Hermann Kühn Historische Materialien und Techniken der Wandmalereirestaurierung aus naturwissenschaftlicher Sicht Jede Substanz, die bei Konservierungen und Restaurierungen an• störung der Malereioberfläche. Die durch die Säureeinwirkung gewandt wird, hat Nebenwirkungen, ähnlich wie jeder als Heil• angegriffene Oberfläche ist rau, was zur Folge hat. dass die Ma• mittel verwendete Stoff. Dies gilt auch für Wasser. Verwendet lerei nach verhältnismäßig kurzer Zeit vergraut erscheint. werden sollte ein Mittel nur, wenn die mit der Anwendung ver• Außerdem werden verschiedene Pigmente, wie insbesondere bundenen Nachteile ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Kupferpigmente, rasch aufgelöst und zerstört. Das bei der Zer• Man wird in jedem einzelnen Fall zwischen der Notwendigkeit, setzung des Kalkes durch Salzsäure entstehende Calciumchlorid dem Nutzen und den Nachteilen abwägen müssen. Ebenso wich• ist ein hygroskopisches Salz, das in den Malschichten und im tig wie die Eigenschaften des Konservierungsmittels, zu denen Putz verbleibt. auch Veränderungen im gealterten Zustand zählen, ist die sach• Bei der Anwendung anderer Säuren anstelle von Salzsäure, gemäße Anwendung, die dem einzelnen Fall angepasst sein muss. wie zum Beispiel Ameisensäure oder Essigsäure, wird ebenfalls Voraussetzung für eine sachgemäße Anwendung ist die Diagno• die Kalkmatrix angegriffen, die Oberfläche der Malerei wird se, die wiederum eine sorgfaltige Untersuchung des Objekts so• verätzt und es verbleiben Salzrückstände (Calciumformiat, Cal• wie seiner Veränderungen und Schäden voraussetzt. Naturwis• ciumacetat). senschaftliche Methoden sind dabei ein wichtiges Hilfsmittel. Im Folgenden werden Verfahren und Chemikalien erörtert, die in der Geschichte der Wandmalcreirestaurierung bis ins 20. Festigung der Malschicht Jahrhundert hinein weit verbreitet waren.1 Seit langem verwendet man Kasein als Festigungsmittcl. Zum Beispiel wurde bei der Restaurierung gotischer Wandmalereien Trockenreinigung in der evang. Kirche von Höribach in einem Schreiben des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege von 1921 gefor• Seit Jahrhunderten bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhun• dert, „zur Festigung der Farben und zur Härtung des alten Ver• derts hinein war es üblich, Wandmalerei mit weichem Brot zu putzes die bemalten Flächen mit Kasein (20 Teile Topfen und reinigen. Zum Beispiel wurden die Fresken Michelangelos in 1 Teil Kalk) dünn zu fixieren."'' Für ein befriedigendes Ergebnis der Sixtinischen Kapelle 1625 von dem Maler Simone Lagi mit spielt nicht allein die Rezeptur, sondern auch die Art und Sorg• Leintuch und Brot gereinigt.2 Diese Art von Reinigung wird falt der Anwendung eine wichtige Rolle. Dazu gibt bereits 1903 vom späten 19. Jahrhundert an auch von Fachleuten empfohlen. Georg Hager folgende Anweisungen: „Gehen die Farben ab, so Ernst Berger rät zum Beispiel, nach dem Abstauben mit einem wird das Ganze mit Kalk- oder Käsewasser (Kaseinlösung) mit weichen Borstenpinsel, die Rußschicht auf Wandmalereien mit dem Fixierrohr fixiert, und zwar aus möglichst weiter Entfer• „nicht zu frisch gebackenem Brot" zu entfernen.1 Dieses Vorge• nung und öfter, damit nicht zuviel Wasser auf die Fläche kommt hen wurde von Eibner4 über Docrner' bis hin zu Wehitc (1967)6 und herabläuft"."1 Malschichtfixicrungen mit Kaseinlösung gutgeheißen. Erst seit jüngster Zeit wird das Reinigen mit Brot wurden bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts häufig von naturwissenschaftlicher Seite abgelehnt, da verbleibende durchgeführt. Eibner" und Docrncr'3 befürworteten Fixierun• Reste einen Nährboden für Schimmel und andere Mikro• gen mit Kasein, während in dem Handbuch von Wehlte 1967" organismen abgeben. Anstelle von Brot verwendet man heute ausdrücklich auf die Gefahren von Kasein und Kalkkascin hin• schaumartige Gumm imassen, wie zum Beispiel die Rcinigungs- gewiesen wird. Kasein kann, in zu starker Konzentration ange• schwämme des Typus „wishab"7, knetbare Papierreiniger aus wandt, so starke Spannungen verursachen, dass die Malerei ab• Kautschuk und andere Knetmassen. Dabei ist zu bedenken, dass blättert. Ein weiterer Nachteil ist häufig eine bleibende Vergrau• Knetmassen zum Teil ölige Substanzen enthalten, die auf der ung der Oberfläche. gereinigten Fläche als Rückstand verbleiben. Kalk(Sinter)wasser, eine gesättigte Lösung von gelöschtem Kalk (Calciumhydroxid) und Anteilen von Calciumhydrogcn- carbonat, wandelt sich an der Luft in Calciumcarbonat um und Feuchtreinigung bindet dabei die Teilchen pudernder Malschichten. Der Anwen• dung liegt der Gedanke zugrunde, für die Festigung ein Materi• Ohne Einschränkungen abzulehnen ist die Verwendung von ver• al zu verwenden, das der Kalkmatrix entspricht. Ein Nachteil ist. dünnter Salzsäure zur Reinigung von Wandmalereien. Obwohl