Das Lächeln Der Königin Kein Gold Ist in Salt Lake City So Kostbar Wie Das Der Olympiasiegerin Im Eiskunstlauf

Das Lächeln Der Königin Kein Gold Ist in Salt Lake City So Kostbar Wie Das Der Olympiasiegerin Im Eiskunstlauf

Olympia EISKUNSTLAUF Das Lächeln der Königin Kein Gold ist in Salt Lake City so kostbar wie das der Olympiasiegerin im Eiskunstlauf. Wer hier gewinnt, kann davon noch jahrelang leben: als große Zugnummer einer amerikanischen Eisrevue. Von Alexander Osang Es gibt kein Gold in gestrengt, dass man nicht weiß, ob sie sich Hackensack, New Jersey. freut oder verrückt geworden ist. Sarah Hughes sitzt zwi- Der Bürgermeister nennt die Namen all schen ein paar Lokalpoliti- der verdienstvollen Trainer und ehemaligen kern und Eiskunstläufern Weltmeister, die heute zu Gast sind. Die im Speisesaal ihrer Trai- meisten Namen klingen russisch. Viele der ningshalle. Draußen regnet Spitzentrainer und Läufer aus der Sowjet- es auf einen dunklen Vor- union gingen in den neunziger Jahren nach stadtparkplatz. Hinter ihr Amerika. Die Amerikaner lieben das Eis- hängen die amerikanische Flagge und die kunstlaufen. Nirgends sind sich Kunst und Olympiafahne, denn hier werden gerade Sport näher als in dieser Disziplin. Wie im sechs US-Eiskunstläufer nach Salt Lake klassischen Gerichtssaal-Drama gibt es die City verabschiedet. Sarah Hughes ist ihre Geschworenen, fiese und gute Richter, un- hoffnungsvollste Delegierte. gerechte Siege und tragische Niederlagen. Sie war Dritte der letzten Weltmeister- Falsche und echte Gefühle. schaften und hat in dieser Saison schon Iri- Es kann nur eine gewinnen, aber alle na Slutskaja aus Moskau und Michelle müssen bis zum Schluss lächeln. Kwan aus Los Angeles geschlagen, die da- Dort unten im Publikum sitzt Oksana mals vor ihr lagen. Neben den Flaggen Bajul. Die weiß schon, wie es ist. steht der Spruch: „Der coolste Platz in Oksana Bajul stammt aus Dnjeprope- Hackensack ist das Ice House.“ Hacken- trowsk, einer unansehnlichen Stadt in der sack kann einem Leid tun. Das Ice House Ukraine. Als sie 13 war, starben ihre Groß- ist ein fensterloser Betonwürfel in einem alt eltern, kurz darauf ihre Mutter. Ihren Vater Olympiafavoritin Kwan, Revue-Star Witt: Die gewordenen Einkaufszentrum. Im Saal sit- kannte sie nicht, Oksana hatte nur noch ihre zen vielleicht 150 Gäste, 20 davon Journa- Trainerin. Sie zog mit ihr nach Odessa. Mit len nach Lillehammer und gewann Gold. listen. Der Bürgermeister von Hackensack 16 Jahren fuhr sie zu den Olympischen Spie- Ein Riesentalent, das aus dem Dunkeln auf- redet. Sarah Hughes hat eine geschwolle- getaucht war. Nach den Spielen wanderte ne Nase, rote Augen, und sie lächelt, als sie nach Connecticut aus und wurde Profi. gehöre das Lächeln mit zur Erkältung. „Gott schütze euch“, ruft der Bürger- Es gibt schon so viele Reden und noch meister von Hackensack. „Gott schütze so wenig zu sagen. Amerika.“ Am Montag war sie auf dem Titel des Sarah Hughes strahlt und strahlt. Sie „Time“-Magazins. Sie ist 16 Jahre alt. Es muss noch ein paar Fotos machen lassen, sind die ersten Olympischen Spiele ihres eins neben dem Besitzer des Ice House, Lebens, „Sports Illustrated“ hat geschrie- eins neben dem Bürgermeister. ben, sie könne gewinnen. „Time“ hat das Zwanzig Meter von ihnen entfernt er- geschrieben und die „New York Times“ zählt Oksana Bajul leise, dass sie sich in- auch. Im Augenblick sagt es gerade Bür- zwischen eher als Künstlerin begreife