H. Rainer Schmid Die Wieskirche - der Bau und seine Ausstattung Für Norbert Lieb Die Restaurierung der Wieskirche in den Jahren 1984 - 90 hat Zur Baugeschichle kaum grundstürzend neue Erkenntnisse für die Kunstgeschich• te zutage gefördert; zumindest nicht für jene, die lediglich an Eine Baugeschichte und Beschreibung der Wieskirche hat bei Daten und Fakten interessiert ist. Bau- und Ausstattungsge• aller Schwierigkeit der Darstellung zumindest den Vorteil, daß schichte waren im wesentlichen schon vorher bekannt. Die rela• sie sich nicht mit Vorgängerbauten auseinandersetzen muß. Die tiv günstige Quellenlage, die in den letzten Jahren vor allem Wies ist tatsächlich «in Prato, vulgo in der Wis»6, erbaut wor• durch die archivalischen Forschungen und Entdeckungen von den. Der «Vorgängerbau», die kleine Wieskapelle, blieb unver• Thomas Finkenstaedt fast vollends erschlossen wurde,1 hat ändert und kann am Fuß der kleinen Anhöhe, auf der die Wies auch an der Autorschaft für die verschiedenen Werke der Male• errichtet wurde, besichtigt werden. rei und Skulptur in der Kirche kaum Fragen offen gelassen. Si• Die Entwicklung der Wallfahrt - von der Prozessionsfigur cher hat die ausführliche Untersuchung des Bestands, die mit aus Steingaden, dem Tränenwunder 1738, bis hin zu den Daten der Restaurierung einherging, noch manchen wichtigen Stein von Baubeginn, anschließender Grundsteinlegung und den ins Mosaik der Zahlen und Signaturen gefügt und aufschlußrei• Weihedaten der Kirche - ist hier bereits auf der Grundlage neu• che Hinweise zu Konstruktion, Material und Technik erbracht, ester und intensivster Quellenforschung von Thomas Finken• wovon auch hier noch zu reden sein wird; doch ist der gesamten staedt dargelegt worden. In den Grundzügen ergibt sich für die Restaurierung vor allem eine in ihrer Tragweite kaum zu über• «Entstehung» des Bauwerks folgendes Bild: schätzende Erkenntnis zu danken: Mit der Wieskirche verfügt Nach Carl Lamb sowie Hermann und Anna Bauer7darf die Kunstwissenschaft über eine bedeutende Kirche des 18. man annehmen, daß Dominikus Zimmermann um 1740 vom Jahrhunderts in Süddeutschland, deren Fassung an Raumscha• Praemonstratenserkloster Schussenried, für deren Wallfahrts• le und Ausstattung als weitgehend original erkannt und gesi• kirche Steinhausen er die Entwürfe geliefert hatte, an das Klo• chert ist. Alle Originalpartien sind nunmehr erfaßt, alle Retu• ster Steingaden empfohlen wurde; aber wohl nicht zu Planung schen und meist geringfügigen Ergänzungen in ihrem Verhält• und Neubau der Wallfahrtskirche sondern zur Neugestaltung nis zum dort verlorenen oder reduzierten Original einschätzbar. und Modernisierung der Klosterkirche Steingaden. Vergleich• Kurz, die Kunstwissenschaft hat hier die seltene - bisher kaum bar der Situation in Vierzehnheiligen, hatte auch hier - wie in gekannte - Möglichkeit, ein bedeutendes Bauwerk des Rokoko Kloster Langheim - die Klosterkirche selbst Vorrang vor der auf gesicherter Basis beschreibend analysieren zu können, ohne doch abgelegenen und bis dahin in ihrer zu erwartenden Aus• sich auf das lange, allzu lange geübte Schwarz-Weiß-Sehen be• dehnung noch unbekannten Wallfahrt. Seltsamerweise wird schränken zu müssen. kaum je