Stadtentwicklung Stadtentwicklung und Klimaanpassung in Bernau Dieter Korczak, Hildegard Bossmann Stadtentwicklung und Klimaanpassung am Beispiel von Bernau bei Berlin Am 31. Juli 2019 setzte ein Starkregen die Innenstadt von Bernau bei Berlin unter Wasser. 25 Liter je Quadratmeter überschwemmten innerhalb einer halben Stunde sämtliche Zufahrts- straßen zur Innenstadt. Fahrbahnen und Bürgersteige verwandelten sich in kleine Flüsse. Das Wasser stand bis zu 70 Zentimeter hoch, die Feuerwehr musste zu 92 Einsätzen aus- rücken. Bürgermeister André Stahl sieht den Grund für die überschwemmte Stadt in einer Verkettung extrem unglücklicher Umstände. „Die Böden sind knochentrocken. Kein Tropfen Wasser ist da versickert“, erklärte er. Stattdessen habe das Regenwasser als Fließgewässer an der Oberfläche Besitz von der Stadt ergriffen. „Leitungen, Teiche und Regenwasserrück- haltebecken konnten die Wassermengen in dieser kurzen Zeit objektiv nicht bewältigen.“ Ein solcher Starkregen ist kein Einzelfall mehr. Aufgrund der Verkehrsinfrastruktur muss diesen (wachsenden) Anforderun- Klimaerwärmung ist auch zukünftig mit einer Zunahme von gen hinsichtlich des Verhältnisses Individualverkehr/ÖPNV als extremen Regenfällen, Hitzewellen und Stürmen in Branden- auch hinsichtlich der Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmit- burg zu rechnen. Die letzten vier Jahre waren laut UNO die tel (PKW, Rad, ÖPNV) gerecht werden und ebenso den für heißesten seit Beginn weltweiter Klimaaufzeichnungen. So die Versorgung der Stadt erforderlichen Wirtschaftsverkehr si- weist Bernau auch nicht nur die oben genannte Episode von chern. Das Stadtgebiet umfasst ca. 104 km² unterschiedlichs- Starkregen auf, sondern seit vier Jahren auch extreme Tem- ter Prägung und Funktionsmischung: städtische, vorwiegend peraturspitzen auf dem stark versiegelten Bahnhofsvorplatz kompakte mehrgeschossige Blockrandbebauung in einem (26.06.2019: 44 °C; 08.08.2018: 43 °C; 06.07.2015: 47 °C). durch die Stadtmauer markierten Stadtkern und den angren- zenden im 19. Jahrhundert entstandenen Stadtgebieten, dörf- Stadtporträt liche Ortsteilstrukturen, großzügige Parks und Grünflächen, Bernau liegt nordöstlich von Berlin im Landkreis Barnim. Die S- Quell- und Fließgebiet der Panke, alte und neue Siedlungs- Bahn verbindet die Stadt mit Berlin im 20-Minuten-Takt. Zwei gebiete mit Ein- und/oder Mehrfamilienhäusern, Wald und Regionalbahnlinien fahren jeweils stündlich Richtung Süden in offene Landschaften (Schönower Heide, Barnimer Feldmark), die Hauptstadt und nach Norden über die Kreisstadt Eberswal- Gewerbegebiete, innerstädtische große Konversionsflächen. de weiter in die Uckermark und/oder an die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Autobahnanschlussstellen an die A11 gehören zum Stadtgebiet. Der ÖPNV verbindet die Verhältnis- und Verhaltenssteuerung Stadt mit umliegenden Gemeinden, Stadtbuslinien innerhalb Verhältnisse des Stadtgebietes sichern unter anderem die Anbindung der Bereits vor 13 Jahren ist durch die Veröffentlichung des so- Ortsteile an die Kernstadt. In der Stadt mit ihren 8 Ortsteilen genannten Stern-Reports eindringlich auf die Primär- und Se- leben ca. 40.000 Menschen. Die Einwohnerdichte ist mehr als