NEWSLETTER 1 Protestbrief an den König – die Göttinger Sieben GESCHICHTE Erinnern an die „Göttinger Sieben“ Zwei Denkmäler erinnern in Nie der sach sen noch heute an jene sieben Pro fes soren der www.klett.de Göttinger Georg-August-Uni versität, die un- ter dem Namen „Göttinger Sieben“ in die Ge schichte eingegangen sind. Während seit dem Jahr 1998 ein Fi gu ren en semble des Bildhauers Flo riano Bodi ni am nieder- sächsischen Landtag an die sieben Protes- tie ren den erinnert, mutet ein erst jüngst im Jahr 2011 von Günter Grass gestiftetes Denk- ­­mal für die sieben Professoren auf dem Göt- tinger Uni-Campus eher abstrakt an. Sowohl Bodini als auch Grass verstehen ihre Skulp- turen als Denk mäler für Mut und Zivil cou- rage. Bis heute werden die „Göttinger Sieben“ als aufrechte Vorkämpfer für bür gerliche Rech te und demokratische Freiheiten be- trachtet. Ihre Protest aktion gegen den König von Han nover im Jahr 1837 gilt als mutiges Signal im Kampf gegen die ab solutis tische Fürstenwillkür. Schon bei den Zeitgenossen erregte ihr Protest große Aufmerksamkeit. Und auch in späteren Jahren blieb ihre Po- pu­­larität nahezu ungebrochen. Sowohl die Wei marer Republik als auch die Bun des rep- ublik würdigten die Professoren als Vor- Berlin © AKG, bilder im Kampf um Mitbestim mung. Doch auch die National sozialis ten ins trumen- 1 Die „Göttinger Sieben“ talisierten die „Göt tin ger Sieben“ für sich. Zwar hatten die sieben Unterzeichner des Protestbriefs an den Diese unterschiedlichen Vereinnah mun- König sehr unterschiedliche Motive, doch die publizistische Öffent­ gen zeigen, dass es sich bei den „Göttinger lichkeit stellte die sieben Göttinger Professoren schon sehr früh als Sieben“ und ihrer Protest aktion um ein viel- Einheit dar. So auch auf diesem zeitgenössischen Stich. Von links schichtiges und wi­­der sprüchliches Phäno- oben nach rechts unten: Wilhelm Karl Grimm, Jacob Ludwig Karl men der deutschen Geschichte handelt. Grimm, Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph Dahl mann Wer also waren die „Göttinger Sieben“ und (Mitte), Georg Gottfried Gervinus, Wilhelm Eduard Weber, Georg wo gegen protestierten sie? Heinrich August Ewald. Vorgeschichte – die Zeit des deutschen „Vormärz“ Oppositionelle Strömungen wurden überwacht und Die so genannten Befreiungskriege (1813–1815) gegen verfolgt. Gelegentliche Protestbekundungen wie das den französischen Kaiser Napoleon hatten bei großen stu dentische Wartburgfest von 1817, kleinere Unruhen Teilen des deutschen Bürgertums zu Beginn des und Aufstände nach der französischen Julirevolution 19. Jahr hunderts die Hoffnung auf politische Reformen 1830/31 oder das Hambacher Fest 1832 blieben ohne geweckt. Inspiriert von den Ideen der Französischen größere Wirkung. Zu diesen wenigen Manifestationen Revolution verlangten insbesondere Studenten sowie bürgerlich-demokratischen Aufbegehrens im „Vormärz“ politisch engagierte Professoren und Künstler demo- – der Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der kratische Rechte und Freiheiten. Sie forderten liberale „Märzrevolution“ von 1848 – gehörte auch die „Protes- Verfassungen für die deutschen Bundesstaaten und ei- tation“ der „Göttinger Sieben“. nen einheitlichen deutschen Nationalstaat. Ihre Hoff- nungen wurden jedoch nicht erfüllt. Das politische Sys- 1837: Der Hannoversche Verfassungskonflikt tem, das sich nach 1815 in den Ländern des Deutschen Am 20. Juni 1837 verstarb auf Schloss Windsor mit Wil- Bundes etablierte, trug vor allem restaurative Züge. helm IV. der amtierende König des Vereinigten König- © Ernst GmbH, Verlag Leipzig dieser Klett Von Druckvorlage 2012. ist für Vervielfältigung den die eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Die sind Kopiergebühren abgegolten. Einzelne zaghafte Reformversuche vermochten nicht, reiches von Großbritannien und Irland, der gleich zeitig die unter Führung des Adels wiederhergestellte Stän- auch König von Hannover war. Mit dem Tod des kinder- de ordnung zu modernisieren. losen Wilhelm endete auf Grund von Erbfolgerege- NEWSLETTER 2 Protestbrief an den König – die Göttinger Sieben GESCHICHTE lungen die seit 1714 bestehende Personalunion zwi- Staatsrechtler Friedrich Christoph Dahlmann (1785– schen Großbritannien und Hannover. Während in Eng- 1860). Er hatte sich schon als Vertreter der Göttinger land Wilhelms Nichte den Thron bestieg und als Queen Universität in der Ständeversammlung an der Ausar - www.klett.de Victoria das Land bis zu ihrem Tode 1901 maßgeblich beitung des „Staatsgrundgesetzes“ beteiligt. Auch die prägte, folgte ihm in Hannover sein jüngerer Bruder als „Märchensammler“ berühmt gewordenen Germa- Ernst August als König nach. Äußerst konservativ, hatte nis ten Jacob und Wilhelm Grimm (1785–1863 bzw. dieser bereits vor seiner Inthronisierung die vorsich- 1786–1859), der Staatsrechtler