Das Große Rock'n'roll-Bibbern

Das Große Rock'n'roll-Bibbern

Kultur A. MC PHEARSON Popband Oasis: „Es geht nicht um drei Akkorde und zertrümmerte Hotelzimmer“ POP Das große Rock’n’Roll-Bibbern Weil neue Stars nicht aufzutreiben sind, sollen die Comeback-CDs von einstigen Erfolgsbands wie Guns N’ Roses oder U2 das Geschäft mit Rockmusik beleben. Den Anfang machen die jüngsten der Veteranen: Die britische Band Oasis will an ihren Welterfolg Mitte der Neunziger anknüpfen. ie haben von ihren ersten beiden Al- der of Giants“ gigantisch. Nach einem Mu- Großtuerisch gebärdet sich Noel Gal- ben annähernd 20 Millionen Stück sikjahr 1999, das so spektakulär verlief wie lagher nicht nur als Musiker, sondern auch, Sverkauft. Sie haben ein Phänomen ein Gartenpflege-Themenabend auf Arte, wenn er einkaufen geht. So hat er sich sei- namens „Brit-Pop“ international zum Kas- nach immer neuen Grabreden von Musik- ne Garage mit allerlei Luxuskarossen voll- senschlager gemacht. Sie haben den My- kritikern auf den Rock’n’Roll, dessen Er- gestellt. Ein Bentley gehört dazu, ein Rolls- thos der britischen Working-Class-Knaben, neuerungskraft angeblich erloschen sei, Royce, ein Jaguar und, logisch, auch ein deren Phantasien sich vornehmlich um sollen nun zum Auftakt der Saison 2000 Porsche. Das Problem nur: Noel Gallagher Manchester City, Mallorca und Möpse dre- neue Platten von U2, Guns N’ Roses und hat gar keinen Führerschein. hen, wiederbelebt. Und ganz nebenbei lie- eben Oasis endlich wieder für Wirbel und Vor ein paar Monaten wollte er das än- ferten die Jungs der britischen Band Oasis Umsatz sorgen. dern, als er aber erfuhr, dass die Prüfung den Soundtrack zum Siegeszug des New- Für ein bisschen Publicity-Lärm sorgt auch einen schriftlichen Teil hat, hat er Labour-Premiers Tony Blair. Noel Gallagher, Chef und Songschreiber die Sache wieder abgeblasen. Nun lässt Seither sind fast drei Jahre vergangen, von Oasis – allerdings nicht im Namen des er sich weiter chauffieren. „Es ist wie im im Musikgeschäft eine kleine Ewigkeit. darnieder liegenden Rock-Genres, sondern Rock’n’Roll“, erklärt er, kneift die Augen Und weil die ganze Branche derzeit eine strikt auf eigene Rechnung: Denn „alle an- zusammen und nimmt einen Schluck Tee. Identitätskrise durchleidet und fast nur deren Rockbands sind sowieso nur Schrott. „Da geht es nicht um drei Akkorde und durch immer neue Mega-Fusionen von sich Ich finde es nur logisch, dass derzeit so zertrümmerte Hotelzimmer. Das ist mehr reden macht, sind die Erwartungen an das viele Bands auf die Straße gesetzt werden eine Haltung. Ob ich im Auto vorne oder neue Oasis-Werk „Standing on the Shoul- – zu wenig Talent und null Ideen“. hinten sitze, ist doch total egal.“ 204 der spiegel 6/2000 Der Besitz eines ordentlichen Fuhrparks gehöre einfach zur Rock’n’Roll-Folklore im Stil legendärer Helden wie John Lennon, der Rolling Stones oder The Who – in de- ren Erbfolge sieht Gallagher seine Band Oasis. Wenn Stones, Beatles und The Who die Champions League des Rock’n’Roll bil- deten, so hat er jüngst in ungewohnter Be- scheidenheit klargestellt, „dann gehören Oasis zumindest in den UEFA-Cup“. Geradezu obsessiv hat sich der Oasis- Chef-Kreative in den vergangenen Jahren mit den Stars von gestern beschäftigt: Vom Altrocker Alvin Lee etwa hat er für die Ar- J. FURNISS ACTION / ALL J. beit am neuen