
PRAXIS MAL KONKRET... HANDWERK – ANALYSE – INTERPRETATION »A HOLLY JOLLY CHRISTMAS MEDLEY« VON STEFAN SCHWALGIN Von Renold Quade »Weihnachten ist reine Nervensache.« Mit dieser Bemerkung beschließt Gerd Dudenhöffer alias Heinz Becker, Fami- lienoberhaupt in der gleichnamigen Fernsehserie, augenzwinkernd seine berühmte Weihnachtsfolge. Weihnachten ist auf jeden Fall eines der emotionalsten Feste im Jahreskreis und eines, das weltweit auf vielfältige Weise begangen wird. In unseren Breiten ist es in erster Linie ein christliches Fest und er­ innert an die Geburt Jesu, die Mensch­ werdung Gottes durch seinen Sohn. Un­ sere Advents­ und Weihnachtsbräuche ha­ ben dementsprechend christliche Wurzeln. Die Tatsache, dass dieses religiöse Fest darüber hinaus aber auch spezielle kultu­ Glanz. Somit stehen mal Christkind, mal Franck. Schon seit den 1980er Jahren leitet relle und kommerzielle Seiten hat, ist Weihnachtsmann oder eben auch mal Ren­ er Ensembles und Orchesterformationen selbstverständlich nicht zu leugnen. tier und Schneemann im Fokus. vom Blasorchester bis zur Bigband, für die er selbstverständlich auch als Schreiber Sei es zur stillen religiösen Andacht oder Die Idee kreativ ist. Seit 2004 ist er als Produktspe­ zum fröhlichen Beisammensein in winter­ zialist für das Notationsprogramm »Finale« licher Atmosphäre – wir Musiker verleihen Das Medley »A Holly Jolly Christmas« von bei der Firma Klemm Music Technology den vielen Facetten des Festes mit passen­ Stefan Schwalgin vermittelt fröhliche Win­ tätig. Seinen Lebensmittelpunkt fand er der Musik immer wieder einen besonderen ter­ und Weihnachtsmarktstimmung. Ganz nördlich von Hamburg in Bad Bramstedt im weltlichen Sinne präsentiert es zum Fest und wirkt von dort aus als freischaffender der Liebe Weihnachtsklassiker der ameri­ Arrangeur, Komponist und Buchautor. » KURZ & KNAPP kanischen Popularmusik – swingende Me­ lodien, die amerikanische Winterfreuden Der Aufbau und Winterfantasien zur Weihnachtszeit • Das Medley »A Holly Jolly Christ- beschreiben. Über zehn Takte wird das Werk genre­ mas« von Stefan Schwalgin vermit- typisch regelrecht »eingeläutet«. Das mitt­ telt fröhliche Winter- und Weih- Der Arrangeur lere Blech imitiert Glocken, Schlagwerk nachtsmarktstimmung. und Hölzer lassen Schlittenschellen erklin­ • Das Werk ist mit Schwierigkeits- Stefan Schwalgin, 1965 in Datteln/West­ gen. Bereits den Grundgroove des ersten grad 3,5 nachvollziehbar ausge- falen geboren, erlernte autodidaktisch Titels vorwegnehmend, geht es schwung­ wiesen. Was die reinen Töne be- Klarinette, Saxofon und Klavier. Zudem voll auf die Winterreise. trifft eher Schwierigkeitsgrad 3, komponierte und arrangierte er schon seit was Stilistik und Phrasierungskul- seiner Jugend. Nach dem Militärmusik­ A holly jolly Christmas tur betrifft sicher eher 4. dienst studierte er Musik­ und Literaturwis­ • Mit Weihnachten ist hier in der Tat senschaft an der Universität Hamburg. Er Im November 1964 veröffentlichten die kein religiöses Ereignis gemeint, promovierte über zeitgenössische franzö­ Columbia Studios in Nashville, Tennessee sondern ein Zeitabschnitt im Win- sische Opernmusik, ist Doktor der Philoso­ (USA), eine 7­Zoll­Single in