Schriftenreihe Des Sophie Drinker Instituts Band 2

Schriftenreihe Des Sophie Drinker Instituts Band 2

Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts Herausgegeben von Freia Hoffmann Band 2 Rebecca Grotjahn und Christin Heitmann (Hrsg.) Louise Farrenc und die Klassik-Rezeption in Frankreich BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2006 Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich ge- schützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts bedarf der Zustimmung der Herausgeberinnen. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. © BIS-Verlag, Oldenburg 2006 Umschlaggestaltung: Marta Daul Layout und Satz: Christin Heitmann, mit freundlicher Unter- stützung von Rebecca Grotjahn und Melanie Schütte, Frauencomputerzentrum Bremen Verlag / Druck / BIS-Verlag Vertrieb: der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Postfach 25 41, 26015 Oldenburg Tel.: 0441/798 2261, Telefax: 0441/798 4040 e-mail: [email protected] ISBN 3-8142-0964-8 Inhaltsverzeichnis Einleitung 5 Louise Farrenc und die Musikkultur ihrer Zeit Beate Angelika Kraus 15 Eine Frauenkarriere in Beethovens Heiligtum? Louise Farrenc im Paris des 19. Jahrhunderts Katharine Ellis 31 The Société des Concerts and the ‘Classical’ Symphony, 1831–1849 Ursula Kramer 51 „A defaut d’instruments à vent“ – Louise Farrenc und die Kammermusik mit Bläsern im Paris der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Martin Loeser 69 „Cette sainte vérité, que le beau […] est de tous les temps“. Musikästhetische Aspekte der Pariser Musikkultur und ihre Bedeutung für das Wirken Louise Farrencs Sabine Giesbrecht 85 Beethoven 1870. Grundlinien einer nationalistischen Klassik-Rezeption Damien Ehrhardt 105 Die Schumann-Rezeption im Frankreich des 19. Jahrhunderts im Lichte der französischen Erstdrucke Beatrix Borchard 115 „Kurz alles ist anders“ – Clara Schumann in Paris Die Komponistin Louise Farrenc Christin Heitmann 137 Marktstrategie, Vorübung oder „pièces d’amateurs“? – Die Klavierwerke von Louise Farrenc Florence Launay 153 The Vocal Music of Louise Farrenc Katrin Eich 165 Anmerkungen zur Satztechnik des Klaviertrios op. 34 von Louise Farrenc Der Kopfsatz der Symphonie Nr. 3 g-Moll op. 36: 179 Eine Arbeitssitzung zur Analyse Christin Heitmann 183 Symphonie Nr. 3 g-Moll op. 36, 1. Satz – Die Eröffnung einer ‚großen Symphonie‘? Signe Rotter-Broman 189 Der Kopfsatz der Symphonie Nr. 3 g-Moll op. 36 von Louise Farrenc – Zur Funktion der Eröffnung für den Satzprozess Peter Schleuning 199 Gedanken zur intrigue der g-Moll-Sinfonie von Louise Farrenc Edition und Kanonbildung Freia Hoffmann 207 Die Kritische Werkausgabe Louise Farrenc Thomas Synofzik 215 Genderspezifische Editionsprobleme? Die Gedichte aus Rückerts Liebesfrühling von Clara Schumann op. 12 Annegret Huber 227 Edieren und Analysieren – ein potentieller Interessenkonflikt. Zu Problemen der Erstveröffentlichungen von Werken Fanny Hensels aus dem Nachlass Matthias Wiegandt 239 Louise Farrenc und die Dynamik kultureller Kanonisierung Thomas Synofzik 253 Louise Farrenc als Editorin ,klassischer‘ Claviermusik Die AutorInnen und Herausgeberinnen 277 Louise Farrenc. Nach einem Ölportrait von Luigi Rubio (1835), in Privatbesitz. Mit freundlicher Genehmigung von Stéphane M. C. Laufer-Du Mont Einleitung Kleine Bilder großer Meister1 – das Büchlein fand sich im Besitz der Verwandt- schaft, und man hätte es eigentlich zum Altpapier geben können: Viele der ganzsei- tigen Porträts von Komponisten waren aus der Bindung herausgelöst und lagen nur noch lose zwischen den über die Biografie der Betreffenden informierenden Seiten. Die „kleinen Bilder“ waren als Utensilien für ein Ratespiel zweckentfremdet wor- den: „Wen zeigt dieses Porträt?“, besonders geeignet für gesellige Bildungsbürger- runden. Es ist indessen kein funktionsloser Bildungsballast, die Gesichter der „großen Meister“ identifizieren zu können. Sie stehen symbolisch für die Persön- lichkeiten: den strengen Kantor Bach, das einsame Genie Beethoven, den stets glücklichen Erfolgsmenschen Mendelssohn, den fromm-naiven Bruckner … – die typischen Wesenszüge, wie sie sich in unsere Vorstellung eingegraben haben, scheinen sich in den Gesichtszügen widerzuspiegeln. Gleichzeitig meint man die Musik förmlich mit zu hören, wenn man nur das Gesicht eines Komponisten sieht – und auch die Musik scheint den Charakter auszudrücken (oder ist es umgekehrt?). Künstlerbildnisse stehen für Künstlerpersönlichkeiten und sorgen zugleich dafür, dass ein Name nicht nur als der eines Verfassers von Musikstücken, sondern als ‚Bild‘, als Komplex von Merkmalen der Person wie des Personalstils, in Erinnerung bleibt. Zu großen Meistern gehören – wenigstens kleine – Bilder. Nur allzu gerne hätten die Veranstalterinnen des Symposions „Louise Farrenc und die Klassik-Rezeption in Frankreich“ die Versammlung der „großen Meister“ um das Bild einer Meisterin ergänzt. Wie schön wäre es gewesen, wenn ein Porträt Louise Farrencs auf Plakaten und Flyern eine Zeitlang so allgegenwärtig gewesen wäre, dass sich auch hier die Verbindung von Gesicht, Charakter und Musik in das kollektive Gedächtnis eingeprägt hätte. Jedoch erschien das einzige bislang bekann- te Porträt der Komponistin, eine Kreidezeichnung von Jean-Joseph-Bonaventure Laurens (1801–1890) aus dem Jahre 18452 (siehe Abbildung S. 6) allen Beteiligten nicht recht passend für diesen Zweck. Der Grund dafür war nicht so sehr das Fehlen von Attributen, die sie als Musikerin, gar Komponistin ausweisen, denn dies unter- scheidet das Bildnis nicht von den bekannten Porträts etwa Hector Berlioz’, Robert Schumanns oder anderer männlicher Kollegen. Problematisch erschien eher der ausgesprochen verhaltene Ausdruck des Porträts. Weder Frisur noch Kleidung deu- ten darauf hin, dass die Komponistin sich für dieses Bild eigens zurechtgemacht 1 Erich Valentin, Kleine Bilder großer Meister. 55 Komponisten-Porträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Revidierte und ergänzte Ausgabe, Mainz 1975 (Bausteine für Musik- erziehung und Musikpflege Schriftenreihe B 6). 2 Ein Holzschnitt von diesem Bildnis wurde 1855 in der Zeitschrift L’Illustration veröf- fentlicht. Vgl. Christin Heitmann, Die Orchester- und Kammermusik von Louise Far- renc vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Sonatentheorie, Wilhelmshaven 2004 (Veröffentlichungen zur Musikforschung, Bd. 20), S. 9 und S. 253, Anm. 33. Zu Lau- rens siehe auch den Beitrag von Martin Loeser im vorliegenden Band, bes. S. 74–76. 5 hätte. Die Mundwinkel hängen ein wenig herab, und ihre Augen sind dem Betrach- ter zwar zugewandt, schauen diesen aber nicht fest an, sondern wirken unter den nicht ganz geöffneten Lidern so, als blicke ihre in Gedanken versunkene Besitzerin gerade nur zufällig einmal auf. Die Porträtierte strahlt kein Interesse an einer be- stimmten Außenwirkung oder gar einer Selbstinszenierung aus, und man möchte ihr fast nicht zumuten, sich auf Hunder- ten von Plakaten der großen Öffent- lichkeit zu präsentieren und mit den Bildnissen von Beethoven, Berlioz oder Wagner zu ‚konkurrieren‘. Das Bild Farrencs, das durch dieses Port- rät festgeschrieben würde, wäre mit- hin das einer passiv-melancholischen Person und nicht das einer selbstbe- wussten Künstlerin. Wir haben uns daher entschieden, auf dem Werbe- material für das Symposion lieber das Werk als ‚Bild‘ der Komponistinnen- Persönlichkeit sprechen zu lassen – in Gestalt des Autographs ihrer 2. Ou- vertüre.3 Wenige Monate nach dem Ende des Symposions jedoch gelang Flo- rence Launay etwas, das nach jahre- langer Suche nach weiteren Farrenc- Bildnissen niemand mehr für möglich gehalten hätte. Durch ihren Kontakt zu Monique Devaux, Veranstalterin einer Kon- zertreihe mit Werken von Louise Farrenc und Robert Schumann im Januar 2005 im Auditorium du Louvre in Paris, stieß Florence Launay auf den Namen Mme Stépha- ne Laufer-Du Mont. Sie ist eine Nachfahrin von Louise Farrencs Bruder Auguste Dumont und im Besitz eines bisher unbekannten Porträts der Komponistin aus dem Jahr 1835, das wir mit freundlicher Genehmigung von Mme Du Mont im vorlie- genden Kongressbericht erstmals veröffentlichen können (siehe S. 3).4 Unser herz- licher Dank gilt Florence Launay, dass sie diesem vagen Hinweis nachging, und insbesondere Mme Du Mont für ihre Großzügigkeit und ihr Vertrauen. 3 Op. 24, entstanden 1834 (1840 durch die Société des Concerts unter Habeneck aufge- führt). 4 Die Abbildung auf S. 3 zeigt das Gemälde nach einer Restaurierung im Jahr 1996. Zwar war das Bild zuvor rissig geworden und auch beschädigt, doch sind laut Auskunft von Mme Du Mont leider eine gewisse ‚Glättung‘ und eine Veränderung des Aus- drucks die Folge der Aufarbeitung: Die Konturen und Hell-Dunkel-Kontraste sind nun schärfer, und die Gesichtsfarbe ist rötlicher geworden. 6 Schon aufgrund seiner aufwändigeren Gestaltung eignet sich dieses Gemälde weit besser als Ausdruck eines selbstbewussten künstlerischen Ichs: Es handelt sich um ein Ölgemälde von Luigi Rubio (1797–1882) im Format 65 x 54, und es zeigt eine Frau, die sich mit offenem Blick direkt an den Betrachter wendet und deren geschlossener Mund Energie und Aktivität ausstrahlt. Die Kleidung ist feiner; Ohr- ringe, Brosche und Gürtel betonen den repräsentativen Charakter dieser Porträt- Situation. Zwei Porträts von 1835 und 1845; dazwischen liegen zehn Lebensjahre, Erfolge – wie etwa die Berufung zur Klavierprofessorin, die Komposition der ersten Orchesterwerke und, Anfang 1845, die Uraufführung der 1. Symphonie – aber si- cher auch große Anstrengungen und Rückschläge, wie etwa die vierjährige Warte- zeit auf die Uraufführung der 1841 entstandenen

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