denn germeister Jack Zisa. Er hat gefärbte Haa- als Eiskunstläuferin. Sie ist blond und blass, re, ist braun gebrannt, und so weiß man sie hat einen schmalen Kasten mit glän- nicht, ob man ihm trauen kann. zenden Autogrammfotos dabei, den sie Manche schreiben, Sarah Hughes drei- vorsichtig öffnet. Die Bilder sehen aus, als facher Lutz sei unsauber. Eher ein Flutz als stammten sie aus besseren Zeiten. Sie sagt, ein Lutz. Manche sagen, sie habe noch ihr letzter Auftritt war im Herbst für eine nicht genug Ausstrahlung. Manche schrei- Fernseh-Eis-Show auf Fox. Manchmal ben, es sei wichtig für Amerika, dass Mi- schüttelt ein nervöses Zucken ihre Züge. chelle Kwan gewinnt. Alles wispert. Ihre Sie kann dann für einen Moment nicht wei- Trainerin Robin Wagner sagt, das gehöre terreden. Neben ihr steht ein junger Mann zum Spiel. „Die anderen wollen Sarah ver- „Time“-Covergirl Hughes mit dunklen, glänzenden Haaren und bei- unsichern“, sagt sie und lacht dabei so an- „Der Druck ist bei anderen größer“ gen Ballonhosen. Er ist ihr Manager. 114 der spiegel 7/2002 Die Russin Irina Sluts- kaja sagt: „Heute gewinne ich. Morgen Michelle oder Sarah. Das ist gut so, ich mag das. Das ist Sport.“ „Außerdem weiß ich seit dem 11. September, dass es wichtigere Dinge gibt als Eislaufen“, fällt Sa- rah Hughes noch ein. Alle drei lächeln beim Sprechen. Vielleicht reden sie schon mit den Preis- richtern. Eiskunstlaufper- sönlichkeiten wachsen über Jahre. Es gibt Unbesieg- bare und ewige Zweite. Die Eisprinzessin und die Eis- hexe. Manche sind das für eine Saison, manche für eine Karriere. Die Juroren sehen schon beim Trai- ning zu. Eiskunstlaufen ist mehr als Sport. Und so kann man auch mehr verlieren. Am Tag, als Sarah Hughes nach Salt Lake City aufbricht, wird im Savvis Center von St. Louis ein Countdown gesprochen. Die Halle ist dunkel, weiße Lichtflecken tanzen über das Eis, 8000 Zuschauer warten auf die „Stars on Ice“. Der Sprecher ruft die Namen von ehemaligen Europameistern, Olympia- siegern und Weltmeistern in die dramatisch an- DUANE BURLESON / AP BURLESON DUANE / BONGARTS HASSENSTEIN ALEXANDER schwellende Musik. Zuschauer toben – und am Ende fällt eine amerikanische Fahne vom Himmel Kurt Browning ist dabei, der viermal Weltmeister Oksana Bajuls Leben bewegte sich nach möchte Hughes und Bajul zusammen auf wurde, ein Weltmeistertanzpaar und auch dem Olympiasieg schneller als zuvor. Sie dem Bild haben. Ilja Kulik, der Olympiasieger von Nagano. hat in Amerika viel Geld verdient. Sie hat „Die ehemalige Olympiasiegerin und die Doch die letzten drei Namen des Count- viel eingekauft. Sie nahm zu. Sie hungerte künftige“, ruft er. downs gehören den Damen. Es sind Olym- sich durch absurde Diäten. Sie nahm ab, Alle lachen. Sarah Hughes stellt nur kurz piasiegerinnen der letzten 18 Jahre. Katari- wurde aber launisch. Sie beschimpfte an- ihren Teebecher auf dem Fußboden ab. na Witt. Kristi Yamaguchi. Tara Lipinski. dere Eiskunstläuferinnen. Sie fing an zu Aber als sie sich aufrichtet, ist Oksana Ba- Das ist die Reihenfolge. trinken. Als sie 19 war, ist sie im Suff gegen jul verschwunden. Sarah sieht ihr hinter- Sarajevo, Calgary, Albertville, Nagano. einen Baum gefahren, sie wurde verhaftet her. Oksana war ein großes Talent. Sie war Das letzte Gold ist das wertvollste. Die Zu- und machte eine Entziehungskur. Sie läuft 16. Wie sie. schauer werden mit jedem Namen lauter, nicht mehr in den großen Shows mit. Die Der Bürgermeister