Album ein Landhaus samt PRESS BULLS Aufnahmestudio gekauft. Dort hat sich der Gallagher-Brüder Liam, Noel mit Ehefrauen: „Im Alter erweitert sich eben das Spektrum“ Beatles-Fan dutzende von Yellow Subma- rines aus Ton an die Wände gehängt. Er Kündigung ein. Offiziell wollen sie mehr Tyson und der Coolness des jungen Mick hat marokkanische Teppiche ausgelegt, auf Zeit mit ihren Familien verbringen. Gal- Jagger. denen Led Zeppelin mal barfuß standen; er lagher aber sagt, die beiden hätten einfach „Ich habe den Sänger der Sex Pistols hat Räucherstäbchen abgebrannt, die mal zu viel Geld verdient und hielten echte Ar- dafür geliebt, dass er im britischen Fern- Eric Clapton gehörten; und er hat jenes beit nun für unter ihrer Würde: „Ich bin sehen geflucht hat“, gibt denn auch Noel Mischpult installiert, mit dem Pink Floyd froh, dass die weg sind.“ Und kaum waren Gallagher zu. „Und heute sitzen ’ne Men- ihr „Dark Side of the Moon“ aufnahmen. die beiden Abtrünnigen ersetzt, verkün- ge Jungs so wie wir damals in irgendeinem Dummerweise muss die Arbeit unter dete auch Alan McGee, der Entdecker und Betonkasten im Dreck und sind begeistert, diesen nostalgischen Beschwörungsritua- Mentor von Oasis und Chef ihrer Platten- wenn Liam mal wieder austickt, weil er len gelitten haben: „Standing on the Shoul- firma, seinen Rückzug und überließ seinen immer noch einer von ihnen ist, der es der of Giants“, das vierte Oasis-Album, ist Laden verbittert den Sony-Managern. zwar geschafft hat, sich aber nicht brav an nämlich nicht viel mehr als eine bombasti- Gallaghers größtes Problem freilich ist die Regeln hält. Und natürlich hängen sich sche Zitatensammlung. sein kleiner Bruder Liam. Mit dem ist er diese Jungs lieber ein Poster von Liam Und doch: Das Samplen von eigenen notorisch verfeindet – doch leider ist Liam übers Bett als von irgendeinem Kerl, der Hits und Sechziger-Jahre-Idolen könnte der Sänger der Band und ihr wichtigster ein paar Bäume im Regenwald retten will.“ ein Erfolgsrezept sein. Zumindest die erste Glamourfaktor: Er ist mit der schönen Ex- Trotzdem hat er Liam für die Arbeit am neuen Album genötigt, auf Al- koholexzesse zu verzichten – und so präsentiert sich der kleine Bruder derzeit brav als geläutert. Auch Noel selbst will ernst- haft mit Alkohol und Drogen Schluss gemacht haben – und das, obwohl er einst verkün- dete, dass er seine Cornflakes gern mit ein wenig Kokain be- streue. Damals sorgte er mit dem Satz „Drogen nehmen ist nicht viel aufregender, als eine Tasse Tee zu trinken“ für Schlagzeilen. Die eigentlich obligatori- schen Ferien in einer Entzie- hungsklinik habe er sich ge- spart, sagt der große Bruder. „Wir sind doch nicht bei den Rolling Stones. Mit ein wenig INTER-TOPICS Disziplin kriegt man das auch Oasis-Auftritt in der US-Fernsehshow „Saturday Night Live“ (1997): „Alles wird immer komplizierter“ allein in den Griff. Und es ist idiotisch, 50000 Pfund im Mo- Single „Go Let It Out“ ist nett hymnisch Sängerin und brillant unbegabten Schau- nat für etwas zu zahlen, das mich nur 10000 geraten und hat das Zeug zum Welthit – spielerin Patsy Kensit verheiratet und einer im Monat gekostet hat.“ dann hätte das große Bibbern ums Über- der letzten Vertreter der aussterbenden „Where Did It All Go Wrong?