„Who are you?“ Gender-Aspekte in Opern des 20. und 21. Jahrhunderts Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vorgelegt von Pei-Fang Frederika Tsai aus Taipeh (Taiwan) Bonn 2011 Gedruckt mit der Genehmigung der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Zusammensetzung der Prüfungskommission: Prof. Dr. Sabine Sielke (Vorsitzende) Prof. Dr. Erik Fischer (Betreuer und Gutachter) Prof. Dr. Bettina Schlüter (Gutachterin) PD. Dr. Martina Grempler (weiteres prüfungsberechtigtes Mitglied) Tag der mündlichen Prüfung: 22.04.2010 Inhaltsverzeichnis 1. DIE OPER ALS GEGENSTAND DER GENDER STUDIES....................................................................... 1 2. FRAUENDARSTELLUNG OHNE LEIBLICHE FRAUEN IN DER OPER DES 20. JAHRHUNDERTS. ZWEI BEISPIELE................................................................................................................................................ 8 2.1 HISTORISCHER HINTERGRUND........................................................................................................... 9 2.2 DIE VERÄNDERUNG DER STIMMÄSTHETIK IM SPÄTEN 20. JAHRHUNDERT..................................... 11 2.2.1 Die Wiederentdeckung des Countertenors .................................................................................... 12 2.2.2 Das Spiel mit den Geschlechtern und der Geschlechtsidentität in der Popmusikszene................. 22 2.2.3 Die okzidentale Rezeption der asiatischen Theaterkunst .............................................................. 27 2.3 CURLEW RIVER VON BENJAMIN BRITTEN......................................................................................... 30 2.3.1 Das Nō-Stück Sumidagawa........................................................................................................... 30 2.3.2 Die Kirchenparabel Curlew River ................................................................................................. 33 2.3.3 Die Darstellung der ‚Irren’ durch einen Tenor: Untersuchung der Hintergründe ......................... 36 2.3.4 Die Darstellung der ‚Irren’ durch einen Tenor: Untersuchung der Musik .................................... 42 2.3.5 Konflikte zwischen der Rolle des Tenors und dessen Stimme? .................................................... 47 2.4 TRI SESTRI VON PETER EÖTVÖS ....................................................................................................... 51 2.4.1 Čechovs Theaterstück Tri Sestri.................................................................................................... 52 2.4.2 Das Frauenbild in Tri Sestri .......................................................................................................... 54 2.4.3 Die Entstehung der Oper Tri Sestri ............................................................................................... 56 2.4.4 Der Einfluss des Kabuki-Theaters auf Eötvös’ Bearbeitung......................................................... 61 2.4.5 Der Einsatz der männlichen Sänger als ‚Abstraktionsmittel’ für die Frauendarstellung............... 66 2.4.6 Mehrdimensionale Geschlechter: männliche Darsteller und ihre weiblichen Rollen………………79 2.5 FRAUENDARSTELLUNG DURCH MÄNNLICHE SÄNGER: STIMMLICHES EXPERIMENT UND KRITIK AN DEN GESCHLECHTERSTEREOTYPEN…………………………………………………………...…....84 3. HOMOSEXUALITÄT IN DER OPER DES 20. UND 21. JAHRHUNDERTS: EINE EXEMPLARISCHE DARLEGUNG................................................................................................................. 90 3.1 DIE HOHE STIMME DES COUNTERTENORS ALS BRÜCKE ZWISCHEN DEN ASPEKTEN ‚DIE FRAUENDARSTELLUNG DURCH MÄNNLICHE SÄNGER’ UND ‚DIE DARSTELLUNG DER HOMOSEXUALITÄT’ AM BEISPIEL VON PETER EÖTVÖS’ BESCHÄFTIGUNG MIT DEM COUNTERTENOR IN SEINEN OPERN…………………………………………………………....……91 3.2 DARSTELLUNG DER HOMOSEXUELLEN IN DER OPER DES 20. JAHRHUNDERTS: GRÄFIN GESCHWITZ IN LULU (1937); MEL UND DOV IN THE KNOT GARDEN (1970) ………………………98 3.2.1 „Du bist kein Menschenkind wie die anderen“: Die Liebende, Gräfin Geschwitz, Martha in Lulu................................................................................................................................ 98 3.2.2 Eine gescheiterte Beziehung: Mel und Dov in The Knot Garden ............................................... 103 3.3 DIE BEDROHUNG DURCH AIDS UND DER UMGANG DER GESELLSCHAFT MIT DER PANDEMIE..... 111 3.3.1 Kurze Geschichte der Krankheit Aids......................................................................................... 112 3.3.2 Die Darstellung der Homosexualität bezüglich Aids im Theater und Musiktheater ................... 116 i 3.4 DAS THEATERSTÜCK ANGELS IN AMERICA VON TONY KUSHNER ................................................. 