MUSIK SWR BEREICHERT. SINFONIEORCHESTER BADEN-BADEN UND FREIBURG Samstag, 03.11.2012 · 20.00 Uhr So klingt nur Dortmund. SWR SINFONIEORCHESTER BADEN-BADEN UND FREIBURG FRANÇOIS-XAVIER ROTH DIRIGENT CAMILLA TILLING SOPRAN Abo: Zeitinsel Alban Berg In unserem Haus hören Sie auf allen Plätzen gleich gut – leider auch Husten, Niesen und Handy- klingeln. Ebenfalls aus Rücksicht auf die Künstler bitten wir Sie, von Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung abzusehen. Wir danken für Ihr Verständnis! 2,50 E 4I5 ALBAN BERg (1885 – 1935) RICHARD STRAUSS (1864 – 1949) Drei Orchesterstücke op. 6 (1914) »Ein Heldenleben« Tondichtung für großes Orchester op. 40 (1898) Präludium ›Der Held‹ Reigen ›Des Helden Widersacher‹ Marsch ›Des Helden Gefährtin‹ ›Des Helden Walstatt‹ Sieben frühe Lieder (1908) ›Des Helden Friedenswerke‹ ›Nacht‹ ›Des Helden Weltflucht und Vollendung‹ ›Schilflied‹ ›Die Nachtigall‹ Christian Ostertag Solo-Violine ›Traumgekrönt‹ ›Im Zimmer‹ – Ende ca. 22.00 Uhr – ›Liebesode‹ ›Sommertage‹ – Pause ca. 20.50 Uhr – Einführung mit Dr. Jan Boecker um 19.15 Uhr im Komponistenfoyer 6I7 PROGRAMM 8I9 DER SANFTE SPRENGMEISTER Es hat den Anschein, als wollte dieser Marsch das hohle Getöse aller Märsche konterkarieren und ALBAN BERG DREI ORCHESTERSTÜCKE OP. 6 ihnen zugleich austreiben. Dem populistischen Grundton setzt er – abseits knapper Besänfti- gungsgesten – eine martialische Chaotik entgegen, die sich äußerster satztechnischer Strenge Alban Berg gehört als »Klassiker« zu den unbestrittenen Lichtgestalten der Moderne und sein Werk und Komprimiertheit verdankt. Der detonierende Paukenschlag am Schluss klingt nach, als zur Grundsubstanz der Neuen Musik. Er gönnt sich zwar den Luxus musikalischer Erinnerung, aber könnte der Nachhall der Musik einen aufquellenden Atompilz suggerieren. als Rückblick während der Reise in die Zukunft. Wie Arnold Schönberg und Anton Webern, mit denen er die revolutionäre »Neue Wiener Schule« repräsentiert, ist Berg ein Mann kompositori- scher Total-Organisation. Hielt Richard Strauss, wie im zweiten Teil des Konzerts zu hören, bis zu GEHEIMNISVOLLE ATMOSPHÄRE seinem Tod an der Tonalität fest, steht sie für Berg von Beginn an zur Disposition, ohne dass er ALBAN BERG SIEBEN FRÜHE LIEDER auf traditionelle Formen verzichtet oder »tonale Rückfälle« prinzipiell ausschließt. Mit seiner Be- merkung in einer Rundfunkdiskussion 1930, dass alle atonalen Klänge, auch die komplexesten, Die Sieben frühen Lieder stammen aus der Feder eines jungen Mannes: Berg schrieb sie als »der schärfsten Kontrolle des Gehörs, des äußeren und des inneren« unterworfen seien und der Klavierlieder zwischen 1905 und 1908, orchestrierte sie aber erst 1928, kurz bevor er begann, sinnlichen musikalischen Erscheinung gehorchten, klingt das Projekt an, Avantgarde und Tradition seine zweite Oper »Lulu« zu komponieren. Neben starken Einflüssen von Brahms und Gustav als kooperativ zu verstehen. Mahler ist gerade im schwelgerischen Tonfall auch ein Echo des Strauss’schen Idioms spürbar. Bereits die von Berg gewählten Texte eröffnen ein Defilee von Motiven, die von Carl Hauptmanns Die Orchesterstücke op. 6 lösen den Vorsatz, Moderne mit Tradition zu verbinden, restlos ein. »Nacht« über