wächter des bösen Te x t P e T e r ri c h Te r Fo to s T o d d S e l by Wie ein morbides Ehepaar den New Yorker Kunst-Underground am Leben erhält Oben: Der Teufel, der nun zu Joe Colemans Odditorium gehört, stammt aus einem Wachs­ figurenmuseum in South Carolina. Rechte Seite: Whitney Ward und Joe Coleman, der auch 98 Süddeutsche Zeitung Magazin seine Weste als ein Kunstwerk begreift – behängt mit all seinen persönlichen Amuletten. die Bühne warf, als sie mit 13 begriffen zu die Horrortaten von Lustmördern in seinen haben meinte, warum Frauen so etwas tun. Gemälden, die zu gleichen Teilen etwas von Und er malte, wie sie mit 17 von ihrem ers­ Altarbildern, Comics und Moritatentafeln ten Freund fast tot geprügelt wurde. Er mal­ haben. Es ist das, wofür Joe Coleman zu sei­ te die Schwester, die einen Hirntumor über­ nem Ruf gekommen ist, bei Kunstsammlern lebt hat, und er malte den Hirntumor, den und Kuratoren genauso wie in jenen Subkul­ die Mutter nicht überlebt hat. Und Stewie, turen, die sich für das Makabre interessieren. dDie Mermaid Parade an New Yorks Volks­ das vorlaute Kind aus der Trickfilmserie Diese Welten sind ja gar nicht so weit von­ badestrand in Coney Island ist ein bisschen Family Guy. Und siamesische Sexpuppen. einander entfernt, wie beide Seiten mögli­ wie Karneval, nur im Sommer. Alle gehen als Und, und, und. Er malte mehr erstaunliche, cherweise manchmal denken. Der Philosoph Meerjungfrauen oder als Seeungeheuer. Die groteske, schreckliche und vergnügliche Edmund Burke war sich schon im 18. Jahr­ betörendste Meerjungfrau, gleichzeitig auch Details auf diese Leinwand als Hieronymus hundert sicher, dass vor der Wahl zwischen das eindrucksvollste Seeungeheuer, war Bosch in seinen berühmten Garten der Lüste. einer mehrstündigen Opernaufführung und dieses Jahr – wie in fast all den Jahren zuvor Und als er damit fertig war, schrieb er mit einer öffentlichen Hinrichtung die meisten – eine divenhafte, blonde Frau. Aus ihren schnörkeliger Schrift seinen Namen dazu: Leute das Letztere bevorzögen. Und Burke Brüsten wuchsen Tintenfischtentakel. Der »Joe Coleman 2011–2015«. Der Name der war immerhin derjenige, der den Schrecken linke Arm steckte in einer großen Hummer­ Frau, in deren Erinnerungen, Lüsten und – als »das Erhabene« – zu jener ästhetischen schere. Im rechten hielt sie eine Babypuppe Ängsten er so tief herumgekrochen war, dass Kategorie erklärt hat, die heute in unseren mit zwei Köpfen, einer davon mit Vampir­ er von innen wieder herausschauen konnte, Museen viel zentraler ist als das Schöne und zähnen. Die Fotografen konnten nicht genug steht sowieso überall im Bild. Er lautet Gute. von ihr kriegen. Der Zug kam nicht voran Whitney Ward. Was aber Whitney Ward tut, Wem die Tür zu Joe und Whitneys Woh­ deswegen. Sie winkte mit der siamesischen beruflich, dafür gibt es eine ganze Menge nung in Brooklyn aufgetan wird, der kommt Babypuppe einem von Begriffen. Sie so gesehen auch in ein Museum. Joe nennt Mann auf der Tribü­ leuchten allesamt am es sein »Odditorium«, wegen der vielen Od­ ne der Preisrichter Fußende aus dem dities, der Seltsamkeiten, die er da angesam­ Das Odditorium ist ein Ort mit wirklich vielen Dingen. Auf dem Bild unten zu. Der Mann nahm joe hat auch Bild wie Neonrekla­ melt hat. Würden Joe und Whitney einen paradieren in vorderster Reihe: O.J. Simpson (links am Bildrand), der Mor­ seinen Sonnenhut men in einem Rot­ nicht mit freundlichen Worten