ARCHITEKTURNACKT UND VERBRECHEN NACKT 4 Ein Wort voraus 22 Brisant Monica Hoffmann 28 Seitenblicke 6 Das Uniforme 30 Sieben Fragen an Erwien Wachter Georg Redelbach 10 Zu viel der Kleider 32 BDA Andreas Grabow 49 Persönliches 13 Von der Nacktheit Ulrich Karl Pfannschmidt 57 Lesen – Lust und Frust 17 Nackt und Schwarz 61 Randbemerkt Michael Gebhard 64 Impressum 19 Akt Klaus Friedrich 21 In eigener Sache EIN WORT VORAUS Was hat das Adjektiv nackt in den BDA Infor- mationen zu suchen? Denkt da etwa jemand gleich an eine schöne nackte Frau oder einen schönen nackten Mann? Wobei sich dann auch gleich die Frage anschließt, wann das Nacktsein ein Zeichen von Freiheit und wann von Existenzbedrohung ist? Und wie sieht es mit der nackten Wahrheit aus? Doch was anderes als nackt ist eine Wahrheit denn? Das „nackte Haus“ tritt gerne mit Anführungszei- chen auf, als wenn man sich von ihm distan- zieren wollte. Weniger spektakulär wird es dann gleich, wenn statt von nackt von unver- hüllt oder unbedeckt gesprochen wird. Dann sind wir mitten in der Architektur gelandet. Es gibt diese und viele andere spannende Bezüge zu nackt. Die folgenden Artikel greifen einige von ihnen auf. 4 Wie das Uniforme sich als Anpassung und Wertverlust auf unser Leben auswirkt, thematisiert Erwien Wachter in einem Enthül- lungsexperiment (Seite 6). Das Thema setzt Andreas Grabow in die architektonische Praxis um, indem er Fragwürdigkeiten bestehen- der Regelwerke entblößt (Seite 10). Der sich wandelnden Verflech- tung von Nacktheit mit der Kultur einer Gesellschaft geht Ulrich Karl Pfannschmidt in seinem geistreich-heiteren Beitrag nach (Seite 13). Michael Gebhard knöpft sich gleich den nackten Architekten vor und wie er diesen Zustand kaschieren will (Seite 17). Während Klaus Friedrich die Assoziation von Nacktkeit mit Provokation und Prüderei zu beleuchten sucht (Seite 19). Was auch noch interessant ist: der griechische und lateinische Be- griff „chroma“ und „color“ entstammen dem Bedeutungsfeld des Bedeckens und Umhüllens. Und bereits seit der Frühzeit wird der nackte weiße Stein bunt bemalt. Aber was ist, wenn Stein, Holz, Beton, Putz nicht mit Farbstoff bedeckt werden? Eine Farbe haben diese Materialien trotzdem. Zumindest in diesem Kontext wäre das Adjektiv nackt überflüssig, weil unser Gehirn uns alle Materialien farbig verhüllt. Monica Hoffmann 5 NACKT DAS UNIFORME Erwien Wachter „… auch die nacktheit ist eine uniform. … gerade die nacktheit ist eine uniform. … es gibt nicht nur die uniform, die man an hat, die man sich übergezogen hat. … die nackt- heit ist die uniform, die man immer an hat. die man auch an hat, wenn man sonst nichts an hat. … das nackte ist das uniforme … die uniform ist ein gleichmacher. von allen gleich- machern ist die nacktheit der wirksamste. nacktheit … ist die gleichmachendste aller uniformen. … nicht in der nackten nacktheit, sondern in der gekleideten (verkleideten!) manifestiert sich die erotische originalität des leibes. … die nackte nacktheit ist banal. die nackte nacktheit ist nicht erotisch. … Marc Mer 1997-2008 6 Es wäre vermessen, hier eine Chronik des nackte weibliche Wesen als Symbol des Sinnlichen und die unbän- Dialogs von Architektur und Nacktheit in der dige Kraft nackter Männlichkeit sind zusammengefügt als Personi- Geschichte und den Kulturen zu erstellen. Nur fikation der Schönheit und der Wertschätzung der Baukunst, sind gelegentlich treffen am selben Platz Bauwerk gefügt als Metaphern schicksalhafter Verknüpfung. Die Partituren und die Nacktheit als Skulptur zusammen, von Skulptur und Architektur ähneln sich im übertragenen Sinne aber fast nie in derselben Identität. Ich will durch Standfestigkeit und Proportion und trotz verschleierter dennoch einem möglicherweise brüchigen Sprache in erstaunlicher Weise. Sie erhellen die Parallelität beider Faden folgen, der gewisse Analogien in der Ausdrucksformen. Der Architektur als Projekt der „zweiten Haut“ Charakteristik beider Erscheinungsformen des Menschen und des ästhetisch-funktionalen Volumens, die zu verbinden sucht. In vier Schritten soll im Skulptur in räumlich-körperlicher Präsenz. Obwohl Nacktheit und Folgenden versucht werden, den Schleier über Architektur in ihrer Bestimmung durch den ihnen zugeordneten Ar- dem Denkansatz zu lüften. tikel dem Weiblichen zugewiesen werden, sind sie aufgrund ihres Wesens gleichzeitig dem Männlichen und Weiblichen verbunden, zwar einerseits unterschiedlich im Geschlecht, doch andererseits in Skulptur und Architektur Proportion, Konstruktion, Form und Deutung verbündet. Es kann nicht bedeutungslos sein, dass der Zufall mich bei der Recherche zum Thema Vielfalt und Ausdruck „nackt“ zu den oben zitierten Zeilen führte und mir im gleichen Zusammenhang der Stich Vertiefen wir diesen Eindruck: Immer wieder beschert uns die „Allegorie der