MAGISTERARBEIT Titel der Magisterarbeit „Kontextualisierte Betrachtung des Modellstücks Das rote Frauenbataillon als sinisiertes Hybridprodukt vor dem Hintergund der chinesischen Modernisierungsanstrengungen― Verfasserin Bakk. phil. Ulrike Kniesner angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, 2010 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 066 811 Studienrichtung lt. Studienblatt: Sinologie Betreuerin: Univ.- Prof. Dr. Susanne Weigelin-Schwiedrzik Meiner Schwester i Inhaltsverzeichnis 1 EINLEITUNG .......................................................................................................... 1 2 EXKURS: TANZ IN CHINA ................................................................................... 18 2.1 HISTORISCHER RÜCKBLICK ................................................................................................ 22 2.2 WESTLICHER IMPORT DES EURPÄISCHEN BÜHNENTANZES NACH CHINA: DIE CHINESISCHE TANZSZENE IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 20. JAHRHUNDERTS ................................................. 25 2.2.1 Wu Xiaobang und Dai Ailian – Pioniere des Zeitgenössischen Tanzes in China ................ 29 2.3 TANZ IN CHINA UNTER MAO ZEDONG ............................................................................... 30 2.3.1 Kulturrevolutionäre Modelle an vorderster Front: Die Jahre 1966-1976 .............................. 35 2.4 TENDENZEN IM TANZ IN CHINA HEUTE: VON DEN 80ERN INS 21. JAHRHUNDERT ................ 39 3 TANZ UND POLITIK ............................................................................................. 43 3.1 „AUS WASSER WERDE WEIN― – DEBATTE ZUR FUNKTION UND FUNKTIONALISIERUNG VON TANZ ...................................................................................................................................... 45 3.2 POLITISIERUNG DES THEATRALISCHEN TANZES ................................................................. 48 3.3 AUSFORMUNGEN VON PROPAGANDA IM KONTEXT DES BALLETTS DAS ROTE FRAUENBATAILLON ................................................................................................................. 53 4 DAS MODELLBALLETT DAS ROTE FRAUENBATAILLON ............................... 57 4.1 VON DER REFORM DER KUNST NACH MAßSTÄBEN MARXISTISCH-LENINISTISCHER UND MAO ZEDONG-IDEEN ZUR REVOLUTIONSKUNST ............................................................................... 57 4.1.1 „Make it revolutionary or ban it― – Die Entstehung des Modellballetts Das rote Frauenbataillon ............................................................................................................................. 67 4.2 INHALTLICHE DARSTELLUNG DES ROTEN FRAUENBATAILLONS IN SZENISCHER ABFOLGE ... 72 4.3 DARSTELLUNGSTECHNIKEN IM BALLETT DAS ROTE FRAUENBATAILLON UNTER DEM ASPEKT „TO MAKE THE PAST SERVE THE PRESENT AND FOREIGN THINGS SERVE CHINA― ....................... 77 4.3.1 Das san tuchu-Prinzip (三突出) ........................................................................................... 85 4.3.2 Die liang xiang-Technik (亮相) ............................................................................................. 88 4.3.3 Revolutionärer Realismus und revolutionärer Romantizismus (革命现实主义与革命浪漫主义) .................................................................................................... 89 ii 5 CONCLUSIO ......................................................................................................... 93 6 BIBLIOGRAPHIE .................................................................................................. 96 7 ANHANG: ABSTRACT, CURRICULUM VITAE ................................................. 106 iii 1 Einleitung Hochgelobt und zugleich maßlos verurteilt – die chinesischen Modellopern (yangbanxi1) – Produkte der Großen Proletarischen Kulturrevolution (wuchan jieji wenhua da geming) (1966-1976)2, achtzehn an der Zahl3, stellen ein Phänomen dar, dem in der Literatur bis heute immer wieder unzählige Seiten eingeräumt wurden. Im bedingungslosen Verhältnis zur jeweils urteilfällenden Partei4 stehend, unterwirft sich nicht nur die Beschäftigung mit der Kulturrevolution im Allgemeinen, sondern auch 1 Jiang Qing, die in der Literatur vielfach direkt in Verbindung mit der Initiierung und Kreation der Modellopern gebracht wird, bemächtigte sich erstmals 1965 in diesem Kontext des Terminus ‚Modell‗: ―On 27 April 1965, […], she spoke of ‗last year‘s three models‘ (qunian san kuai yangban). […] Later published documents from the February 1966 army conference on literature and art, […] suggest that ‗leaders should personally take charge, and bring forth good models‘ (lingdaoren yao qinzi zhua, gaohao de yangban).