1 DAS PHÄNOMEN DER AUTODIDAKTIK, DARGESTELLT AN BEISPIELEN IN ÖSTERREICH NACH 1945 DIPLOMARBEIT ZUR ERLANGUNG DES AKADEMISCHEN GRADES EINER MAGISTRA DER PHILOSOPHIE GEISTESWISSENSCHAFTLICHE FAKLULTÄT KARL-FRANZENS-UNIVERSITÄT GRAZ VORGELEGT VON SABRINA REDHEAD AM INSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE BEI UNIV.-PROF. DR. PHIL. JOHANN KONRAD EBERLEIN GRAZ, 2012 2 Vorwort An dieser Stelle möchte ich mich bei den Personen bedanken, die mir bei der Erarbeitung dieser Diplomarbeit geholfen haben. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Univ.-Prof. Dr. Johann Konrad Eberlein für die Betreuung meiner Arbeit. Außerdem bedanke ich mich bei meinen Eltern und Freunden in der Kunstszene für ihre Unterstützung. Abb. 1) Christian Eisenberger, Selbstdarstellung, 2009 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung 05 1 Geschichte der Autodidaktik 07 Der Unterschied zwischen Autodidakten und Laien 07 Vorgeschichte der heutigen Autodidaktik und Laienkunst 08 Autodidaktik und Laienschaffen im Ursprung der Volkskunst 14 Art Brut 15 Johann Hauser 16 2 Die Akzeptanz von nicht akademischen Künstlern 23 in der Gesellschaft Exkurs: Bildnerisches Volksschaffen in der ehemaligen DDR 24 Österreich: Kunst, Gesellschaft und Politik 29 Der Kampf gegen die moderne Kunst nach 1945 30 Der Wiederaufbau: Veränderungen in der 32 österreichischen Kunstszene und der Einfluss von Autodidakten 3 Autodidaktenförderung 38 Die Galerie „Autodidakt“ 41 Robert Schmitt: Gründer der Galerie „Autodidakt“ 42 – Biografie und Ideologie Interview mit Walter Csuvala 45 Der Österreichische Gewerkschaftsbund 47 4 Ausbildungen zum Künstler 51 Die akademische Kunstausbildung in Österreich 51 Autodidaktische Professoren der Akademie 54 a) Herbert Boeckl 55 b) Adolf Frohner 57 c) Friedensreich Hundertwasser 59 Die Antiakademie 62 Kunstseminare 63 5 Die soziale Lage der Künstler 70 6 Malerei nach 1945 und der Einfluss von Autodidatken 73 Der österreichische Expressionismus 73 4 a) Ferdinand Stransky 74 b) Hans Staudacher 74 c) Hans Bischoffshausen 75 d) Robert Hammerstiel 76 e) Arthur Redhead 79 Der österreichische Realismus 81 a) Herbert Breiter 82 b) Peter Kogler 82 Die österreichische Aktionskunst, der Wiener Aktionismus 83 a) Arnulf Rainer 84 b) Arnulf Rainer im Vergleich mit Günter Brus 87 7 Österreichische Plastik und Skulptur nach 1945 und 97 der Einfluss von Autodidakten Autodidakten in der österreichischen Plastik und Skulptur 98 a) Robert Mittringer 98 b) Franz West an der Akademie 100 der Bildenden Künste Resümee 103 Anhang Literaturverzeichnis 104 Abbildungsverzeichnis 113 5 Einleitung Die Diplomarbeit „Das Phänomen der Autodidaktik in der bildenden Kunst, dargestellt an Beispielen in Österreich nach 1945“ ist in zwei große Themenbereiche unterteilt. Zu Beginn geht es um Geschichtliches, um die allgemeine Entwicklung beziehungsweise Entstehung der autodidaktischen Kunst, also um künstlerische Betätigungen außerhalb einer genormten Kunstausbildung. Dabei werden der Begriff der Autodidaktik an sich sowie verwandte Bezeichnungen wie Laienkunst oder Dilettantismus definiert. Parallel dazu sollen die Unterschiede verdeutlicht werden. Dies geschieht in einer Gegenüberstellung von Menschen, die sich in ihrer Freizeit gerne künstlerisch betätigen und Künstlern, welche die Kunst als Beruf oder als Nebentätigkeit ansehen. Der zweite große Bereich beschäftigt sich mit der Entwicklung der österreichischen Kunstszene nach 1945, also mit dem Neubeginn nach Adolf Hitler, dem Kampf um das Wiederaufleben der „modernen“ zeitgemäßen Kunst, der in nicht unbeachtlichem Ausmaß von Autodidakten beeinflusst worden ist. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei auf Künstler gelegt, die sich von Autodidakten zu Profis weiterentwickelt haben. Der autodidaktisch ausgebildete Künstler Arnulf Rainer hat beispielsweise der Kunst in Österreich radikale Anstöße in eine neue Richtung gegeben - sei es mit dem Tachismus, dem Aktionismus oder seiner Haltung gegenüber der Kunstuniversität. Er und Hundertwasser gründeten eine Antiakademie, parallel zu ihrer Lehrtätigkeit an der Akademie. Beide kämpften um das Ansehen von Autodidakten, und das auf äußerst unkonventionelle Weise. Weniger radikal als idealistisch war der Kunsttheoretiker und Maler Robert Schmitt, Österreichs größter Förderer von Autodidakten. Er gründete eine Galerie mit dem Namen „Autodidakt“ und forcierte eine qualitative Kunstausbildung im Kreise derjenigen, welche die Akademie aus verschiedensten Gründen nicht besuchen konnten beziehungsweise vom Elternhaus her sollten. In die Realität umsetzen konnte Schmitt seine Ziele mit den Mitteln des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, in dem er arbeitete. Primär soll diese Diplomarbeit aufzeigen, dass der Besuch oder das Meiden einer akademischen Einrichtung wenig bis keine Auswirkung auf die Leistungen der 6 Künstler