JAZZ-PORTRAIT unabhängig davon, dass Ten- denzen des Jazz aus dem Her- kunftsland USA nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa wie normative Ideen rezipiert wurden: »Erstens ist es nicht hier gewachsen, zweitens ist es ja eine Musik, von der man eigentlich weg wollte. Was man als Jazz-Musiker will, ist doch immer die eigene Mu- sik«, sagte er einst im Ge- spräch mit Joachim Ernst Be- rendt (in: »Ein Fenster aus Jazz«). Doch Folklore, ebenso wie seine klassische Ausbil- dung, war nur bedingt ein Thema für Albert Mangels- dorff, wie Wolfram Knauer in seinem Essay »Zum Umgang von Jazz-Musikern mit deut- scher Musiktradition« (in: »Tension«) dessen minde- stens skeptische Haltung be- schrieb. Mangelsdorff be- kannte sich ostentativ dazu, »dass die eigentlichen Ele- mente des Jazz nicht verges- sen werden«. Durch seine kritische Abgrenzung von Imitationen, nicht aber die Ablehnung der afro-amerika- nischen Tradition, und seine Hinwendung zu eigenen Ressourcen gab Albert Man- gelsdorff entscheidende und nachhaltige Impulse für die Emanzipation des europäi- Photo: Sven Thielmann schen Jazz. Eigenes entstand für ihn zunächst einzeln, und zwar durch seine legendären Albert Mangelsdorff Übungsstunden im Jazzkel- ler Frankfurt. Von diesen täg- uperlative umgaben Albert Man- ausgezeichnet, sondern er war auch stets lichen Exerzitien war Albert Mangels- gelsdorff (1928 - 2005) schon zu eine kulturell integrative Persönlichkeit. dorff »abhängig, einfach um den S Lebzeiten wie einen Nimbus. Ido- Seine respektierte Autorität wirkte Standard zu halten« für möglichst di- latrie hat er abgelehnt, Anerkennung durch fundierte Kompetenz. rekte Realisierungen von musikalischen allerdings erwartet. Denn Albert Man- Individualität im Jazz hat Posaunist Gedanken. Spontane Komposition in gelsdorff wurde seit 1964 nicht nur na- Albert Mangelsdorff wörtlich verstan- Echtzeit blieb ihm deshalb sowohl solo tional und international öfter als jeder den, nämlich als beharrlichen Antrieb als auch im Kollektiv lebenslang ein andere Jazz-Musiker aus Deutschland zur Entwicklung seines Personalstils – Ideal. Und diese disziplinierte Arbeit war hifi & records 1/2013 JAZZ-PORTRAIT für ihn ein notwendiger Tribut, seine Berufung in die Newport Festival Youth Identität als Jazz-Musiker stets neu zu Band (USA) im März 1958, »fast ein Ein- finden und zu behaupten. schnitt in meiner Entwicklung, allein Ohnehin blieb seine Geburtsstadt schon durch die vielen Musiker, denen Frankfurt – dort wurde er am 5. Sep- man begegnete«, wie er Bruno Paulot er- tember 1928 geboren – für Albert Man- zählte. Zum anderen erfolgte im Mai gelsdorff das Alpha und Omega, auch desselben Jahres die Gründung des Jazz- nachdem sein künstlerischer Radius ensembles des Hessischen Rundfunks weit darüber hinaus ausgedehnt war. (HR), hervorgegangen aus den Albert Das Musikinteresse kam aus der Fami- Mangelsdorff German All Stars, dessen Leitung ihm übertragen wurde und die er bis zu seinem Tod innehatte. Damit Posaunen-Weltstar aus eröffneten sich ihm durch die Gelegen- Deutschland: Albert Mangels- heit und die Zeit für Experimente neue Dimensionen, nämlich »eine originelle dorff, Begründer des Stimme im europäischen Jazz« zu