Salvador Allende (1908-1973) Dieter Nohlen

Salvador Allende (1908-1973) Dieter Nohlen

View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by Institutional Repository of the Ibero-American Institute, Berlin Salvador Allende (1908-1973) Dieter Nohlen Salvador Allende Persönliche Daten 26.06.1908 Salvador Allende Gossens in Valparaiso geboren. 1926-1932 Studium der Medizin an der Universidad de Chile in Santiago. 1929 Beitritt zur Freimaurerloge. 1933 Gründung der Sozialistischen Partei Chiles (PS); Allende Par- teisekretär für die Region Valparaiso. 1937 Wahl zum Abgeordneten. 1938 Gesundheitsminister der Volksfrontregierung unter Pedro Agu- irre Cerda. 1940 Heirat mit Hortensia Bussi. 1941/42 Geburt der Töchter Carmen Paz und Beatriz. 1943 Wahl zum Generalsekretär der PS. 1945 Geburt der Tochter Isabel. Wahl zum Senator. 1952 Kandidatur zur Präsidentschaft für die Volksfront (Frente del Pueblo), erreicht 5,5 % der Stimmen. 1954 Wahl zum stellvertretenden Senatspräsidenten. 1958 Kandidatur zur Präsidentschaft für die Volksfront (FRAP, Frente de Acción Popular), erreicht 26,9% der Stimmen. 1959 Kubareise, Begegnung mit Fidel Castro und “Che” Guevara. 1964 Kandidatur zur Präsidentschaft für die Volksfront (FRAP), erreicht 38,9 % der Stimmen, unterliegt Eduardo Frei Montal- va. 1966 Wahl zum Senatspräsidenten. 04.09.1970 Allende erringt als Kandidat der Volkseinheit (UP, Unidad Popular) mit 36,6% der Stimmen die relative Mehrheit der Stimmen. 24.10.1970 Allende wird im zweiten Wahlgang durch den Kongress mit den Stimmen der Christdemokraten zum Präsidenten ge- wählt. Jan. 1971 Die Sozialistische Partei Allendes wählt den Anführer des radikalen Flügels, Carlos Altamirano, zum Generalsekretär. 344 Dieter Nohlen 1971 Nationalisierungen und Verstaatlichungen, gewalttätige Re- formen auf dem Lande, Beginn frontaler Opposition des Par- laments, wirtschaftlicher Aufschwung. 21.05.1971 Bei den Kommunalwahlen erzielt die UP 50,8% der Stimmen. 10.11.- Fidel Castro auf Staatsbesuch in Chile. 04.12.1971 06.12.1971 Erste Proteste und Demonstrationen wegen zunehmender Ver- sorgungsengpässe (Marsch der leeren Töpfe). Febr. 1972 Beginn der Wirtschaftskrise, Spannungen in der UP zwischen gemäßigtem Flügel (Allende und die Kommunistische Partei) und dem radikalen Flügel (PS und außerparlamentarische Lin- ke); Zunahme sozialer Konflikte, Streik der Fuhrunternehmer. 02.11.1972 Auf Drängen der Opposition Eintritt des Militärs in die Regie- rung, General Carlos Prats Innenminister. 04.03.1973 Parlamentswahlen, UP erringt achtbare 44,2% der Stimmen, verbleibt aber in der Minderheit ohne Aussicht, ihr Reform- programm parlamentarisch durchbringen zu können. 08.03.1973 Austritt der Militärs aus der Regierung. 29.06.1973 Putschversuch eines Panzerregiments (Tanquetazo). 17.08.1973 Scheitern des Dialogs zwischen Allende und Senatspräsident Patricio Aylwin von den Christdemokraten im Hause des Kar- dinals Silva Henríquez. 23.08.1973 Das Abgeordnetenhaus erklärt die Regierung Allende mit 81 zu 47 Stimmen für illegal. 24.08.1973 Rücktritt von Carlos Prats als Oberbefehlshaber der Streit- kräfte. Nachfolger wird Augusto Pinochet Ugarte. 28.08.1973 Bildung eines Kabinetts der “nationalen Rettung”. 09.09.1973 Rede von Carlos Altamirano, in der die Soldaten zur Befehls- verweigerung aufgerufen werden. 11.09.1973 Militärputsch; im Regierungspalast “La Moneda” wählt Allen- de den Freitod. 04.09.1990 Auf Anordnung von Präsident Aylwin wird Allende in allen Ehren als ehemaliger Staatspräsident auf dem allgemeinen Recoleta-Friedhof in Santiago zum zweiten Mal beerdigt. Salvador Allende 345 Wer war Allende? Ich weiß es nicht, und zu versuchen, es auf wenigen Seiten erklären zu wollen, wäre anmaßend. Isabel Allende 1. Einleitung Im Folgenden geht es nicht um die Person Salvador Allende, die zu verstehen selbst seine Nichte, die Schriftstellerin Isabel Allende, sich schwer tut, sondern um den politischen Allende, vor allem um seine kurze Präsidentschaft, die durch den Militärputsch des Jahres 1973 beendet wurde. Obwohl Allende politisch scheiterte, aber vielleicht gerade deshalb, verklärte sich sein Schicksal in den Mythos Allende, der heute mehr denn je von der politischen Linken in und außerhalb Lateinamerikas gehegt und gepflegt wird. Davon unterschieden ist der historische Allende, der Geschichte schrieb, als er, der erklärte Mar- xist, 1970 mitten im Kalten Krieg in freien Wahlen zum Präsidenten Chiles gewählt wurde und vorgab, in Chile eine sozialistische Gesell- schaft zu errichten. Er belebte die Hoffnungen vieler Menschen und zog höchste internationale Aufmerksamkeit auf sich. In Chile selbst sahen große Teile der Gesellschaft die Gefahr einer kommunistischen Diktatur heraufziehen. Folglich sah sich Allende von Anbeginn seiner Präsidentschaft mit entschiedener politischer Opposition konfrontiert, zumal ihm im Kongress keine