MITTEILUNGEN DER SCHWEIZERISCHEN ENTOMOLOGISCHEN GESELLSCHAFT BULLETIN DE LA SOCIÉTÉ ENTOMOLOGIQUE SUISSE 83: 41–118, 2010 Die Rüsselkäfer (Coleoptera, Curculionoidea) der Schweiz – Checkliste mit Verbreitungsangaben nach biogeografischen Regionen CHRISTOPH GERMANN Natur-Museum Luzern, Kasernenplatz 6, 6003 Luzern und Naturhistorisches Museum der Burger ge - meinde Bern, Bernastrasse 15, 3006 Bern; Email: [email protected] The weevils of Switzerland – Checklist (Coleoptera, Curculionoidea), with distribution data by bio - geo graphic regions. – A checklist of the Swiss weevils (Curculionoidea) including distributional pat- terns based on 6 bio-geographical regions is presented. Altogether, the 1060 species and subspecies out of the 10 families are composed of 21 Anthribidae, 129 Apionidae, 3 Attelabidae, 847 Cur cu lio - ni dae, 7 Dryophthoridae, 9 Erirhinidae, 13 Nanophyidae, 3 Nemonychidae, 3 Raymondionymidae, and 25 Rhynchitidae. Further, 13 synanthropic, 42 introduced species as well as 127 species, solely known based on old records, are given. For all species their synonymous names used in Swiss litera- ture are provided. 151 species classified as doubtful for the Swiss fauna are listed separately. Keywords: Curculionoidea, Checklist, Switzerland, faunistics, distribution EINLEITUNG Rüsselkäfer im weiteren Sinn (Curculionoidea) stellen mit über 62.000 bisher beschriebenen Arten und gut weiteren 150.000 zu erwartenden Arten (Oberprieler et al. 2007) die artenreichste Käferfamilie weltweit dar. Die ungeheure Vielfalt an Arten, Farben und Formen oder verschiedenartigsten Lebensweisen und damit ein - her gehenden Anpassungen fasziniert immer wieder aufs Neue. Eine auffällige Gemein samkeit aller Rüsselkäfer ist der verlängerte Kopf, welcher als «Rostrum» (Rüssel) bezeichnet wird. Rüsselkäfer sind als Phyto phage stets auf ihre Wirts- pflanzen angewiesen und folgen diesen bei uns von Unter wasser-Biotopen im pla- naren Bereich (u.a. Bagoinae, Ceutorhynchinae, Eri rhi nidae) bis in die nivale Stufe auf über 3000 m ü. NN (u.a. Apionidae, Cyclo mi nae, Entiminae). Eine grosse Aus- nahme dieser allgemein phytophagen Lebensweise stel len die Arten der Gattung Anthribus (Anthribidae) dar, deren Larven sich räube ri sch von Schildläusen (u.a. Eulecanium, Pulvinaria) ernähren. Daneben soll als beson dere Lebensweise auch kurz der Brutparasitismus erwähnt werden, bei wel chem innerhalb der Rüsselkäfer der Kuckucksrüssler Lasiorhynchites sericeus (Herbst, 1797) (Rhynchitidae) seine Eier in die Blattwickel von Attelabus nitens (Sco poli, 1763) (Attelabidae) ablegt und sich vom Blattgewebe ernährt. Bei Arten der Gattungen Archarius (Curculio- nidae) und Melanapion (Apionidae) findet Brut para sitismus in Blattwespengallen (Gattung Pontania) statt. Der Brutparasitismus scheint vorwiegend ein Raumpara- sitismus zu sein, in einigen Fällen konnte jedoch auch Entomophagie beobachtet werden. Die überwiegende Mehrheit der Rüssel käfer lebt jedoch mono- bis oligo- phag an und als Larve besonders auch in ihren Wirts pflanzen. Von den Wurzeln, 41 CHRISTOPH GERMANN 42 DIE RÜSSELKÄFER DER SCHWEIZ – CHECKLISTE über Wurzelhals, Stängel (oder verholzte bis ver mo derte Stämme und