JAN 1997 FEB MÄR APR MAI JUN JUL Facts Cover und Titel Incubus S.C.I.E.N.C.E. Das von den Bandfreunden Chris McCann (Foto) und Frank Harkins (Design) gestal- tete Cover zeigt laut Brandon Boyd „einfach irgendein abstraktes Bild, das für uns Veröffentlicht am 9. September 1997 auf Epic/Immortal in dem Moment mit dem Thema Wissenschaft zusammenhing.“ Interessanter ist Aufgenommen zwischen Mai und Juni 1997 bei 4th Street der abgebildete Typ darauf, in der Band-Legende einfach „Chuck“ genannt. Fotos Recording, Santa Monica, produziert von Jim Wirt von ihm tauchen auf zahllosen frühen Flyern der Band auf, wie auch auf dem Laufzeit: 55:52 Cover der EP Enjoy Incubus. Um wen es sich dabei handelt, hielt die Band stets mysteriös, indem sie ständig andere Antworten darauf gab: Mal war es ein Porno- Incubus: Cornelius (aka Brandon Boyd, Gesang), Jawa Darsteller der 70er, mal ein Testimonial für Zigarettenwerbung aus den 60ern, (aka Mike Einziger, Gitarre), Dirk Lance (aka Alex Katunich, Bass), dann wieder ein Mitglied des UFO-Kults. Tatsächlich heißt der Kerl wohl Charles DJ Lyfe (aka Gavin Koppell, Turntables), Badmammajamma Mulholland, was genau er gemacht hat, weiß die Band selber nicht. Ähnlich myste- (aka Jose Pasillas, Drums) riös verhält es sich mit dem Titel, der eine Abkürzung für irgendetwas Schräges ist. VISIONS erzählte die Band damals, es heiße Southern California’s Incubus Enters Nirvana’s Can Equipment, gängiger ist allerdings die Deutung Sailing Catamarans Is Every Nautical Captain’s Ecstasy. Was auch immer es bedeutet, es macht eines klar: Damals ging es Incubus nicht um Botschaften oder Metaebenen, sondern nur um die gute Musik. Alles drum herum darf gerne totaler Quatsch sein. Tracklist: 01. Redefine* 02. Vitamin 03. New Skin* 04. Idiot Box 05. Glass 06. Magic Medicine 07. A Certain Shade Of Green* 08. Favorite Things 09. Summer Romance (Antigravi- ty Love Song) 10. Nebula 11. Deep Inside 12. Calgone *Singles Stärkste Momente Unsere Ersteinschätzung: New Skin, die dritte Single – und letztlich wohl auch der Song, der für dem späteren Stilkern „Auch wenn diese blöden musikalischen Vergleiche, die einer New- von Incubus am repräsentativsten ist – zeigt, was die Band später immer wieder und immer comerband oft jahrelang anhaften, scheiße sind – dieser hier ist besser formuliert: Ausgehend von einem knackigen Funk-Bett, wird es extrem hart, fast einfach zu offensichtlich: Der erste volle Longplayer von Incubus ist thrashig – ohne dabei aber im Text oder im Gesang auch nur eine Sekunde diesen Zorn und die eine herausragende Faith-No-More-Platte, die FNM nie gemacht die innere Zerrissenheit zu demonstrieren, die man sonst damals bei NuMetal-Bands erwar- haben. Die Parallelen sind frappierend, ob im Songwriting, Arrange- tungsgemäß geboten bekommt. Summer Romance hingegen nimmt die Qualität von Incubus ment, Vertracktheit der Songstrukturen, Gitarrensound, Frickeld- vorweg, auch balladeske Momente zu erschaffen, die viel Intimität bieten. In Magic Medicine rums, Versiertheit der einzelnen Musiker, Verschiedenheit der kom- wiederum findet man einen Track, wie man ihn später nicht mehr bei Incubus findet – und binierten Musikstile oder einfach in der Stimmlage und der Mike- der dementsprechend stark von dem kurz nach den Aufnahmen geschassten DJ Lyfe initiiert Patton-prägnanten Mehrstimmigkeit des Leadgesangs. Mindert das worden