Mehrheit für seine Politik des chileni- schen Weges zum Sozialismus zur Verfügung stand. Der Versuch, gegen alle innenpolitischen und internationalen Widerstände auf die- sem Weg unbeirrt voranzuschreiten, spitzte die politische Polarisie- rung demokratisch schier ausweglos zu. Der Militärputsch beendete nicht nur das zudem auch wirtschaftlich ruinöse sozialistische Expe- riment, sondern riss Chile in den Abgrund einer brutalen Diktatur. Trotz der aus dieser dramatischen Erfahrung gewachsenen Kompro- miss- und Konsensbereitschaft der politischen Kräfte scheiden sich an Allende in Chile nach wie vor die Geister. Die Frage der historischen Verantwortung für den Zusammenbruch der chilenischen Demokratie vermag die chilenische Gesellschaft bislang nicht konsensfähig zu beantworten. International hingegen ließen sein Vorhaben und sein Tod für eine als gerecht empfundene Sache Allende zum Symbol für Demokratie und soziale Gerechtigkeit werden. 346 Dieter Nohlen 2. Werdegang und Aufstieg Salvador Allende Gossens erblickte am 26. Juni 1908 in der Hafen- stadt Valparaiso das Licht der Welt. Er wurde hineingeboren in eine traditionsreiche, bürgerliche, fortschrittlich denkende Familie. Vorfah- ren väterlicherseits hatten bei der Erringung der Unabhängigkeit sowie bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit Chiles Nachbarn (Salpe- terkrieg gegen Peru und Bolivien) und im Innern des Landes (Konflikt zwischen Präsident und Kongress um die Verstaatlichung des Salpe- ters) eine Rolle gespielt. Der Vater, Salvador Allende Castro, war Rechtsanwalt, Freimaurer und Mitglied der Radikalen Partei, freilich mehr den angenehmen Seiten des Lebens zugetan, ein Schöngeist, der auch bei den Frauen gut ankam. Die Mutter, Laura Allende Uribe de Gossens, war hingegen streng religiös und hatte nach vielen Schick- salsschlägen (sie hatte früh Vater und Mutter, ihren Bruder im Krieg sowie ihre ersten beiden Kinder verloren) im Glauben Halt gefunden. Nachgeeifert hat Allende jedoch Ramón Allende Padín, dem Großva- ter, der politisch engagiert und eine Kämpfernatur war. Ihn nannte man den “roten Allende”. Mediziner mit Hingabe, war er zugleich am öffentlichen Gesundheitswesen interessiert. Als dynamisches Mitglied der Freimaurerloge und der Radikalen Partei förderte er alles Fort- schrittliche. So hatte er sich im zentralen politischen Konflikt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Trennung von Kirche und Staat eingesetzt. Ramón war ein Mann der Öffentlichkeit, mutig und geachtet, und vereinte in sich, auch wenn er früh im Alter von 40 Jah- ren starb, alle jene Tugenden, die auf den Enkel Salvador anziehend wirkten. Allende wuchs an verschiedenen Orten (Tacna, Iquique, Valdivia) auf, lernte auf diese Art und Weise die ärmlichen Lebensverhältnisse in der Provinz kennen, was ihn in seiner sozialen Empfindsamkeit bestärkt haben mag, ebenso in der Wahl des Studiums der Medizin (wie sein Großvater), das er nach Ablegung der Matura an seinem Geburtsort in der Hauptstadt Santiago aufnahm. Er immatrikulierte sich an der traditionsreichen Universidad de Chile, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Andrés Bello gegründet worden war. Später hat sich Allende häufig gefragt, ob nicht das Jurastudium seiner politischen Karriere dienlicher gewesen wäre. Mit einer Diplomarbeit über “Geis- teskrankheiten und Verbrechen” schloss Allende 1932 mit 23 Jahren Salvador Allende 347 sein Medizinstudium ab. In dieser Schrift behandelte er Fragen der Euthanasie entsprechend den wissenschaftlichen bzw. pseudowissen- schaftlichen Ideen seiner Zeit, vor aller Erfahrung mit der nationalso- zialistischen Euthanasiepolitik. Seine damaligen Überlegungen sind heute eher bedenklich, man kann sie jedoch nicht aus dem zeitge- schichtlichen Kontext lösen. Sie rücken auch deshalb die historische Figur des späteren Präsidenten nicht in ein anderes Licht, weil der Student Allende sich seinerzeit bereits in politischen Gruppen enga- gierte, die marxistischen Ideen anhingen. Mitten im Studium (1929) der Freimaurerloge beigetreten, war er derart frei denkend und ab- weichlerisch, dass er sich mit Ausschlüssen konfrontiert sah. Es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise, von der das Rohstoffe exportierende Land schwer getroffen wurde. Allende beteiligte sich führend an anti- kapitalistischen studentischen Unruhen, die teilweise blutig verliefen und machte anschließend die Erfahrung, wegen seines bekannt ge- wordenen politischen Engagements keine Stelle zu finden. In der Pra- xis hat Allende den Beruf des Arztes kaum je ausgeübt. Er hat einige Zeit als Pathologe gearbeitet, um sich das Einkommen zu sichern, das ihm andere, vor allem politische Aktivitäten, ermöglichte. Später wur- de dann über ihn die Meinung verbreitet, er habe die kurative Tätig- keit für nicht

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