Mythos BPRS-Literatur? Zum Widersprüchlichen Umgang Mit Der BPRS-Tradition in Der DDR

Mythos BPRS-Literatur? Zum Widersprüchlichen Umgang Mit Der BPRS-Tradition in Der DDR

UTOPIE kreativ, H. 102 (April) 1999, S. 64-71 64 SIMONE BARCK Mythos BPRS-Literatur? Zum widersprüchlichen Umgang mit der BPRS-Tradition in der DDR Als sich das kleine Häuflein von Interessenten zu dem von der »Hellen Panke« organisierten »Literaturhistorischen Kolloquium zum 70. Jahrestag der Gründung des BPRS« Anfang November vorigen Jahres in Berlin eingefunden hatte, wurde auch rein optisch sichtbar, wie wenig heute eine solche Tradition öffentliches Inter- esse findet. Ohne nostalgisch zu sein, konnte man sich gut vorstel- len, daß in DDR-Zeiten zu diesem Anlaß wohl mindestens eine größere wissenschaftliche Konferenz mit internationaler Beteili- gung stattgefunden hätte, denn immerhin war ja die proletarisch- revolutionäre Literatur auch eine internationale Literaturströmung und hatte durchaus ihre kompetenten ausländischen Interpreten. Gegenüber einer solchen Konferenz, die in kritischer Bilanz des er- reichten Forschungsstandes1 den historischen Platz dieser Literatur Simone Barck – Jg. 1944, in der deutschen Literaturentwicklung des 20. Jahrhunderts zu be- Dr. sc., Literaturwissen- stimmen gesucht hätte, konnten hier auch mehr Fragen gestellt als schaftlerin, Berlin. Antworten gegeben werden. Hilfreich hierfür waren vor allem 1970-1991 wissenschaftli- che Mitarbeiterin am Zen- die Erfahrungsberichte der beiden anwesenden hochbetagten tralinstitut für Literaturge- BPRS-Mitglieder, Elfriede Brüning und Jan Koplowitz, die infor- schichte der Akademie der mativ, engagiert und recht streitbar ausfielen. Sie gaben u.a. auf- Wisenschaften der DDR; schlußreiche Einblicke in die widersprüchliche Rezeption der z.Z. wissenschaftliche Mitar- BPRS-Tradition in der DDR, deren Etappen und Verläufe noch beiterin und Projektleiterin einer kulturpolitischen und alltagsgeschichtlichen Gesamtanalyse amZentrum für Zeitge- harren. Die folgenden Bemerkungen sind daher in ihrer fragmenta- schichtliche Forschung Potsdam. rischen Ausführung eher als Diskussionsangebot gedacht, denn als empirisch abgesicherte Thesen zu verstehen. Dieser Vortrag wurde auf Die BPRS-Tradition stellt sich als eine mehrfach gebrochene dar. dem Literaturhistorischen Zum einen durch den Nationalsozialismus, der den Bund verbot, Kolloquium zum 70. Jahres- seine Mitglieder verfolgte und zahlreiche umbrachte. Zum zweiten tag der Gründung des Bun- durch die zunächst mißglückte Wiederbelebung dieser Tradition des proletarisch-revolutio- nach 1945. Zum dritten durch die kulturpolitische Instrumentali- närer Schriftsteller Deutsch- lands, das am 4. November sierung seit 1957, in der die BPRS-Tradition diskursiv verengt und 1998 vom Verein »Helle Pan- zur Ausgrenzung anderer Traditionen herhalten mußte. Anderer- ke« Berlin durchgeführt seits erfolgte zeitgleich auf dem »Bitterfelder Weg« der tatsächli- wurde, gehalten. che Versuch eines produktiven Rekurses im Sinne der praktischen Verbundenheit der Schriftsteller mit der gesellschaftlichen bzw. 1 Vgl. hierzu: Der BPRS. materiellen Praxis. Denn das war immer das »Herzstück« der pro- Bibliotheksbrief 10/1998 (hg. Stiftung Archiv der Par- letarisch-revolutionären