Äste: u.a. Cossoninae, Cryptorhynchinae, Scolytinae) bis zu den Blättern (Blattminierer) und Knospen-, Blüten- und Frucht/Samen anlagen. Dabei erstaunt es nicht, dass viele Rüsselkäfer besonders auch als Schad organismen in Pflanzkulturen und Forsten (Borkenkäfer, Scolytinae) bekannt sind und damit eine besonders grosse ökono- mische Bedeutung haben. Schon früh beginnt die Geschichte der Koleopterologie in der Schweiz. So erschien vor 235 Jahren das erste Verzeichnis der schweizerischen Insekten von Fuess lin (1775), welches auch 42 Rüsselkäfer-Arten enthielt. 1798 wurde der erste sys tematische Insektenkatalog der Schweiz von Clairville & Schellenberg publi- ziert, nur 40 Jahre nachdem Linné die binominale Nomenklatur eingeführt hatte. Einige der damals aufgestellten Gattungen wie beispielsweise Cionus, Cossonus und Rhynchaenus sind bis heute fester Bestandteil der Rüsselkäfer-Nomenklatur. Weit aus weniger bekannt geworden sind die etwas später erschienenen, kunstvoll illus trierten Bände (Abb. 1D) über die Insekten der Schweiz von Labram & Imhoff (1836–1850) mit, zumindest teilweise, verwertbaren faunistischen Angaben von 47 Arten. Die Rüsselkäfer wurden zudem als einziges weiteres Taxon mit einem ei ge - nen Werk von Labram & Imhoff (1838–1842) gewürdigt, allerdings ohne einen fau - nis tischen Schwerpunkt zu setzen. 1837–1841 erschien «Die Käfer der Schweiz» von Heer in drei Teilen, allerdings blieb das Werk unvollständig. So wurde der Teil über die Rüsselkäfer nie publiziert. 1856 veröffentlichte Bremi-Wolf einen Katalog der schweizerischen Coleopteren. Bremi-Wolf nahm auch unveröffentlicht ge blie - bene Daten von Heer mit dessen Einverständnis auf, so dass innerhalb der 775 auf - ge listeten Taxa eine grosse Anzahl nie beschriebener und publizierter nomina nuda ent halten sind, welche nachträglich auch nicht mehr zugeordnet werden können. Als Basislisten der vorliegenden Checkliste der Curculionoidea der Schweiz wur den die Werke von Stierlin & Gautard (1867) mit Nachträgen von Stierlin (1883) und Rätzer (1888), die «Fauna coleopterorum helvetica» von Stierlin (1898) sowie die Zusammenstellung der Platypodidae und Scolytidae (letztere nun als Unter - familien Platypodinae und Scolytinae innerhalb der Curculionidae geführt) der Schweiz von Bovey (1987) gewählt. Seither wurden keine umfassenden Artenlis- ten der Curculionoidea für die Schweiz mehr herausgegeben. Die beiden erstgenannten Werke von Stierlin & Gautard (1867) und Stierlin (1898) stellen die seither einzigen umfassenden Listen der schweizerischen Käfer (Coleo ptera) überhaupt dar. Durch die stark veränderte Nomenklatur und die zahl - Abb. 1. Auswahl einiger Rüsselkäfer aus der Schweiz: A) Curculionidae, Molytinae: Liparus gla bri - ros tris Küster, 1849 – Bern, Grünenbergpass, 6.8.2009; B) Curculionidae, Entiminae: Phyllobius alpi - nus Stierlin, 1859 – Glarus, Obersand, 16.7.2008); C) Curculionidae, Ceutorhynchinae: Mogulones javetii (Gerhardt, 1867) – Graubünden, Strada, 12.4.2009; D) Curculionidae, Cryptorhynchinae: Rute - ria hypocrita (Boheman, 1837) – «Eine der grössern Arten der Gattung» (links) und Rhynchitidae, Rhyn chitinae: Rhynchites auratus (Scopoli, 1763) – «Goldfarbiger