sein, wie Jürgen Schwab in seiner Untersu- »Frankfurt Sound«. chung zum HR-Jazzensemble feststellt. (in: »Tension«). lie. Der Vater war Buchbinder und hörte Regelmäßiger (gleichwohl schmaler) zu Hause Klassik aus dem Radio. Doch Verdienst und wachsende Reputation weil sein älterer Bruder Emil bereits aufs förderten die Selbständigkeit in den (zu- Konservatorium ging, waren kaum fi- meist mit dem HR-Jazzensemble perso- nanzielle Reserven da, als auch Albert nalidentischen) Albert Mangelsdorff die gleichen Ambitionen hegte. Hilfe Bands, und zwar von einer stilistischen kam von Brüdern seines Vaters: Sie Bindung an den Cool Jazz und Hardbop waren Musiker, und bei einem von ih- zu freieren, auch von anderen Genres nen – er war Konzertmeister am Theater beeinflussten Spielpraktiken. Diese Mu- in Pforzheim – lernte Albert anderthalb sik ohne genaue thematische und har- Jahre lang Violine. Im Zweiten Weltkrieg monische Strukturen visierte er etwa ab musste er die Ausbildung jedoch abbre- 1964 in seinem Quintett mit Heinz Sau- chen. Über seinen Bruder Emil kam Al- er (Tenorsax), Günter Kronberg (Alto- bert zum Jazz, hörte erste Jazz-Schall- sax), Günter Lenz (Bass) und Ralf Hüb- platten, lernte autodidaktisch Gitarre ner an und setzte sie in temporärer und erhielt 1947 einen Job als Gitarrist in Zusammenarbeit mit den Free-Jazz-Pio- einer Big Band. Der Wechsel zur Posau- nieren Peter Brötzmann (Saxophon), ne erfolgte im Alter von zwanzig Jahren, Fred van Hove (Piano) und Han Ben- eher zufällig, doch hatte ihn »das In- nink (Perkussion) sowie als Mitglied im strument fasziniert, weil es der mensch- Globe Unity Orchestra von Alexander lichen Stimme so ähnlich ist«. Und: Po- von Schlippenbach fort. Der Verzicht auf saunisten waren rar, Hoffnungen auf prädisponierte Kompositionen, also die eine professionelle Karriere somit absolute Spontaneität, wurde für Albert durchaus berechtigt. Diese begann 1949 Mangelsdorff zur Utopie, »die ich wirk- in Frankfurt bei der Joe Klimm Combo, lich für ungeheuer wichtig halte« und setzte sich 1955 im Willy Berking Tanz- wendete seine eigentlich introvertierte und Unterhaltungsorchester fort und Musik zur »emotionalen Befreiung« der festigte sich 1957 im Entschluss, ein Le- von ihm empfundenen Zwänge. ben als freiberuflicher Jazz-Musiker zu Sein Personalstil änderte sich aller- versuchen. dings nicht so radikal, wie es den An- Zwei Ereignisse begünstigten bald die schein hatte: Er brachte die träge Beweg- öffentliche Wahrnehmung von Albert lichkeit der Posaune auf Trab, erweiterte Mangelsdorff: Zum einen war dies seine das Tonregister um extreme Höhen und 1/2013 hifi & records JAZZ-PORTRAIT einem gespielten Ton le, wenn sie lang wird.« Wobei vokale einen anderen Inter- und motivisch-melodische Passagen vallton singen konnte, »für den Hörer feste Strukturen« (Ek- wodurch Obertöne kehard Jost, zitiert in: »Tension«) und gebildet und Akkorde dann doch einen Bezug zur eigenen Tra- hörbar wurden. Diese dition schaffen. aus dem klassisch-ro- Auf dieser Basis ergaben sich für Al- mantischen Reper- bert Mangelsdorff Optionen, seinen toire für Horn be- genuinen »Frankfurt Sound« mit euro- kannte Spieltechnik päischen und US-amerikanischen Trio- entwickelte