und jeweils monenführer Brigham Young (mit Kinnbart), der grinsende Nixon in einem Priestergewand und Charles Manson (vorne rechts). und winkte zurück. eine ampulle lichtviertel: Thera­ einer Kaffeetasse voll Weißwein begrüßen, Er sah sehr gelöst, peutin, Hetäre, Do­ könnte man sie im ersten Moment für zwei sehr glücklich aus in mit nixons blut minatrix … Mit den weitere der Wachsfiguren halten, die das dem Augenblick. Er Absätzen ihrer High Wohnzimmer füllen, zusammengetragen aus hatte auch Grund – geschenk Heels zerquetscht sie all den Gruselkabinetten, die in den ver­ dazu: Während sie ein wenig Gewürm, gangenen Jahrzehnten das Geschäft aufgege­ diesen Auftritt hier einer regie- und eine Inschrift ben haben. Er trägt den dreiteiligen Anzug vorbereitet hatte (zu­ lehrt, dass das keines­ und den gezwirbelten Bart eines Schau­ sammen mit dem rungskranken- wegs nur symbolisch budendirektors aus dem 19. Jahrhundert; sie Kostümbildner der gemeint ist. steht da, als könne wegen ihr jederzeit eine Scho ckro ck­Band schwester Dies hier ist, eigent­ Saloon­Schlägerei losbrechen und auch nur GWAR), war endlich lich, die Geschichte von ihr wieder befriedet werden. Zwischen ihr Porträt fertig ge­ einer großen Liebe. sich haben sie O. J. Simpson und Brigham worden. Möglicherweise das größte, detail­ Aber es kommt eine ganze Menge Leid darin Young, hochangesehenes Oberhaupt der reichste und aufwendigste, das je ein Mann vor, Grausamkeiten, auch elektrische Stühle Mormonen, in dessen Amtszeit allerdings von seiner Frau gemacht hat. und Gläser mit eingelegten Missgeburten nicht nur die Gründung von Salt Lake City Vier Jahre! Vier Jahre lang hat er so gut darin. Eigentlich geht es um die dunkle, fällt, sondern auch das Massaker von Moun­ wie jeden Tag acht Stunden in einem win­ schillernde Welt von Joe und Whitney, dem tain Meadows, bei dem seine Leute 1857 als zigen Zimmer in Brooklyn vor dieser Lein­ glamourösesten Paar dessen, was vom New Indianer verkleidet 120 durchreisende Sied­ wand gehockt, dicke Vergrößerungsgläser Yorker Underground noch übrig ist. Aber lern abschlachteten. Und direkt daneben vor den Augen, einen Pinsel mit nicht viel deshalb muss es eben auch darum gehen, steht, diabolisch von unten beleuchtet, ein mehr als einem Haar in der Hand. Zwischen­ was für diese beiden das Eigentliche ist: der grinsender Präsident Nixon. durch, zur Mittagszeit, ging er mal eine Stun­ Schmerz, ohne den die Lust und das Leben Warum auch Nixon? de ins Gym, um den Rücken wieder gerade ihren Wert nicht hätten. »Just to fuck with them.« zu kriegen, dann malte er weiter. Er malte – »Painting« kommt von »pain«, sagt Joe, Dass Joe ein unpolitischer Künstler wäre, nahezu lebensgroß – seine Ehefrau, und da­ und damit meine er nicht nur die strapaziöse kann man also schon mal nicht sagen, und neben malte er – miniaturhaft klein – ihre Art, wie er malt, sondern auch was. Norma­ mit Nixon hat er es irgendwie. Er besitzt auch Familie, ihre Freunde, ihre Obsessionen und lerweise verwendet er bis zu ein Jahr auf die eine Ampulle mit Nixons Blut, eine Regie­ ihre Dämonen. Er malte, nur zum Beispiel, Darstellung eines Serienkillers; normaler­ rungskrankenschwester hat sie Joe zum fünf­ den Sänger Tom Jones, dem sie Schlüpfer auf weise schildert er die Lebensgeschichten und zigsten Geburtstag geschenkt. Die Ampulle 100 Süddeutsche Zeitung Magazin »Painting« komme von »pain«, meint Joe Coleman: An dem gewaltigen Porträt seiner Frau hat er vier Jahre lang gearbeitet – links ein kleiner Ausschnitt. wird nun neben indianischen Schrumpf­ diese Outlaws, deren grausame Grenzüber­ Joe: »Ich konnte einfach ihre Aufmerksam­ köpfen und dem abgetrennten Penis aus Jörg schreitungen wieder und wieder in Filmen, keit nicht kriegen. Da hab ich dann das mit Buttgereits Nekromantik 2 verwahrt. (Ein Ge­ Liedern, Büchern besungen wurden und den Tumoren gesagt. Das hat funktioniert.