Literaturströmung gewesen, das Schreiben teien und Massenorganisa- von der Basis her in einer für die »Massen« wirksamen Form. tionen im Bundesarchiv), Davon zeugten ihre Losung »Kunst ist Waffe« oder die auf ihre Teil 1, außerdem: Lexikon Wurzeln im 19. Jahrhundert verweisenden seltsam antiquiert klin- 65 BARCK BPRS-Tradition genden Motti »Mit Feder und Faust« oder »Mit Hammer und Fe- sozialistischer Literatur. Ihre der«. Die »moderne« DDR-Literatur, beginnend mit Anfang der Geschichte in Deutschland , sechziger Jahre, ist ohne den Bitterfelder Weg und die Auseinan- hg. von Simone Barck, dersetzungen um ihn nicht denkbar. Der in den sechziger Jahren Silvia Schlenstedt, Tanja Bürgel, Volker Giel und aufbrechende Generationskonflikt, von der SED-Führung stets als Dieter Schiller, Stuttgart »gefährlich« geleugnet, hatte auch eine Komponente in den Posi- und Weimar 1994. tionen der BPRS-Autoren, ging aber weit darüber hinaus. Zu erinnern wäre vor allem an drei historische Etappen im Um- gang mit der BPRS-Tradition, dabei können einige aufschlußreiche Beispiele zeigen, wie sich die Problematik in der Selbstwahrneh- mung der Aktivisten dieser Bewegung spiegelt. Die erste Etappe ist mit der 1946 gegründeten Arbeitsgemein- schaft sozialistischer Schriftsteller und Journalisten verbunden. Einer »losen Verbindung Gleichgesinnter«2, die vom Kulturbund 2 Elfriede Brüning: und Johannes R. Becher persönlich wegen des Anschlusses an Die schönen und schweren die BPRS-Tradition kritisiert wurde. Teilnehmer waren u.a.: Karl frühen Jahre, in: Von Abra- Grünberg, Kurt Huhn, Peter Kast, Werner Ilberg, Paul Körner- ham bis Zwerenz, hg. vom Bundesministerium für Bil- Schrader, Jan Koplowitz, Kuba, Jan Petersen, Georg Pijet, Ludwig dung, Wissenschaft, For- Turek, Berta Waterstradt. Die im Zusammenhang der Gründung schung und Technologie/ des Deutschen Sschriftstellerverbandes erfolgte Auflösung dieser Wissenschaft und Weiter- AG wurde von den Betroffenen als ungewollt und als »Eingriff« in bildung Rheinland Pfalz ihre Arbeitsrichtung interpretiert. Auch auf dem 1947er Schriftstel- 1995, S. 209. Vgl. auch lerkongreß hatte diese Gruppe sich nicht eigentlich artikulieren Elfriede Brünings Autobio- können, nur von Jan Petersen, dem legendären Mann mit der graphie: Und außerdem war es mein Leben, Aufzeich- schwarzen Maske auf dem Pariser Schriftstellerkongreß von 1935, nungen einer Schriftstellerin war an den illegalen BPRS und an seine ermordeten Mitglieder Berlin 1994. erinnert worden.3 Der spezifisch proletarisch-revolutionäre Ansatz, die operativen Schreibweisen waren nicht Teil des literarischen 3 Vgl. hierzu: Erster Deut- Nachkriegs-Diskurses, der vor allem im Zeichen antifaschistischer scher Schriftstellerkongreß Bündnispolitik stand, wie sie Becher mit dem Kulturbund zu prak- 4.