griffiger Länge ter. phie und studierte zudem Komposition und von 2 Minuten 15 Sekunden. Es war ein elektroakustisches Design bei Theodor O. Song, der bereits zwei Jahre zuvor von DarkWorkX Foto: 12 CLARINO NOVEMBER 2019 PRAXIS Johnny Marks geschrieben worden war. linie wird von vielen Instrumentalisten laut­ Schlagzeugsolo. Es läutet einen Dixieland »Have a holly, jolly Christmas – it’s the best malerisch mitgesungen, derweil Klarinet­ ein. Ganz klassisch erhebt sich aus dem time of the year…«. Schnell erreichte er ten für sanfte rhythmische Harmonik sor­ Orches ter zunächst eine kleine Besetzung, große Popularität und behielt sie über viele gen. In Takt 53 präsentiert der Saxofonsatz die den A­Teil vorstellt. Die Stimmen für Jahrzehnte hinweg. Im Dezember 2018 den A­Teil, ab Takt 61 übernimmt das eine die Solisten sind stilsicher ausnotiert, bie­ stieg der Titel dann sogar noch einmal in Soloposaune. Im jeweils 7. und 8. Takt die­ ten aber mit Akkordsymbolen improvisato­ die »Hot 100«­Liste ein. Im Januar 2019 er­ ser Abschnitte durchbricht ein »Fill« der rische Spielräume für genregeübte Musi­ reichte er schließlich Platz 10. Damit hält Trompeten und Klarinetten überleitend ker. Ab Takt 99 wird aus der »Small Band« Interpret Burl Ives – nach sage und schreibe und vorantreibend. Lässig von den Mittel­ dann zwar noch keine Bigband, aber zu­ 56 Jahren wieder in die Top 10 zurückge­ stimmen eingeleitet, folgt ab Takt 69 der mindest die Anmutung eines Tanzorches­ kehrt – den Rekord für die längste Pause in B­Teil in Bigband­Manier, getragen von ters, das – angeführt von Klarinetten und den Top 10 der »Hot 100«. den Hölzern. Zwei Takte vor 79 erklingt ein Saxofonen – den B­Teil präsentiert. Ab modulierender Nachgang und ab Takt 79 Takt 107 erklingt ein blühendes Tutti. Stilis­ Ab Takt 11 erklingt – in bewusst dünner wieder – in neuer, spannungserhaltender tisch wird die Dixie­Ebene aber nicht ver­ Instrumentation – der erste A­Teil des Lie­ Tonart – der Wiederaufgriff des A­Teils, der lassen. Lediglich klangsteigernd werden des verspielt und im federnden Staccato. die Trompeten und Hörner ins Zentrum nun alle eingeladen, sich zu beteiligen. Ab Takt 19 folgt sein weiterführender Wie­ setzt. Hübsch ist der kleine zweitaktige Band­ deraufgriff, der viel dichter wirkt. Er ist ein einschub ab Takt 115, der auch noch einmal wenig kompakter instrumentiert, vor allem Frosty the Snowman Luft schafft, um in der Folge einen voll­ aber wirkt das Legato nun als bestimmen­ klingenden Schluss zuzulassen. de Artikulation. Den bislang in diesem Titel Der Zeichentrickfilm von Frosty, dem noch nicht in Erscheinung getretenen Schneemann ist eine feste Größe im all­ The Christmas Song Posaunen gehört ab Takt 27 der B­Teil. Die jährlichen Weihnachtsprogramm der Fern­ Posaunen würzen ihr Solo mit Dämpfer­ sehstationen der Vereinigten Staaten. Es Robert Wells und Mel Tormé schrieben den sound. Die Reprise des A­Teils ist wieder ist die Geschichte eines weggeworfenen Song an einem heißen Sommertag im Jah­ im relativen Tutti instrumentiert, welches Zauberhuts, der einen Schneemann zum re 1945. Er trägt den Untertitel »Kastanien aber nach vier Takten mit dynamischem Leben erweckt. Die Bemühungen, das