dass die Behandlung oft Trübung oder Schleierbildung nach bereits 1903 Georg Hager dies als „gefährliche Möglichkeit" be• sich zieht. Ursache hierfür sind Kalkablagerungen bzw. fein zeichnete/ hat man Salzsäure weiterhin benutzt, da sie durch „aufgewachsene" Carbonatteilchcn. die das auftreffende Licht Kalksinter verursachte Vergrauung und verschiedenartige streuen. Alternativ zu Kalkwasscr wird Barytwasser, d. h. eine Flecken ebenso entfernt wie Schmutz, der in Sinter eingebunden gesättigte wässrige Lösung von Bariumhydroxid vorgeschlagen, ist. Da Salzsäure in starkem Maße Kalk angreift und ihre Wir• wobei Bariumcarbonat als bindende Substanz entsteht. Die Be• kung nicht auf die verschmutzte Obcrflächcnzonc beschränkt handlung hat meist zu ähnlichen Trübungen oder Grauschleicrn werden kann, kommt es zu einer mehr oder weniger starken Zer• geführt wie die Anwendung von Kalkwasser. 255 Als mineralisches Festigungsmittel wurde vom späten soll sich in gealtertem Zustand mit Lösungsmitteln wieder ent• 19. Jahrhundert an wiederholt Wasserglas (Keim'sches Fixativ) fernen lassen, ohne dass dabei originale Substanz geschädigt empfohlen und angewandt. Wasserglas ist ein Alkalisilicat, des• wird. Das Festigungsmittel muss unempfindlich gegen Feuch• sen wässrige Lösung sich an der Luft in Kieselsäure und Natri• tigkeit, häufigen und starken Temperaturwechsel sowie gegen umhydroxid oder Kaliumhydroxid (je nachdem, ob es sich um Ultraviolettstrahlen sein. Es soll keinen Nährboden für Algen, Natron- oder Kaliwasserglas handelt) zersetzt. Die zunächst gal• Pilze und Bakterien abgeben und es darf das Erscheinungsbild lertartige und schließlich erhärtende Kieselsäure wirkt als festi• einer Malerei nicht wesentlich verändern (Tiefenlicht). Aller• gende Kittsubstanz. Abgesehen von dem stark alkalischen Cha• dings gibt es dieses Mittel (noch) nicht, Kompromisse werden rakter, der Pigmentveränderungen zur Folge haben kann, verur• weiterhin notwendig sein. sacht die Kieselsäure - oft erst nach einiger Zeit in Erscheinung tretende - Trübungen oder Schleier, die kaum noch zu entfernen sind. Aus Natriumhydroxid/Kaliumhydroxid entstehen zunächst Putzausbesserungen, Kittungen die entsprechenden Carbonate, die unter dem Einfluss von Schwefeloxiden aus der Luft (oder in Gegenwart von Sulfaten Bereits 1921 fordert das Bayerische Landesamt für Denkmal• im Putz) Natrium- oder Kaliumsulfat bilden und zu einer Salz• pflege für die Restaurierung der bereits erwähnten Wandgemäl• belastung führen. Bevorzugt wurde Kaliwasserglas, da das ent• de in Höribach, dass die nötigen Verputzausbesserungen nur mit stehende Kaliumcarbonat im Gegensatz zu Natriumcarbonat an reinem Kalkmörtel vorgenommen werden dürfen.17 Eben dies der Luft zerfließt und der dünne, transparente Film der Lösung verlangt das Amt auch bei der Malerei des „Volto Santo" in der Trübungserscheinungen eine Zeit lang verhindert. Weißenburger Karmeliterkirche: lose gewordene Mörtelteile Trotz der vorherrschenden Meinung, dass anorganische werden mit Kalkmörtel - Kalk und Sand in gleichem Mi• („mineralische") Substanzen ihrer Natur entsprechend für die schungsverhältnis wie beim alten Mörtel - gesichert und die Festigung von Kalk-gebundenen Farben besser geeignet sind als Löcher gekittet. Man verwendete nach Möglichkeit gelagerten organische Stoffe, hat man auch Letztere angewandt. Wesentli• Sumpfkalk und nicht selten Zusätze von Quark.18 che Gründe dafür waren, dass zum Beispiel Harzlösungen und Aus der Zeit der akademischen Maler-Restauratoren im trocknende Öle ein sehr gutes Klebevermögcn aufweisen und frühen 20. Jahrhundert stammen Rezepturen, nach denen Lö• außerdem Tiefenlicht verursachen, das vorhandene Schleier und cher mit einem Gemisch aus Sand, Kalk und Gips ausgefüllt Vergrauungen weitgehend unsichtbar macht. Es zeigte sich je• wurden.1'1 Die Oberfläche hat man bei anspruchsvollen Restau• doch, dass, abgesehen von der starken Veränderung des Male• rierungen dem originalen Umfeld angepasst, d. h. je nachdem reicharakters, der anfangs oft verblüffende Erfolg von nur kur• mit dem Eisen geglättet oder auch mit dem Pinsel und Wasser zer Dauer war. Nach einiger Zeit traten Trübungen und Ver• aufgeraut. Die bis in die sechziger Jahre noch häufig verwende• grauungen auf, die teils auf Krepieren (Bildung von Mikroris- ten gipshaltigen Kittmassen werden in neuerer Zeit vielfach ent• sen) der Öl- und Harzfilme, teils auf deren chemische Verände• fernt, da sie andere physikalische Eigenschaften haben als Kalk• rung zurückzuführen waren, begleitet nicht selten von Dunkel• mörtel (Wärmeleitfähigkeit, Porosität/Dichte) und vor allem färbung und Verbräunung. Dabei spielt auch die starke Neigung auch, da Gips als wasserlöslicher Stoff von Feuchtigkeit trans• zu Verschmutzung eine Rolle.
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