Theodor Storms »Die Nachtigall« bis zum »Traumgekrönt« von Rainer Maria Rilke Als Alban Berg die Komposition im September 1914 beendete, hatte der Erste Weltkrieg gerade eine Strauss’sche Atmosphäre illuminieren könnten. Es dämmert, flüstert und entschleiert sich begonnen. Berg selbst hielt diese Partitur für »die komplizierteste, die je geschrieben« wurde, The- hier auf geheimnisvolle Arten: Nacht, Abend, Träume und Ewigkeit durchwehen alle Gedichte, im- odor W. Adorno schmeichelt seinem Kompositionslehrer mit der Bemerkung, das müsse »klingen, merhin Schlüsselbegriffe für Strauss seit dem kompositorischen Kurswechsel im »Rosenkavalier« wie wenn man Schönbergs Orchesterstücke und Mahlers Neunte Sinfonie zugleich spielt«, und (1911), noch in seinen Vier letzten Liedern (1948) scheinen sie unausweichlich. Die Spätromantik katapultiert damit Berg in den Siebten Himmel gerechten Künstlerstolzes. Tatsächlich mobilisiert hat auch Bergs Lieder mit empfindsamer Melodik und harmonischer Raffinesse fest im Griff. Im Berg in den drei Stücken Präludium, Reigen und Marsch avantgardistische Techniken, die zu- ersten Lied, ›Nacht‹, erinnert zu Beginn eine ostinate Rhythmik an das berühmt abrupte Ende gleich eine enorm sinnliche Wirkung ausstrahlen. Ursprünglich als Material für eine Sinfonie oder des »Wozzek«, die Prominenz der Harfe, wie überhaupt die kammermusikalisch transparente Orchestersuite vorgesehen, entschied sich Berg dann für drei Charakterstücke. Orchestrierung, an die Instrumental-Psychologie Gustav Mahlers. Im Dunkel der harmonischen Wendungen singt noch Bergs ›Nachtigall‹ ihr Lied. Die Biedermeier-Idylle, die ein paar Takte lang Das Präludium – kompositorisch schwergewichtig den Terminus vorführend – beginnt ge- ›Im Zimmer‹ herrscht, könnte auch als Gegenbild einer antibürgerlichen Haltung gehört werden, räuschhaft; erst allmählich entwickeln sich motivische Konturen. Eine plötzliche, durch die Blech- wie sie Richard Strauss zeitweise pflegte. bläser verschärfte Frontalmobilisierung des Orchesters, in dessen Mitte ein gewaltiges Pauken- Herz pocht, bewirkt instrumentale Filtereffekte und eine Beruhigung. Unausgesetzt rumort die Unruhe jedoch weiter, um schließlich in einem Fortissimo-Höhepunkt zu explodieren und sukzes- PANOPTIKUM EINES KOMPONISTENLEBENS sive ins Niemandsland der Geräusche zurück zu sinken. Der Reigen entpuppt sich als Geister- RICHARD STRAUSS »EIN HELDENLEBEN« OP. 40 tanz, dessen Walzer-Rhythmen und Ländler-Seligkeiten, durch Harfe und Celesta ins Unwirkliche verschoben, nie richtig Tritt und Takt fassen. Sie stehen auf verlorenem Posten und reagieren Helden sind immer in Mode. Die götternahe Existenz suggeriert zugleich eine Ordnungsmacht mit Irritation auf ferne Hörner-Fanfaren, die schließlich das Stück mit lakonischer Endgültigkeit des Helden, die sich mit konsequenter Unbeirrbarkeit gesellschaftlichen Normen verpflichtet, de- abschließen – eine unüberhörbare Mahler-Reminiszenz. Der Marsch nähert sich wie aus der ren Sinn sie als »überzeitlich« deutet. Es gehört zum Innersten der orchestralen »Helden-Werke« Ferne, schon nach wenigen Takten jedoch geraten Form und Duktus außer Kontrolle. Motive, Themen, von Richard Strauss, sich unbeirrbar nur in der Abdrift von Normen und Konventionen zu zeigen. Wechselstimmen und Gegenbewegungen überlagern sich zu äußerster Dichte; atmosphärische Auf dem Scheitelpunkt zwischen 19. und 20. Jahrhundert balancierend, blieb ihnen dennoch Wechsel, dynamische Kontraste, labyrinthisch-polyfone Rhythmen dominieren den Orchesterklang. nicht erspart, schließlich vom Epochenwandel ästhetisch-ideologisch ausrangiert zu werden. 