SWR2 Leben No Future – jetzt erst recht! – Wie man mit Punk alt wird Von Ralf bei der Kellen Sendung: Freitag, 14. August 2020, 15:05 Uhr (Wiederholung) Redaktion: Fabian Elsäßer Regie: Ralf bei der Kellen Produktion: SWR 2019 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Weil Du Dich doch immer freust, wenn sich irgendwer über Dich aufregt.“ Musik 002: Wild Billy Childish – Punk Rock ist nicht tot Autor: Berlin, Herbst 2018: Im Lido, einem Club in Berlin-Kreuzberg, steht die Punk-Ikone Wild Billy Childish auf der Bühne. Zu den bekanntesten Songs des 1959 geborenen Musikers und bildenden Künstlers gehört der Song „Punk Rock ist nicht tot“. Lebendiges Zeugnis davon legen einige 20jährige vor der Bühne ab. Das Gros des Publikums ist irgendwo in den 30ern und 40ern. Und dann sind da noch die, die von Anfang an dabei waren und mit Punk alt wurden. Zum Beispiel Joost Renders, der den bekennenden Amateur Childish vor 39 Jahren zum ersten Mal für eine selbstgemachte Fan-Zeitschrift – damals nannte man so etwas „Fanzine“ – interviewte. O-Ton Joost 006: „Also, dieses Do-it-yourself-Ding ist natürlich nach wie vor sehr akut. Also eigentlich immer, bevor man sich irgendein Gelaber von jemand anderem anhört, macht man’s lieber selber. Auf Gedeih und Verderb“ (lacht) Musik 003: Tocotronic – Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein Autor: Als Punk in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre auf den Plan trat, war er ganz klar eine Jugendbewegung. Der Slogan „Trau keinem über 30“ stammte zwar von den 68ern, aber er passte auch zu den Punks, die radikal mit Vorhergegangenen brachem. Zumal in der Musik – wo man vom Bombast-Progressiv-Rock zu den drei Akkorden des frühen Rock’nRoll zurückkehrte. Die man jetzt aber nicht mal mehr richtig spielen können musste. Hauptsache, Haltung und Energie stimmten. Eine der 2 Keimzellen des Punk in Deutschland war – ausgerechnet – Düsseldorf. Joost Reenders, 1962 in den Niederlanden geboren, wuchs dort auf. O-Ton Joost 007: „Ich kann Dir meine erste Begegnung mit Punk erzählen, die ist sehr lustig. Wir waren damals sonne Clique in Scheiss-Mettmann von den Außenseitern, die’s da bei uns in der Klasse gab und unserer Altersstufe. Und wir hingen nachmittags immer irgendwo rum, während die anderen Hausaufgaben gemacht haben, haben wir rumgehangen vor dem Eingang einer Villa – und da hingen wir immer auf der Mauer rum und haben Leute angepöbelt, die da vorbeikamen. Vor allem dem Freund der Tochter haben wir immer die Blumen für die Mutter abgenommen. Und eines Tages kam da ein Typ vorbei, den kannten wir auch von der Schule, der hatte ein bisschen mehr Knete gehabt wie wir, der hatte sonne Skaterausrüstung, so mit Knieschutz und Helm und Skateboard und Tralala, alles. Und der kam zu uns an und sagte: ‚Ey, ihr seid wohl Punks, wa?’ Und wir: ‚Wat?’ Wir saßen da mit unserem Pottschnitt undsoweiter, weiste, Parka an. ‚Hä, was sind wir?’ ‚Punks! Wisst ihr nicht, was Punk is? Das steht in der neuen Bravo drin, das ist was neues aus London, das sind so Leute die machen Krach, Krachmusik, da steht ihr ja auch drauf, hängen nur blöd rum und haben bunte Haare, ok, das habt ihr nicht.’ ‚Wir haben keine Ahnung, was das ist, erzähl uns hier keine Scheiße!’ Der Typ abgedackelt und wir – ssssst! – zu Edeka hin und die Bravo… gekauft oder geklaut, ich weiß es nicht mehr. Und wir dann alle so über die Bravo: ‚Boah, geil, was ist das denn?’ (lacht) Na, wir waren 13,14, 1976, klar. (lacht) So ging das los.“ Autor: Joost sitzt auf einer Parkbank im Berliner Bezirk Friedichshain, der zusammen mit dem Nachbarbezirk Kreuzberg zu den Punk-Hochburgen der Republik gehört. Joost kenne ich schon lange von den Spielplätzen und Eisläden, unsere Kinder sind gleich alt und so traf man sich zwangsläufig. Und irgendwann erzählte er von seiner Zeit als Sänger diverser Punkbands in Düsseldorf. Mit seinen grauen, strubbeligen Haaren und seinen sehr englischen Klamotten gehört Joost zur Stammbesetzung im Kiez. O-Ton Terry 008: „Wir waren doch die Außenseiter. Wir waren die, wo die Leute mitte Finger drauf gezeigt haben: Guck’ mal, wie der aussieht! Dabei war dat gar