Zum Gedenken an Emil Artin (1898–1962) Hamburger Universitätsreden Neue Folge 9

Zum Gedenken an Emil Artin (1898–1962) Hamburger Universitätsreden Neue Folge 9

Hamburg University Press Zum Gedenken an Emil Artin (18981962) Hamburger Universitätsreden Neue Folge 9 Zum Gedenken an Emil Artin (1898–1962) Hamburger Universitätsreden Neue Folge 9 Herausgeber: Der Präsident der Universität Hamburg ZUM GEDENKEN AN EMIL ARTIN (1898–1962) Reden aus Anlass der Benennung des Hörsaals M im Hauptgebäude der Universität Hamburg in Emil Artin-Hörsaal am 26. April 2005 Herausgeber: Der Präsident der Universität Hamburg Hamburg University Press © 2006 Emil Artin (1898–1962) Seine wissenschaftlichen Ergebnisse in der Mathematik erreg- ten allgemeine Aufmerksamkeit und hatten weitreichende Kon- sequenzen für die Forschung. Der glänzende Stil seiner Vor- träge wies ihn als virtuosen Denker aus und machte ihn zum begehrten Lehrer. Als die Nationalsozialisten ihn 1937 auf- grund der „Nürnberger Gesetze“ in den Ruhestand versetzten, emigrierte er in die USA. Dort führte er seine wissenschaftli- chen Studien an den Universitäten von Notre Dame, Indiana und Princeton fort. 1958 kehrte er nach Hamburg zurück. VITA 1898 am 3. März in Wien geboren 1916 Reifezeugnis, Immatrikulation an der Universität Wien 1919 Immatrikulation an der Universität Leipzig 1921 Promotion bei Gustav Herglotz: Quadratische Kör- per im Gebiete der höheren Kongruenzen; veröffent- licht 1924 Universität Göttingen, Vorlesungen bei Richard Courant und David Hilbert Vortrag am 22.11.: Quadratische Körper über Polynom- bereichen Galois´scher Felder und ihre Zetafunktionen 1923 Habilitation an der Hamburgischen Universität: Über eine neue Art von L-Reihen 1925 Außerordentlicher Professor am Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität 1926 Ordentlicher Professor am Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität; Vorlesung „Algebra“ 1927 der Beweis des allgemeinen Reziprozitätsgesetzes er- scheint 5 1927/28 Vorlesung „Ausgewählte Kapitel der höheren Al- gebra“, Hörer u. a.: Wolfgang Pauli 1931 die Einführung in die Theorie der Gammafunktion er- scheint 1931/32 Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät 1937 Versetzung in den Ruhestand am 31.10. nach § 6 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbe- amtentums“ vom 7.4.1933 1938 Emigration in die USA 1938–1946 University of Notre Dame und Indiana University, Bloomington, USA 1946–1958 Princeton University, USA 1957 Gastvorlesung an der Universität Hamburg: „Ko- homologie endlicher Gruppen“ 1958–1962 Ordentlicher Professor an der Universität Ham- burg, Direktor des Mathematischen Seminars 1959 die deutsche Ausgabe von Galoissche Theorie er- scheint 1962 am 20. Dezember in Hamburg verstorben 6 INHALT 5 Vita 9 Jürgen Lüthje: Grußwort des Universitätspräsidenten 15 Alexander Kreuzer: Grußwort des Dekans 17 Karin Reich: Große Forschung, große Lehre: Emil Artin 43 Emil Artin: Die Bedeutung Hilberts für die moderne Mathematik 49 Rednerin und Redner 51 Gesamtverzeichnis der bisher erschienenen Hamburger Universitätsreden 57 Bildnachweis 58 Impressum Jürgen Lüthje GRUSSWORT DES UNIVERSITÄTSPRÄSIDENTEN Sehr geehrter Herr Dekan, sehr geehrte Frau Reich, sehr geehrte Mitglieder des Fachbereichs Mathematik, sehr geehrte Gäste aus der Universität und der Stadt! Erst vor wenigen Monaten, im Dezember 2004, konnten wir den Abschluss der Renovierung und Neugestaltung des Uni- versitäts-Hauptgebäudes mit einer großen Festveranstaltung begehen. Heute nun soll einer der neu gestalteten Hörsäle – der vierte von insgesamt fünf – einen Namen erhalten. Zum feierlichen Akt dieser Hörsaalbenennung heiße ich Sie alle sehr herzlich willkommen! Die Universität Hamburg hat mit der Benennung ihrer Hörsäle im Jahre 1999 begonnen. Wir haben dies nicht einfach als formalen Akt verstanden – etwa als krönenden Abschluss der Renovierung –, sondern wir setzen mit der Hörsaalbenen- nung einen programmatischen und damit einen inhaltlichen 9 Akzent: Wir führen das bewusste Gedenken der Universität an ihre bedeutenden Wissenschaftler, die durch die Nationalso- zialisten verfolgt und aus der Universität vertrieben worden sind, weiter fort. Mit diesem Leitgedanken haben wir den Hörsaal A am 11. Mai 1999 – und damit zum 80. Jahrestag der Gründung dieser Universität – nach dem einstigen Rektor und Ordentlichen Professor für Philosophie, Ernst Cassirer, benannt. Wir haben damit zugleich daran erinnert, dass diese Universität es war, die Ernst Cassirer 1933 aus ihren Reihen ausschloss. Im November 1999 folgte die Benennung des Hörsaals B nach Agathe Lasch. Die Sprachforscherin und erste Professo- rin in Hamburg hat herausragende Beiträge zur niederdeut- schen Philologie geleistet. Weil sie Jüdin war, wurde sie 1934 aus der Universität entlassen. 