SEITE 12 · MONTAG, 14. NOVEMBER 2016 · NR. 266 Musik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Auch das noch Brillant, frisch, mit einem Schuss Lachen Als der Produzent Walter Legge 1946 in Wien für seine Firma „His Master’s Voice“ vielversprechende Künstler such- te, fand er eine junge Sängerin, die nach kurzer Zeit nicht nur seine Ehefrau, son- dern auch „Her Master’s Voice“ wurde: Eli- sabeth Schwarzkopf. Sie gab am 23. Ok- tober 1946 im Brahmssaal des Wiener Mu- sikvereins ihr Platten-Debüt: mit der Mar- tern-Arie der Konstanze aus Mozarts „Entführung“. Am Pult stand ein zweiter Star in spe: Herbert von Karajan. Es war die erste von knapp einhundert 78er Plat- ten aus der Zeit vor der Langspielplatte, die jetzt, erstmals vollständig veröffent- licht, die Begegnung mit einer Stimme er- möglichen, deren Klang Legge als ,,brilli- ant, fresh and shot with laughter“ be- schrieb (The Complete 78 RPM Recor- dings 1946–1952, Warner). Wie die bra- vourös gesungene Martern-Arie sind auch die Aufnahmen von Bachs „Jauchzet Gott“ (mit einem stupenden Trompeten- solo), Händels ,,L’allegro, il pensiero“ (ei- nem ebenso stupenden Flötensolo), Mo- zarts „L’amerò, sarò costante“ (mit einer sublimen Kadenz) Zeugnisse feinster Bel- canto-Kunst. Der Zauber ihrer mit vielen Farben malenden Stimme verdoppelt sich im Zusammenklang mit dem Samtsopran von Irmgard Seefried im Abendsegen aus „Hänsel und Gretel“. In den Liedern – Dowland, Arne, Schubert, Schumann, Der Witz am Blitz ist das Licht im Gesicht: Sandra (links) und Kerstin Grether von Doctorella wissen ganz genau, wie Hingucken aussieht. Foto Bohemian Strawberry Brahms, Wolf und Nikolai Medtner – ist die Empfindungstiefe der Jugend zu spü- ren und nichts von den Detailaffektatio- nen der ,reifen‘ Diva. JK v Ist es ein Sakrileg, Punkrocksongs in gefäl- Das hörste der Gefühle ligen Bossa Nova umzuformen oder gar in zuckrigen Pop? Von der französischen konnte, sondern sie beim Hören gleich- über die ganze mal schwebende, mal tau- ihrem Spielrevier nicht allzu viele Mäd- ein mit beeindruckender Selbstbeherr- Band Nouvelle Vague ist man solche Die Früchte der sam zubereiten musste wie einen mi- chende und mal flanierende Reise dieser chen mitmachen. schung am Umkippen gehindertes kör- Scherze gewohnt, aber was sie nun etwa Furchtlosigkeit ergeben schungstechnisch fordernden Salat (akus- Platte gleichzeitig einerseits ohne Vorbe- Bei Doctorella machen dafür umge- perliches Mitschwingen aller Musikner- aus dem Ramones-Stück „I Wana Be Seda- tischer Veganismus kann ziemlich bissig halt im ungeschützt Liedhaften unter- kehrt durchaus Jungs mit – Sascha Rohr- ven mit dem Moment, in dem man die Zu- ted“ machen, kann man zunächst kaum den reichsten Salat: sein). Wer nicht achtgibt, verpasst die Ge- wegs zu bleiben und andererseits einen berg an diversen Gitarren, die manchmal dringlichkeit eines lügenhaften Ange- glauben: „Just put me in a wheelchair, get legenheit, sich in diesen Seelenbädern zu nonchalanten Abstand zur Gutgläubig- fabelhaft pfeifen, Fabrizio Steinbach, des- bots von sich wegschubst: Nein danke, du me on a plane“, säuselt hier eine Frauen- Auf dem zweiten Album verlieren – paradox eigentlich, aber ex- keit der Songlogik