Markus Meinold Geprägte Erinnerung kunsttexte.de 1/2009 - 1 Markus Meinold Geprägte Erinnerung – Medaillen als Propagandamedium des Ersten Weltkrieges „Wie eine Sammellinse die Strahlungsenergie der distische Inhalte ihren Einzug auf den Medaillen. Krie- Sonne in einem Brennpunkt vereinigt, können Medail- ge sind mediale Großereignisse. Zu Kriegs- und Kri- len Zeitgeschichte und Zeitgeist in konzentrierter senzeiten steigert sich die Mediennutzung.7 Im Ersten Form künstlerisch widerspiegeln.“1 – so definiert Wer- Weltkrieg wurden zum Zwecke der Propaganda erst- ner Knopp die Medaille als Medium. malig von den beteiligten Nationen alle zur Verfügung Ein typisches Charakteristikum der Medaillen, denen stehenden Kommunikationsmittel benutzt.8 Plakate, im Gegensatz zu Münzen die Eigenschaft des Zah- die für Kriegsanleihen warben, Fotografien, die den lungsmittels fehlt, ist ihre Funktion eines metallenen vermeintlichen Frontalltag zeigten und nicht zuletzt Erinnerungsstückes.2 Zu den wesentlichen Eigen- der Film sind die geläufigeren Transporteure patrioti- schaften des Mediums zählt seine Dauerhaftigkeit, die scher Botschaften. Weniger bekannt ist der Stellen- vor allem dem Material geschuldet ist. Die Medaille wert der Medaille, welche gleichwohl „in ihrer Popula- fungiert im wahrsten Sinne des Wortes als Schau- rität nur noch von der Bildpostkarte als einer Art trivia- stück gleich einem „Denkmal für die Hand“3. Insbe- lem Kontrapost übertroffen“9 wurde. Als Kunst- und sondere die Wiederbelebung der Medaille zur Zeit des Sammelobjekt sind Medaillen nach wie vor sehr ge- Jugendstils steigerte ihren künstlerischen Eigenwert. fragt, als historische Quelle hingegen blieben sie von Anstatt die Stücke in Schränken oder Schubladen zu den Geschichtswissenschaften bisher noch wenig be- verbergen, präsentierte man sie für jedermann sicht- rücksichtigt. bar in Vitrinen und Schaukästen.4 Darüber hinaus konnten mit einer Öse versehene Medaillen am Re- 1. Der Erste Weltkrieg, die Medailleure und vers getragen werden. In diesem Falle sind sie nicht die Werkstätten nur Schauobjekte, sondern demonstrieren vielmehr öffentlich Solidarität und Patriotismus. Die Erneuerung der Medaille als Kunstobjekt ging Die eindeutige Definition und Klassifizierung des im auslaufenden 19. Jahrhundert von Frankreich aus. Mediums, das als eher „konservativ“ eingeschätzt In Deutschland war es vor allem Alfred Lichtwark, der werden kann, ist nicht unumstritten5. Ist die Medaille die Aufmerksamkeit seiner Museumskollegen, von eine Kleinform der Reliefplastik mit hohem künstleri- Künstlern wie auch Sammlern auf diese Entwicklung schem Anspruch für einen elitären Rezipientenkreis zu lenken suchte. Er empfand die Medaille als „Volks- oder nur als stereotypes, auf bloßen Kommerz ausge- lied der Skulptur“ und sah sie als geeignetes Mittel, richtetes Massenprodukt einzuordnen? In der Ge- um „das Schönheitsempfinden breiter Kreise der Be- samtschau dürften beide Kategorien – abhängig von völkerung zu beeinflussen, ein typischer insbesondere Künstler, Verlag und Auflage – zutreffen. Das gilt das Kunsthandwerk im Jugendstil beherrschender auch für die zahlreichen Medaillen aus der Zeit zwi- Gedanke“10. Einige Künstler nutzten einen Aufenthalt schen 1914 und 1918: „Die Quantität der deutschen in Frankreich zur Orientierung. In der Vervielfältigung Erzeugnisse ist kaum zu überschauen, die Qualität der kamen modernste Techniken zum Einsatz. Die Me- zum Teil in massenhafter Auflage auf den Markt ge- daille sollte sich zu einem selbstständigen bedeutsa- worfenen ‚Kriegsmedaillen’ sehr differenziert zu be- men Kunstobjekt entwickeln.11 Nunmehr wurden auch werten.“6 vollkommen neue Themen und Motive, etwa aus der Im Laufe des 19. Jahrhunderts, das durch die Ausein- Welt der Arbeit und des Alltags verarbeitet. Obwohl andersetzungen um einen deutschen Nationalstaat der französische Stil sich nicht vollkommen durchzu- geprägt war, hielten zunehmend politisch-propagan- setzen vermochte, erfolgten doch einige wesentliche Markus Meinold Geprägte Erinnerung kunsttexte.de 1/2009 - 2 Erneuerungen in der Medaillenkunst. Starre Formen Freunde der deutschen Schaumünze gegründet, legte wurden zugunsten von Bewegung, Beschleunigung ein Editionsprogramm zum Thema „Weltkrieg“ auf. aufgegeben, entlehnt aus der Formensprache des Ju- Zum einen verfolgte Menadier das Ziel, die Medaillen- gendstils. Das Relief verschmolz mit der Grundfläche kunst neu zu beleben und durch einschlägige Motive zu einem harmonischen Ganzen. Avers- und Revers- den deutschen Patriotismus zu steigern. Zum anderen motive nahmen direkt aufeinander Bezug. Im Hinblick sollte ein Teil des Erlöses der Unterstützung von auf die Um- und Inschrift strebte man eine Symbiose Kriegsversehrten zukommen.15 Auch Hugo Grünthal, von Schrift und Bild