„Das Hässliche Hinterlässt Spuren“

„Das Hässliche Hinterlässt Spuren“

Kultur SPIEGEL-GESPRÄCH „Das Hässliche hinterlässt Spuren“ Der irische Musiker Bob Geldof über Depressionen nach dem Ende seiner Ehe, seinen politischen Kampf für die Ärmsten der Welt und sein neues Album „Sex, Age & Death“ Geldof, 50, wurde 1979 bekannt 1997 unter nie ganz geklärten Umständen, als Sänger der Boomtown Rats Paula Yates starb 2000 an einer Überdosis mit dem Song „I Don’t Like Mon- Drogen. Dieses Trauma arbeiten Sie mit days“ – und 1985 weltberühmt als Ihrer Platte ab? Organisator der Live-Aid-Kon- Geldof: Es ging um alles, was damit zu tun zerte zu Gunsten der Hungern- hatte. Dies war nur der letzte Akt einer den Afrikas, die zeitgleich in schrecklichen, fast Shakespeareschen Tra- London und Philadelphia statt- gödie. Tatsächlich war das Album fertig, fanden. Etwa 1,7 Milliarden Men- bevor Paula starb. Die Platte hat nichts mit schen verfolgten das Ereignis Katharsis zu tun. Trotzdem ist es bis heu- an Fernseher und Radio. Geldof te sehr belastend für mich, sie anzuhören. hat drei Töchter und eine Pflege- SPIEGEL: Wann haben Sie angefangen, an tochter. Er lebt in London. „Sex, Age & Death“ zu arbeiten? Geldof: Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich SPIEGEL: Mr. Geldof, nach privaten habe keine Ahnung. Als meine Frau mich Schicksalsschlägen, die in aller 1995 verlassen hat, bin ich völlig zusam- Öffentlichkeit verhandelt wurden, mengebrochen. Zwei, drei Jahre lang war und vielen Jahren musikalischer ich außer Funktion. Pause haben Sie nun ein Album SPIEGEL: Litten Sie unter Depressionen? herausgebracht, das schon im Titel Geldof: Das war mehr als Depression. Jeder von den ganz großen Dingen des hat ähnliche Geschichten zu erzählen, wie Lebens zu erzählen verspricht – er mal verlassen wurde. Aber meine Erfah- von Sex, Alter und Tod. Handelt rung, denke ich, war extrem. Dazu kam, es sich um eine Art philosophi- dass dieses Drama wie geschaffen war für sches Grundsatzbekenntnis? die britischen Boulevardzeitungen: Alle, die Geldof: Ich habe lange gebraucht, darin eine Rolle hatten, waren prominent. um diese Platte zu machen, weil SPIEGEL: Hat das öffentliche Interesse an ich sie erst leben musste. Ich ver- Ihrem Unglück Ihnen nicht wenigstens stand nicht, was in den vergange- das Gefühl beschert, nicht völlig allein nen paar Jahren passiert war. Dies zu sein? war der Beginn des Verstehens. Geldof: In Wahrheit ist man ganz beson- SPIEGEL: Damals verließ Sie Ihre ders allein. Wie ein Objekt unter dem Mi- Frau Paula Yates für den INXS- MONIKA ZUCHT / DER SPIEGEL kroskop. Aber ich war mit viel simpleren Sänger Michael Hutchence; beide Popstar Geldof Dingen beschäftigt: Ich existierte nur. Ich kamen später zu Tode, Hutchence „Nur Musik nimmt mich ganz gefangen“ musste mich daran erinnern einzuatmen, Live-Aid-Konzert in Philadelphia (1985): „Es war ein Moment tiefer Stille“ 168 der spiegel 1/2002 ANGELI / ALPHA ANGELI R. CHAMBURY / ALPHA R. CHAMBURY REX FEATURES Mit Töchtern Peaches, Fifi, Pixie (1992) Im Film „The Big Breakfast“ (1994) Mit Töchtern, Pflegetochter, Nelson Mandela (2001) Klatschobjekte Ehepaar Geldof/Yates, Liebespaar Hutchence/Yates, Familienvater Geldof: „Ich wollte die graue Leere anheulen“ auszuatmen und wieder einzuatmen. Ich rationale, gut überlegte Entscheidung. In SPIEGEL: Was haben Ihre Töchter zu den war wie entmannt und ausgeweidet. In die- dem Moment wurde mir klar, dass ich mich Texten gesagt, in denen Sie recht offen ser Situation hat man nur eine schmale auf sehr gefährlichem Gebiet bewegte. über deren Mutter Paula Yates schreiben? Bandbreite von Gefühlen zur Verfügung. SPIEGEL: Haben Sie damals allein gelebt? Geldof: Die denken sowieso, dass meine SPIEGEL: Konnten Sie in dieser Zeit arbei- Geldof: Nein. Meine Freunde Howard und Musik schrecklich ist. Auf die Texte achten ten? Sie waren damals neben Ihrem Musi- Pete, mit dem ich bei den Boomtown Rats sie erst gar nicht. Und selbst wenn die Lie- kerjob immerhin Miteigentümer der Fern- zusammengespielt hatte, zogen zu mir. Es der ihnen gefielen, würden sie das nie zu- seh-Produktionsfirma Planet 24, die Shows war wirklich eine seltsame Erfahrung, wie geben. Die hören lieber Eminem, Britney wie „The Big Breakfast“ produzierte. Männer sich in so einer Situation unter- Spears oder so etwas. Im Übrigen muss ich Geldof: Nein. Ich wollte mich in einen mög- stützen: Wir saßen zusammen herum und sagen: Ich erwarte gar nicht, dass die Leu- lichst weit entfernten Winkel unserer Erde haben gemeinsam geschwiegen. Es war te „Sex, Age & Death“ so genau anhören. zurückziehen und dort die graue Leere an- bizarr, aber beruhigend. Howard hat sich Fürs Radio ist es nicht sehr gut geeignet. Es heulen. Aber das ist nicht möglich, wenn um mich gekümmert, und Pete arbeitete im gibt keinen Titel, der sich zur Single eignen man drei Kinder hat. Keller an seiner Musik. Zunächst brauch- würde. Na und? SPIEGEL: Und das hielt Sie auch vom Ge- te ich keine Musik und wollte noch nicht SPIEGEL: Das klingt nicht nach dem Ge- danken an Selbstmord ab? mal welche hören. Aber dann drangen schäftsmann Geldof. Geldof: Ich fand Suizid immer erbärmlich. Klangfetzen in meinen Kopf. Irgendwann Geldof: Ich bin Musiker. Business ist nur Bis zu jenem Morgen, als ich aufwachte habe ich mir die Gitarre genommen und eine Fähigkeit. Ich verfüge über sie, also und mein Gesicht nass war, weil ich wieder plonk, plonk, die Bass-Saite gezupft. nutze ich sie. Musik ist das Einzige, was im Schlaf geweint hatte. Und mir nicht SPIEGEL: Haben Sie das Gefühl, dass Sie mich ganz gefangen nimmt: emotional, psy- mehr vorstellen konnte, diesen Zustand die Sache heute endgültig hinter sich chisch, intellektuell, geistig, physisch. Ich bin noch länger zu ertragen. Meine Freunde haben? auch kein echter Geschäftsmann. Ich habe haben gesagt: Glaub mir, das geht vorbei. Geldof: Man könnte es so beschreiben: Man Ideen, die ich umsetzen will. Und wenn die Aber wann? Man kann sich Zeit nicht mehr nimmt den Schmerzklumpen aus dem Sache läuft, wie damals mit der TV-Firma vorstellen, und es sind Jahre, um die es Kopf, untersucht ihn und sagt zu sich Planet 24, dann wird sie mir langweilig. Ich geht. Ich habe mich dann hingesetzt und selbst: So siehst du aus, ich kenne dich, habe Planet 24 inzwischen verkauft. eine Liste von Gründen gemacht, derent- du Scheißding – und räumt ihn wieder SPIEGEL: Heute sind Sie mit Ihrer Firma Ten wegen es sich lohnt zu leben – oder zu zurück. Bis zum nächsten Mal. Nach und Alps in Fernsehen, Radio, Werbung und sterben. Als ich alles zusammenaddiert nach kommen die eigenen Fähigkeiten Event-Planung engagiert. Gehen Sie wie ein habe, kam heraus, dass