Albert Kollegen wie Palle Danielsson (Bass) Mangelsdorff für die und Elvin Jones (Drums) oder Jaco Pa- Jazz-Posaune bis zur storius (Bass) und Al Mouzon (Drums) vorher unerreichten und auch im Duo mit Wolfgang Dauner Perfektion, von ihm (Klavier) zu verfeinern. Darüber hinaus damals zunächst in konnte er sich ohne Identitätsverlust um Solokonzerten vorge- die Integration anderer Stilbereiche stellt. kümmern, jammte mit der Klaus Lage Die frei schweben- (Rock-)Band, schloss sich dem United Tiefen, sodass er große Intervalle, ja ge- de Linearität seiner Musik wandelte sich Jazz & Rock Ensemble (1977 bis 2002) radezu Intervallspagate in fließenden Li- durch die Gewichte Akkorde vertikal an und war in dem Zusammenhang nien gestalten konnte, und Motivketten und Rhythmus horizontal, denn auch Mitbegründer des unabhängigen wurden mit abrupten Signalen kontra- »Rhythmus oder Swing ist überhaupt Mood-Labels. stiert. Diese Erfahrungen transformier- das Wichtigste am Jazz«. Dabei könnte Aus dem Bewusstsein seiner sozialen te Albert Mangelsdorff dann in den sich Albert Mangelsdorff auf folgenden Herkunft übernahm Albert Mangels- 1970er-Jahren in der Entdeckung mehr- Aphorismus des kauzigen Philosophen dorff politische Verantwortung, formell stimmiger Intonation, den sogenannten Georg Lichtenberg berufen: »Die grade als Mitglied der SPD, praktisch als Ini- Multiphonics, indem er simultan zu Linie ist nicht die beste Linie für die Zei- tiator der Union Deutscher Jazzmusiker Albert Mangelsdorff: Empfehlenswerte Aufnahmen Die Opa Hirchleitner Story Live im Schützenhaus / Live in Berlin … zum Lesen (mit dem Jazzensemble des HR) (United Jazz & Rock Ensemble) Bear Family Records 16331 (1958) Mood/in-akustik 0164601 (1977/1981) Wiederentdecken, was Jazz in Wirklich- keit ist; Ein Gespräch mit A. Mangelsdorff Tension (Quintett) Purity (Solo) in: Joachim Ernst Berendt: Ein Fenster aus Jazz L+R Records 71002/Bellaphon (1963) Mood 33.631 (www.mood-records.de; 1989) Fischer TB Verlag (1978), ISBN 978-3596230020 Now Jazz Ramwong (Quintett) Hut Ab! / Two Is A Company Bruno Paulot: Albert Mangelsdorff L+R Records 71001/Bellaphon(1964) (Mangelsdorff & Dauner Quintett & Duo) – Gespräche Elements (mit Peter Brötzmann, Mood/in-akustik 0164609 (1997/1982) Oreos Verlag (1993), ISBN 978-3923657421 Fred van Hove, Han Bennink) Plays Albert Mangelsdorff Jürgen Schwab: Der Frankfurt Sound; FMP 30 (www.fmp-online.de; 1971) (United Jazz & Rock Ensemble) Eine Stadt und ihre Jazzgeschichte(n) Never Let It End / A Jazz Tune I Hope/ Mood 6552 (www.mood-records.de; 1998) Societäts Verlag (2004), ISBN 978-3797308887 Triple Entente Old Friends (mit W. Dauner, E. Weber, Wolfram Knauer (Hrsg.): Albert Mangels- MPS 529090-2 (2 CDs) K. Doldinger, M. Schoof, W. Haffner) dorff – Tension / Spannung Universal (1970/1979/1983) ACT 9278-2/Edel Kultur (2000) Wolke Verlag (2010), ISBN 978-3936000054 The Wide Point / Trilogue/ Music For Jazz Orchestra Albert Live In Montreux (mit der NDR Bigband) Diskographische Übersichten: www.albert-mangels- MPS 519 213-2 (2 CDs) Skip 9039-2/Soulfood (2003) dorff.de (1953-2010) und www.discogs.com/ar- Universal (1975/1977/1980) Triplicity
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