Olympia MICHAEL PROBST / AP MICHAEL PROBST Fischer (r.) mit Trainer Ullrich ERIC FEFERBERG / AFP FRANK MAY / DPA MAY FRANK Fischer bei der Siegerehrung in Turin Wilhelm beim Training Deutsche Biathleten bei den Olympischen Winterspielen: „Der Puls muss von 180 auf 150 sinken, nicht weiter, denn fällt der Puls zu tief, DEUTSCHES TEAM Republik Biathlon In der ersten Olympia-Woche haben sich die Biathleten als die beste Mannschaft der deutschen Delegation präsentiert – auch weil es den Bundestrainern gelingt, den Trainingsdrill Ost mit dem Freiheitsstreben West zu versöhnen. Von Klaus Brinkbäumer Olympische Spiele sind Kati Wilhelm, 29, steht in Jeans und Stie- und am Donnerstag der vergangenen Wo- Traum einer Sportlerin feln und mit rotgefärbten Haaren an der che waren ihre Momente da. und Sinn ihres Mühens, Saftbar des Deutschen Hauses in Sestriere, Ein olympisches Biathlon-Rennen be- aber manchmal sind als sie von ihren Spielen erzählt. „Und in ginnt für die Deutschen morgens um halb Olympische Spiele so wie der Mensa hingen nach einer Woche Schil- acht mit Besprechung, Putzen der Waffe, die von Turin. der, wo man was findet. Ganz schön Training im Zimmer: Fünf Punkte haben Als Kati Wilhelm mit der deutschen Fah- schnell für Italien“, sagt sie, und sie lacht. sie an die Wand geklebt, sie üben die ne ins Stadion marschierte, war es „einfach Denn man kann Fehler und Pannen Schusstechnik. „Ich gehe von unten nach still, kein Applaus, nichts“. Als sie ins natürlich so aufnehmen wie die deutschen oben, und auf dem Weg nach oben drücke Olympische Dorf kam, sah sie Schlamm Langläufer, man kann hadern und Ver- ich ab“, sagt Wilhelm; „es geht um Auto- und Baustellen und Müll. Als sie zum schwörungen wittern und irgendwann be- matisierung, der Finger muss schießen; Trockentraining wollte, zur Laser-Simula- ginnen die ganze Welt zu hassen; Freude wenn der Kopf ,Jetzt‘ sagt, bist du schon tion des Schießens, gab es den verspro- bringt das nicht und keine Siege. wieder raus aus dem Ziel“, sagt Fischer. chenen Raum nicht; das Trockentraining ist Man kann sich aber auch auf das kon- Sie fahren dann hinauf zur Anlage von wichtig und fiel aus. Als sie auf den Bus zentrieren, was zählt. „Vier Jahre Leben San Sicario, gut 1600 Meter hoch, die sie wartete, kam kein Bus. Als Kati Wilhelm für einen Moment“, so nennt das der Bi- heikel finden, weil die Laufstrecke ein en- im Biathlon-Stadion von San Sicario antrat athlon-Olympiasieger Sven Fischer, 34. ges Auf und Ab ist und die Schießanlage zum ersten ihrer fünf Wettkämpfe, war die Denn vier Jahre lang, seit Salt Lake City, von Böen erfasst wird. „Einlaufen, Ski tes- Hälfte der Tribünen leer, Deutsche und haben die Biathleten Fischer und Wilhelm ten, einschießen“, sagt Fischer, „das ist ein Norweger waren da, aber keine Italiener. trainiert für diese Spiele, und am Dienstag Ritual wie ein Uhrwerk, der Vorkribbel- 164 der spiegel 8/2006 Wilhelm beim 15-km-Wettkampf in San Sicario MLADEN ANTONOV / AFP MLADEN ANTONOV kommt der Atem stoßweise, und die Beine zittern“ zustand ist unbedingt nötig.