FOTO: FOTEX/DRECHSLER DIE ÄRZTE TEXT: ANDRÉ BOSSE Der für die Band bestim- mende Buchstabe zeigt Der typografische Stärke und verortet Die Ärzte in der umlautverwöhnten Bundesrepublik – denn nur in Deutschland ist eine Karriere wie diese möglich: Die Nation benötigt Humor, Zorn, Provokation. Diese Band ist hier genau richtig. Unwahrscheinlich, dass Max Goldt häu- fig Die Ärzte hört. Der Schriftsteller liebt Björk. Und: Er liebt Umlaute. Weshalb er, ohne Die Ärzte häufig zu hören, diese Band allein schon wegen des Schriftbilds mögen wird. In Max Goldts Textsammlung „Ä“ findet sich die gleichnamige Kolumne, in der Goldt – ausgehend vom katholischen Hochfest Mariä Empfängnis (ein gesetz- licher Feiertag leider nur im vom Umlaut verwöhnten Österreich) – ein Hohelied auf den Umlaut im Allgemeinen und das Ä im Speziellen singt. „Viele Völker benei- den uns Deutsche und die Schweden und Norweger wegen unseres verbrieften Rech- tes, Pünktchen auf Buchstaben zu streuen“, schreibt Goldt und preist den Umlaut für seinen Einfluss in der Pop- und Foodkultur: „Man denke an Gruppennamen wie Hüs- ker Dü oder das amerikanische Erfolgseis Häagen-Dazs. Ohne die geile europäische Schreibweise, ohne die schrillen Umlaute hätten weder die Band noch das Fettzeug so einen Anklang gefunden.“ Schließlich fin- det der preisdekorierte Publizist noch eine perfekte Beschreibung des Buchstabens Ä: Dieser mache „echt Laune“, es handle sich um ein „veritables Fun-Ä“. Goldt schreibt es nicht, aber er wür- de es wohl unterschreiben: Das Ä macht aus den Ärzten eine veritable Fun-Band, der Umlaut ist ein bislang sträflich unter- schätzter Garant für den Wahnsinnserfolg. Der Legende nach liegt der Ursprung des Namens in einem Plattenladen in Spandau, in dem Dirk Felsenheimer sehr häufig die Fächer durchwühlt und eines Tages über die Tatsache stolpert, dass es keine Band gibt, die das Ä als Anfangsbuchstaben aus- nutzt, um sich durch diesen cleveren Move ein Alleinstellungsmerkmal im A‑Regal zu Faktor erarbeiten. Aerosmith sind einfach nur zu FOTO: FOTEX/DRECHSLER doof, das zu erkennen – dabei wäre es ä29 DIE ÄRZTE so einfach gewesen! Das Eigenurteil der die sich alle Jubeljahre mal trifft, um über Ärzte, die „beste Band der Welt“ zu sein, die alten Zeiten zu plaudern, jedoch eher ist eigentlich nur wegen des Ä haltbar. Die wenig Freude daran verspürt, ein neu- Band weiß das und huldigt dem Umlaut, es Projekt in Angriff zu nehmen – weil es sie hat ihre jüngste Hitzusammenstellung halt verdammt anstrengend ist, den Ärzte- BÄST OF sowie ihre autorisierte Biogra- Motor noch einmal anzuschmeißen, und fie „Das Buch ä“ genannt. Man beachte wohl noch viel anstrengender, diesen Motor hier das klein geschriebene ä, ein typogra- am Laufen zu halten –, und dann auch noch fischer Clou, weil das ä zwar kleiner ist als dafür zu sorgen, dass einem dieses Ärzte- sein großer Bruder, aber dicker, runder und Gefährt nicht unterm Arsch wegbrettert und präsenter. Hinzu kommt der Trick mit den gegen die Wand kracht. Nutzen wir daher drei Strichelchen, für jedes Mitglied eines. die Zeit, die uns Die Ärzte bis zu einer even- Die Band nimmt also das von Max Goldt tuellen neuen Platte schenken, für eine Grü- beschriebene „verbriefte Recht“ des Pünkt- belei über diese Band. Und kommen wir chenstreuens sehr frei in Anspruch – und dabei zurück aufs Ä. Max Goldt schreibt in der Buchstabe macht seinem Fun-Image