darauf hingewiesen, daß die Neugestaltung der Klo• Selbstverständlich wurde schon verschiedentlich versucht, sterkirche in Steingaden tatsächlich stattfand, und zwar von die Farbigkeit gefaßter Architektur in die Analyse miteinzube- 1740 bis 1751, eine nicht unerhebliche Belastung neben dem ziehen, sowohl für die Wies2 im besonderen als auch für die Bau der Wies. Architektur des 18. Jahrhunderts in Bayern allgemein.3 Das Noch 1740 wurde die kleine Wieskapelle zur Aufnahme des Desiderat waren aber nicht kunstwissenschaftliche Bemühun• Gnadenbildes errichtet. Abt Hyazinth Gassner wollte «zuse• gen auf diesem Gebiet,4 sondern aussagekräftige und sichere hen, ob diese Andacht eine Beständigkeit habe... und nit gleich Grundlagen in Form von gründlichen Untersuchungen und einem angeloffenen Wasser in Kürtze nachlasse...»" Schließlich brauchbaren Dokumentationen5 von geeigneten, nicht durch aber gibt es dann doch schon einen Grundriß der Wieskirche «Restaurierung» entstellten Objekten. von Dominikus Zimmermann, der einhellig um 1743 datiert Dies hat sich mit der Restaurierung der Wieskirche insofern wird (Abb. I).9 Und schließlich wird im Frühjahr 1745, unmit• geändert, als hier in einem bisher nicht gekannten Ausmaß alle telbar nach der Benediktion der kleinen Kapelle 1744, noch vor historischen Oberflächen an Raumschale und Ausstattung hin• dem Tod des Abtes Hyazinth Gassner (28. März 1745) mit dem sichtlich ihrer Materialien und Techniken wissenschaftlich un• Bau der Wallfahrtskirche begonnen.10 tersucht und dokumentiert wurden. Warum es zu einem «Schwarzbau» gekommen ist, der Ende Im Folgenden wird zunächst dargestellt, wie die vorliegenden 1745 schon 40 Schuh (ca. 13 m) hoch aufgeführt war, und erst Untersuchungsergebnisse die bisherige Forschung bestätigen der Nachfolger von Abt Hyazinth, Abt Marianus II. Mayr oder ergänzen, aber auch, wie sie zukünftiger wissenschaftli• (1745-1772) um Baugenehmigung und Grundsteinlegung (sie!) cher Analyse nutzbar gemacht werden können. Daneben blei• nachsuchte, erklärt Norbert Lieb einleuchtend als Folge des ben natürlich viele Fragen unbeantwortet. Leitlinie soll dabei - Österreichischen Erbfolgekriegs (Friede von Füssen: 22. April trotz mancher Überschneidungen mit älterer Literatur und 1745).11 Erst im Juni 1745 schreibt der Abt an den Kurfürsten auch mit Beiträgen in diesem Arbeitsheft - der Abriß einer - bis dahin dürfte man dort andere Probleme zu lösen gehabt Bau- und Kunstgeschichte der Wieskirche sein. haben.12 Beginnen aber mußte man wohl, da nach der Bene- 81 Aus diesem kurzen Abriß der Baugeschichte geht als wichtig• q ste Erkenntnis hervor, daß die Kirche in zwei Abschnitten er• • richtet wurde. Diese Tatsache war auch im Lauf der Restaurie• rung der vergangenen Jahre in mancher Hinsicht Leitmotiv und •m* [] Grundmuster für die Untersuchung und Klärung der Befundla• ge in allen Bereichen. Die Restauratoren der Arbeitsgemein• 6 schaft Wies hatten die Baufuge zwischen Chor und Schiff ge• sucht und auch bald gefunden; wichtiger noch aber war als Er• gebnis der Untersuchungen der Werkstätten des Bayerischen Abb. 1. Grundrißeniwurf zur Wallfahrtskirche in der Wies von Domi• Landesamtes für Denkmalpflege der 1986 geführte Nach• nikus