‖ (Clark 2008:59) Die offizielle Introduktion des Terminus ‗Modellstücke‘ (yangbanxi) fällt auf den 28. November 1966, wo Kang Sheng, Vorsitzender des Kulturrevolutionskomitees, im Zuge des ‚Capital Literature and Art Circles Proletarian Cultural Revolution Meetings‗ verkündet, dass es sich bei den fünf Pekingopern Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobern, Die rote Laterne, Seehafen, Shajiabang, und Überfall auf das Regiment Weißer Tiger, den Balletten Das weißhaarige Mädchen und Das rote Frauenbataillon, sowie der Sinfonie Shajiabang um ‗revolutionäre Modellstücke‘ (geming yangbanxi) handelt.(vgl. Clark 2008:59) 2 Die offizielle Datierung der KR umfasst den Zeitraum von 1966-1976, nichts desto trotz sei hier angemerkt das heute Theorien dazu übergehen diese Periodisierung in Hinsicht auf einzelne Aspekte der KR differenzierter zu betrachten, sei es einerseits diesen dekadischen Rahmen in kleinere Einheiten auf zu splitten, andererseits in Bezug auf spezifische Entwicklungen diesen auch zu sprengen. In diesem Zusammenhang verweist Paul Clark (2008:7) z.B. auf eine 2005 in China erschienene Publikation zum Thema Tanz in China seit 1949, deren Zäsursetzung auf die Jahre 1965, sowie 1975 entfällt. Siehe dazu u.a. auch Clark 2008:250, Esherick/Pickowicz/Walder 2006:17, Gao 2008:5; 3 In der Literatur wird häufig von 8 Modellopern gesprochen. Diese 8 bilden, nicht zuletzt auf Grund ihrer Popularität und ihres frühen Erscheinungsdatums, unumstritten den Kern der kulturrevolutionären Bühnenstücke. Zu den „8 Modellopern― zählen: Die Opern Die rote Laterne (Hong dengji), Shajiabang (Shajiabang), Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobern (Zhiqu weihushan), Überfall auf das Regiment Weißer Tiger (Qixi baihutuan), Seehafen (Haigang), die Ballette Das weißhaarige Mädchen (Baimaonü), Das rote Frauenbataillon (Hongse niangzijun) und die Sinfonie Shajiabang (Shajiabang). Darüberhinaus ist zu bemerken, dass einzelne Sujets oft auch mehrmals in unterschiedlichen Versionen, sprich Oper, Ballett, Sinfonie unter demselben Namen neu adaptiert wurden. Die Zahl der Modellopern beläuft sich tatsächlich insgesamt auf achtzehn Werke, darunter: Die Opern Die rote Laterne (Hong dengji), Das Dorf Shajiabang (Shajiabang), Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobern (Zhiqu weihushan), Überfall auf das Regiment Weißer Tiger (Qixi baihutuan) und das Ballett Das rote Frauenbataillon (Hongse niangzijun), die Oper Seehafen (Haigang), die Sinfonie Das Dorf Shajiabang (Shajiabang), das Ballett Das weißhaarige Mädchen (Baimaonü), das Klavierkonzert mit Gesang Die rote Laterne (Hong dengji), das Klavierkonzert Der gelbe Fluß (Huanghe), die Oper Das rote Frauenbataillon (Hongse niangzijun), die Oper Kampf in der Ebene (Pingyuan zuo zhan), das Ballett Ode an den Berg Yimeng (Yimeng song), das Ballett Kinder des Graslandes (Caoyuan ernü); 1972: Die Oper Ode an den Drachenfluß (Longjian song); 1973: Die Oper Azaleenberg (Dujuanshan), die Sinfonie Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobern (Zhiqu weihushan); 1975: Die Oper Felsenbucht (Panshiwan); (vgl. Mittler in: http://www.sino.uni- heidelberg.de/staff/mittler/list_ybx.htm, Michel 1982:147) 4 „Partei― wird hier in seiner allgemeinen Definition bezugnehmend auf die partizipierenden Akteure gebraucht, d.h. in diesem Fall die Urheber der schriftlichen Urteile, und nicht bezugnehmend auf die Kommunistische Partei. 1 die hier zur Diskussion vorliegende spezifische Thematik bis heute in erster Linie einem jeweils politisch motiviertem Diskurs, was gleichermaßen auf chinesische, sowie auf westliche Rezeptionen der KR und spezifischer mit der KR in Relation gebrachter Phänomene zutrifft, wobei sich einzelne Autoren dieser Tatsache nicht immer gewahr zu sein scheinen. Dieses spiegelt sich folglich in der Praxis einer Auseinandersetzung mit der KR insofern wieder, als dass sich der Großteil der Literatur zum Thema Kulturrevolution bislang vorrangig zwar Beschreibungen von Ereignissen, persönlicher Kämpfe Einzelner und intriganter Machenschaften im Politapparat widmet, gleichzeitig aber umstrittene politische und sozio-ökonomische Belange der Gesellschaft dieser Zeit ignoriert. Diese Ausführungen rechtfertigen auf der einen Seite die aktuellen Ansichten und Meinungen ihrer Autoren, auf der anderen Seite unterschlagen sie dabei aber unangenehme historische Fakten und fördern damit Assoziationen an eine in der Pekingoper bevorzugten Darstellungspraxis – der schwarz-weiß-Malerei. Analog zur Idee, dass unverfälscht Gutes im Kontrast zu leibhaftig Bösem steht, werden so legitime kontestierende Erinnerungen untergraben. (vgl. Gao 2008:10) Bezogen auf die kulturrevolutionären Bühnenwerke, die hier den Fokus bilden sollen, gehen die Auseinandersetzungen selten über Beschreibungen einerseits der Stücke selbst, andererseits der im Schaffungsprozess involvierten Personen hinaus. Von der Abwesenheit einer tiefergreifenden
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