-8. Oktober 1947, Proto- tizieren suchte. kolle und Dokumente, hg. von Ursula Reinhold, Dieter Eine zweite Etappe kann mit dem 1956er (noch gesamtdeut- Schiller und Horst Tanneber- schen) Schriftstellerkongreß in Verbindung gebracht werden. Tau- ger, Berlin 1997, chen doch hier in Bechers und Brechts Reden ausdrückliche S. 157/158. Appelle zur produktiven Erinnerung an die proletarisch-revolu- tionäre Literatur auf. Bei Becher als Kulturminister konzeptionell- programmatisch als Ausführungen zur »Literatur der Arbeiter- klasse«. Das »war keine Literatur für Feinschmecker und Snobs, nichts für Saturierte und Sensationslüsterne. Das war aber auch 4 Johannes R. Becher: keine Literatur der gähnenden Langeweile, nichts für Mucker Von der Größe unserer und Zimperliche. Das war eine Pionierliteratur, eine Literatur der Literatur, in: IV. Deutscher aufgekrempelten Hemdsärmel, eine Literatur großartiger, vernich- Schriftstellerkongreß Januar tender Attacken gegen die herrschende Klasse, eine Literatur, 1956, Beiträge zur deut- Dickichte von Aberglauben, Urwaldhaftes rodend und das Dschun- schen Gegenwartsliteratur, gel der kapitalistischen Anarchie lichtend mit dem literarischen Heft 1, Berlin 1956, S. 13/14. 4 Vgl. auch zur lebenslang Buschmesser.« Becher erinnert an die antifaschistische Leistung widersprüchlichen Haltung dieser Literatur in und außerhalb Deutschlands. »Es ist an der Zeit, Bechers zu seiner proleta- die Geschichte unserer Literatur in diesen Jahren zu schreiben, risch-revolutionären Vergan- denn es gehört mit zu den besten deutschen Traditionen, die wir genheit: Jens-Fietje Dwars: damals geschaffen hatten.« Brecht hält es angesichts des Zustandes Abgrund des Widerspruchs. der Theater-Öffentlichkeit für notwendig, wieder zu den kleinen, Das Leben des Johannes notwendigen Kampfformen zu kommen, »wie wir sie einmal in R. Becher, Berlin 1998. BARCK BPRS-Tradition 66 der Agitprop-Bewegung gehabt haben«. Er spricht sich aus für Experimente und volkstheaterhafte Formen und schlägt gegenüber der Skepsis des Amtes für Literatur, dem es an politischem Instinkt mangele, vor, Sketche, Songs und Kampflieder von vor 1933 und aus dem Exil als »Beispiele« neu herauszubringen. Er betont: »Die kleine Form gestattet ein direktes Sichengagieren im Kampf. Denn wir werden mit einer Kampfphase rechnen müssen, und wir wer- den unsere Gemütlichkeit irgendwann ablegen, bekämpfen müs- 5 Bertolt Brecht: Aus- sen, zusammen mit anderen kleinbürgerlichen Bestrebungen«.5 führungen vor der Sektion In der Diskussion um den kritischen Zustand der Gegenwartsli- Dramatik, in: IV. Deutscher teratur, an der vor allem Schematismus (durch Anna Seghers) und Schriftstellerkongreß Januar 1956, a. a. O. S. 160. ein »hölzerner Primitivismus« (durch Stefan Heym) gerügt wurde, verteidigten vor allem Kuba und Bredel die Richtung der in der BPRS-Tradition stehenden Betriebsromane vom Typ »Roheisen« (1955) von Hans Marchwitza, der schon mit zwei Titeln in der populären Reihe »Der Rote 1 Mark-Roman« des Internationalen Arbeiter-Verlages vertreten gewesen war (»Sturm auf Essen«, 1931 und »Schlacht vor Kohle«, 1931). Alexander Abusch warnte hin- gegen vor einem Rückfall in Rapp-Tendenzen. Wegen Hans Mayers Thesen von der mangelnden Opulenz der jungen DDR-Literatur und der »unerhörten« Kontroverse zwischen Heym und Ulbricht (es ging im Kern um die »hohen« Anforderungen an die Literatur, die Kämpfe der Gegenwart zu gestalten) wurde ZK-parteiintern der Kongreß kulturpolitisch als »Skandal« eingeschätzt. Die Orientie- rung des Kongresses auf sozialistischen Realismus und eine sozia- listische deutsche Nationalliteratur hingegen war die kulturpoliti- sche Marschrichtung,

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