kundärfolgen des Klimawandels hingewiesen worden (Stern vier Mal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Im Landesent- 2007). Unter anderem werden dort Gletscherschmelze, Hit- wicklungsplan Berlin-Brandenburg wird der Stadt Bernau im zewellen, Ernteverluste, ungewöhnliche Wetterereignisse, Speckgürtel von Berlin die Funktion eines Mittelzentrums zu- Überflutungen genannt. Ausdrücklich wurde auch der Zu- gewiesen. Dieser Mittelbereich mit ca. 103.000 Einwohnern sammenhang von Ressourcenverbrauch (Öl), Mobilität und gehört zu den bevölkerungsreichsten im Land Brandenburg. Klimaeffekten (CO2) geschildert. Die jährlichen Pro-Kopf-CO2- Diese Einwohnerdichte hat hohe Mobilitätsanforderungen zur Emissionen sind in Deutschland mit rund 9,6 Tonnen aktuell Folge; ca. 8.000 bis 9.000 Personen pendeln täglich aus Ber- noch ungefähr doppelt so hoch wie der internationale Durch- nau nach Berlin zur Arbeit; ca. 6.000 Personen pendeln täglich schnitt von 4,8 Tonnen pro Kopf (BMU 2018). Die Treibhaus- aus dem Umland in die Stadt; Tendenz jeweils steigend. Die gasemissionen führen zur Erderwärmung. Das Einbremsen der vhw FWS 5 / September – Oktober 2019 251 Stadtentwicklung Stadtentwicklung und Klimaanpassung in Bernau Erderwärmung deutlich unter 2 °C kann nur durch eine voll- Abgasen und Feinstaub im Straßenverkehr als wichtig. (BMU/ ständige Dekarbonisierung der Wirtschaft erreicht werden. In UBA 2019). Dennoch nutzen 70% der Befragten das Auto für einem seiner jüngsten Gutachten fordert der WBGU, dass zur Wege im Alltag täglich oder mehrmals in der Woche. Für den Erreichung der Dekarbonisierung ein schneller und proaktiver ÖPNV gilt dies dagegen nur für 22%. Bei Orten der Größen- Strukturwandel in Gang gesetzt wird, „der erhebliche Her- ordnung von Bernau liegt der regelmäßige Autofahreranteil ausforderungen für Regionen und Sektoren mit sich bringt, sogar bei knapp 90%. Als Begründung werden von den regel- die bisher von fossilen Energieträgern geprägt sind“. (WBGU mäßig Autofahrenden alltagspraktische Überlegungen ange- 2018, S. 3). Klimawandel und Verhältnisänderung stehen so- geben: „Ich kann dadurch mehrere in meinem Alltag notwen- mit in einem sichtbar engen Zusammenhang. dige Wege gut miteinander verbinden“ (64%), „meine Ziele sind mit anderen Verkehrsmitteln nur schlecht erreichbar“ Bezogen auf eine nachhaltige Stadtentwicklung und eine (63%), „ich spare dadurch Zeit“ (61%). verbesserte Klimaresilienz wird seit längerem gefordert, dass Städte kompakt zu entwickeln sind, in verträglichem Maße Dass umweltschonendes Verhalten, welches eine echte Um- nachverdichtet werden, der Flächenverbrauch minimiert wird stellung des persönlichen Verhaltens erfordert, schwierig zu und Freiräume im städtischen Kontext geschützt werden, Ver- erzielen ist, hat einen sozialpsychologischen Hintergrund. Das kehr reduziert bzw. vermieden wird und energetische Moder- Entscheidungsverhalten der Menschen ist in hohem Maße nisierungen im Bestand gefördert werden. emotional, gewohnheitsmäßig reguliert und von Reduktions- strategien bestimmt (ausführlicher dazu Korczak 2011). Kennzeichnend für die kompakte Stadt ist eine vier- bis fünf- geschossige Bauweise in Form einer geschlossenen Blockrand- Diesbezügliche