Rechtsextreme Ideologien Im Natur- Und Umweltschutz

Rechtsextreme Ideologien Im Natur- Und Umweltschutz

Rechtsextreme Ideologien im Natur- und Umweltschutz Eine Handreichung 1 2 Inhalt Grußwort 4 Vorwort 5 „Naturschutz ist Heimatschutz“ – völkischer Rechtsextremismus im Naturschutz 6 Die Mär von der Überbevölkerung 9 Heimat 12 Naturgesetz 16 Das Fremde und das Eigene 20 Mythos deutscher Wald 24 Nachwort 27 Glossar 29 Weiterführende Literatur 30 3 Grußwort Vorstellungen vom Naturschutz sind in Deutschland seit mehr als einhundert Jahren ideologisch geprägt. Historisch liegen Naturwissenschaften, Naturschutz und Volkserziehung nahe beieinander. Es gilt allerdings zwischen einem naturwissen- schaftlich, biologistisch, mystisch geprägten und einem rationalen, sozialwissenschaftlich orientierten, internationalen Interesse am Naturschutz zu unterscheiden. Kritische Auseinandersetzung mit dem, was jeweils als Natur und Gesellschaft angesehen wird, mag die Neigung zu radikali- sieren und zu funktionalisieren verringern. Sie kann auch dazu beitragen, den Schutz von Natur für eine sich weltweit zuse- hends verstädternde Bevölkerung zu befördern. In diesem Sinn verstehe ich meine Mitarbeit bei FARN. Die vorliegende Handreichung will ihre Leserschaft zu einer eben solchen kritischen Auseinandersetzung ermuntern. Prof. Dr. Gert Gröning Forschungsstelle Gartenkultur und Freiraumentwicklung am Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung an der Universität der Künste Berlin 4 Vorwort In Deutschland werden Umweltpolitik und ökologisches Den- Und auch heute engagieren sich rechtsextreme Gruppierungen ken oft mit alternativen Lebensweisen und einem emanzipatori- und Einzelpersonen im Natur- und Umweltschutz. Sie wehren schen Demokratieverständnis verbunden. Doch diese Annahme sich gegen Gentechnik und Atomenergie. Sie plädieren für eine trifft nur bedingt zu. ökologische Landwirtschaft und für eine artgerechte Tierhal- tung. Sie sind für „heimische“ Obstsorten und gegen „einge- Die deutsche Natur- und Umweltschutzbewegung entstand schleppte“ Neophyten. Mitte des 19. Jahrhunderts aus einem konservativen, romanti- schen und zivilisationskritischen Verständnis heraus. Passend Die Grenzen zwischen den politischen Lagern scheinen zu ver- zum Nationalismus nannte sie sich auch „Heimatschutzbewe- schwimmen, wenn es um grüne Themen geht. Viele Forderun- gung“. Diese war geprägt von einer pessimistischen Sicht auf gen der „grünen“ Braunen decken sich oberfächlich betrachtet Verstädterung und Industrialisierung und sehnte sich nach mit denen von (Jugend-)Umweltverbänden und Naturschutz- einer romantisch verklärten „besseren Zeit“ und dem Erhalt kul- organisationen. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, turell gewachsener Landschaften. Neben der negativen Haltung dass der rechte Natur- und Umweltschutz oft verknüpft ist mit gegenüber dem Stadtleben war auch eine antimoderne und rassistischen, biologistischen und völkischen Ideen – etwa mit antisemitische Grundeinstellung vorhanden. den neu-rechten Konzepten vom „Ethnopluralismus“ oder der „Umvolkung“. Mithilfe der ideologischen Vorarbeit durch den Bund Heimat­ schutz und andere völkisch orientierte Gruppen konnten auch Diese Broschüre stellt einige der ökologischen Themen vor, die Nationalsozialisten ökologische Themen in ihren faschis- bei denen sich die Forderungen scheinbar überschneiden, und tischen Staat einbauen. Natur- und Tierschutz erhielten eine erklärt, warum Rechtsextreme sich dieser Themen bedienen besondere rechtliche Stellung, die „Blut und Boden“-Ideologie und wie sie sie instrumentalisieren. basierte auf dem Ideal der bäuerlichen Landwirtschaft. Der Gedanke, dass „Volk“ und „Raum“ organisch miteinander Die Artikel sind ein erster Einstieg in die jeweiligen Schwer- verbunden seien, ebnete schlussendlich auch den Weg für den punkte und sollen neugierig auf eine intensivere Beschäftigung rassenideologischen Krieg um den „Lebensraum im Osten“. machen. Dabei helfen die Literaturhinweise und das Glossar im Viele Akteure eines „Blut-und-Boden“-Naturschutzes konnten Anhang. ihre Tätigkeit im Naturschutz der Bundesrepublik, in Verbänden wie in der Verwaltung, fortsetzen. Lukas Nicolaisen & Yannick Passeick Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Erst im Zuge der Anti-Kernkraft-Proteste und der Gründung Naturschutz (FARN) der GRÜNEN bekam die Umweltbewegung in den 1970er und 1980er Jahren den Anschein einer vorwiegend linken Ausrich- tung. Doch das schließt nicht alle Akteur_innen ein. Denn stets spielten grüne Themen auch bei den rechtsextremen Parteien und Gruppierungen eine Rolle. 