Knoedel music Still »Kaum etwas endet so, wie es anfängt« EDITOR’S NOTE Hier ist – nach 17 Jahren Pause – die klingende Wiedervereinigung einer Band zu bestaunen, die in den 1990er Jahren weltweit Furore machte. Das Oktett vermählte mit Blas-, Streich- und Zupfinstrumenten alpine Volksmusik mit Strawinsky, Weill oder Rota – so oder ähnlich wurde das damals beschrieben. Jedenfalls schauten die Musiker weit über den Knödeltellerrand hinaus. In der Zwischen- zeit haben sie internationale Karrieren hingelegt, in der Alten wie in der Neuen Musik. Ihr musikalisches Mastermind Christof Dienz rief vor etlichen Monaten ins Studio. Alle kamen. Das Ergebnis beschreibt der für seine Theaterstücke und Filmdrehbücher bekannte Autor Felix Mitterer so: »Diese Musik ist wie ein Traum, den ich einmal in Irland hatte. (Der Morgen dämmerte schon, die Fensterbalken waren geschlossen.) Eine Welle durchflutete langsam pulsierend meinen Körper, sanft und kühl, wohltuend wie nie etwas zuvor, irgendwie blau, phosphoreszierend – und ich hob ab, in die Unendlichkeit.« 2 We can marvel here – after a break of 17 years – at the sonorous reunion of a band which made waves worldwide in the 1990s. The octet used wind, string and plucked instruments to marry Alpine folk music with Stravinsky, Weill or Rota – this is more or less how it was described back then. In any case, the mu- sicians thought well outside of the box (of dumplings). Since then, they have enjoyed international careers in both early and contemporary music. Christof Dienz, their musical mastermind, called them into the studio several months ago. Everyone came. The author Felix Mitterer, known for his stage plays and film scripts, describes the result thus: “This music is like a dream I once had in Ireland. (The day was already dawn- ing, the shutters were closed). A wave, slowly pulsating, suffused my body, soft and cool, more soothing than anything ever before, somehow blue, phospho- rescent – and I took off, into infinity.” 3 Knoedel Still 01 Wörgl, wunderbar 04:57 02 Still 04:25 03 Nah am Bach 02:50 04 Wir brennen 05:49 05 Ah! 06:13 06 Frisch wie Feuer 06:07 07 Für Hilda 04:49 08 Gehen Sehen 05:20 09 Unendliche Ballade 05:04 10 Veitstanz 03:42 11 Gasthausmusik 03:57 total time 53:19 4 All tracks written and composed by Christof Dienz Catherine Aglibut, Violine Margret Köll, Tripelharfe Alexandra Dienz, Kontrabass Michael Öttl,Gitarre Walter Seebacher, Klarinette, Hackbrett Andreas Lackner, Trompete, Flügelhorn, Hackbrett, Glockenspiel Charlie Fischer, Haimophon, Hölzernes G’lachter, Weinflaschen, Hackbrett, Glockenspiel, Drum-Set Christof Dienz, Fagott, Zither Special Guest: Carlos Mena, Countertenor (Tracks 4 & 8) 5 FIRST LISTENER’S NOTE Andeutung ist die schönste Erfüllung. Von Albert Hosp Im Frühjahr 2017 rief mich Christof Dienz an: Er denke daran, die Knoedel wieder zusammenzurufen. Unglaublich. Doch es ward so, wie bei den Blues Brothers: »We’re puttin’ the band back together!« Rückblende. Die 1990er. Was war bei den Knödeln anders, im Vergleich zu so vielen Ensembles, die sich mit ihren »roots« beschäftigten? Anstatt Volksmu- sik mit Jazz und endlosen Soli zu überfrachten, verbanden sie alpenländische Traditionen mit Ideen, die an Strawinsky, Satie, und barocke Spielkonzepte erinnerten, setzten klare, gestochen scharfe Partituren um. Ein konzentrierter Freigeist sprach aus der Musik dieser jungen Leute. Acht Jahre und vier CDs lang waren sie aus dieser »neuen Volksmusik«-Szene, der sie eigentlich gar nicht angehörten, nicht mehr wegzudenken, und dachten sich schließlich selbst weg. 2000 hatten sie sich aus dem Eintopf der Szene heraus gesiebt, und zwar rechtzeitig: Wenn Knödel zu lange in der Soß’ schwimmen, lösen sie sich auf. Vor der Auflösung trennten sie sich lieber. Daher ließ sich bei der Neugründung auf bissfestes Material aufbauen. Beglückend ist nach wie vor die glitzernde Instrumentation, das Gezupfte und Gestrichene von Zither, Harfe, Geige, Gitarre und Kontrabass, das Gehauchte und Gepustete von Trompete, Klarinette und Fagott. Um so richtig mit der Zeit zu gehen, wollten sich die Knoedel aber auch eine instrumentale Erweiterung 6 beschaffen, Stichwort »junge Leute ansprechen« und so. Und weil das mit der E-Gitarre bei Bob Dylan nicht so ganz geklappt hatte, war klar: Ein Schlagzeug muss her. Im Falle von Charlie Fischer wurde freilich einer gefunden, der allen gängigen Erwartungen an das Instrumentarium mit gesunder Skepsis begeg- nete. (Wundervoll zum Beispiel, wie dezent er das Drum-Set bei »Frisch wie Feuer« einsetzt.) Und damit bin ich bei einem Zauberwort: Skepsis. So gut wie alle Fotos der Knoedel zeigen ernste und skeptische Mienen. Bedenken wir aber, dass Skepsis nicht unbedingt nur Misstrauen, sondern auch Zurückhaltung und Wachsamkeit bedeuten kann, dann haben wir den Schlüssel