sein dürfte: Hier lehnt sich die Band an den damals hochkochenden TripHop an, die Qualität der Platte? Keineswegs. Was sich mit der Anfang dieses anstelle von Gesang gibt es Samples aus einem Kinder-Hörbuch. Songs wie Vitamin oder Jahres erschienenen, nicht minder vorzüglichen 6-Track-EP Enjoy A Certain Shade Of Green wiederum stehen hervorragend für die Zeit, sowohl angesichts Incubus bereits abzeichnete, und was sich auf ihrer gemeinsamen der damaligen Musikszene als auch für den Level an Eigenständigkeit, den Incubus damals Tour mit The Urge und Korn bestätigte, findet sich auf S.C.I.E.N.C.E. in bereits erreicht hatten. zwölf Songs manifestiert.“– aus VISIONS Nr. 61 092 | 093 AUG SEP OKT NOV DEZ 1997 Teil 10: Incubus S.C.I.E.N.C.E. Frickelnd in den Rock-Olymp Als die Kalifornier INCUBUS im September 1997 ihr zweites Album Brandon Boyd (Gesang), Mike Einziger (Gitar- S.C.I.E.N.C.E. veröffentlichen, befindet sich die Welt der Rockmusik gerade re), Alex Katunich (Bass) und Jose Pasillas auf der Suche nach einem neuen Stil. Der Grunge hat zu diesem Zeitpunkt (Drums) gegründet hat, ist in ihrem Frühstadi- seinen Zenit überschritten und wird von der Industrie mit immer nichtssagen- um deutlich stärker vom punkigen Funk der frühen Chili Peppers oder Faith No More be- deren Bands komplett verwässert. Könnten Incubus womöglich die Rolle als einflusst, als von den eher Metal- oder Hip- Prototyp für die erste Rock-Generation nach Nirvana & Co. einnehmen und Hop-basierten aktuellen Größen wie Korn oder dabei ausgerechnet Funk-Metal zum nächsten großen Ding und dem Soundtrack Limp Bizkit. Ursprünglich ist die Band, die einer neuen Jugend auf bauen? sich ihren Namen sehr spontan und nur Minu- ten vor einem geplanten Konzert gibt, „weil er irgendwie cool klang“ (Boyd), sogar abonniert auf Coverversionen von Metallica- und Mega- deth-Songs. Und mit Rap-Elementen hat die Die Suche nach dem nächsten Bands wie Living Colour, 24-7-SPYZ oder den Band zunächst gar nichts zu schaffen, schon heißen Scheiß jungen Red Hot Chili Peppers ein erstes, vom weil Boyd zwar ein facettenreicher Sänger, aber In der zweiten Hälfte der letzten Dekade des 21. Grunge-Hype allerdings ausgebremstes Hoch eben kein Rapper ist und auch kein Interesse Jahrhunderts befindet sich die US-Rockmusik erlebt hatte, kehrt unter dem neuen Namen daran hat, das zu adaptieren. im Umbruch. Grunge, dieser wütende, raue New-Metal beziehungsweise NuMetal noch Tatsächlich kommt der HipHop-Anteil erst zu Sound, der dem Rock zu Beginn des Jahrzehnts einmal zurück. Der Unterschied zu den Epigo- Incubus, als sie 1995, vier Jahre nach ihrer Grün- zu seiner letzten echten klanglichen Revolution nen dieses Stils: Nun geht es nicht mehr nur dung, den DJ Gavin Koppell alias DJ Lyfe in die verhalf, erlebt in dieser Zeit seinen künstleri- um die Verbindung von Funk und hartem Band aufnehmen. Zu diesem Zeitpunkt gehören schen Niedergang. Schon seit dem Selbstmord Rock, sondern auch HipHop spielt in dieser Incubus bereits zu einer häufig gebuchten loka- von Nirvana-Kopf Kurt Cobain im April 1994 Ästhetik eine zentrale Rolle, meist personifi- len Liveband, die die Clubs des Sunset Strips in scheint das Genre nicht in der Lage zu sein, sich ziert durch rappende Frontmänner und den Los Angeles rauf und runter spielt. Ungewöhn- inhaltlich und stilistisch zu erneuern oder zu Einsatz eines DJs. Zum Teil