5 „Naturschutz ist Heimatschutz“ – völkischer Rechtsextremismus 1 im Naturschutz Ende des 19. Jahrhunderts war die Wahrnehmung der Natur von einem romantisierenden, anti-modernen und anti-aufklä- rerischen Blick geprägt. Naturwissenschaftliche Annahmen wie die Darwinsche Evolutionstheorie wurden auf soziale und bevölkerungspolitische Phänomene übertragen: Um das Bestehen des Ganzen zu sichern, müssten schwache, von der vermeintlichen Norm abweichende Elemente beseitigt werden. Diese Gedanken passten in das politische Klima der Zeit und ließen sich leicht mit der Vorstellung der Ungleichwertigkeit von „Menschenrassen“ und der „Blut und Boden“-Ideologie des Nationalsozialismus vereinen. Im Slogan „Naturschutz ist Heimatschutz“ der völkischen Bewegung fndet diese Verbin- dung ihren politischen Ausdruck. Seitdem sind ökologische Themen fester Bestandteil des politischen Programms rechter bis rechtsextremer Weltanschauungen. Völkischer Rechtsextremismus ist im gesamten Bundesgebiet ein präsentes Problem. Das Thema Naturschutz stellt für die Wer das eigene Leben nach ökologisch-nachhaltigen Idealen Akteur_innen der Szene eine willkommene Möglichkeit dar, an gestaltet, fühlt sich möglicherweise im „Beton der Metropolen“ gesellschaftliche Diskurse anzudocken, in scheinbar unverdäch- unwohl und lebt lieber auf dem Land. Um das als zerstörerisch tigen Bereichen zu wirken und für Akzeptanz ihrer Positionen empfundene kapitalistische Wirtschaftssystem zu ertragen, isst zu werben. Daher ist es auch und gerade in ökologischen man Bio, regional und saisonal; am besten baut frau das Lebens- Kontexten wichtig, auf die weltanschauliche Motivation des En- nötigste selbst an. Auch industriell hergestellte Kleidung wird gagements einzelner Aktivist_innen zu schauen und Strategien oft abgelehnt, ebenso wie Atomenergie, Gentechnik oder die im Umgang mit rechtsextremen und rechtspopulistischen Posi- Pharmaindustrie. Bei Wahlen macht man das Kreuz traditionell tionen zu entwickeln, die eine klare Abgrenzung zu menschen- bei rechtsextremen Parteien und im Bücherregal steht eine und demokratiefeindlichen Ansichten beinhalten. abgenutzte Version von „Mein Kampf“. Überrascht? Der Siedlungsgedanke im völkischen Naturschutz Völkische Positionen im Naturschutz Bereits im deutschen Kaiserreich entstand innerhalb der völki- Umweltpolitik und ökologisches Denken werden in Deutsch- schen Bewegung die Idee, durch gezielte Ansiedlungen junger land oft mit einem emanzipatorischen politischen Weltbild Leute auf dem Land die Gesamtgesellschaft in ihrem Sinne zu verbunden. Doch so einfach ist es nicht. Tatsächlich hat die verändern. Durch Einfüsse der bündischen Jugendbewegung Verbindung von ökologischen Themen mit einem rechtsextre- und der Lebensreformbewegung waren auch positive Bezüge men Weltbild in Deutschland eine lange Tradition, die vor allem auf Vegetarismus, Naturreligiosität und ökologische Landwirt- im völkischen Teil des rechten Spektrums zu verorten ist. Gegen schaft in der völkischen Bewegung keine Seltenheit. 6 Durch eine „naturgemäße Lebensgestaltung“ dieser Siedler_in- Rechtsextreme Jugendbünde wie die Wiking-Jugend, in deren nen sollte die „Volksgemeinschaft“ im Kleinen hergestellt und Zeltlagern Kinder indoktriniert werden, knüpften ebenso an die „Arterhaltung“ gesichert werden. Neben der Pfege „arteige- die Vorkriegs- beziehungsweise NS-Zeit an wie „deutschgläu- ner Sitten“, wie beispielsweise als „germanisch“ gedeuteter Ritu- bige“ Sekten wie die Artgemeinschaft oder der Bund für Gotter­ ale, und einer „deutschgläubigen“ Spiritualität gehörten hierzu kenntnis. Wegen ihres Bezugs auf die völkisch-antisemitische auch eugenische Gedanken gegenüber angeblich „artfremden“ Weltanschauung Mathilde Ludendorffs werden die Anhänger Minderheiten. Während die völkische „Schicksalsgemeinschaft“ des „Bundes für Gotterkenntnis“ auch „Ludendorffer“ genannt. durch rassistische und antisemitische Grenzziehungen nach Gemeinsam mit ihrem Mann Erich, dem Chef der Obersten Außen konstruiert wurde, wurde sie im Inneren durch antifemi- Heeresleitung im Ersten Weltkrieg, war Mathilde Ludendorff nistische Einstellungen und starre Geschlechterrollen gefestigt. in der Weimarer Republik eine der wichtigsten Vertreter_innen der völkischen Bewegung. Mit ihren Schriften, in denen sie das Eine der bekanntesten Gruppierungen, die den völkischen Sied- verschwörerische Bild eines weltbeherrschenden Judentums lungsgedanken in die Tat umsetzen wollte, war der Bund Artam. zeichnet, welches Christentum, Jesuiten und Freimaurer als Sein Ziel war es, vor allem die östlichen Gebiete des Deutschen seine Agent_innen einsetze, war Mathilde Ludendorff mit dem Reiches zu „germanisieren“ und die polnischen Saisonarbeiter_ Vernichtungsantisemitismus Adolf Hitlers auf einer Linie. Bis innen zu verdrängen. Als einziger Jugendbund, der im Zuge der heute fndet die Ostertagung der „Ludendorffer“ alljährlich „Gleichschaltung“ der Nationalsozialisten zunächst nicht ver- in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide statt, bei der boten wurde, unterhielten

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