Kultur Up“, dem Hit der britischen Tanzkrawall- nicht sehr weit kommt, übersiedelte das POP band The Prodigy, ist gar als rüde Sex- Quintett nach Malmö, in die drittgrößte Attacke berüchtigt. Stadt Schwedens. Himmlischer Für „My Favourite Game“ läßt Aker- Zu ihrem eigenen Erstaunen bekamen lund nun Nina Persson in einem offenen sie einen Plattenvertrag und stießen auch Cadillac als Rock-Schlampe durch die Mo- außerhalb Schwedens auf begeisterte Crash jave-Wüste fahren, auf dem Oberarm trägt Zuhörer. Perssons Kleinmädchen-Geträl- sie eine eklige Riesentätowierung und im ler zu luftiger Gute-Laune-Musik schaffte Netter Träller-Pop bescherte der Blick die schiere Mordlust. Jeden, der ihr es in halb Europa in die Hitparaden. Das in die Quere kommt, räumt sie brutal aus zweite Cardigans-Album „Life“ galt bald schwedischen Band The Cardigans dem Weg. Schließlich kracht sie in einen als Schlüsselwerk des sogenannten Easy-Li- einen Welterfolg – nun ver- Kleinbus, in dem die Rest-Cardigans sit- stening-Revivals: Im Zeichen der Ironie blüfft das Quintett mit wunderbar zen; der Aufprall schleudert die Schweden- entdeckte die Jugend der Welt die Fahr- schwermütigen Liebesliedern. Barbie in die Luft, blutüberströmt knallt sie stuhlmusik der sechziger Jahre neu. Dann auf den Asphalt. folgte der Superhit „Lovefool“ mit dem n ein paar Millionen Platten allein „Einen himmlischen Spaß“ nennt Nina millionenfach nachgesummten Refrain ist Erfolg in der bunten Welt der Persson diesen Schockerfilm. Der Musik- „Love me, love me, say that you love me“ APopmusik längst nicht mehr zu sender MTV allerdings nahm das 600000 – und machte die Cardigans endgültig zum messen. Zumindest in Japan gilt heute erst Mark teure Werk nur in einer zusammen- Inbegriff der Leichtigkeit des Seins. als Star, wer es schafft, sein Porträt auf ei- geschnittenen Version ins Programm. Sie durften in den US-Talkshows von nem Flipper zu verewigen oder der eige- Auch in Jönköping in Südschweden David Letterman und Conan O’Brien auf- nen Gestalt nachgebildete Gummipuppen stößt derlei Humor auf wenig Verständnis. treten, selbst im TV-Teenie-Hit „Beverly in die Spielzeugläden zu lancieren – und Weil die Kleinstadt 52 Kirchen hat, wird sie Hills 90210“ spielten sie mit. Die schwedi- auch in den USA und England erobern das „Jerusalem Schwedens“ genannt. In sche Regierung verlieh ihnen Ende ver- Beatles-Schneekugeln, Elvis-Puppen und Jönköping sind die Cardigans aufgewach- gangenen Jahres für Millionen verkaufter Spice-Girls- oder Madonna-„Barbies“ die sen – den Zorn des Herrn im Genick. „Re- Platten den „Export Preis“ – „den hat man Kinderzimmer. ligion an jeder Ecke macht eher ängstlich sich“, sagt Persson, „extra ausgedacht“. Auch die Cardigans aus Schweden gibt als froh“, erinnert sich Peter Svensson. Der Dabei hält Persson selbst den Welthit es mittlerweile in Japan als Kunststoff- Gitarrist und Songwriter der Cardigans „Lovefool“ für einen finsteren Abgesang. Knuddelhelden; klein und „Im Text geht es darum, daß drollig, zum Drücken und man sich im Namen der Lie- Ins-Regal-Stellen. Seit sie be zum Narren macht; um 1997 mit ihrem Liebeslied Liebe, die nicht erwidert „Lovefool“ zu Baz Luhr- wird; und um Verliebte, die manns rasanter US-Neuver- deshalb verzweifeln – was ist filmung von „Romeo & Ju- daran, bitte schön, lustig?“ lia“ den großen internatio- Folglich mühen sich die nalen Durchbruch schafften, Cardigans nun verstärkt um verehren Kids in aller Welt die Anerkennung ihrer dunk- die Cardigans als allerlieb- len Weltsicht. Den Mythos ste Pop-Exoten. von der depressiven Skan- Die Bandmitglieder selbst dinavier-Seele, den endlo- halten ihren Ruf für ein sen Wintern und rekord- übles Mißverständnis. „Wir verdächtigen Suizidquoten sind gar nicht lieb“, behaup- halten sie zwar selbst für tet beispielsweise Nina Pers- verbraucht, und doch gibt son, 24, die blonde Sängerin Songschreiber Svensson zu und Texterin der Band, bedenken, „daß in jedem trotzig. Mit ihrem neuen Al- Klischee ein Körnchen Wahr- bum „Gran Turismo“ wollen heit steckt“. Ausgiebig kann die Cardigans ihre Neigung SELECTION PHOTO er darüber referieren, wie zum Tiefsinn demonstrieren. Popgruppe The Cardigans: Den Zorn des Herrn im Genick die Melancholie die schwe- Dennoch ist „Gran Turismo“ dische Geschichte prägt, die eines der besten Alben des Jahres gewor- hatte eine Vorliebe für Metal und Hard- Linie lasse sich fast bruchlos nachzeichnen den: Zwölf wohlklingende, mitunter ag- rock, für Iron Maiden, Metallica und die von den Stücken August Strindbergs über gressiv wehmütige Rocksongs, Lieder über Scorpions – und er hatte wenig Freunde. die Filme von Ingmar Bergman bis zum das Scheitern von Liebe und Leben, illu- Als er den Bassisten Magnus Svennigsson Abba-Hit „The Winner Takes It All“. striert durch kratzige Gitarren-Akkorde, kennenlernte, beschlossen sie, eine Metal- An Abba, Schwedens größtem Beitrag schleppende Schlagzeug-Beats und ver- band zu gründen, um die Kirchgänger zu zur Popgeschichte, werden die Cardigans wehte Orgelklänge. terrorisieren. in der Fachwelt ohnehin gemessen – was Und damit ihnen wirklich niemand mehr Aber weil ihre Laune auf Dauer nicht so sie selbst mit weiterem Verdruß zur Kennt- mit Frohsinn kommt, haben die Cardigans finster war, wie sie sich wünschten, taten nis nehmen. Allerdings, sinniert Sängerin für „My Favourite Game“, die erste Single sich die beiden Lärmfanatiker mit dem Persson, mache nur Unzufriedenheit wirk- des Albums, einen ordentlich hartgesotte- Schlagzeuger Bengt Lagerberg, dem Key- lich kreativ, und die Trauer über den Zu- nen Videoclip produziert.Als Regisseur en- boarder Lasse Johansson und der Sängerin stand der Welt sei ihr wichtigster künstle- gagierten sie ihren Landsmann Jonas Aker- Persson als Die Cardigans zusammen, um rischer Antrieb: „Auf jeden Fall sollte die lund, dessen „Ray of Light“-Clip für Ma- Musik im Stil britischer Melancholiker wie nächste Generation der Cardigans-Puppen donna mehrfach ausgezeichnet wurde. The Smiths und Nick Drake zu spielen. auf Knopfdruck Tränen vergießen.“ Akerlunds Video zu „Smack My Bitch Und weil man in Jönköping als Popmusiker Christoph Dallach 234 der spiegel 51/1998.
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages1 Page
-
File Size-