23/Boxen (Page 174)

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M. SANDTER / BONGARTS Schwergewichtsprofi Wladimir Klitschko (im Kampf gegen Hassan 1997): Eine Art Naturereignis Das Dilemma, in dem die Klitschkos BOXEN stecken, ist symptomatisch für das Box- geschäft: Einerseits riskiert das Schulz- Management mit seiner Verweigerungshal- Weiche Seele, harter Bums tung den letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Andererseits ist es für ausländische Profis In Deutschland strecken Wladimir und Witalij Klitschko in Deutschland generell schwierig, aner- kannt zu werden – wie das Beispiel von ihre Gegner in Serie nieder; Axel Schulz meidet den Kampf. Jetzt Halbschwergewichts-Weltmeister Dariusz drängen die Söhne eines ukrainischen Generals nach Amerika. Michalczewski zeigt. Der gebürtige Dan- ziger gibt mittlerweile im Fernsehen Polen- as Personal in den Katakomben der „Universum“, sind die große Hoffnung im Witze zum besten und kickt mit den Fuß- Lübecker Hanse-Halle wird lang- Schwergewicht made in Germany. 19 K.-o.- ballern des FC St. Pauli, nur um Identifika- Dsam unruhig: Das Gemäuer bebt. Siege in 19 Kämpfen lautet die Bilanz von tion herzustellen. Einen Stellenwert wie Ein Fernsehteam dringt in das Epizen- Witalij, Wladimir gewann 18mal vorzeitig. ehedem Maske wird Michalczewski trotz trum der Erschütterungen vor, es liegt in ei- Die Reduktion auf das Wesentliche ist aller Bemühungen dennoch nie erreichen. ner Umkleidekabine. Dort stehen zwei ihre Strategie, um sich beim deutschen Pu- Obendrein diktiert immer häufiger das Männer vor einer Wand und bearbeiten blikum einen Ruf zu verschaffen. Denn zu Fernsehen, wer wo gegen wen kämpft. Im mit ihren Fäusten den Beton. nationalen Lieblingen werden sie es als Fall Klitschko/Schulz befinden sich die je- Die Schwergewichtler Wladimir, 22, und Ukrainer nicht bringen – ein Kampf gegen weiligen Manager in einem Stellungskrieg: Witalij Klitschko, 26, schlagen sich warm. Branchenführer Axel Schulz, der ihre Po- Der Boxstall von Wilfried Sauerland, für Der Raum vibriert wie eine von donnern- pularitätswerte steigern könnte, steht in den Schulz antritt, hat eine Liaison mit den Bässen durchzuckte Techno-Disko. Die weiter Ferne: Der blonde Ossi ziert sich. dem Sender RTL. Die Klitschkos wiederum Umkleidespinde scheppern, zwei Mineral- sind über „Universum“ mit Sat 1 verban- wasserflaschen kippen von einer Bank. delt. Weil sich kein Sender die Quote ent- Die Kamera umschwirrt die kolossalen gehen lassen will, die ein Kampf zwischen Hauer, der eine,Wladimir, zwei Meter von einem der Klitschkos und Schulz brächte, Wuchs, der andere,Witalij, noch zwei Zen- glauben Experten, daß er überhaupt nicht timeter größer. Die Boxer grinsen und sind mehr zustande kommen wird. zufrieden mit ihrer Demonstration. Denn Der Mann, den dieser Zustand am ge- genau so wollen sie rüberkommen: als eine waltigsten fuchst, heißt Klaus-Peter Kohl. Art Naturereignis. Vor anderthalb Jahren verpflichtete der Mit Henry Maske erfand das Fernsehen Promoter die beiden Ukrainer. Wladimir einst den boxenden Gentleman. Axel hatte als Olympiasieger 1996 in Atlanta auf Schulz wurde von findigen Imageberatern sich aufmerksam gemacht. Witalij war ein als der nette Junge aus Frankfurt (Oder) in Jahr zuvor Vizeweltmeister bei den Ama- Szene gesetzt. Das Brüderpaar kehrt zu teuren. Obschon auch der mächtige Kolle- den Ursprüngen zurück – es setzt wieder WITTERS / SPORT-PRESSE-FOTOS W. ge Don King aus den USA um die Klitsch- auf die Wirkung seiner Fäuste. Die Klitsch- Brüder Witalij und Wladimir Klitschko kos warb, unterzeichneten sie bei Kohl. kos, Angestellte des Hamburger Boxstalls „Traum jeder Schwiegermutter“ Seitdem befindet sich der im Goldrausch. 