DIE MARGARITA PHILOSOPHICA DES GREGOR REISCH ( f 1525) EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER NATURWISSENSCHAFTEN IN DEUTSCHLAND VON DR. ROBERT RITTER VON SRBIK (INNSBRUCK) (MIT 5 TEXTFIGUREN U N D 1 KARTE) VORGELEGT IN DER SITZUNG A M 14. DEZEMBER 1939 Inhaltsverzeichnis. Seite Vorwort . 85 I. Gregor Reisch 87— 92 1. Lebenslauf . 87 2. Wissen und Glauben 89 II. Margarila philosopliica. 92— 108 1. Wissenschaftliche Stellung 92 2. Plan und Bildschmuck 96 3. Zweck und In h a lt 101 4. Buchdruckgeschichte . 104 III. Naturwissenschaftliche Auswahl 108— 203 Einführung: Ursprung und Entwicklung allen Seins 109 A. Erdkunde 111— 125 1. Erde und Weltall 111 2. Erdinneres 114 3. Gewässer 116 4. K lim a 119 B. Länderkunde 125— 160 1. Weltkarten 125 2. Weltteile 133 Gliederung. 134 a) Europa 134 b) Asien 138 c) Afrika 151 84 R. S r bile, Seite G. Wetterkunde.. 1(30—173 1. Himmel uncl Sterne 161 2. Feuerzone und Luftraum 162 3. Ursache und Gliederung der Erscheinungen des Luftraumes. 163 4. Lichterscheinungen 164 5. Niederschläge 165 6. W in d 171 D. Naturkunde... 173—193 1. Gesteinswelt 174 a) Entstehung und Gliederung 174 b) Alchimie 179 Pflanzenreich 180 Entstehung, Wachstum und Vielfalt 181 3. Tierreich 183 a) Gliederung. 183 b) Erschaffung, Zeugung und Wachstum 184 c) Körperbau und Lebensweise . 188 Überblick. Zweckmäßigkeit der Schöpfung 191 E. Menschwerdung 193— 203 1. Urzeugung und Samenfortpflanzung 194 2. Entwicklung im Mutterleib 195 3. G eburt des Kindes 200 4. Gliederung des Menschenlebens 200 5. Mißbildungen und Fabelwesen 201 Schlußwort 203 Schriftenverzeichnis 204—205 Abbildungen. 1. Elemente 109 Erdmittelpunkt I 12 3. Mondphasen. 116 4. W in d e ... 173 5. Geschlechtsbestimmung. 199 Beilage. Weltkarte. * Die Margarita philosophica des Gregor Reisch. 85 Vorwort. Ein eigenartiger Weg führte mich zum Studium der Enzyklopädie Margarita pliilo- sophica des Gregor Reisch. Auf der Suche nach Schrifttum über den alten Tiroler Berg­ bau fand ich im Dezember 1936 bei Darmstaedter (104),1 anknüpfend an die Schrift ,,De Mineralibus“ des Albertus Magnus, folgende Stelle: ,,Im übrigen wird sich die Wissenschaft aber wenig um den Bergbau gekümmert haben und so kommt es auch, daß man in den En­ zyklopädien des späteren Mittelalters, wie z. B. im Speculum Naturale des Vincentius Bellova- censis, die üblichen Mitteilungen über Metalle und einige Salze u. dgl. findet, und zwar aus­ schließlich unter Berufung auf Aristoteles, Plinius, Avicenna und andere Autoritäten, aber nichts Näheres über den Bergbau. Ähnlich verhält es sich mit einem anderen kleineren Sammelwerk über die verschiedenen Zweige der Wissenschaft, der Margarita philosophica des Gregor Reisch, des Beichtvaters Kaiser Maximilians I. Dieses Werk, das zuerst Frei­ burg 1503 und dann noch oft erschien, enthält nur einige kurze Bemerkungen über die Mineralien und Metalle, und zwar ganz im Stile der alchemistischen Literatur. Außerdem einen kleinen Holzschnitt, einen Bergmann darstellend, der einen Wagen mit Erzstücken 'schiebt.