10 I 11 WERKE Strauss führt die von Hector Berlioz und Franz Liszt entwickelte Tradition der sinfonischen Pro- allerdings diverse Kollegen, Freunde und Bewunderer nicht unbeträchtlich. Derart unverschlüs- grammmusik fort und zu einem letzten Höhepunkt. Ihm war in seinen Programmstücken an einer selt erscheinen die programmatischen Partitur-Überschriften, als habe Strauss werkbiografische Darstellung musikalisch poetischen Inhalts gelegen, ohne die Trennung von Idee, Sujet und Inhalt Missverständnisse sarkastisch einkalkuliert. Dieses »Heldenleben« bilanziert eine musikalische preisgeben zu müssen. Eine poetische Idee war für Strauss nur durch Musik vermittelbar und und biografische Edelgalerie, deren Schwäche fürs Monumentale ebenso ironische Selbststili- lag jenseits aller Verbalisierung. Seine Formulierung vom »Gefühlsinhalt dramatischen Erlebens« sierung wie inszenierte Glorie handwerklicher Virtuosität andeutet. Unüberhörbar spielen die zielt auf den Konflikt zwischen künstlerischem Individuum und in Konventionen erstarrter Gesell- Grundtonart Es-Dur wie auch die erstmals in Takt 17 repetierten Akkordfolgen auf Beethovens schaft. Für seine Werke »Don Juan« op. 20, »Till Eulenspiegels lustige Streiche« op. 28, »Also Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55, die sogenannte »Eroica« an: ein Heldentreffen zweier Komponisten. sprach Zarathustra« op. 30, »Don Quixote« op. 35 und »Ein Heldenleben« op. 40 ist dieser Konflikt musikalisch konstitutiv. Die ins Fantastische tendierende Programmatik bei Strauss ist aber den- Das siegesgewisse Thema charakterisiert regelmäßig den Helden; das kapriziöse Gekeife des noch an traditionelle Formen gebunden: Sonate, Rondo und Variation wirken strukturbildend in Helden Widersacher, von Blech- und Holzbläsern mit rhythmischer Bizarrerie entfesselt und von einer Musik, deren Virtuosität gerade jeglicher Formanmaßung auf der Nase zu tanzen scheint. Wagnerischen Sehnsuchtskantilenen pariert, folgt ihm dicht auf den Fersen. Die Solo-Violine, die sich vom kritischen Gezeter in den Teil ›Des Helden Gefährtin‹ hinüber hangelt, markiert auch In einem Jahrhundert, das von ästhetischen Revolutionen schier überschwemmt wurde, zählte einen Insider-Trick: Strauss’ Gattin Pauline war für ihre scharfe Zunge berühmt. Zugleich nimmt das Multitalent Strauss – Dirigent, Komponist, Theatermann und Initiator des Urheberrechts – lan- das Porträt der Herzensdame des Helden den zeitlich größten Raum des Werkes ein. Die Spielan- ge Zeit zu den berühmtesten und erfolgreichsten Musikern der Konzertsaal-Szene. Als unange- weisungen entbehren hier nicht intimer Ironie: Von »heuchlerisch schmachtend« über »leichtfer- fochtene Autorität für Kunstvolles wie für Populäres ohne Niveauverlust transferierte
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