“ heißt ein leben des Rock’n’Roll ein vorläufiges Ende. Spezies des Rock’n’Roll-Vandalen. Song auf dem neuen Oasis-Album, in dem Derweil klagt Noel Gallagher über den Das nämlich macht Liam Gallagher zum die Band einen Abschied vom ungesunden Stress in der Band: „Alles wird immer Liebling der britischen Krawallpresse. Er ist Rock’n’Roll-Leben beschwört. Doch wo ist komplizierter – der Druck von außen ist kein freundlicher Schwafler wie die reifen die Oasis-Erfolgsstory eigentlich aus dem enorm und der interne noch schlimmer.“ Jungs von U2 und kein stiller Diplomat wie Gleis geraten? Gegen Mitte der neunziger Kaum waren die Aufnahmen für das neue die Intelligenzrocker von Radiohead. Liam Jahre, als Oasis auftauchten, wütete in den Werk beendet, reichten überraschend Gi- ist ein Maulheld mit dem Mundwerk Mu- USA das Grunge-Rock-Fieber um Nirvana tarrist Bonehead und Bassist Guigsy die hammad Alis, dem Feingefühl von Mike und Konsorten, in Großbritannien dage- der spiegel 6/2000 205 gen herrschten gepflegte Rock-Langeweile und ein paar Bands mit Namen wie Ned’s Atomic Dustbin oder Carter The Un- stoppable Sex Machine. Alan McGee, Betreiber der kleinen Plat- tenfirma Creation, hatte die Oasis-Jungs in einer Club-Spelunke entdeckt und ver- sprach ihnen, so die Legende, direkt am Tresen einen Vertrag. Die fünf Musiker aus einem tristen Viertel legten mit viel Lei- denschaft und unverhohlener Beatles-Be- geisterung los und brachten zwei Sensa- tionsalben zu Stande. Liam Gallagher sang mit stoischer Coolness „I’m feeling super- sonic, give me gin and tonic“, und weltweit ballten die Fans zur Suff-und-Größenwahn- Hymne die Fäuste – oder rückten wenigs- tens ihre Sonnenbrillen zurecht. Nebenbei traten Oasis jenen Brit-Pop- Rummel los, der Nachahmer zuhauf ani- mierte und schließlich auch sehr unter- schiedlichen Bands wie Blur, Pulp und den Spice Girls zum großen Ruhm verhalf. Seit Mitte der Neunziger galt England wieder als cool, und für die mit leicht naiver Wor- king-Class-Attitüde herumtobenden Oasis- Jungs muss es ein Triumph gewesen sein, als Noel auf Blairs New-Labour- Sieges-Party in Downing Street 10 mitfeiern durfte. Bald darauf war die Party vorbei. Von New Labour mag Noel Gallagher nichts mehr wissen, „seit sie allein er- PRESS R. NADEN / MSI BULLS ziehende Mütter Blair, Gallagher (1997) und Studenten zur Kasse bitten“. Am Rock’n’Roll-Irrsinn stört ihn die Gigantomanie: „Diese Megashows im Fußballstadion sind das absolute Grau- en. Ich habe da nie eine Sekunde lang Spaß gehabt“, klagt er. Und seit Oasis 1997 mit ihrem Album „Be Here Now“ auch künst- lerisch auf der Nase landeten, ist in der britischen Popmusik wieder das große Gähnen ausgebrochen. Von Pulp oder Ra- diohead ist seit Jahren nichts Neues zu hören, selbst die Spice Girls sorgen nur noch durch ihr Liebesleben für Aufruhr. Noel Gallagher bewohnt mit Gattin Meg mittlerweile ein hübsches Anwesen in der nordwestlich von London gelegenen Edel- Grafschaft Buckinghamshire. Vor andert- halb Wochen ist er Vater einer Tochter ge- worden, die Anais heißen soll. Sein Bruder Liam lebt in London und ist seit fünf Mo- naten Vater eines Sohnes namens Lennon. Der Rückzug ins Familienleben sei „doch normal“, sagt Noel, „im Alter erweitert sich das Spektrum eben“. Das alles werde Oasis aber nicht hindern, „die alte Magie wiederzugewinnen“ – mit der neuen Plat- te und einer Clubtour.

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