1942 wurde sie deportiert. Die dritte Hörsaalbenennung im Sommer 2000 erinnerte an Erwin Panofsky, einen der bedeutendsten Kunstwissenschaft- ler des 20. Jahrhunderts, der die Kunstwissenschaft in Ham- burg zu voller Blüte trieb. Auch Panofsky wurde 1933 durch die Nationalsozialisten vertrieben. Er emigrierte in die USA. In diese Tradition der Hörsaalbenennungen fügt sich die heutige ein – und setzt dennoch einen anderen Akzent. Die bisherigen Namen entstammen alle der Philosophischen Fa- 10 kultät. Mit der heutigen Benennung soll die Mathematisch- Naturwissenschaftliche Fakultät als zweite von einst vier Fa- kultäten symbolisch in das Hauptgebäude zurückkehren. Ähnlich wie die Philosophische Fakultät wurde auch die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät durch die na- tionalsozialistische Politik in ihrer Substanz verheerend getrof- fen. Wenn wir den Hörsaal M heute nach dem Mathematiker Emil Artin benennen, dann steht dieser Name für das Faktum von bedeutender Wissenschaft einerseits – und zugleich für Vertreibung aus der Universität, aus Hamburg und Deutsch- land andererseits. Anlässlich der heutigen Benennung wurde – wie in den an- deren Hörsälen auch – eine Tafel gefertigt, die mit einer Wür- digung, einem Bild und einer Vita von Emil Artin ausgestattet ist. Sie ist an dem oberen Ausgang des Hörsaals auf der linken Seite angebracht. Diese Würdigung möchte ich jetzt gerne ver- lesen: „Emil Artin, 1898–1962 Seine wissenschaftlichen Ergebnisse in der Mathematik er- regten allgemeine Aufmerksamkeit und hatten weitreichen- de Konsequenzen für die Forschung. Der glänzende Stil seiner Vorträge wies ihn als virtuosen Denker aus und mach- te ihn zum begehrten Lehrer. Als die Nationalsozialisten 11 ihn 1937 aufgrund der ‚Nürnberger Gesetze‘ in den Ruhe- stand versetzten, emigrierte er in die USA. Dort führte er seine wissenschaftlichen Studien an den Universitäten von Notre Dame, Indiana und Princeton fort. 1958 kehrte er nach Hamburg zurück.“ Ich freue mich sehr auf den Festvortrag von Karin Reich, der uns gleich den Wissenschaftler und den Menschen Emil Artin vorstellen wird. Zuvor jedoch möchte ich Dank sagen: Die Re- novierung und Neugestaltung des Hauptgebäudes insgesamt verdanken wir einem Sonderinvestitionsprogramm des Senats in Höhe von rund 2,5 Millionen Euro sowie der Unterstützung von Seiten der Wissenschaftsbehörde. Zusätzlich haben priva- te Stiftungen sowie Bürgerinnen und Bürger durch ihre Spen- de die Universität unterstützt und damit die Gestaltung des Hauptgebäudes befördert. Auch ihnen sage ich: Herzlichen Dank! Danken möchte ich schließlich für die wissenschaftli- chen und die organisatorischen Beiträge, die wesentlich geleis- tet wurden durch Eckart Krause und Heike Brandstädter. Und last not least möchte ich schon jetzt für die fünfte und letzte Hörsaalbenennung werben, die durch unsere Spenden- aktion „Wir stiften Wissen“ befördert werden soll: Sie alle, die Sie heute hier sind, können durch Ihre Spende mithelfen, den nächsten Hörsaal des Hauptgebäudes ebenso schön und eben- 12 so traditionsbildend zu gestalten wie diesen. Ihn wollen wir ebenfalls nach einer Persönlichkeit benennen, die einen Bezug zu der schönen Phase der Gründungszeit dieser Universität und zu der schmerzlichen Phase der Vertreibung aus der Uni- versität hat. 13 Alexander Kreuzer GRUSSWORT DES DEKANS Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Frau Reich, sehr geehrte Gäste aus der Universität und der Stadt, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich meine Freude darüber ausdrücken, dass für diese ehrenvollen Hörsaalbenennungen auch Personen in Betracht gezogen wurden, die dem mathematisch-naturwis- senschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Die Freude steigerte sich noch, als ich erfuhr, dass hier sogar ein Mathematiker im Gespräch war. Und als sehr glücklich empfinde ich es, dass dieser Mathematiker nun Emil Artin ist. Das hat mehrere Gründe. Für manche sind Mathematiker ja Wesen von einem anderen Stern, die sich nicht sehr verständ- lich ausdrücken. Emil Artin zeigt, dass dies nicht so sein muss. Er ist unter Mathematikern bekannt und geliebt für seine klare Aufarbeitung und übersichtliche Strukturierung der Mathema- tik, insbesondere der Algebra. Seine Darstellung ermöglichte ein 15 tiefes Verständnis vieler Zusammenhänge. Er war ein führender Mathematiker seiner Zeit, der es auch exzellent verstand, die Ma- thematik klar und verständlich zu präsentieren. Er hat damit die Mathematik und ihre Darstellung bis in die heutige Zeit geprägt. Emil Artin hat andererseits als Mensch unter den politi- schen Zwängen seiner Zeit gelitten. Aus nicht-wissenschaftli- chen Gründen wurde er wegen „jüdischer Versippung“ in den Ruhestand versetzt und letztendlich dadurch vertrieben. Er zeigt damit, dass hinter der Wissenschaft stets ein Mensch mit einem Schicksal steht. Wir ehren heute mit Emil Artin einen großen Mathemati- ker, dessen Werk und Schicksal mit der Universität Hamburg und

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