“ Waren diese Angaben Darmstaedters auch nicht gerade ermunternd, so veranlaß ten mich die engen Beziehungen zwischenKaiser Maximilian, dessen Gestalt in Tirol un­ vergessen bleibt, und seinem Beichtvater Reisch, der einen auch heute noch in Tirol vor­ kommenden Namen trug, doch zu einer Durchsicht der Margarita. In der Innsbrucker Universitätsbibliothek fanden sich zwei Exemplare dieses Werkes: die erste Auflage von 1503 aus dem ehemaligen Besitze des Innsbrucker Jesuitenkollegiums (208355) und die zweite Auflage von 1504 aus der Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes Neustift bei Brixen (208364), beide von dem Straßburger Johannes Schott gedruckt. Das Studium der mir zunächst wichtigen Kapitel des natürlich lateinisch geschriebenen Werkes bestätigte Darmstaedters Angaben, enttäuschte daher die schwache Hoffnung, daß Reisch vielleicht, wenn auch nur nebenbei, auf Tiroler Mineralien, Gesteine und auf den Berg­ bau Bezug genommen habe, den der Kaiser als Geldquelle stets gefördert hatte. Bei weiterem Einblick in das umfangreiche Sammelwerk entrollte sich dann ein Bild über den Stand der gesamten Naturwissenschaften am Ausgange des 15. und am Beginne des 16. Jahrhunderts, daher an der Zeitenwende von der scholastischen Wissenschaft des Mittelalters zum Humanis­ mus, jener tiefen und vielseiten Geistesbewegung an der Schwelle der sogenannten Neuzeit. Anfangs war es ein nur auf die Geologie und auf Tirol beschränktes Interesse, das mich dazu führte, der Geschichte dieser Wissenschaft nachzugehen. Bald aber weitete sich mein Plan in dem naheliegenden Bestreben, aus jener Zeit ein Gesamtbild der naturwissenschaft­ lichen Auffassung zu erhalten, da sie sämtliche Erscheinungen der Natur unter einheit­ lichem Gesichtspunkte betrachtete. Mein Beginnen erforderte zwar trotz beschränkter Stoff- ausw'ahl ein starkes Hinausgreifen über die mir anfangs gesteckten Grenzen meines ursprüng­ lichen Arbeitsgebietes und das Heranziehen von mancherlei Schrifttum; es bot aber dafür die Aussicht auf ein abgerundetes Bild der naturwissenschaftlichen Kenntnisse einer geistig ungemein regen Zeit. Während meiner Arbeit zeigte sich, daß bisher noch nicht der Versuch 1 S. Schriftenverzeichnis. Die Zahl in Klammern führt, wenn nötig, (las Jahr und den Band, sonst nur die Seite an. 86 R. S r b ile, unternommen worden war, diese Kapitel der Margarita einer genauen Durchsicht zu unter­ ziehen. Da dieses Werk im 16. Jahrhundert in nicht weniger als etwa einem Dutzend all­ mählich verbesserten Auflagen gedruckt wurde und an Deutschlands Universitäten und Klöstern ein viel benütztes Lehrbuch war, versprach sein Inhalt lohnende Arbeit. Das End­ ergebnis bestätigte meine Voraussetzung. Die Margarita philosophica gewährt einen umfassenden Überblick der natur­ wissenschaftlichen Bildung geistig führender Kreise deutscher Nation in der damaligen Zeit. Das Werk wird dadurch zu einem bedeutsamen Kulturdenkmal aus einer ent­ scheidenden Epoche deutscher Geschichte. Erst nach Abschluß meiner Arbeit, die ich ohne jede Verbindung mit Freiburg im Breisgau vollendete, erhielt ich am 1. Februar 1938 zufällig durch Dr. Hefele, den Direktor des Stadtarchivs in Freiburg, die mir sehr wertvolle Mitteilung, daß dort eine Untersuchung über Gregor Reisch und die Margarita philosophica von Gustav Münzelin den nächsten Wochen erscheinen werde. Auf meine Bitte sandte mir der Verfasser in zuvorkommendster