ich mich nicht mehr zurück. Als Erstes war ich in der Lage, ordentlicher Firmenchef jeden Tag ins Büro? so fühlen wollte. Es war, dachte ich, eine mich um Geschäftliches zu kümmern. Weil Geldof: Nein, ich gehe nie ins Büro. Da wird es da nicht um Gefühle ging. Irgendwann dann alles zu kompliziert. Ich bin zu Hau- hatte ich wieder Zugang zur Welt der se, den Telefonhörer zwischen Ohr und Kreativität. Schulter geklemmt, und spiele auf der Gi- SPIEGEL: Hatten Ihre Freunde doch Recht tarre herum. Mit einem Ohr lausche ich mit dem Trost, die Zeit heile alle Wunden? der Unterhaltung, mit dem anderen der Geldof: Nein. Man kann versuchen, den Gitarre. Wenn mir gefällt, was ich spiele, Schmerz zu begraben. Aber die Zeit heilt wiederhole ich es so lange, bis das Ge- nicht. Sie hilft nur, sich auf ihn einzustel- spräch vorbei ist. Meine Konferenzen hal- len. Und wenn er sich doch wieder ins Be- te ich alle in einem Café in der King’s Road wusstsein vorgearbeitet hat, kann man ihn ab. Ich habe keine E-Mail, keinen Anruf- in einer Ecke des Gehirns parken. Er ist im- beantworter und keine Sekretärin. Meine mer dort, immer anwesend, aber er steht in Aufgabe ist es, Einfälle zu haben und Kon- einem Zusammenhang. Man lernt mit ihm takte herzustellen. zu leben, mehr nicht. SPIEGEL: Finden Sie noch Zeit, sich für SPIEGEL: Ihr Album ist ein Jahr nach dem Afrika und Ihr Hilfsprojekt Band Aid zu Tod von Paula Yates erschienen. Hätten engagieren? Sie es auch veröffentlicht, wenn sie noch le- Geldof: Ich arbeite seit 17 Jahren für Afri- ben würde? ka, ich bin Vorsitzender des Band Aid Geldof: Ja. Ich hätte es schön gefunden, Trusts. Und ich engagiere mich für die wenn sie es gehört hätte. Und sie dachte, „Drop the Debt“-Kampagne, in der es um SAM WIX / RETNA / PHOTO SELECTION WIX / RETNA PHOTO SAM dass ich ein guter Musiker bin. Ich glaube, den Schuldenerlass für die ärmsten Länder dass ihr die Platte gefallen hätte. der Welt geht. der spiegel 1/2002 169 Kultur SPIEGEL: Dafür trafen Sie und SPIEGEL: Waren Ihnen die Di- Bono dieses Jahr beim G-8- mensionen dieses Ereignisses Gipfel in Genua den briti- damals bewusst? schen Premier Tony Blair und Geldof: Bevor ich bei Live Aid den deutschen Bundeskanzler auf die Bühne ging, hatte ich Gerhard Schröder. Konnten viele Monate damit verbracht, Sie die beiden überzeugen? das Ereignis zu organisieren. Geldof: Die Sache ging sehr Und dann war ich plötzlich schnell über die Bühne. Bono wieder ein Musiker, auf der und ich sind die Laurel und Bühne mit den Boomtown Hardy der Dritte-Welt-Schul- Rats im Wembley-Stadion. den. Wenn er spricht, ist er Der Lärm war absolut un- sehr salbungsvoll. Und un- glaublich. Ich zog meine glücklicherweise bin ich sehr Jeansjacke aus und dachte direkt. Leute wie Blair, Bill nur: „Verdammte Scheiße!“ Clinton, George W. Bush, Wir fingen an, wir spielten „I Schröder sind mehr oder we- Don’t Like Mondays“, und ich niger aus der gleichen Gene- CINETEXT hatte schon die Zeile im Kopf, ration, wir haben den glei- Geldof im Film „The Wall“ (1982): „Zugang zur Welt der Kreativität“ die ich als Nächstes singen chen kulturellen Hintergrund. musste: „The lesson today is Das Problem liegt darin, das System zu für eine reiche, korrupte Elite, die das Volk how to die.“ Und es traf mich wie ein verändern.

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