haben muss. Viele Österreicher schrieben Kunstgeschichte, nicht alle wurden in der Akademie ausgebildet. Profis sind in beiden Sparten zu finden – in der akademischen wie in der autodidaktischen. Die Erlangung von Grundwissen in der Kunst ist äußerst wichtig, doch sollte der Ort, an dem dies geschieht, nicht das Ausschlaggebende sein, denn die Revolution der modernen Kunst bewirkte, dass eine akademische Ausbildung den privat organisierten Kunstseminaren nichts mehr voraus haben muss. Ein wahrer Künstler muss die Grundkenntnisse wie etwa die Proportionslehre beherrschen, er muss wissen, wie perspektivische Darstellungen funktionieren oder wie Farben auf den Menschen wirken. Wo er dies lernt, sollte nebensächlich sein. Laien kopieren oft andere Künstler, meist alte Meister, in der Absicht, von ihnen zu lernen, doch eine Imitation bedeutet im Gegensatz zu einer Orientierung, gegen die ganz und gar nichts einzuwenden ist, den Verlust der eigenen Kreativität, den Verfall des eigenen Stils. In der Gegenwartskunst ist es für Künstler zwar wichtig, etwas Neues zu entwickeln, doch dies sollte trotz aller Freiheiten in der Kunst immer auf den technischen Grundlagen basieren, da nur so qualitative Werke entstehen können. Die Entdeckung und Weiterentwicklung des eigenen und unverkennbaren Stils ist das Entscheidende in der Kunst. Nicht nur der Unterricht, sondern auch der Austausch mit den Kollegen an der Universität hilft den akademischen Künstlern, den eigenen Stil zu finden. Autodidakten arbeiten seltener miteinander im gleichen Atelier. Sie sind auf künstlerischer Ebene eher Einzelgänger und widmen sich oft erst abends nach Beendigung ihres „Brotberufs“ der Kunst, ihrer eigentlichen Berufung. 7 1. Geschichte der Autodidaktik Der Unterschied zwischen Autodidakten und Laien Autodidakten werden oft mit Laien verwechselt, was fälschlicherweise in Kreisen der Kunst negatives Licht auf sie wirft. Das Wort „Autodidakt“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „selbst lehren“ und der Begriff „Laie“ stammt ebenfalls aus dem Griechischen und wird mit „zum Volk gehörig“ übersetzt. Nach heutiger Definition sucht ein Laie in erster Linie die Entspannung in der Freizeit. Er setzt sich mit der Kunst insofern auseinander, als er die ihm bekannte und anerkannte Formenwelt akzeptiert und verwendet. Er hat ganz andere Absichten als ein Autodidakt, der ein künstlerisches Produkt unter größter Anspannung und Konzentration fertigen möchte. Für Künstler, die aus Zwang und innerem Antrieb heraus arbeiten, ist Kunst keine Erholung, sondern Mühe.1 In der Ausstellung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes „Malerei und Plastik der Laien und Autodidakten“ vom 17. bis 30. September 1971 in der Wiener Sezession wurde versucht, diese Thematik aus einem möglichst objektiven Blickwinkel zu präsentieren. Den Organisatoren, darunter Robert Schmitt, war es besonders wichtig, dass der Unterschied zwischen Laien und Autodidakten richtig verstanden würde.2 Die selbstkritische Einstellung eines Autodidakten lässt oft Unzufriedenheit bei ihm aufkommen. Den wenigsten ist es finanziell möglich, von der Kunst allein zu leben. So muss sich ein Autodidakt in zwei meist sehr verschiedenen Bereichen behaupten, in seinem Brotberuf und im künstlerischen Bereich. Eine zusätzliche emotionale Belastung ist auch oftmals der Spott der Arbeitskollegen, die in den seltensten Fällen Verständnis für die Hingabe zur Kunst haben. Freischaffende Künstler mit einem bürgerlichen Beruf werden auch von der anderen Seite, der Kunstwelt, belächelt, da sie sich nicht ausschließlich der Kunst widmen können. Möglicherweise legt genau dieser emotionale Zwiespalt vielen Autodidakten die meisten Steine in den Weg. 1 Schmitt 1971, o.S. 2 Schmitt 1971, o.S. 8 Vorgeschichte der heutigen Autodidaktik und Laienkunst Der Begriff der Laienmalerei wird häufig als Bezeichnung für die künstlerische Betätigung von Erwachsenen verwendet, die keine spezifische Ausbildung absolviert haben und nicht beruflich oder nebenberuflich zeichnen, malen, drucken, bildhauern oder modellieren.3 Die Laienmalerei ist als Teilbereich der Laienkultur zu verstehen, in welcher die Menschen aktiv tätig sind, ohne ein primär professionelles Interesse zu verfolgen. Die laienhafte Tätigkeit im Bereich der Kunst wird des Weiteren auch als eine Form ästhetischer Praxis beschrieben, besonders in kunstpädagogischen Debatten, in denen der Begriff „Praxis“ Schüleraktivitäten meint. Jeder Mensch ist in seinem Allgemeinverhalten mit künstlerischer Praxis konfrontiert, sei es in simplen Handlungen wie Kleiden oder Schminken, im Gestalten der eigenen Wohnung oder beim Fotografieren. Künstlerische Praxis wird insofern als ein Verhalten im Sinne von Gestaltung unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik verstanden.4 Die Kunst entwickelte sich seit der
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