Sonntag, 25. Oktober 2020 15.04 – 17.00 Uhr Ludwig van Beethoven Eine Sendereihe von Eleonore Büning 43. Folge: „Versuch über die wahre Art, Beethovens Klaviersonaten zu spielen“ Willkommen zur Beethovenreihe, ich grüße Sie! Diese Folge heute beginnt in Des- Dur. Fünf Vorzeichen hat das Klavierstück, das Sie gleich hören werden, jede Menge schwarze Tasten. Aber davon werden Sie nicht viel merken. Es ist eines der kürzes- ten, sonnigsten Stücke, die Ludwig van Beethoven je geschrieben hat. So kurz ist es, dass es auf nur eine Din-A-4-Seite passt. Und so stillvergnügt, dass es, trotz sei- ner Berühmtheit, schon öfters übersehen wurde: Sony 19075 Musik 1): Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. 8431826 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 2:05 gretto/Trio LC 06868 CD 4 Igor Levit (Klavier) (2017/2019) Track <10> „Allegretto“ heißt dieser Satz aus der Klaviersonate op. 27 Nr. 2 von Ludwig van Beethoven. Igor Levit spielte. Dieses Musikstück steht in der seltenen Tonart Des-Dur und es gehört zu den be- kanntesten Unbekannten der Beethovenliteratur – als Mittelsatz der überaus popu- lären sogenannten „Mondschein“-Sonate, die in der ebenfalls überaus seltenen Tonart cis-Moll steht. Wie kann das zusammengehen: 5 b-Vorzeichen und 4 Kreuz- Vorzeichen? Ganz einfach: Das Ohr ruckelt sich das zurecht. Es deutet den An- fangston des zweiten Satzes, das „Des“, enharmonisch um in ein „Cis“. Möglich ist das natürlich nur dank des wohltemperierten Klaviers. Beethoven liebte solche Scherze! Dieses Allegretto in Des ist freilich nicht selbst berühmt, es verbindet nur die bei- den eigentlichen Berühmtheiten. Davor steht das pedaltrunkene Traum-Adagio, mit der bestgeliebten, meistmissbrauchten Mondscheinmelodie. Danach folgt ein un- spielbar schnelles Presto, das allein deshalb spektakulär ist, weil es Geschwindig- keitsrekorde provoziert. Und die Mitte? Ludwig van Beethoven - 43. Folge Seite 2 von 17 „Durchgebrannt ist alle Mitte!“ sagte dazu einmal, nicht ohne Ironie, der Klavier- guru Joachim Kaiser. In der Mitte zwischen den beiden Extremen ist allenfalls eine Pufferzone akzeptabel: Füllmaterial. Obwohl dieses liebenswürdige Allegretto also schon so oft gespielt worden ist, nimmt es kaum jemand wahr – weder das Publi- kum, noch die Pianisten. Es ist sogar vorgekommen, dass man diesen Satz bei Schallplatteneditionen der Sonate einfach weggelassen hat, zum Beispiel 1912, in der Columbia-Records-Aufnahme mit Arthur Friedman, dem letzten Schüler von Franz Liszt. Anders der einst „als größter lebender Repräsentant Beethovens“ gefeierte Pianist Frederic Lamond, ebenfalls Liszt-Schüler, zugleich Meisterschüler von Hans von Bülow. Von Lamond ist eine Aufnahme mit allen drei Sätzen überliefert. Seine Les- art des Allegretto in Des-Dur, 1926 im Electrola-Studio aufgenommen, kann man nur spätromantisch nennen: füllig und rubatoreich. Appian Musik 2) Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. APR 7310 B 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 2:06 gretto, Trio Kein LC Frederic Lamond (Klavier) CD 2 (1926/2013) Track <9> Frederic Lamond spielte, in einer historischen Aufnahme von 1926, das Allegretto aus der Mondscheinsonate. Man erwartet eigentlich jetzt, dass es gleich nahtlos weitergeht mit dem schnellen Presto. So spielen das auch die meisten Pianisten: at- tacca. Aber das ist nur eine schlechte Angewohnheit. Nichts davon steht in den No- ten. Bei Beethoven endet dieser Satz mit der Bemerkung „Fine“. „Une fleur entre deux abîme“, so nannte der Abbé Liszt den Mittelsatz aus der Mondschein-Sonate: eine „Blume zwischen zwei Abgründen“. Da ist etwas dran. Es ergeht ja dieser Musik nicht viel anders als dem armen herzigen Veilchen im Mo- zartlied: Sie wird leicht übersehen, und sie ist mit diesem Schicksal nicht allein: Mehr als die Hälfte der Beethovenschen Klaviersonaten steht im Schatten einiger weniger Repertoirerenner, und betroffen vor allem: die frühen und mittleren Werke. Darum geht es heute in dieser Sendung: Um einige dieser „Veilchen im Moose“, ver- schieden interpretiert, in einem Rückblick auf die Beethovenpianisten der letzten hundert Jahre. Hier ist Annie Fischer, der nach wie vor beste weibliche Beethoven- pianist weit und breit. Frei in der Auffassung, streng in der Form, kraftvoll. Mit ihr verglichen ist Elly Ney ein flaches Brett. Annie Fischers Gesamtaufnahme sämtli- cher Beethovensonaten aus den siebziger Jahren kam erst nach ihrem Tod ans Licht. Sie hatte, ewig unzufrieden, die Veröffentlichung gesperrt. Das Allegretto © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 43. Folge Seite 3 von 17 spielt sie fließend und tänzerisch, verspielt, wie vom Swing inspiriert. Aber sie igno- riert dabei konsequent die von Beethoven angegebenen Stakkatozeichen: Hungaroton Musik 3): Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. HCD 41003 