Le­ (Maronen) rösten auf offenem Feuer«. Cool Effekt und pfiffiger Artikulation, schel­ ben des Schneemanns auch bei milderen bleiben, indem man cool denkt. Das war misch ausgedünnt, durchbrochen wird. Temperaturen zu retten, münden schließ­ wohl die Devise dieses Tages, an den sich Schließlich folgt eine kleine Coda, die in lich in einen Deal, der es Frosty ermöglicht, Mel Tormé in etwa wie folgt erinnert: »Ich dieser Substanz schon in der Einleitung zu jedem Weihnachtsfest wieder zurück­ sah einen Spiralblock auf Wells Klavier. Vier verarbeitet war. zukehren. Bereits 1950 schrieb Walter E. Zeilen waren dort mit Bleistift aufgeschrie­ »Jack« Rollins den Song, der von Gene ben. Sie begannen mit: Kastanien braten, Santa Baby Autry und den Cass County Boys im glei­ Jack Frost knabbert, Weihnachtslieder, chen Jahr aufgenommen wurde. Auf dieser Leute, die sich wie Eskimos kleiden. Bob Santa Baby ist eines der wenigen Weih­ Basis entstand 1969 der berühmte Weih­ glaubte zunächst nicht, dass er einen Lied­ nachtslieder, die von einer Frau geschrie­ nachtstrickfilm. text schrieb. Er sagte nur, dass er dachte, er ben wurden. Joan Javits brachte es 1953 zu könne sich abkühlen, wenn er gedanklich in Papier und noch im gleichen Jahr wurde es Ab Takt 85 folgt »medium fast Swing«, den Winter eintauche. 40 Minuten später von Eartha Kitt mit dem Orchester Henri quasi im »Doubletime«, ein viertaktiges war dieser Song dann quasi fertig. Ich René in New York aufgenommen. Es ist steuerte die Musik und noch ein wenig Text quasi die Wunschliste einer Frau, die zum bei.« Fest extravagante Geschenke erwartet, wie beispielsweise einen Zobelpelz, eine Nat King Cole nahm »The Christmas Song« Yacht oder Christbaumschmuck von Tif­ im Frühjahr 1946 in zunächst nur kleiner fany. Diese ironische Thematik hat ob ihrer, Triobesetzung auf. Auf sein Geheiß hin und nennen wir es einmal »Schlitzohrigkeit« nie gegen die Einwände seines Labels »Capitol an Anziehungskraft verloren. So wurde der Records« wurde im selben Jahr eine wei­ Titel immer wieder gecovert, zum Beispiel tere Aufnahme mit einer kleinen Streicher­ 1987 von Madonna oder 2015 von Kylie gruppe produziert. 1953 nahm er den Song Minogue. dann erneut auf, diesmal mit vollem Or­ chester. Die ursprüngliche Version von Nach einem deutlichen Einschnitt ist der 1946 fand 1974 den Weg in die »Grammy folgende Abschnitt nun mit »lazy Swing« Hall Of Fame«. überschrieben. Und dieses ruhige »Fee­ ling« sollte den durchaus ein wenig lasziv Ab Takt 123 (»slowly«) betreten wir nun angelegten Titel auch bestimmen. (lasziv: eine durchaus andere Welt. Der Groove durch gekünstelte Schläfrigkeit Sinnlich­ wechselt von ternär auf binär, ganz in feins­ keit verbreitend) ter Balladentradition. Auch harmonisch werden hier neue, färbende Akzente ge­ Zunächst wird das Orchester über vier setzt. Es lohnt sich, diesen nachzuspüren! Takte »eingegroovt«. Die prägende Bass­ Der erste Aufgriff des A­Teils ist modulie­ NOVEMBER 2019 CLARINO 13 PRAXIS rend angelegt und erfüllt zudem noch eine 155 über zum A­Teil des Songs und eta­ gestellt. Somit wird auf bläserische Soli­ überleitende Funktion. Ab Takt 131,
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