Zimmermann, um 1743 (ehem. Ordinariatsarchiv Augsburg, 1944 16 verbrannt) weis , daß die insgesamt als Original erkannte Fassung der Fig. I. Design for iheßoor plan of ihe pilgrimage church Die Wies by Raumschale diese Bauabschnitte deutlich widerspiegelt. Mitt• Dominikus Zimmermann, c. 1743 (formerly in ihe Diocesan Archiv lerweile konnte auch innerhalb des ikonologischen Gesamt• Augsburg, burned in 1944) konzepts der Chor als mögliches eigenständiges Gebäude er• kannt und beschrieben werden." Diese Selbständigkeit des Chores als vom Hauptraum unab• hängige künstlerische und ikonologische Einheit, sieht Finken• diktion der Kapelle der Zulauf nicht mehr zu bewältigen war. staedt auch als bereits von den Bauherren beabsichtigt an.18 Am 10. Juli 1746 erfolgte die offizielle Grundsteinlegung. Der Chorbau sollte nämlich auch als zweigeschossige Chorka• 1746 wurde der Chor unter Dach gebracht, 1749 war er «mit pelle für sich bestehen können, sofern die Wallfahrt nicht das aller Zierd zum vollkommenen Stande gekommen»13. Am 31. erhoffte Ausmaß erreichen sollte und damit eine große Kirche August 1749 fand die Übertragung des Gnadenbildes statt, weder erforderlich noch finanzierbar gewesen wäre. Es scheint nachdem der Chor bereits am 24. Juli 1749 geweiht worden war. also Zimmermanns Auftrag gewesen zu sein, seine Planungen Ein Votivbild zeigt das auch schriftlich bezeugte Festgerüst vor für die Gesamtanlage entsprechend anzulegen; worauf übrigens dem Chor mit dem Priesterhaus, nicht den Turm (Farbtafel III). auch die neuesten Einsichten der Restauratoren in Aufbau, Ma• Über den weiteren Fortgang des Baus bis zur Einweihung terial und Technik von Chor und Schiff - beziehungsweise de• 1754 schweigen die Quellen. Es ist nicht bekannt, ob der Turm ren Unterschiede - hindeuten. Eine kunstwissenschaftliche Be• zügig weitergebaut wurde; Thomas Finkenstaedt konnte 1979 trachtung von Planung und Bau hinsichtlich ihrer Erscheinung eine Abbildung mit Kran am Turm ausfindig machen, wohl und Genese kommt zu ähnlichen Ergebnissen. noch 1750 entstanden.14 Der Stich zeigt auch ein Stück Mau• erwerk im Bereich des Langhauses - aber mehr ein unmaßstäb• liches Wunschgebilde denn Wirklichkeit, wie alle übrigen An• Planung - Ausführung - Genese gaben im Bild (Abb. 5, S. 49). Wann wurde mit dem Langhaus begonnen? Hier helfen Si• Von Dominikus Zimmermann sind nur zwei von ihm selbst ge• gnaturen und Datierungen weiter, die von Hans-Jochaim Sach• fertigte Entwürfe zur Wieskirche überliefert, nämlich der be• se 1975 und von den Bauforschern Matthias Paul und Reinhold reits erwähnte Eingabeplan, ein um 1743 entstandener Grund• Winkler 1987 bei der Vermessung am Dachstuhl des Langhau• riß, der 1944 verbrannt ist, und der Dekorationsplan für den ses entdeckt wurden.15 «Joseph Mang, Zimmergesell zu Chor, der sich im Stadtmuseum in Weilheim erhalten hat (Farb• Schongau» hat sie 1751 und 1753 angebracht (Abb. 8, S. 142). tafel XIV.2). Zwei von Dominikus Zimmermann selbst gemalte Daraus darf geschlossen werden, daß schon ab 1749, nach der Ansichten der Wieskirche, ein Ex Voto von 1757 und ein Aqua• Weihe des Chores, weitergebaut
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages19 Page
-
File Size-