“ Kati Wilhelm gewann Silber über 15 Kilometer. Eis- pro Atemzug, aber das war gestern. Kati lässt ihren Techniker die Skier noch mal kunstläufer oder Langläufer schlugen sich Wilhelm schießt zweimal, bevor sie Luft testen, die sie ausgewählt hat: „Ich will die mit Stasi-Affären oder Hämoglobin-Werten holt. Fünf Schuss, fünf Treffer im Schnee- Verantwortung nicht allein tragen“, sagt herum, wurden hysterisch und scheiterten treiben. Hinter ihr ballt Uwe Müßiggang sie, schnürt dreimal ihre Schuhe und – die Biathleten wirken wie die einzige ech- die linke Faust. nimmt trockene Handschuhe und ein „Fi- te Mannschaft der deutschen Delegation. Uwe Müßiggang, 54, ist einer jener Trai- sherman’s Friend“. Fischer steht ruhig da Sie erleben ja gerade eine dieser im ner, die sparsam mit Worten umgehen und und wartet, bis er dran ist; Handschuhe Sport eher seltenen Phasen, in denen es noch sparsamer mit Gesten. Wenn er über will er nicht, weil er glaubt, er verliere mit genügend Helden gibt, die das Fernseh- seine Athletinnen redet, spricht er von Handschuhen sein Gefühl. publikum begeistern; in denen diese neu- „Persönlichkeiten“, wenn er über sich re- Es ist Dienstag in San Sicario, Sprint der en Helden den neuen Ruhm und das große det, spricht er in ziemlich verqueren Sät- Männer, als Sven Fischer gestartet ist. Er Geld noch ohne Neid genießen; in denen zen. „Man hatte den Ehrgeiz schon“, sagt glaubt, es sei nicht sein Rennen. Schwer Trainer unangefochten entscheiden und er leise, „aber dass es als Trainer in die sind die Schritte, der Schnee ist stumpf, Funktionäre helfen und nicht stören. Spitze führen würde, konnte keiner vor- „Quälerei von Anfang an“, sagt Fischer. Dienstag in San Sicario: Es gibt scharfe hersagen. Da war in meiner Funktion die Es ist Donnerstag, Sprint der Frauen, Ecken in den Abfahrten, und Sven Fischer Ausbildung vorhanden.“ und Kati Wilhelm weiß, dass die Deut- darf nicht bremsen vor den Anstiegen. Vor Bitte? schen einen Fehler gemacht haben. dem ersten Schießen, liegend, bleibt er Er erzählt dann von sich, hält die Kaffee- „Schnee bis zum Morgen, Wind am Nach- lange in der Abfahrtshocke, dann schießt tasse fest und fummelt an seinem Funk- mittag“, das haben die 60 olympischen Me- er schnell, fünf Schuss, fünf Treffer. Viel- gerät herum, recht ist ihm das Thema teorologen vorhergesagt, darum hatte Kati leicht geht heute doch etwas, denkt er, nicht. „Nur privat“, das sagt er zunächst, Wilhelm die zweite von vier Startgruppen nickt, steht auf, läuft weiter. „nicht zum Schreiben, darum bitte ich.“ gewählt; sie wollte nach dem Schnee und Donnerstag in San Sicario: Kati Wilhelm Seine Eltern brachten ihn zum Biathlon, vor dem Wind laufen, sie läuft im Schnee- ist die schnellste Läuferin im Feld, aber sie er kam in Nationalkader und B-Mann- treiben. Sie findet ihren Rhythmus, lange braucht lange vor dem ersten Schuss. Sie schaft der DDR, doch ein Olympionike Schritte, „ich muss den letzten Kraftim- blickt zur Windfahne, legt sich hin, zehn wurde er nicht. Nach dem Studium in puls reindrücken in den Ski, bevor ich auf Sekunden lang sieht man von hinten Wa- Leipzig war er Jugendtrainer, aber dann die andere Seite wechsle“, sagt sie. den, Oberschenkel und Po zucken: „Ich wollte sein Zwillingsbruder Jürgen fliehen, Es sind die Spiele der deutschen Biath- ruckel mich zurecht, bis alles ruhig ist“, um eine Freundin in West-Berlin wieder- leten. Michael Greis und Sven Fischer liefen sagt sie. Wenn Biathleten liegen, hebt sich zusehen, und Uwe verriet Jürgen nicht. in der ersten Woche den Norwegern weg, die Waffe durch Ausatmen und das Sinken