seiner Kolumne von Schweden und Norwe- auch alle Ehre! Übrigens, die Abkürzung gern, die sich neben uns Deutschen an den DÄ ist eher eine Sache von Fans, die den Umlauten erfreuen, was zumindest nicht Namen ihrer Lieblingsband sehr häufig tip- vollständig ist: In Finnland und Estland ist pen, sich immer noch mit dem z und dem t das Ä sogar ein eigenständiger Buchstabe vertun und deshalb das flotte DÄ verwen- und damit offizieller Teil des Alphabets. Das den. Es handelt sich dabei um eine durch- ist bei uns nicht der Fall, dennoch ist der aus funktionale Kurzform – aber um keine Umlaut schon sehr deutsch. Und Die Ärz- sehr schöne. Zudem gehört das Copyright te sind ja auch eine sehr deutsche Band. So der Buchstabenkombi dem „Deutschen Ärz- deutsch wie Die Toten Hosen, die großen teblatt“, gegründet 1872 und damit 110 Jah- Rivalen. Aber auch so deutsch wie Gröne- re älter als Die Ärzte, die in diesem Jahr meyer und Die Fantastischen Vier, wie jedoch immerhin auch schon 35 werden – Rammstein und Kraftklub – alles Künstler, brutto. Netto sind es 30 Jahre, da ist dann die eine sehr eigenwillige Karriere hinlegen die knapp fünf Jahre währende Pause von (oder noch daran basteln). Sagen wir es so: 1988 bis 1993 abgezogen. In den Mutterländern des Pop, in Großbri- tannien und den USA, gibt es keine Band unde Geburtstage sind eine wie Die Ärzte. schöne Sache, wenn der Jubi- Um zu erfahren, warum das so ist, hören lar noch fit ist. Sonst wird’s wir Heinz Rudolf Kunze zu. Keine Angst, rührselig. Wie fit also sind nur ganz kurz. Der sehr deutsche Rocker Die Ärzte? Klar, physisch ist hat vor gut einem Jahr das Album VERBEU- alles super, die drei Herren GUNGEN veröffentlicht, mit kunzigen Ver- haben mittlerweile eine Vorbildfunktion für sionen von 14 deutschen Liedern, denen er das Altern im Business. Beim Abstinenzler sich als Künstler verbunden fühlt. Zu hören und Selbstbeherrschungsgroßmeister Farin sind die Einstürzenden Neubauten und Roy Urlaub (gerade 54 Jahre alt geworden) über- Black, Casper und Karat – Kunze wandelt rascht das niemanden, auch Bela B (55) und halt auf einem weiten Feld. Und weil er kein Rodrigo Gonzáles (49) erwecken den Ein- bescheidener Mensch ist, sagt der Sänger zu druck, als könnte das Schwarz ihrer Haa- beinahe jedem Song, er hätte diesen oder re noch echt sein. Doch die Zahlen hinter jenen eigentlich genau so schreiben können. den Namen klingen schon bedrohlich, die Das gelte insbesondere für„Deine Schuld“ zweite Halbzeit des Lebens ist längst ange- von den Ärzten: Bekannt geworden, so Kun- brochen. Vor etwas mehr als einem Jahr ze, sei diese Band ja eher durch ihre „humo- stirbt Hagen Liebing, nach Sahnie und vor rigen Sachen“, hier jedoch höre er „zorni- Rod zweiter Ärzte-Bassist, an einem Hirn- ge junge Männer“, und ein solcher sei er tumor. Von 1986 bis 1988 ist „The Incredible früher in seiner Osnabrücker Heimat auch Hagen“ – auf eigenen Wunsch – Angestell- gewesen. Was Kunze hier mal eben raushaut, ter der Band, „in einer kurzen, aber nicht ist die Formel Ä: Humor, aber immer auch unwichtigen Phase seines Lebens“, wie Zorn. Humor plus x. Diese Gleichung sorgt Die Ärzte im Abschiedsgruß auf ihrer Web- in der Bundesrepublik für sehr konstante site schreiben. Künstlerkarrieren, wobei das x wie in der Wie also geht’s den Ärzten? Also der Mathematik üblich in Form und Umfang Band? Das bislang letzte, zwölfte offiziel- variabel