Weise am 7. Februar 1938 einen Sonderdruck seiner 87 Seiten starken Abhandlung. Ich bin ihm hiefür zu besonderem Danke verpflichtet. Der Vergleich unserer Arbeiten, die voll­ kommen unabhängig voneinander ausgeführt wurden, zeigte mir eine erfreuliche Übereinstimmung in den Grundzügen. Unsere Ergebnisse ergänzen einander und unter­ scheiden sich, bedingt durch die verschiedene Richtung und die Stätte unserer Tätigkeit. Bei gleicher Gesamtauffassung hebt Münzel etwas mehr die Philosophie und Philologie hervor, meine Arbeit erstreckt sich besonders eingehend zum erstenmal auf das weite Gebiet der Naturwissenschaften. Beide Arbeiten dienen aber, jede auf ihre Art, der ehrenden Erinnerung an Gregor Reisch und seine Margarita philosophica, die erste Enzyklopädie dieser Art in Deutschland. Innsbruck, im Februar 1938. Nachtrag. Die Fertigstellung meiner Arbeit erfolgte zur Zeit des Beginnes geschichtlicher Ereignisse von größter Tragweite. Infolgedessen mußte begreiflicherweise der damals schon in Aussicht genommene Druck vorläufig unterbleiben. Für die nunmehrige Aufnahme der mittlerweile ergänzten Arbeit in die Denkschriften der Akademie der Wissenschaften in Wien bitte ich, meinen aufrichtigen Dank entgegen­ zunehmen. Innsbruck, im Februar 1940. Die Margarita philosophica des Gregor Reisch. 87 I. Gregor Reisch. 1. Lebenslauf. Das Leben des Kartäusers Gregor Reisch vollzog sich schlicht und entsagend, geweiht dem Glauben und der Wissenschaft, deren Vereinigung sein Lebensziel war. Ungeteilte An­ erkennung seines vorbildlichen Lebenswandels und seiner wissenschaftlichen Bedeutung ward ihm seitens der Zeitgenossen zuteil. Durch sein Werk ,,Margarita philosophica“ und durch seine persönlichen Beziehungen zu Kaiser Maximilian I.1 erhält die ehrwürdige Gestalt dieses gelehrten Priesters ein besonderes Gepräge, das ihn über die engen Klostermauern weit hinaus­ hebt und ihm in mehrfacher Hinsicht geschichtliche Bedeutung verleiht. Die Matrikeln der 1457 durch den Erzherzog Albrecht VI. von Österreich zuFreiburg im Breisgau gegründeten Universität, der Albertina, geben uns die erste verläßliche Kunde von Gregor Reisch, gebürtig aus Balingen, einem Städtchen im württembergischen Schwarz­ wald. Im Oktober 1487 wurde er als Kleriker der Konstanzer Diözese unter die Hörerauf­ genommen. Sein Geburtsjahr ist nicht angegeben, es soll „um 1467“ liegen. In rascher Folge wurde Reisch schon 1488 Baccalaureus, 1489 Magister der sieben freien Künste (Schreiber, I, 64) und damit in des Wortes Ursprungsbedeutung Lehrer der Scholaren mit dem Rechte zu Disputationen und allen Pflichten der Regentschaft an der Albertina. Da er wegen Mittellosigkeit die Gebühren für das Magisterexamen nicht bezahlen konnte, gab sich die Fakultät vorläufig mit seiner schriftlichen Versicherung zufrieden, er werde sie später bei gebesserter Vermögenslage bezahlen (Hartfelder, 173). Während eines vorübergehenden Aufenthaltes an der Universität Ingolstadt im Jahre 1494 war Reisch Erzieher eines Grafen von Zollern. Seine Lehrtätigkeit in Freiburg umfaßte nach damaligem Brauche die Erläuterung der dem Aristoteles zugeschriebenen Werke, darunter auch der Parva naturalia,
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