Wilhelm Eduard Albrecht tigen Reformschritte seines Bruders in England und in (1800–1876), der Orientalist und Theologe Heinrich Au- Hannover bekämpft. gust Ewald (1803–1875), der Literaturhistoriker Georg Insbesondere das von Wilhelm IV. im Jahr 1833 ver- Gottfried Gervinus (1805–1875) und der Physiker Wil- kündete „Staatsgrundgesetz“, das Hannover zu einer helm Eduard Weber (1804–1891), Erfinder des elektro- konstitutionellen Monarchie machte, rief scharfe Kritik magnetischen Telegrafen, unterschrieben die Petition. des neuen Machthabers hervor. Ernst August lehnte Ihre Motive waren unterschiedlich. Nicht alle der spä- die moderate hannoversche Verfassung grundsätzlich ter als „Göttinger Sieben“ bekannt gewordenen Pro- ab. Zwar tastete diese die Verhältnisse im Land nicht fessoren übersahen zudem die Tragweite ihrer Unter- grundlegend an, doch sie räumte den Landesbewohnern schrift. ein Mindestmaß an Mitwirkungsrechten ein und sah in Durch aktives Zutun von Dahlmann, Gervinus und Form der Ständeversammlung eine Vorform parlamen- Jacob Grimm wurde der Protest schnell öffentlich be- tarischer Vertretung vor. Ernst August stieß sich zudem kannt. Schon nach wenigen Stunden kursierten zahl­­ daran, dass die „Privatschatulle“ des Königs, der bis- reiche, oft von Studenten angefertigte, Abschriften der lang zur freien und unkontrollierten Verfügung des Petition. Auch die deutsche und die internationale Mo narchen stehende Teil des königlichen Haushalts, Presse berichteten von der Aktion. Es war jedoch kei- nun unter Aufsicht der Staatskasse stand. neswegs so, dass der Schritt der sieben Professoren Sofort nach seiner Ankunft in Hannover, am 29. Juni allseits gebilligt wurde. Während sich die meisten Stu- 1837, beurlaubte Ernst August die verfassungsmäßige denten und ein Teil der Professoren sowie einige Zei- Stände ver sammlung und kündigte wenig später eine tungen solidarisch erklärten oder zumindest ihre Sym- Revision der Verfassung an. Im Oktober löste er die pathie bekundeten, verhielten sich andere abwartend Ständever sammlung auf. Am 1. November 1837 erklärte oder gar ablehnend. er schließ­­lich das „Staatsgrundgesetz“ von 1833 für „erloschen“. Entlassung der Professoren Ernst Augusts Maßnahmen sorgten in der bürger- König Ernst August und sein neu ernannter Staats-, Ka- lichen Öffentlichkeit für Unruhe. Insbesondere unter binetts- und Außenminister, der Ultrakonservative den Studenten und Professoren der Landesuniversität Georg von Schele, verstanden die „Protestation“ der Göttingen, deren Dienstherr der König war, regte sich sieben Göttinger Professoren als Provokation und Akt Unmut. Göttingen galt seit langem schon als politisch des Ungehorsams. Entsprechend schnell und hart han- unruhig. Bereits Anfang 1831 war es hier im Gefolge delten sie. Am 12. Dezember 1837 erteilte Ernst August der Julirevolution in Frankreich zu einem kleineren Auf- dem Universitätskuratorium die Anweisung, die sieben stand – der „Göttinger Revolution“ – gekommen, der Protestierenden umgehend aus dem Staats- und Uni- je­­doch schnell in sich zusammengebrochen war. Die versitätsdienst zu entlassen. Das Entlassungsschreiben 100-Jahr-Feier der Universität im September 1837, an ging den Gelehrten am 14. Dezember 1837 zu. Dahl- der auch Ernst August teilnahm, verlief ohne Zwischen- mann, Jacob Grimm und Gervinus wurden zusätzlich fälle. Das Misstrauen der meisten Universitätsange- des Landes verwiesen, also verbannt, weil sie dafür ge- hörigen gegenüber dem neuen König war jedoch nicht sorgt hatten, dass ihr Protest auch außerhalb des zu übersehen. Landes Hannover öffentlich geworden war. Ihr Auszug Nach Bekanntwerden der königlichen Verfügung vom aus Göttingen wurde zu einem kleinen Triumphzug. Ein 1. November 1837 formierte sich Widerstand gegen den Großteil der Studenten jubelte den Verbannten zu. Verfassungsbruch, den viele Studenten und eine Reihe Auch wenn die zahlreichen Sympathiebekundungen, von Professoren in der Aufhebung des „Staats grund- nicht zuletzt von den Beteiligten selbst, später über- gesetzes“ sahen. Sie fühlten sich durch ihren Eid wei- trieben wurden, so entstand in den folgenden Wochen terhin an die alte Verfassung gebunden. Nach universi- und Monaten doch eine bemerkenswert breite Unter- tätsinternen Auseinandersetzungen fanden schließ lich stützungsbewegung für die Gemaßregelten. In Leipzig sieben der insgesamt 32 Professoren den Mut, in gründete sich ein Unterstützungsverein und im ganzen einem Schreiben an das Universitätskuratorium – das Land wurden Spenden gesammelt, um die durch ihre königliche Aufsichtsgremium der Universität – offiziell Entlassung stellungslos gewordenen Gelehrten mate- © Ernst GmbH, Verlag Leipzig dieser Klett Von Druckvorlage 2012. ist für Vervielfältigung den die eigenen
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