ist: Gröne meyer hat seine spaßi- le Album, AUCH, erscheint vor fünfeinhalb ge „Currywurst“- Komponente reduziert, schon von Persiflage und der Provokati- Jahren, zwischen dieser Platte und JAZZ IST dagegen viel Betroffenheit hinzuaddiert, on unterdrückt, bleibt aber die Grundko- ANDERS (2007) liegen fünf Jahre, den Zwei- wobei er auf der Arenabühne weiterhin ordinate dieser Musik – sonst müsste uns bis-drei-Jahre-Rhythmus zwischen ihren der gut gelaunte Deutschrock-Partytyp ist, allen ja angst und bange werden. Kraftklub Werken hat die Band längst verloren. Als der sich über seine eigene Ungelenkigkeit wiederum suchen noch nach der Stabilität Bela B zuletzt Werbung für sein Soloalbum amüsiert. Fanta 4 machen aus dem Fun- ihrer Formel, mit „Dein Lied“ stocherten die BASTARD macht, redet er über Die Ärzte, Faktor ihrer Rap-Adaption nie einen Hehl, Chemnitzer in den Rauchschwaden ihres als handelte es sich um eine Herren clique, bei Rammstein wird der Humor beinahe abgefackelten Ks, beim Provo-Protestsong FOTO: FOTEX/SYBILLE ANNECK/ BASTA 30 DIE ÄRZTE „Fenster“ ließen sie sich dann von Groß- meister Farin Urlaub helfen; man wäre gern bei den Debatten zwischen Kraftklub und IN DEN MUTTERLÄNDERN dem Ober-Arzt dabei gewesen, bei denen es DES POP, IN GROSS­ sicher auch darum ging herauszuarbeiten, warum die „verdammte Hure“ aus „Dein BRITANNIEN UND DEN Lied“ dafür gesorgt hat, dass die Gleichung USA, GIBT ES KEINE BAND für einen Moment nicht mehr aufging. uch Die Ärzte haben dann WIE DIE ÄRZTE. und wann das Gleich- gewicht verloren. Oder anders: Sie haben sich selbst gefährdet. Und mit ihnen die ganze deut- sche Jugend! Das Album DEBIL hat 1984 das „Schlaflied“ und vor allem die kurze Erzählung über Claudias Schäferhund an Bord. Die Texte seien „geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desori- entieren“, heißt es in der Begründung der Bundes prüfstelle für jugendgefährdende Medien, umlautfrei abgekürzt BPjM. Die Zeilen über die scharfe Claudia und ihren Spaß am Hund übten eine „verrohende Wirkung“ aus, wiesen auf „deviante For- men geschlechtlicher Befriedigung“ hin und entließen den Hörer „im Zustand ange- spannter, latenter Aggressivität“. Daher: Indizierung! Wichtig zu wissen ist, dass diese erst 1987 erfolgt, also drei Jahre nach der Veröffentlichung von DEBIL, weil die BPjM-­Leute erst zu diesem Zeitpunkt Wind von der Sache bekommen. Kurz zuvor fällt ihnen „Geschwisterliebe“ vor die Nase, auch hier muss die Behörde handeln, weil der Inzest nicht klar genug als Satire erkenn- bar sei. Während DEBIL auf Bitten der Band 2004 wieder vom Index fliegt, ist„Geschwis - Super Drei × 3 (von oben im Uhrzeigersinn): terliebe“ bis heute indiziert, heißt: Tonträger DÄ mit dem 1986 geschassten Sahnie, mit dem Lied dürfen nicht an Jugendliche 1987 mit Hagen Liebing und seit 1993 mit Rod unter 18 verkauft und auch nicht öffentlich aufgeführt werden. Machen Die Ärzte natürlich trotzdem. Humor plus x bedeutet nun Humor plus Provokation. Bei einem TV‑Auftritt in der Sendung „Live aus dem Alabama“ bitten Farin und Bela die Fans, das folgende Lied bitte nicht mitzusingen – und spielen dann „Geschwisterliebe“ instrumental. Ha, sehr gut, so steuert man auch Kinder, indem man ihnen sagt, auf gar keinen Fall Papis klei- nen Finger in lauwarmes Wasser zu tauchen, während er samstags mal ausschlafen will.
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