erhebt, für die Deutschen drüben in den Fragen das SBZ-Archiv herausgegeben hatten, letztgenannte mitzusprechen, in denen diese nicht an einer gemein- zugleich als verantwortliche Redakteurin. Ihr stand samen politischen Willenbildung teilnehmen können, als zweite Redakteurin Gisela Helwig zur Seite. Drei dann ist die genaue Kenntnis der inneren Entwicklung Monate später wechselte die Herausgeberschaft auf Mitteldeutschlands wesensnotwendig.«2 den Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln, bis im Oktober 1969 erneut ein Wechsel eintrat. Fortan und Unter diesen Voraussetzungen wurde das neue Peri- für lange Zeit erschien im Impressum als Herausge- odikum von seinen Zielgruppen sofort angenommen. ber des DA nun der Kölner Verlag Wissenschaft und Eine Überraschung war das nicht, denn mit Informa- Politik, Berend von Nottbeck, wo es bis zum Februar tion, Dokumentation und Analyse zur Entwicklung 1996 verblieb. Seit 1981 leitete Claus-Peter von Nott- »im anderen Teil Deutschlands«, wie die DDR damals beck den Verlag. Die Insolvenz des Verlages bedingte in der Bundesrepublik zu bezeichnen pflegte, wer abermals einen Wechsel in der Herausgeberschaft. sie nicht mehr als SBZ ansprechen wollte, aber die Das Deutschland Archiv, seit dem Jahrgang 1996 ominösen drei Buchstaben zu gebrauchen sich noch eine Zweimonatsschrift, ging im März 1996 auf den scheute, entsprach das Deutschland Archiv insoweit Verlag Leske + Budrich in Opladen über. Der Wech- einer politisch herangereiften Nachfrage. Es war die sel wahrte Kontinuität und Konzeption, weil sich die Zeit des Nachdenkens über deutschlandpolitische Zeitschrift gut in das Profil des von Edmund Budrich Alternativen. In dieser Situation sollte das Deutsch- geleiteten Verlages einpassen ließ. land Archiv über die sachliche Information, über die politische Dokumentation und die wissenschaftliche Vorläufiger Schlusspunkt aller Wandlungen: Seit Analyse zur DDR hinaus ein Forum für Meinungen Juli 2003 erscheint das Deutschland Archiv im W. und Diskussionen zu Problemen der Deutschland- Bertelsmann Verlag Bielefeld, einem Fachverlag für politik sein sowie ein Podium zum wissenschaft- Bildung und Beruf, der die Herausgeberschaft im lichen Disput zu Fragen der DDR-Forschung und der Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung gesamtdeutschen Politik. Nicht zufällig entbrannte wahrnimmt. Der Hinweis deutet auf die Finanzie- denn auch auf seinen Seiten alsbald eine vehemente rung der Zeitschrift hin, die im Jahre 2007 mit einer Kontroverse zwischen den Verfechtern eines totalita- Auflage von 5 500 Exemplaren erschien. Während rismustheoretischen Ansatzes in der DDR-Forschung sie für lange Zeit aus Haushaltsmitteln des Bundes- einerseits und den Protagonisten einer systemimma- ministeriums für gesamtdeutsche Fragen bzw. des nenten Herrschafts- und Gesellschaftsanalyse ande- Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen rerseits, allen voran Peter Christian Ludz. Charak- bestritten wurde, denn das finanzielle Eigenaufkom- teristischerweise vertrat er den Standpunkt – und men aus Abonnements und Anzeigen trug seit eh zwar in einem Schreiben an die Autoren des von ihm herausgegebenen DDR-Handbuches –, »daß so weit wie möglich Wertungen der Vorrang gegeben werden 2 Dieter Haack, Gesamtdeutsche Politik braucht die DDR- sollte, die sich am Selbstverständnis der SED/DDR Forschung, in: SBZ-Archiv, 20/1967, S. 319. orientieren, das heißt, die die DDR-Realitäten an den 3 Zit.: Jens Hacker, Deutsche Irrtümer 1949 – 1989, Berlin 1992, S. 425. – In dem Kapitel »Verdienste und Defizite der theoretischen Postulaten des von der SED propagier- SBZ/DDR- und vergleichenden Deutschland-Forschung« ten Marxismus-Leninismus messen.«3 (S. 409 – 449) ist die Kontroverse gut nachgezeichnet. Deutschland Archiv 41 (2008) 2 Fricke: 40 Jahre »Deutschland Archiv« 219 und je nur einen geringen Teil der Kosten, wird die 2. Die Vorläufer Zeitschrift seit der Auflösung des Innerdeutschen Genau betrachtet nahm die Geschichte des Deutsch- Ministeriums vom Bundesministerium des Innern land Archiv nicht erst mit dem Jahr 1968 ihren Anfang. über die ihm nachgeordnete Bundeszentrale für po- Die Zeitschrift hatte ihre Vorläufer. In manchen Dar- litische Bildung alimentiert. stellungen ihrer Geschichte4 heißt es lakonisch, die In der personellen Zusammensetzung der Redaktion Zeitschrift sei aus dem SBZ-Archiv hervorgegangen, trat jahrzehntelang kein Wechsel ein – und das war einem zweimal im Monat publizierten Periodikum. gut so, denn dass das Deutschland Archiv an seiner Das ist im Großen und Ganzen zwar zutreffend, ver- Aufgabe, »über die Entwicklung in der DDR sachlich nachlässigt aber das Faktum, dass auch das SBZ-Ar- zu informieren und die Probleme der Deutschlandpo- chiv seinen Vorläufer hatte, nämlich in Gestalt der litik deutlich zu machen«, von seiner Gründung an erstmals im September 1950 erschienenen Halbmo- kontinuierlich festhielt, war die Voraussetzung dafür, natsschrift PZ-Archiv. Das Kürzel »PZ« stand für »Pu- dass die Zeitschrift in der Auseinandersetzung mit blizistisches Zentrum für die Einheit Deutschlands«. der Entwicklung in der DDR während der Zeit der Welcher Geist das PZ-Archiv inspirieren sollte, verrät deutschen Teilung seine wichtige publizistische und sein Motto: »Besinnt Euch auf Eure Kraft – der Wes- damit auch politische Funktion erfolgreich ausüben ten ist stärker«. Heute, Jahrzehnte danach, mag das konnte. Von einem Glücksfall ließ sich allenfalls
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