120 3.5 DIE OPER ANGELS IN AMERICA VON PETER EÖTVÖS..................................................................... 134 3.5.1 Reduktion und parallele Szenensetzung: Bearbeitung des Librettos........................................... 135 3.5.2 Vertonung.................................................................................................................................... 141 3.5.3 Homosexuelle Figuren in Angels in America .............................................................................. 156 3.5.4 Zur Darstellung der Homosexualität in der Musik...................................................................... 174 VORLÄUFIGE BILANZ UND AUSBLICK ..................................................................................................178 BIBLIOGRAPHIE……………………………………………………………………………………………..181 ii 1. Die Oper als Gegenstand der Gender Studies Die Oper ist weit mehr als eine musikalische Gattung, sie ist zugleich auch eine gesellschaft- liche Institution und ein soziales Ereignis. Seit ihren Anfängen ist die Oper fest in der Gesell- schaft verankert. Oskar Bie hat diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen Oper und Gesell- schaft folgendermaßen verdeutlicht: „Die Gesellschaft steht nicht außerhalb der Oper, sie ist in ihr Wesen verflochten.“1 Maria Callas ging noch einen Schritt weiter, sie betrachtete die Oper als ein Schlachtfeld der zwischenmenschlichen Beziehungen.2 Die Gattung wäre dem- nach als Schauplatz gesellschaftlicher Konflikte zu verstehen. Ein ganz wesentlicher Grund, weshalb die Oper auf gesellschaftliche Zustände reagieren kann, liegt darin, dass sie neben der Musik über weitere Ausdrucksebenen – wie Text oder Inszenierung – verfügt und diese je nach Zusammenhang variabel einsetzen und aufeinander beziehen kann. Der ungarische Komponist Peter Eötvös fasst diesen Aspekt mit folgenden Worten zusammen: „Die Oper ist in künstlerischer, politischer und wirtschaftlicher Sicht ein sehr empfindlicher Ort.“3 Auf- grund dieser besonderen ‚Sensibilität’ ist die Oper in der Lage, auch für die Diskurse um Ge- schlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender)4 und Sexualität ein Forum zu bieten. In der Opernforschung werden solche künstlerischen Auseinandersetzungen wissen- schaftlich betrachtet. Folgende Fragen waren bereits häufig Gegenstand des wissenschaftli- cher Arbeiten: Wie Frauen, vor allem Sängerinnen und Komponistinnen, im Bereich der Oper tätig waren und sind; wie weibliche Rollen in den Opern konstruiert, dargestellt und rezipiert werden; wie Kastraten lebten und arbeiteten und welche Rollen sie auf der Bühne übernah- men. Nach Lawrence Kramer wurden in der Opernforschung zum Ende der 1990er Jahre vor allem die folgenden drei Themen behandelt: erstens die Stimme, zweitens das Phänomen der Subjektivität, welches sowohl als kulturelle Konstruktion betrachtet als auch hinsichtlich sei- ner Aufladung mit quasi-transzendentaler Präsenz beschrieben wird, und drittens die komple- xen Verwicklungen von Sexualität, Identität, Geschlecht und Begehren.5 Dieser Trend setzte 1 Oskar Bie, Die Oper, 8-10. Aufl., Berlin: S. Fischer, 1923, S. 62. 2 Maria Callas, Maria Callas. 1923-1977. „Die Musik ist die erhabenste Art, Dinge zu sagen“, aus dem Engli- schen übersetzt von Monica Steegmann, in: Eva Rieger und Monika Steegmann (Hrsg.), Göttliche Stimmen. Le- bensberichte berühmter Sängerinnen. Von Elisabeth Mara bis Maria Callas, Frankfurt a. M.: Insel, 2002, S. 306. 3 Pierre Moulinier, „Die Oper ist nicht tot”, Peter Eötvös im Gespräch mit Pierre Moulinier, übers. von Claudia Jost, in: Drei Schwestern, CD-Beiheft, DG 459694-2, 1999, S. 39. 4 Die Übersetzung „Geschlechtsidentität” wird nicht nur in der deutschen Übersetzung von Judith Butlers Buch Gender Trouble (1990, dt. Das Unbehagen der Geschlechter) von der Übersetzerin Katharina Menke verwendet, sondern auch in der deutschsprachigen Genderforschung benutzt. Daneben existieren noch andere Übersetzun- gen, aber ich bleibe hier bewusst bei dieser. 5 Vgl. Lawrence Kramer, Opera and Modern Culture. Wagner and Strauss, Berkeley: University of California Press, 2004, S. 1. Der Ausdruck “transzendental” (überschreitend) stammt aus der Philosophie und wird oft mit Bezug auf Kant verwendet. Er bezeichnet bei ihm den Charakter der Fragestellung, die die Methode der Kriti- 1 sich in der weiteren Entwicklung fort. Die vorliegende Untersuchung geht der zentralen Frage nach, inwiefern die Veränderung des Gender-Verständnisses in der Gesellschaft einen Einfluss auf die Darstellung der Geschlechter in der Oper des 20. und 21. Jahrhunderts ausgeübt hat. Es soll erörtert werden, wie die Geschlechterordnung in verschiedenen Opern dargestellt und gegebenenfalls hinterfragt wird. Der zentrale Gegenstand dafür ist
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