an. Eigentümer der Berliner Münzhandlung Robert Ball Der Anteil dieser Form der Medaille an der Ge- Nachfolger, rief eine vergleichbare Edition ins Leben. samtproduktion jener Zeit ist allerdings sehr gering. Künstler wie Hans Schwegerle, Wilhelm Achtenhagen, Einen hohen „Marktwert“ besaßen hingegen vor allem Martin Götze, Theodor von Gosen und August Hum- mythologische Motive, die sich an den bekannten Ka- mel schufen zahlreiche Weltkriegsmedaillen. Ferner non aus Renaissance und Barock anschlossen. Die waren es die Berliner Bildhauer Rudolf Küchler und Popularität dieser Sujets zu Beginn des 20. Jahrhun- Hugo Kaufmann sowie nicht zuletzt Paul Sturm, Me- derts entsprach der Suche des Bildungsbürgertums, dailleur der Königlichen Münze, der bereits vor dem das die Jahre zwischen 1900 und 1910 als geistig- Ersten Weltkrieg auf ein weit reichendes Opus zurück- kulturelle Krise begriff, nach „wertebeständigen blicken konnte.16 Der Münchener Karl Goetz wirkte in künstlerischen Ausdrucksformen und Identifikations- seiner 40-jährigen Schaffensphase nicht allein als mustern“12. Bildhauer, sondern schuf auch ein äußerst ansehnli- Während sich in Frankreich die Herstellung von ches Medaillenwerk. In den Jahren von 1914 bis 1923 Medaillen auf die Hauptstadt Paris konzentrierte, exis- konzipierte er etwa 175 satirische Medaillen, die sich tierten im Deutschen Reich landesweit Gießereien und mit dem Ersten Weltkrieg und den ersten Nachkriegs- Prägeanstalten. Dabei lag der Fokus im Hinblick auf jahren auseinandersetzen. Einer der wenigen Künstler, technische Voraussetzungen und künstlerischen Rang die sich nicht für den nationalistischen Hurrapatriotis- in München und Berlin. Unter den deutschen Medail- mus vereinnahmen lassen wollten, war Ludwig Gies, leuren sorgten die in Frankreich populären Herstel- der als einer der bedeutendsten Medailleure des 20. lungsmethoden, vor allem die Reduziertechnik, für Jahrhunderts gilt.17 . eine breite Diskussion. Ein Teil der Künstler, der vor- Firmen wie Lauer in Nürnberg, Franz Wilhelm und Wil- nehmlich aus dem Bereich der Bildhauerei kam, be- helm Meier in Stuttgart produzierten Medaillen in Se- vorzugte die handwerkliche Gussmedaille. Die nach rie.18 B. H. Mayer’s Hof-Kunstprägeanstalt, Pforzheim einem Handmodell gefertigten Stücke galten ihnen als stellte beispielsweise sechs verschiedene Aversstem- künstlerisches Ideal.13 pel vor, die wahlweise mit zwei unterschiedlichen Re- Im Ersten Weltkrieg, insbesondere zwischen 1914 versmotiven in mattem Silber oder patinierter Bronze und 1916, dominierte eine deutlich patriotische Stim- geordert werden konnten.19 mung die Medaillenkunst. In großer Zahl entstanden Der Beginn des Ersten Weltkrieges löste eine wah- Medaillen und Plaketten zur Erinnerung an bestimmte re Medaillenflut aus, die zudem staatliche Förderung Begebenheiten und Personen. „Medaillen waren zu erfuhr. Neben Silber- und Bronzemedaillen fertigten allen Zeiten kleine metallene Illustrierte, die wichtige die Hersteller Stücke aus Eisenguss in größerer Aufla- Ereignisse festhielten und unter der Bevölkerung ver- ge. Teilweise handelte es sich dabei aber auch um breiteten. Als Propagandamittel kam ihnen eine große Größenvarianten von Silber- oder Bronzemedaillen Bedeutung zu.“14 aus der Hand eines Künstlers. Sie waren zum Teil mit Die Mehrzahl der Medailleure bemühte sich, auf den einem Durchmesser von durchschnittlich 80 bis 100 Zug der Propaganda aufzuspringen. Die erste deut- Millimetern doppelt so groß beziehungsweise fast sche Medaillengesellschaft, im Dezember 1915 auf dreimal größer als die Exemplare aus Edelmetall. Anregung von Julius Menadier, seines Zeichens Di- Anfang 1917 löste sich die Berliner Gesellschaft auf. rektor des Berliner Münzkabinetts, unter dem Namen Ernüchterung über die Folgen des langen Kriegsver- Markus Meinold Geprägte Erinnerung kunsttexte.de 1/2009 - 3 laufs, stark zurückgehende Abnahmezahlen und vor vor allem um das Lazarettwesen. Während auf dem allem die Knappheit an Edelmetallen mögen hier die Avers ein Porträt der Kaiserin abgebildet ist, zeigt die wesentlichen Gründe gewesen sein. Rückseite unter dem Stichwort „Barmherzigkeit“ einen Militärarzt und eine Krankenschwester bei der 2. Themenfelder Versorgung eines verletzten Soldaten.21 Das Motivspektrum der im Ersten Weltkrieg her- ausgegebenen Medaillen war sehr vielschichtig. Ähnli- ches gilt für die Anlässe, zu denen Medaillen erschie- nen, beispielsweise in Folge gewonnener Schlachten. Zetzmann20 hat in seinem umfangreichen Katalog über deutsche Silbermedaillen des Ersten Weltkrieges fol- gende thematische Einteilung vorgenommen: Allge- meine Kriegspropaganda, militärische Ereignisse, Abb. 1: Paul Sturm, Medaille auf Kaiserin Auguste Victoria, 1914 Kriegsbündnisse und
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