Hätte er tun müssen. Taten damals viele. die Frauen rangen mit Norwegerinnen, des Brustkorbs; im Lehrbuch steht, dass Jürgen kam für vier Jahre ins Gefängnis, Französinnen und (zum Teil gedopten) Rus- zwei Drittel der Luft herauszupressen sind, Uwe für ein Jahr, danach stellte er einen sinnen um die Medaillen, Martina Glagow ein Drittel bleibt in der Lunge – ein Schuss Ausreiseantrag, und die Antwort war: „Sie der spiegel 8/2006 165 Olympia Mitarbeiter, mit dem er nicht schon ge- stritten hätte, aber es gibt keinen Sportler im Team, der den Trainer nicht verehrte. Und jetzt sitzt Ullrich vor einer Apfel- schorle und sagt, welche Sportler er ver- ehrt: „Die, die alles geben, wirklich alles. Letztes Jahr im Sommertraining sind wir die Tour-de-France-Pässe hochgefahren mit Rad und Rollski, und am fünften Tag habe ich eine Pause angesetzt, aber da kam Alexander Wolf und sagte: Wir wollen da rauf. Und wenn diese Mannschaft dann auf diese Pässe hochzieht, dann gehen bei al- MLADEN ANTONOV / AFP MLADEN ANTONOV len die Rundumleuchten an, dann sind sie Olympiasieger Greis: „Die alles geben, wirklich alles“ im roten Bereich, bis sie umfallen.“ Wie Biathleten eben reden. kommen hier nie weg.“ Als Schlosser der Puls von 180 auf 150 sinken muss, nicht „Laufoffensive“, so nannte Ullrich sein musste er arbeiten und in einer volkseige- weiter, denn fällt der Puls zu tief, kommt Programm, mit dem er die Norweger ein- nen Kelterei. „Was wird mit deinem Le- der Atem stoßweise, und die Beine zittern; holen wollte: Urlaub nach Saisonende im ben, das hat man in der Zeit gedacht“, sagt „die Nähmaschine“, sagen Biathleten. Fi- April, im Mai bereits Radtraining auf er. Er sollte Gabelstaplerfahrer werden, scher wirft die Stöcke auf die Matte, nimmt Sardinien, im Juni Gletschertraining am aber 1984 durfte er doch in den Westen. das Gewehr vom Rücken, das ist auto- Dachstein, dann weiter nach Frankreich, In München verlegte er Fliesen und matisiert, keinen Gedanken mehr wert. Norwegen, Bulgarien und immer weiter: nahm ein Telefonbuch und rief alles an, Schießen Biathleten stehend, hebt sich die Höhentraining, Lauftraining, Schusstrai- was ein „Ski“ im Namen führte; Helmut Waffe beim Einatmen; Fischer schießt ning, am Ende der Vorbereitung ist Sven Weinbuch vom Deutschen Ski-Verband schnell und trifft fünfmal. Fischer 4000 Kilometer auf dem Rad ge- holte diesen Ossi zum Ski-Gymnasium Kati Wilhelm führt, als sie am Donners- fahren, hat er 10000 Kilometer auf Skiern Berchtesgaden. Und als 1992 Damen-Biath- tag zum zweiten Schießen gleitet. „Du hinter sich und 20000-mal geschossen. lon olympisch wurde, war Müßiggang samt kannst es“, sagt sie sich, „mach es wie im- Ein Leben ohne Hochleistung wäre ver- Ausbildung eben vorhanden. Zum Ende mer.“ Also so: „Ruhig bleiben. Die Waffe mutlich sinnlos für einen wie Ullrich, den des Gesprächs gibt er seine Geschichte ran an den Oberkörper. Hüfte vorschie- sie in der Duz-Gemeinschaft Biathlon nur doch frei zum Schreiben, „aber bitte ma- ben, rechter Fuß vor, ins Hohlkreuz ge- „Uller“ nennen. Uller ist ein Mann mit chen Sie nicht so viel Wind damit“, sagt er. hen, stabil stehen.“ Sie sagt sich das alles großen blauen Augen und vielen Fältchen Müßiggang ist wohl der richtige Mann vor, damit sie an nichts anderes denkt.
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