gefunden, man könnte auch sagen, die Gabel, um die Knoedel-Stücke genießen zu können. In der Zurückhaltung liegt die Erfüllung: Nicht immer gleich mit der Tür ins Haus fallen, nicht immer sich brüsten mit supertollen Soli, schön die Zügel straff halten! Das ermöglicht fokussiertes Spiel. Die Knoedel spielen mit Er- wartungshaltungen. Kaum etwas endet so, wie es anfängt. Wie halt im Leben auch. So darf die CD mit einem Abgesang beginnen, einem Eröffnungsstück, das »Auf Wiedersehen« zu sagen scheint. Einsam hängen ein paar Töne in der Luft; aber bevor’s zu traurig wird, umfängt mich ein Walzer-Rhythmus, und fächert sich auf. Mir ist, als ob ich, unter einem Ketten-Karussell stehend, in den Wirbel weit ausschwingender Sessel hineinblicke. Mir wird ein wenig schwindlig, aber angenehm. 7 FIRST LISTENER’S NOTE Knoedel sind rund, ihre Musik auch: Die von Christof Dienz erdachte Klangwelt bezieht ihre Faszination aus wenigen Tönen. Kleine melodische Gebilde werden beständig wiederholt, im Ostinato entwickeln sie einen Sog, der weder Anfang noch Ende hat. Es ist, als wäre die Musik immer schon da. Ich setze mich für ein paar Minuten dazu, fahre ein paar Runden mit, in der fröhlich knatternden Eisenbahn. Schnell flitzen Stube und Balkon, Berg und Tal an mir vorüber. Irgendwo steigt Johann Sebastian Bach dazu und freut sich. Weitere Schutz- geister der Knoedelmusik könnten Simon Jeffes vom Penguin Cafe Orchestra, Steve Reich und, natürlich, die Landsleute Bert Breit und Werner Pirchner sein. Mir kommt auch noch der brasilianische Musiker Arthur de Faria in den Sinn, Fagottist wie Christof Dienz. Farias »Musica pra gente grande« von 1996 atmet dieselbe federleichte Genauigkeit, die auch die Knoedelmusik auszeichnet. Bei allen möglichen gedachten Vorbildern (die ja auch nur im Ohr des First Listener’s auftauchen) ist der Sound dieses Oktetts beispiellos. Die Pause von fast zwei Jahrzehnten, die Tätigkeit der einzelnen Bandmitglieder in alter und neuer Musik hat ihr Bewusstsein für das Notwendige geschärft: Kein Ton sei mir-nichts-dir-nichts gespielt! Doch trotz der konzentrierten kammermusika- lischen Ernsthaftigkeit strahlt »Still« eine schwebende Leichtigkeit aus. Sogar der düstere Grundton der »Unendlichen Ballade« hat nichts Schweres an sich. Er ist vielmehr geisterhaft, also schwerelos. So lasse ich mich vom fein gesponnenen instrumentalen Geflecht einhüllen. Aus der Bahn, der Eisenbahn, oder dem Karussell, wirft mich zweimal die über- irdische Stimme des Carlos Mena. Ein Fremdkörper, aber was für einer. 8 Die »Gasthausmusik« schließlich stellt mir ein paar virtuose Versatzstücke zu Verfügung, ordentlich viel Zeugs auf den Wirtshaustisch. »Mach was draus!« Mit Vergnügen. Albert Hosp (* 1964 in Wien) ist ein österreichischer deten und in enger Kooperation mit Ö1 abgehal- Musikjournalist und Moderator beim Radiosender tenen Festivals Glatt & Verkehrt in Krems und seit Ö1 des ORF, dem er seit 1987 angehört. Des Weiteren 2018 dessen künstlerischer Leiter. ist Hosp seit 1997 Kurator des von ihm mitbegrün- 9 ARTIST’S NOTE Alltägliches und Außergewöhnliches Von Christof Dienz Die Musik auf dieser CD speist sich aus dem Nahen, aus der Gegend, wo wir herkommen und wo wir im Leben stehen. 17 Jahre haben wir pausiert. In dieser Zeit haben wir sehr unterschiedliche Wege beschritten und uns in verschiedene musikalische Bereiche bewegt. Jetzt, wo wir wieder zusammen spielen, drückt sich das alles in der Musik aus: zeitgenössische Klänge treffen auf barocke For- men, Instrumente unserer Region erklingen in neuem Gewand. Wir spielen diese Instrumente und diese Musik, weil wir Lust haben und Interesse am Daheim und uns auseinandersetzen wollen mit dem, was uns umgibt. Die Musik wächst aus mehr oder weniger unspektakulären, kleinen, unmittelbaren Dingen, Bege- benheiten oder Personen unseres Alltags und Lebensabschnitts. Dazu gehört die Liebe, der Tod, die Kinder, die Nachbarn, Politik, das Feiern rauschender Feste, Sitzen und ins Feuer schauen und Mittagsschläfchen machen. 01 Wörgl, wunderbar basiert auf Themen der Filmmusik zum Film »Das Wunder von Wörgl« von Urs Egger. Der Film erzählt die Geschichte des Wörgler Bürgermeisters Michael Unterguggenberger, der Anfang der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts Wörgl mit dem sogenannten Schwundgeld sehr erfolgreich vor der weltweit herrschen- den wirtschaftlichen Not bewahrt hat. Die Idee war, dass Geld an Wert verliert, 10 je länger man es besitzt. Dadurch zirkuliert es schneller und mehr Menschen profitieren davon. Eine wunderbare Idee. 02 Still hatte seinen Ausgangspunkt in einer Computerspielmusik, die ich für das Spiel »Chasing Aurora« des Videogame Design Kollektivs »Broken Rules« gemacht habe. Der Titel ist mehrfach lesbar, deutsch oder englisch, beide
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