gewiss befeuert lich für eine Band ihrer Härte ist dabei, dass erweitern. Stattdessen tauchen immer mehr von durch das die Welt aufrüttelnde Debütalbum Incubus in ihrem Publikum viele offensichtliche den Labels gepushte Bands auf, die Baukasten- von Rage Against The Machine. So werden die Nicht-Metaller, dafür aber umso mehr Surfer und Reißbrett-Grunge anbieten, mit dem man oben genannten Bands sowie viele weitere, die und überraschend viele weibliche Fans haben, eben auch die Formatradios erobern kann. Die oft quasi über Nacht gegründet und von Labels was sicher auch auf die Attraktivität und das Rückkehr des zur Jahrtausendwende hoch ko- gesignt werden, zum neuen Zeitgeist-Rock- Charisma ihres Frontmanns Brandon Boyd chenden Garage-Rock rund um Bands wie The sound aufgebaut – und von der Musikbranche zurückzuführen ist. Ein Merkmal, das Plattenfir- Strokes und The White Stripes deutet sich zu entsprechend ausgeschlachtet. men-Scouts erstmals aufmerken lässt, denn es diesem Zeitpunkt noch nicht an. Und so kommt scheint, dass man mit dieser Band nicht nur die Industrie zurück auf ein Genre, das zwar Der lange Weg zur Wertschätzung bestimmte Nischen und ihre Fankreise bedie- nicht völlig neu ist, aber mit Bands wie Korn, In diesem Milieu agiert auch eine Band aus nen kann. Bedingt durch den lokal bereits er- den Deftones oder Limp Bizkit in neuen Klang- dem San Fernando Valley, die im weiteren Sin- reichten Status findet die Band in Jim Wirt ei- Nuancen zurückkehrt und entsprechend gene- ne durchaus in die Genre-Idee passt, bei nähe- nen Produzenten, der sich ihrer im Studio an- ralstabsmäßig zum nächsten Ding aufgebaut rer Betrachtung aber doch deutliche Unter- nimmt. Noch gehen die Jungs durchweg zur wird: Der Funk-Metal, schnell darauf umgetauft schiede aufweist: Incubus, eine Band, die sich High School und können daher nur in der in Crossover, der bereits zu Beginn der 90er mit bereits 1991 als Spaßprojekt der Schulfreunde schulfreien Zeit an ihrer Musik im Studio arbei- die reihe im Überblick VISIONS 286: Daft Punk Homework VISIONS 287: Elliott Smith Either/Or VISIONS 288: Snapcase Progression Through Unlearning VISIONS 289: Depeche Mode Ultra VISIONS 290: Foo Fighters The Colour And The Shape VISIONS 291: Radiohead Ok Computer VISIONS 292: GETTY IMAGES/CHRISTOPHER MC CANN Lifetime Jersey’s Best Dancers » Niemand kann heute mehr von sich VISIONS 293: Spiritualized behaupten, die Gitarrenmusik noch neu Ladies And Gentlemen We Are Floating definieren zu können, auch wir nicht.« In Space Mike Einziger VISIONS 294: The Prodigy The Fat Of The Land ten. Wirt versteht auf Anhieb das Wesen und die Iden- Band mit Jim Wirt nicht nur auf eigene Rechnung tität dieser Band, schon weil er zuvor mehrfach mit den aufnimmt, sondern auch über das eigens gegrün- eingangs erwähnten 24-7-SPYZ als Engineer an Metal- dete Label Stopuglynailfungus Music on Chillum VISIONS 295: Funk-Alben gearbeitet hat. Auf Incubus aufmerksam veröffentlicht. Incubus wird Wirt durch den Tourmanager Mark Shoffner, die In der kalifornischen Musikszene ist man sich S.C.I.E.N.C.E. beiden sind sich einig, dass es von Vorteil sein wird, in einig: Incubus haben das Zeug zum nächsten gro- die Band zu investieren – und bieten jener daher viel ßen Ding, das Album ist eigenständig und weit unbezahlte Studioarbeitszeit an.
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