von Hackensack Tara Lipinski ist der Höhepunkt. Dann be- Leute aus dem Eiskunstlaufbusiness ma- drückt Sarah Hughes die Hand, als schicke ginnt eine dreistündige Eiskunstlaufshow. chen vielsagende Gesichter, wenn sie über er sie in den Krieg. Spürt sie Druck? Die „Stars on Ice“ touren durch 61 ame- Oksana Bajul reden. Sie ist jetzt 24. Nicht „Ich will gewinnen“, sagt Sarah Hughes. rikanische Städte. Sie treten nicht in klei- alt, nicht mal für eine Eiskunstläuferin. „Aber ich bin noch jung. Es müssen nicht nen Hallen auf, sondern in den größten. Sie Aber all das sagt sie nicht. Sie sagt nur: meine letzten Olympischen Spiele sein. In- fahren nicht in einem miefigen Bandbus, „Amerika hat mich adoptiert.“ sofern ist der Druck bei anderen größer. sondern fliegen in einer DC-9 mit Leder- Ihr Manager zupft sie sanft am Ärmel, Michelle ist schon bei den letzten Olympi- sitzen und wohnen im besten Hotel der als müssten sie noch irgendwohin. Oksana schen Spielen geschlagen worden.“ Stadt. Amerika liebt sie. klappt ihre Bilderschachtel sorgfältig zu Michelle Kwan, die große amerikanische Ihre Show heißt GOLD. und folgt dem Mann. Favoritin, sagt drei Abende später: „Ich Es geht um Olympia, um Goldmedaillen, Am Ausgang treffen sie auf Sarah Hughes will natürlich gewinnen. Aber es ist mir alle springen, als gäbe es immer noch was und deren Trainerin, die sich gerade vom nicht wichtig, als Olympiasiegerin in die zu gewinnen. Die Zuschauer toben, und Hackensacker Bürgermeister verabschie- Geschichte einzugehen. Die Leute sollen am Ende fällt eine amerikanische Fahne den wollen. Oksana Bajul wünscht alles sich an das erinnern, was ich in den Sport aus dem Hallenhimmel, und Tara Lipinski Gute für Salt Lake. Ein dicker Fotograf eingebracht habe. Freude und Schönheit.“ tanzt in einer winzigen hellblauen Tapfere- der spiegel 7/2002 115 hat die Lust verloren. Im nächsten Jahr steigt sie aus. Sie ist mit einem Eishockey- spieler verheiratet, sie will sich mehr um ihre Ehe kümmern. Mehr zu Hause sein. Tara Lipinski hat 1998 in Nagano ge- wonnen. Sie war 15 Jahre alt, sie war die jüngste Olympiasiegerin bei den Damen. „Viele Leute haben danach gesagt, ich sei so jung gewesen, dass ich den Druck nicht spürte. Aber ich bin nicht blöd, ich wusste schon, worum es ging. Es war so, dass ich perfekt sein musste, und Michelle Kwan musste Fehler machen. Ich war als Zweite in den Köpfen. Niemand glaubte an mich. Als ich das begriff, war ich plötzlich frei. Ich hatte keine schlechten Gedanken mehr. Es war wunderschön.“ Sie lief eine derart erfrischende Kür, dass die Juroren aufwachten. Michelle Kwan hatte die Energie nicht mehr, das umzu- drehen. Tara Lipinski wartete ein paar Mo- nate und wurde im Herbst 1998 Profi. „Ich hatte ja irgendwie alles erreicht. Ich RALF-FINN HESTOFT / CORBIS SABA HESTOFT RALF-FINN wusste nicht, was noch kommen sollte. Ich Profi-Eiskunstläuferinnen bei „Stars on Ice“: „Irgendwie alles erreicht“ hatte auch schon relativ früh körperliche Beschwerden. Im letzten Jahr hatte ich eine Soldaten-Uniform zum Amerika-Lied. „Eigentlich habe ich immer nur das ge- Hüftoperation. Ich wollte nicht mehr so 8000 Zuschauer geben noch Standing Ova- wollt. Ich wollte in eine Eis-Show, und der viel springen. Ich will mich mehr auf den tions, während die „Stars on Ice“-Crew im Olympiasieg hat mir eben die Türen geöff- künstlerischen Ausdruck konzentrieren.

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