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 2:07 gretto/Trio LC 01181 CD 5 Annie Fischer (Klavier) (1970/2013) Track <7> Die ungarische Pianistin Annie Fischer spielte das Allegretto aus op. 27 Nr. 2. Sie spielt es schnell und fast durchgehend „legato“. Und kümmert sich dabei kein biss- chen um die Beethovenschen Vortragszeichen. Damit verändert sie die Komposi- tion. Der Witz dieser Musik besteht ja gerade darin, dass die ersten vier Töne des Themas mit einem Bogen gebunden, also „legato“ zu spielen sind, und die nächsten vier Töne je einzeln einen Stakkatopunkt haben. Im weiteren Verlauf des Stückes mischt sich beides, da spielt die linke Hand „stakkato“ und gleichzeitig die rechte „legato“. Exakt so, wie Friedrich Gulda das macht: Amadeo/Dec Musik 4): Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. ca 476 8769 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 0:35 gretto/Trio LC 0107 CD 4 Friedrich Gulda (Klavier) (1968/2005) Track <14> Ausschnitt: Schnell raus bei 0:35, evtl. nachblenden Friedrich Gulda spielte – ganz ohne Swing, pedantisch exakt – den Anfang vom Al- legretto aus Beethovens Sonate op. 27 Nr. 2. Sogar die von Beethoven gewünschte Überpointierung – die Crescendo/Sforzando-Betonung kurz vor Schluss - hat er sau- ber ausgeführt. Eine Studioaufnahme von 1968. Zwei Jahre später spielte Emil Gil- els das in einem Livekonzert ganz anders: lyrisch, elegisch und frei. Wie Annie Fi- scher ignoriert er die Vortragszeichen. Aber er ignoriert auch den Tanzrhythmus. © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 43. Folge Seite 4 von 17 Pipeline/Bril- Musik 5): Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. liant 92132/6 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 0:41 gretto/Trio Kein LC CD 6 Emil Gilels (Klavier) (1970/2007) Track <5> Ausschnitt: Schnell raus bei 0:41, evtl. nachblenden Emil Gilels spielte. Eine Liveaufnahme, aus einem Moskauer Konzert, 1970. Und hier, zum Vergleich, Vladimir Horowitz: Sony 8876 Musik 6): Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. 5484172 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 0:27 gretto/Trio LC 06868 CD 39 Vladimir Horowitz (Klavier) (1947/2013) Track <7> Ausschnitt: Schnell raus bei 0:27, evtl. nachblenden „Allegretto“. Das heißt so viel wie: Vorwiegend heiter, ziemlich munter. Es heißt aber nicht: bitte schnell und schmerzlos. So hat es Vladimir Horowitz soeben hinter sich gebracht, in einem Livekonzert 1947 in Carnegie Hall. Es gibt, von den Pianisten, die ich Ihnen eben im Vergleich vorgeführt habe, auch noch ganz andere Aufnahmen. Horowitz, zum Beispiel, spielte das Stück zuweilen langsamer und nicht so verhudelt. Der extrem verträumte Gilels, der im Konzert alle Akzente weglässt, hat sie in seiner schnellen Studioaufnahme exakt platziert. Of- fenbar ist es gar nicht so einfach, die „wahre Art“ herauszufinden, wie dieser nette kleine Satz vorzutragen ist. Das hat Tradition. Anno 1828, ein Jahr nach Beethovens Tod, kam der junge russi- sche Poet und Jurist Wilhelm von Lenz, der später eine der ersten Beethovenbio- graphien schreiben sollte, nach Paris, um Unterrichtsstunden bei dem ebenfalls noch sehr jungen, gerade achtzehnjährigen Franz Liszt zu nehmen, der schon da- mals unter den Klavierspielern als wichtigster Beethoveninterpret galt. Man stu- dierte gemeinsam besagtes Allegretto in Des-Dur. Lenz berichtet: „Liszt fragte mich: ‚Das ist einfach, nicht wahr?’ Ich antwortete etwas Bestätigendes. ‚Eh bien‘, sagte Liszt, ‚Non! Das ist ein Stück, über dem man als Künstler sein ganzes Leben verbringen kann.‘“ Und dann erklärte er, wieso: Um den schnellen metrischen Wech- sel innerhalb des Themas darzustellen, reicht es nicht aus, „legato“ und „stakkato“ © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 43. Folge Seite 5 von 17 zu spielen. Es müsse auch Farbe hinein ins Versmaß. Liszt schlug vor: die Legato- passage im Trochäus-Versfuß so zu spielen, als würde sie von den Holzbläsern des Orchester intoniert; und die Daktylus-Passage mit Stakkato so, als wären’s helle, spitze Einwürfe von den Geigen. Die synkopierten Oktaven über dem chromatisch absinkenden Bass, im Mittelteil des Stückes, die könne man sich vorstellen wie von zwei Violoncelli gespielt. Franz Liszt denkt also als Pianist orchestral, er entdeckt in Beethovens Klaviersona- ten symphonisches Potential. Und das ausgerechnet bei diesem „Allegretto“-Satz mit seinem menuettartigen Aufbau! Viel eher könnte man sich den von einem Cem- balo gespielt vorstellen. Die Erstausgabe der „Mondscheinsonate“, die 1802 bei Cappi herauskam, hatte das noch ganz selbstverständlich als Möglichkeit vermerkt: „per il Clavicembalo o Piano=Forte“, heißt es da im Titel. BIS Records Musik 7): Ludwig van Beethoven: Sonate cis-moll, op. 2000 27 Nr.2 („Mondschein“). Daraus: 2.Satz, Alle- 2:04 gretto/Trio Kein
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