174 der spiegel 23/1998 Sport So oft er kann, inspiziert der Manager der dem großen die Schultern. seine zukünftige Geldquelle beim Training Kämpft Wladimir, schmiert Wi- im Übungszentrum in Hamburg-Wands- talij Salbe auf die Wunden. „Sieg bek. Im legeren T-Shirt, die Füße in weiße der Familie“ nennen sie das. Slipper geborgen, schaut er zufrieden in Selbst die ansonsten in der den Ring: Krachend landet eine Links- Branche beliebte Verbal-Kraft- rechts-Kombination in den Schutzhand- meierei ist beiden fremd. schuhen, die Trainer Fritz Sdunek seinem Schüchtern betonen sie, „Schritt Schüler Wladimir hinhält. Den Coach für Schritt“ den Weg nach oben hebelt die Wucht der Einschläge aus dem nehmen zu wollen.Wer mehrere Gleichgewicht. Den Augenzeugen auf Stufen zu überspringen versu- der Tribüne durchzuckt es. „Mein Gott“, che, erklären sie weise, „der fällt stöhnt Kohl wohlig, „diese Kraft.“ schnell herunter“. Wenn Witalij Bis Ende 1999 hat er den Klitschkos Zeit bei einem öffentlichen Auftritt gegeben, sich in Ruhe auf große Aufgaben Schulz zum Duell fordert („Axel, vorzubereiten, womit selbstverständlich ich warte auf dich“), dann klingt ein Weltmeisterschaftskampf gemeint ist. das wie eine Einladung zum Weil er weiß, daß die Ukrainer hierzulan- Cappuccino. Und Interviews be- de nicht den großen Reibach bringen wer- enden die Studenten der Sport- den, dient Deutschland nur als Sprung- wissenschaft an der Universität brett. „Unser Ziel heißt USA“,sagt Kohl. Kiew gern mit dem schmei- Die Klitschkos sollen auch Kohls Ego chelnden Satz: „Ich glaube, das heilen, der lange zusehen mußte, wie das wird eine tolle Geschichte.“ Duo Maske/Sauerland Kasse machte.Wenn So geistern die Umhauer aus es gelänge, zwei weiße Schwergewichtler in der Ukraine nun als „Traum je- Las Vegas zu etablieren, dann wäre Kohl der Schwiegermutter“ (Kohl) der König der deutschen Boxmanager. Al- BONGARTS durch die Gazetten. Berichtet lein diese Vorstellung bringt ihn in Wal- Boxer Witalij Klitschko, Promoter Kohl wird von Ausflügen in Theater lung, euphorisch klatscht er seine Hand- „Mein Gott, diese Kraft“ und Museen. Schöngeist Witalij flächen auf die Oberschenkel: „Das wär’s.“ kündigt an, eine Dalí-Lithogra- Und in der Tat gilt Witalij Klitschko als Gleichzeitig zum sportlichen Werbe- phie erstehen zu wollen. Am Rande einer einer der schlagstärksten Boxer in Europa. feldzug läuft eine Imagekampagne, um die Musikpreis-Verleihung treffen sie zum Er hat manchmal Probleme mit seiner starken Brüder dem Publikum auch außer- Plausch den Rocksänger Bon Jovi. Und Hand, weil die Knochen die Gewalt seiner halb des Rings schmackhaft zu machen. auch an rührenden Geschichten aus dem Schläge kaum aushalten.Wladimir, dessen Angedacht war zunächst die Rolle der fei- Liebesleben der netten Kerle mit dem har- Linke der Trainer von Weltmeister Evander sten Bösewichte aus dem dunklen, kalten ten Bums mangelt es nicht: „Boxer Klitsch- Holyfield, Don Turner, als „Weltklasse“ Osten in Anlehnung an den Kinoerfolg ko – für Natascha ging er zu Boden.