an sich selbst zu hal- sen Bass in den stärksten Momenten Idiot, ich brauche deine Zweitstimme in stimme zu Gitarren, die sedierten Sun- der Berliner Band trem wirkungsvoll: Nur wer mitdenkt, ten? Süß, aber herb, also fruchtig: Das klingt wie eine hüpfende Wasserbombe, meinem Lebenslied nicht. Das ist teils shine-Reggae spielen. Wie auf Sedativum wird beim Doctorellahören den Kopf los. neue, selbstgegründete Label der beiden, die nie platzen, aber auch nie zur Ruhe kühle Durchsage, teils heißer Drachena- eingespielt klingt auch das Titelstück des Doctorella kann man Fragt sich also, wie das gemacht ist – das sich der feministischen Klangfor- kommen wird, Flavio Steinbach an ei- tem, teils Grenadiermarsch, teils India- Albums „I Could Be Happy“ (Kwaidan Re- wie kriegen die das zum Beispiel auch schung verschrieben hat, heißt „Bohemi- nem Schlagzeug, das auf „Du bist immer nertrommel – „ihre Hände haben kein cords/Alive), das einen Hit der kurzlebi- Empfindungen erleben, auf der neuen Platte, „Ich will alles von an Strawberry“ – wer das nicht versteht, noch mein Idol“ die Zeit mit höflichstem Herz, und ihr Herz hat keine Hände“ –, gen New-Wave-Band Altered Images wie- die den Ohren ganz dir wissen“, wieder hin, dass nicht nur muss den Abwasch machen, den Müll Ticktack dazu verführt, hurtiger zu verge- übrigens, haben Sie schon einmal den ge- der aufgreift. Nach weiteren ziemlich ge- die Chöre selbst bei ganz verschiedenen runterbringen und den Klodeckel desinfi- hen, als selbst die Bläser erwartet hätten, wählten neuen Präsidenten der Vereinig- lungenen Umwandlungen dieser Art etwa neue Ideen einflüstern. Stimmlagen der einzelnen Chorfarben zieren, dann hören wir weiter. die darüber in einem Kreistanz kleiner ten Staaten dabei beobachtet, wie er sei- von Brian Eno, The Cure oder Richard gänzlich textergeben einstimmig klingen, „Der Akkordeonist spielt eh nur Quakfrösche staunen, der so putzig wie ne Sprüche mit kaputten Gesten unter- Hell wagen sich die ausgefuchsten Schun- sondern komplementär dazu die Solistin Mist“: Doctorella können es sich leisten, unterschwellig bedrohlich ist – man lege streicht? kelspezialisten um Olivier Libaux und am Mikrofon seltsamerweise immer wie- über Musik zu spotten, die nicht mehr noch die Synthesizer von Harrison Silver- „Ich will alles von dir wissen“ sollte Marc Collin nun allerdings auch erstmals chöne Melodien sind wie essbare der mehrstimmig wirkt, etwa wenn die will, als von coolen Jungs virtuos zu- fox dazu, ein paar Gaststimmen, ein paar man in der letzten nächtlichen S-Bahn an Eigenkompositionen. Sie schließen im Stil nahtlos an das erprobte Slow-Bossa- Wildpflanzen: Mann fühlt sich Versperle „Du bist der Revolutionär / und rechtgefummelt zu sein; bei ihnen gibt’s undefinierbare Fußnotengeräusche, di- hören, die auf der Schiene so beklommen Konzept an. „La pluie et le beau temps“ immer ein bisschen schäfchen- manchmal auch der kleine Bär“ einer- was Besseres als den Stumpfsinn der verse Song-Auftakt-Einfälle, die einer- knirscht, dass man meint, sie schäme etwa ist schön, allerdings auch nicht sehr brav oder kuhdumm, wenn man seits so klar wie bei einer Nachrichten- Pose, zum Beispiel beim Einbetten der seits wie in Bronze