Architektur“ erinnerlich wurde. Geschichte seit der Frühzeit bis in unsere Tage auf dem Sockel der Eine Verquickung bot sich gewissermaßen an: Schönheit nackte Körper – weibliche, männliche, stehend, sitzend, Gaetano Vascellini hat den Stich nach Skulp- liegend – als Miniaturen oder überlebensgroß als Kolosse, wie der turen von Chiarissimo Fancelli – aufgestellt im von Rhodos – oder als Idole, als Ideale, als Wertmaßstäbe der je- Giardino di Boboli in Florenz – um ca. 1789 weiligen Kulturen. Bleiben wir bei den Skulpturen: gleich Gemach- gefertigt. Zwei Gestalten sind auf dem Stich tes, in der jeweiligen Zeit trotz gleichender Thematik, vielleicht zu einer Gruppe komponiert: eine auf einem größen- und haltungsverschieden – ist das Gleichmacherei, öde Sockel sitzende nackte Frau und der sich auf für den Betrachter? Natürlich weit gefehlt. Schlimmstenfalls dem einen Sockel abstützende nackte Schmid Vordergründigen aufgesessen. Schon die oberflächlichste Versen- Vulkan, der römische Gott des Feuers. Das kung in die Skulptur eines nackten Körpers führt uns die Vielfalt 7 der Ausdrucksmittel vor, verführt das Interesse zur analytischen Gleichartigkeit, Differenz und Wiederholung Sichtung der jeweiligen Unterschiede, gebannt durch die Kraft des nachdenken. Nicht um sie gegeneinander aus- Frontalen, stehend oder sitzend, des Ausschreitens, des Kontra- zuspielen, sondern um objektive Auslegungen postischen, des Verwundenen, des Verschlungenen, des Zarten, in ihrer Unterschiedlichkeit und Bedeutung zu des Kraftvollen, des Fragmentierten, des Torsos. Schauen wir in die finden. Oder überhaupt eine grundsätzliche Gesichter, auf die Ausformung der Körperteile, die zurückgenom- Vergleichbarkeit zu negieren. Alles übertrie- menen, die expressiven, die überzeichneten. Welche Vielfalt in der ben und ohne Wert? Vielleicht! Assoziation, im Ausdruck, in der Narration, der Metaphorik. Macht und das Uniforme Gleichklang und Gleichmacherei Wir neigen heute dazu, Architektur als etwas Szenenwechsel nach diesem gedanklichen Seitenschritt. Zurück Fertiges, als Produkt zu werten, als etwas, das zum einleitenden Zitat. Zurück also zur Nacktheit als Uniform, als uns durch seine Oberfläche und Erscheinung Gleichmacherei, als Banalität. Es begegnet uns mittlerweile überall angeht, weniger als Prozess oder als das, was das Uniforme: fahren wir mit der Bahn, mit dem Auto, mit dem sie bedeutet, was sie sagt und bewirkt, und Bus an Häuserzeilen, Blöcken, an Vorder- oder Rückseiten vorbei, mehr noch als das, was sie erscheint und die sich vorüberspulen oder vorbei an Bauten, die sich den Rücken wie sie spricht. Wo also ist die Schwelle, die zuwenden, gehen wir übers Land, durch Dörfer und Städte, die Vielzahl in Gleichklang und Gleichmacherei Länder unserer Erde. Das Uniforme – wir treffen es überall auf trennt? Ist es das Serielle, das Massenprodukt, der ganzen Welt an. Dies nicht nur, weil wir überall dort waren, sind es die Teile, die die Fließbänder ausspu- sondern, weil uns die Bilderflut, die uns überspült, es uns vorführt: cken, die Roboter nach Algorithmen fertigen, in den kleinen Dingen, in den großen Dingen, in den mobilen Din- die uns die Euphorie eines positiv geladenen gen, in den Alltagsdingen, in den introvertierten, monologischen „Déjà-vu“ rauben? Wird in ihrer Gleichförmig- Solitären, die prägend in den Straßenräumen wirken mit den toten keit der beruhigende Wiedererkennungswert Augen der Häuser überall um uns. Langweilig? Ja, Gleichmacherei zur Abstumpfung und lässt sie unsere Wahr- ist langweilig, schon allein deshalb, weil unsere neuronalen Ströme nehmung verstummen, schläfert uns schließ- unterfordert werden, weil die Synapsen die Wahrnehmungen nicht lich ein? Klang und unbeseeltes Machwerk mehr als Reize identifizieren, weil sie ihre Informationen längst in verweisen in ihrer Unterscheidung auf ihre den Archiven des Bekannten abgelegt haben. Jetzt mag man über jeweilige Wirkfähigkeit zwischen Anregung 8 und Ermüdung, ja Ablehnung. Und doch treffen wir sie immer einer bunten, offenen Welt mit einer offenen wieder an, die „Uniformierten“, deren Sprache uns nichts mehr er- Gesellschaft und einer sicheren Existenz in zählt, nicht erzählt, an welchem Ort, an welcher Straße, in welcher einem geschützten Lebensraum diesem entge- Stadt, in welchem Land, in welchen anderen Räumen wir sind. Sie genstellen. Man kann aber auch dem Grund- spiegeln unverhüllt eine Welt des Überall und Nirgendwo, in der satz „wehret den Anfängen“ folgen, obwohl der Mensch hilflos und gewissermaßen nackt zum Konsumenten die Startschüsse dieser Wegbeschreibung mutiert, als Nummer durch die Welt irrt, dessen Gewohnheiten schon verklungen sind und der Lauf der Dinge in Großrechnern gespeichert sind, dessen Nummerierung von der unaufhaltsam
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