Rollrüssler» (rechts) aus Labram & Imhoff (1836–1850); E) Curculionidae, Hyperinae: Puppenkokon von Donus comatus (Boheman, 1842) – Glarus, Ochsenplanggen, 16.7.2008; F) Curculionidae, Entiminae: Chlorophanus gramini- cola Schön herr, 1832 – Tessin, Val Malvaglia, 29.6.2005; G) Curculionidae, Entiminae: Otiorhyn- chus gri schu nensis Germann, 2010 – endemisch im Graubünden; H) Apionidae, Apioninae: Pseudo- protapion astra gali (Paykull, 1800) – Graubünden, Tiefencastel, 12.7.2008 (Bilder: Germann & Pflugs haupt). 43 CHRISTOPH GERMANN reichen Einzelmeldungen weiterer Arten ist es dringend notwendig geworden, die Rüs selkäfer sensu lato als artenreichste Gruppe der Cucujiformia in der Systematik der Käfer in einer aktuellen Checkliste vorzustellen. Neben einer soliden Übersicht des aktuellen Artenbestandes der Schweiz soll die hier vorliegende landesbezogene Checkliste als Basis für zukünftige Gefähr- dungs analysen dienen. Ein grober Vergleich der bisher zusammengetragenen Ver - brei tungsdaten älteren und neueren Datums mit der Roten Liste im angrenzenden Deutsch land von Geiser (1998) und mit der in Vorbereitung begriffenen Roten Liste von Sprick et al. zeigt durchaus Übereinstimmungen bei Arten, welche auch in der Schweiz im Rückgang begriffen sind (Germann, unpubliziert), vorwiegend bedingt durch bedeutenden Habitatverlust (Feuchtstandorte, Trockenwiesen im kollinen Be - reich, ursprüngliche totholzreiche Wälder). Zusätzlich kommen zahlreiche Arten im schwei zerischen Alpenraum dazu, welche eng begrenzte Verbreitungsgebiete besit- zen (Endemiten), und dadurch hinsichtlich Raumbedeutsamkeit und Schutz ver - antwortung einen besonderen Status in zukünftigen Naturschutzprojekten er halten müssen, wie dies erst kürzlich am Beispiel der Carabidae von Huber & Marggi (2005) aufgezeigt wurde. MATERIAL UND METHODEN Die verwendete Nomenklatur folgt bis Gattungsniveau im Wesentlichen dem Welt-Katalog von Alonso-Zarazaga & Lyal (1999) und den Ergänzungen von Alonso-Zarazaga & Lyal (2002) und Alonso-Zarazaga (2005). Die verwendete Ein - tei lung ist keineswegs die ultima ratio, so fehlt eine eigentliche Begründung der ver - wen deten Systematik. Allerdings wird das Werk in europäischen Faunistiken breit ver wendet und bietet sich somit auch in der vorliegenden Checkliste als Referenz im Sinne der Vergleichbarkeit der Daten an. Als alternative Einteilung sei auf Ober - prie ler et al. (2007) verwiesen. Bei den Scolytinae, welche traditionellerweise von gänz lich anderen Autoren bearbeitet wurden, richtet sich die Nomenklatur vor wie - gend nach Pfeffers Katalog der Zentral- und Westpaläarktis (1994) und bezieht Än - de rungen von Alonso-Zarazaga & Lyal (2009) mit ein. Ergänzungen und Be rich ti - gun gen zu den oben aufgeführten Werken, die in den Arbeiten von Colonnelli (2003, 2004), Wanat & Mokrzycki (2005), Jordal & Knizek (2007), Velázquez de Castro et al. (2007), Alonso-Zarazaga (2008), Astrin & Stüben (2008), Borovec & Bahr (2008), Caldara (2008a, 2008b, 2010), Morris (2008a), Prena (2008), Skuhrovec (2008) enthalten sind, wurden zusätzlich berücksichtigt. Kleinere taxonomische Än - de rungen und neue Taxa, welche im
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