“ bezeichnete, glänzt zudem mit den Fit- „Rocky IV“ mit Sylvester Stallone. Die Kohls Politik, die beiden Hoffnungsträ- neßwerten eines Fußballprofis. Idee erwies sich jedoch als unrealistisch – ger einstweilen nur mit besserem Fallobst Damit seine Investition in der Vorberei- die Herren sind einfach zu kultiviert. zu konfrontieren, ist jedoch nicht nur bei tungsphase keinen Leerlauf produziert, hat Im Gegensatz zu etlichen ihrer Gegner Beobachtern der Boxzunft umstritten. Kohl einen Masterplan für den Werdegang stammen die Klitschkos aus gutem Hause. Auch Fritz Sdunek, Trainer der Klitschkos, der Klitschkos in Deutschland ausgetüftelt. Als Söhne eines Generals verkehrten sie in hält die Fanfarenklänge für „reichlich über- Durch spektakuläre Auftritte sollen sie sich besseren Kreisen. Zum Skiurlaub flogen zogen“ – etwa wenn seine Schützlinge bei die Gunst des Boxvolkes erprügeln. Interviews ankündigen, die WM-Titel der Die Taktik funktioniert. Wie am Fließ- Erst vor 100 000 Zuschauern vier Boxverbände brüderlich aufteilen zu band beglücken die „K.-o.-Brüder“ („Sport- im Fußballstadion wollen; oder wenn Kohl schwadroniert, Bild“) ihre Gemeinde mit Fights, bei denen wie das wäre, wenn wieder ein Weißer nicht lange gefackelt wird. von Kiew, dann in die USA Schwergewichts-Weltmeister in Amerika Am vergangenen Samstag schlug Wla- wird. Sdunek: „Denen wird zuviel Zucker dimir einen molligen Amerikaner namens sie nach Colorado. Und Mutter Klitschko in den Arsch geblasen.“ Cody Koch in Runde vier K. o. und vertei- wollte eigentlich, daß ihre beiden Jungen Jede Menge Hochbegabte hat der ehe- digte damit seinen Titel als WBC-Inter- Tennis spielen. malige DDR-Amateurtrainer schon gese- continental Meister. Zwei Wochen vorher Geradezu märchenhaft klingen die Be- hen, „die oben waren und dann auf die hatte Witalij Kochs Landsmann Dick Ryan richte über den Stellenwert des Oberleut- Fresse bekommen haben“. Lange genug so lange weichgeprügelt, bis dessen Trainer nants Witalij und des Leutnants Wladimir habe es gedauert, den Klitschkos abzu- das weiße Handtuch warf. Klitschko in ihrer Heimat. Kultische Ver- gewöhnen, von oben nach unten zu schla- Weil Schulz partout nicht für einen ehrung wird den Boxern mit dem breiten gen. Deckungsarbeit und Kampftaktik Kampf zur Verfügung steht, schürt Kohl Grinsen und den dunklen Augen dort zu- seien noch „keineswegs ausgereift“. nun den indirekten Vergleich, um so die teil, weshalb nun ein Kampf im Fußball- Beim ersten Kontakt zum gelobten Box- Güte seiner Zöglinge zu dokumentieren: stadion von Kiew geplant ist: 100000 Zu- land USA ließen die Fighter mit der wei- Mitte April schlug Witalij Klitschko Julius schauer werden dann erwartet. chen Seele jedenfalls Standfestigkeit ver- Francis in Runde zwei nieder, den Schulz Obwohl die beiden in einer Gewichts- missen. Im vergangenen Herbst trainier- Wochen zuvor nur nach Punkten bezwun- klasse antreten, hegen sie keinerlei Kon- ten die Klitschkos im legendären „House of gen hatte. Und am kommenden Freitag soll kurrenzgedanken. Niemals, so haben sie Pain“ bei Evander Holyfield. Schon nach in Hamburg ein erneutes Exempel statuiert Mama versprochen, werden sie gegenein- den ersten Trainingseinheiten plagte die werden. Dann kämpft Witalij gegen José ander kämpfen. Geradezu zärtlich gehen ukrainischen Modellathleten das Heim- Ribalta. Für den hatte Schulz ebenfalls die die Hünen miteinander um: Bevor Witalij weh. Via Telefon beschwerten sie sich bei volle Distanz gebraucht. in den Ring steigt, massiert der kleine Bru- Kohl: „Uns ist das hier zu dreckig.“ ™ der spiegel 23/1998 175.

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