« schenk des Regisseurs; Coleman war der Erste, werden, zum vergnügten Grusel unbeschol­ Whitney: »Nach der ganzen freundlichen der den in Deutschland verbotenen Autoren­ tener Bürger. Warum das so viele Leute faszi­ Konversation dachte ich: Wow, das ist mal Horrorfilm in den USA in ein Kino brachte.) niert? eine Einladung.« In der Hauptsache dreht sich die Sammlung Komplexe psychologische Frage, schreibt Joe: »Der Spruch muss ja nur ein einziges aber um so berühmte Serienmörder wie der Kulturwissenschaftler Harold Schechter Mal funktionieren.« Richard Speck oder Ed Gein oder Charles von der City University of New York in sei­ Whitney: »Und dann hast du meine Tele­ Manson oder John Wayne Gacy. Mit einigen nem Standardwerk The Serial Killer Files. Viel­ fonnummer auf einer Einladung zu einer ist Joe in Briefkontakt. Manson schickte eine leicht, um sich für die Dauer eines Buches Hustler­Party notiert. Das Bild zeigte Frauen, Haar locke. Nachdem Joes Mutter gestorben oder eines Filmes mit denen zu identifizie­ die in einen Fleischwolf geschoben werden.« war, schrieb Gacy, der Killer­Clown von Chi­ ren, die jene dunklen, ungeregelten Impulse Whitney wusste ja, mit wem sie sich Joes cago, einen lieben Kondolenzbrief: »Ich hoffe, ausleben, die der Rest von uns zivil unter­ Sensibilität und Einfühlung zu teilen haben sie musste nicht leiden.« drückt. Vielleicht aber auch, um damit das würde. Da gehe einem so dies und das durch den eigene zuckende Leben zu feiern. Es handelt Joe Coleman, geboren am 22.11.55 in Kopf, sagt Joe, wenn sich ja immer nur um Norwalk, Connecticut, und aufgewachsen in einer so was schreibt, ein Überleben, wenn der Ward Street Nummer 99, glaubt zwar der 33 Jungen auf zum amerikanischen eher an die schicksalhafte Kraft solcher dem Gewissen hat. der satz, mit Traum vom guten Le­ Schnapszahlen als an den lieben Gott. Aber »Aber ich glaube ben immer der ame­ er wurde eben auch als Katholik erzogen, trotzdem, er meinte dem joe whit- rikanische Albtraum und als er das erste Mal einen Mann malen das sogar aufrichtig.« gehört, dass der nett durfte, der mit Nägeln durch die Hände an Joe besitzt auch ei­ ney rumkrieg- winkende Nachbar ein Kreuz gehämmert wird, war ein Faible nen Brief, den der sich als Psychopath für Splatter geweckt, an welchem der Priester Sadist und Kannibale te: »ich habe entpuppt, der in sei­ sozusagen selbst schuld war, dem er dann im Albert Fish, Vorbild ner Garage gleich die Beichtstuhl zum Spaß Serienmorde gestand, unter anderem für da einen neuen Säurefässer umrüh­ die er sich ausgedacht hatte. (In dem schö­ die populäre Gru­ ren geht. So ein Le­ nen Dokumentarfilm Rest in Pieces, der vor selfigur Hannibal tumor in einem ben, gerade in Ameri­ vielen Jahren über Joe gedreht wurde, erzählt Lecter, im November ka, ist also eher ein er diese Geschichte seinem begeisterten Fan 1934 an die Mutter einweckglas« glückliches Davon­ Jim Jarmusch.
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