gegossen, anderer- sich dafür, wie müde die Menschen in ih- S originell. Da fragt man sich dann schon glücklich darauf herumkaut. Denn das sprecherin artikuliert, andererseits aber Stimme ins Zusammenspiel der Band – seits spielkindlebendig verziert sind, und ren Abteilen immer aussehen. wieder, wie das wohl klingen würde, schlechte Gewissen des Menschenher- auch zu „und monchmol auch der kloinö ein ganz magisches, sowohl rasches wie man findet sich in einer Welt wieder, in Der alltagsmedizinische Gebrauchs- wenn es von einer Punk- oder vielleicht zens, das von sich weiß, dass es eigent- Böah“ verwandelt wird? sanftes Wiederholen von Einzeltönen, der ein Stück namens „Heißluftballon“ wert der Platte liegt auf der Hand; Sie noch besser: Death-Metal-Gruppe nach- lich ein skrupelloser Fleischfresser ist, Der (in Ermangelung emanzipierterer gespielten wie gesungenen. Man denkt die neue Musikrichtung „Flattergospel“ wirkt entzündungshemmend, quatschlö- gespielt würde. wiel verdächtigt sich der Heuchelei, wenn es Fachbegriffe) mädchenhaft harmonische an die Harfe, auf der Schlumpfine spielt, einläuten kann oder sich das Wort send und kann bedenkenlos gegen Lügen- den süßsauren Saft aus scheinbar natur- Chor lässt sich ja zur Not noch als gegen wenn sie bei Mondschein darüber nach- „Knie“ auf das Wort „Selfie“ reimt, ohne befall und Selbstzweifelpilz eingesetzt v wüchsigen Stimmungen saugt. sein eigenes Konstruktionsprinzip ge- denkt, dass es manchmal schon nervt, dass eins von beiden sich schämen müss- werden. DIETMAR DATH Liebe ist das Thema eines neuen Albums Schon auf dem Debütalbum „Drogen brauchtes Instrument verstehen, ein Ef- wie oft und hartnäckig es im Post- te. Überhaupt diese Reime – „Liebeslie- von Christina Landshamer (Oehms Clas- und Psychologen“ (2012) hat die Band fekt wie bei der vollen Verschiebung aufs Rock-’n’-Roll-Leben von Schlumpfdorf der“ zum Beispiel hört man „niemals wie- Doctorella: „Ich will sics/Naxos). Mit dem Pianisten Gerold Hu- Doctorella die zahlreichen Momente, in linke Pedal beim Klavierspiel oder beim um die Aufschneidereien und Unsicher- der“; Sprache kann manchmal eben doch alles von dir wissen“. ber hat die Sängerin Lieder von Viktor Ull- denen man gern ins weiche, schmackhaf- Anschlagen einer einzigen Saite auf der heiten der vielen Schlumpfjungs geht, fast so stark stimmen wie Rechnen, text- mann und Robert Schumann eingespielt, te Gras beißt, dadurch verfeinert, dass Gitarre. Aber wie soll das Ohr begreifen, die zwar alle extrem einzigartig, origi- lich wie musikalisch, von den Parolen bis die vorwiegend von abgewiesenen, sehn- das Gehör die emotionalen Angebote dass die Sängerinnen Kerstin und Sandra nell und unverwechselbar sind, sich aber zum Arrangement. Als subjektiven Gip- süchtig wartenden oder eifersüchtigen nicht einfach aus dem musikalischen Grether, jede für sich und beide für eine dann doch recht geschlossen so verhal- fel erlebt der Rezensent das Stück „Die Bohemian Strawberry Frauen handeln. Von Ullmann enthält die Nährboden rupfen und zahm abgrasen für alle, sich nicht spalten müssen, um ten, als wäre es ihnen ganz recht, dass in Ungeheuer mit den sauberen Händen“,
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