nicht so wild, also heutzutage würd ich gar nich auffallen“ (lacht) Autor: Genauso wie Terry. Jeden Dienstag vertritt er seinen Freund Ingo in dessen Plattenladen an der Boxhagener Straße. Ohne Bezahlung – als Gegenleistung darf er seine alten Punk- und Reggae-Singles in Ingos Plattenwaschanlage reinigen. O-Ton Terry 009: (Atmo Straße & Ladentür) RBdK: Wat is dat den? Terry: Ahhh, wer bist denn Du? RBdK: Ich hab’ zuerst gefragt. Terry: Guck’ mal, der hat dat Gerät schon wieder inner Hand, ey. Iss dat nicht… warte mal… 3 O-Ton Terry 010 (in der Kneipe, anderes akustisches Setting): „Terry, Jahrgang 59, komm aus’m Ruhrgebiet, Recklinghausen, Westerholt, Marl, die Ecke da. Bin dann über Düsseldorf nach Berlin gekommen, bin jetzt seit 32 Jahren in Berlin, seit 40 Jahren leg ich auf, hab zwei Kinder… ne.“ Autor: Terry ist 1,96 groß, geht leicht gebückt, die Brillengläser sind schon etwas dicker, der Haarwuchs ist spärlich. Er ist einer von Berlins bekanntesten Punk-DJs. An einem Abend im September 2018 legt er auf einer Party zur Unterstützung einer Friedrichshainer Kneipe auf. O-Ton Terry 011: Terry: [Ich] war noch schnell ne Platte kaufen, ich muss ja auflegen. Hallo. Läuft dat schon? RBdK: Ja, immer. Terry: Ach nee. RBdK: Was haste denn gekauft? Terry: Culture Shock! Und die Daily Terror, die Ingo auch im Laden hatte… das is nämlich die Promo, glaub ich… Nice Record, ne?“ Autor: In der Kneipe nehmen einige stark tätowierte junge Männer und Frauen mit Dreadlocks oder Stachelfrisuren ein paar Umbauarbeiten in letzter Minute vor. In einem Hinterzimmer erzählt Terry, wie er zum Punk wurde. O-Ton Terry 012: „Also, ich war eigentlich auch schon immer irgendwie anti, dat war auch dat Dingen, Punkrock war anti, und ich war von meiner Einstellung auch schon immer…also ich hab mich eigentlich auch immer auf die Seite der Schwachen gestellt. Wenn ich zum Beispiel inner Fußballmannschaft mitspielen sollte oder Volleyball, dann hab’ ich immer gefragt: Welche Mannschaft liegt denn zurück? Und bin dann dahingegangen, um da mitzuspielen. Also, ich muss nicht unbedingt gewinnen, aber Hauptsache, et wird gekämpft, ne?“ (lacht) Autor: Terry ging 1981 nach Düsseldorf, studierte Sozialpädagogik und veranstaltete Punkkonzerte. Als Vorband lud er meistens eine Band aus Düsseldorf ein – die Toten Hosen. Zu denen hatte auch Joost eine Beziehung – er ging mit dem Tote-Hosen- Sänger Andreas Frege, den man heute unter dem Künstlernamen „Campino“ kennt, zur Schule. Campinos Mutter war Joosts Englischlehrerein. O-Ton 013 Toten Hosen Learning English Lesson one: „You should always have a pencil and paper ready to take notes. Now listen carefully.“ Autor: Aber zurück zu Terry: O-Ton 014 Terry: „Also, ich glaube, ich bin in den sieben Jahren Düsseldorf bin ich glaube ich neun 4 umgezogen. Also dat is schon ne ganze Menge. Und dann immer wieder Wohnung finden und, ach, der ganze Wiggel… nee, da hab ich auch keine Lust mehr drauf… Ich muss nicht mehr jeden Abend Party haben, oder so… et reicht, wenn ich auflege und dann gehe ich nach Hause und hab’ da dann aber auch meine Ruhe dann, ne. Also, ich hab’ dat ganz gerne, wenn die Leute NICHT zu mir nach Hause kommen…“ (lacht) [Autor: Auch Punks, so scheint es, werden im Alter ruhiger. Etwas ruhiger. Nur –der Punk- Nachwuchs ist eben jung. Terry berichtet von einem Konflikt im autonomen Wohnprojekt Köpenicker Straße 137. O-Ton 014A Terry: ++„Dat is irgendwie auch ne ganz andere Generation. Also Generationen muss ich ja schon sagen. Also letztens hat sich noch ein ganz alter Köpi-Bewohner bei mir ausgeweint, dass er aus seinem Bauwagen raus ist in die Kneipe rein und hat sich über die Lautstärke beschwert. (lacht) Und ist dann völlig abgeschmettert worden. (lacht) Den hat überhaupt keiner ernst genommen!“ (0’28)] O-Ton Atmo 015: Kneipe Supamolly Autor: Ein paar Wochen später ist Terry als DJ im Supamolly engagiert, einem Club in einem ehemals besetzten Haus. Die Band, hier an diesem Abend spielt trägt den phantasievollen Namen: O-Ton 016 Terry: „Acht Eimer Hühnerherzen“ Autor: Terry spielt seine alten Punk-Singles.
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