Erkenntnisse sind: bebauung mit kurzen Wegen, Verkehrsreduzierung und ■ Bezugsgrößen/-personen sind wichtig für Entscheidungen; Funktionsmischung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass bei dieser Bauweise Stadtklimaeffekte verstärkt werden und die ■ die Zentralität eines Problems ist für das persönliche Verhal- sommerliche Hitzebelastung und somit der Kühlbedarf stei- ten entscheidend; gen, wenn ihnen nicht durch entsprechend große Freiräu- ■ Konformitätsdruck und Schwarmverhalten beeinflussen me, geringe Bodenversiegelung sowie durch Begrünung und das Verhalten; Verschattung mit Laubbäumen entgegengewirkt wird. Unter ■ komplexe Sachverhalte werden vereinfacht; dem Gesichtspunkt der Verhältnissteuerung ist Verkehrsredu- ■ vorgefasste Meinungen und selektive Wahrnehmung stüt- zierung bei einer Stadt wie Bernau mit einer Zahl von knapp zen das bisherige Verhalten. 18.000 Ein- und Auspendlern eine große klimaspezifische He- rausforderung. Wenn individuell eine klimabewusste Nachhaltigkeitsorien- tierung auf persönliche Vorlieben oder genuss- bzw. status- Individuelles Verhalten und kollektive ökologische orientierte Wünsche trifft, findet regelmäßig eine relative Intelligenz Grenznutzenabwägung statt. „Beim Mülltrennen sind bei- Angesichts der Dramatik der wissenschaftlichen Aussagen spielsweise die individuellen Kosten niedrig, aber der sub- und auch der subjektiv wahrnehmbaren Effekte der Klimaän- jektiv empfundene Nutzen hoch. Als Berufspendler auf die derung stellt sich die Frage, wie dadurch das menschliche Autofahrt zu verzichten und öffentliche Verkehrsmittel zu Verhalten beeinflusst wird. Ein Fünftel des in Deutschland benutzen, kostet dagegen, individuell betrachtet, viel und ausgestoßenen CO2 geht auf das Konto des Verkehrs (UBA bringt subjektiv den gleichen Nutzen wie das Mülltrennen.“ 2017, S. 22) Der Verkehr stößt damit in Deutschland im Jahr (Korczak 2011, S.188) 2018 genauso viel CO2 aus wie im Jahr 1990. Ursachen dafür sind unter anderem mehr Personen- und Güterverkehr auf der Es überrascht daher nicht, wenn die Haltung gegenüber Straße und der Trend zu größeren und schwereren Personen- Umwelt- und Klimaschutz ambivalent ist. In der Umweltbe- kraftwagen. (UBA 2017, S. 98) wusstseins-Studie 2018 stufen 64% der Befragten den Um- welt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein. Zur Steigerung des Personenverkehrs auf der Straße hat da- Über 50% meinen, dass der Umwelt- und Klimaschutz für die bei in den letzten Jahren insbesondere eine größere Zahl von Verkehrs- und Städtebaupolitik eine übergeordnete Bedeu- Berufspendelnden mit gleichzeitig längeren Fahrtwegen maß- tung haben sollte. Andererseits hat für 40% der Befragten geblich beigetragen.1 Auf die persönliche Bereitschaft, das der Faktor, kostengünstig und bequem Wege zurückzulegen, Mobilitätsverhalten zu ändern, haben sich somit die oben die höchste Priorität, auch wenn dadurch Umwelt und Klima genannten dramatischen Warnhinweise nicht bemerkens- belastet werden. In gewissem Sinne wird die Verantwortung wert ausgewirkt. Zwar bezeichnen 89% der Befragten in der für den Klima- und Umweltschutz externalisiert und an die Umweltbewusstsein-Studie
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