nal aus dem 4.11 irland jour Mai 1941 – Deutsche Bomben auf Dublin Von Manfred Fischer Als Ivan Beshoff zu Beginn des Zwei- ten Weltkriegs als russisch-ukraini- scher Emigrant seinen ersten Fish & Chips-Shop in Dublins North Strand er- öffnete, ahnte er wohl nicht, dass sei- ne Nachkommen fast hundert Jahre später eine ganze Kette von Schnell- imbissen betreiben und neben Leo Burdock’s zu den ersten Adressen für dieses doch recht britische National- gericht werden sollten. Ahnen konnte er auch nicht, dass sein erster „Chipper“ in der lauen Nacht vom 31. Mai 1941 von einem deut- schen Bomber in Schutt und Asche gelegt werden würde. Bomber vom Typ Heinkel He III Ivan Beshoff (1882-1987, auch seine Nachfah- ren erreichten ein biblisches Alter!) war eine O’Nolan) hatte erst 244 Exemplare seines Kult- schen Piloten diente die irische Ostküste gern interessante Persönlichkeit: 1905 nahm er an der buches „At Swim-Two-Birds“ (1939) verkauft, als Orientierungshilfe für Angriffe auf Belfast „Potemkin-Meuterei“ teil, floh über die Türkei der Rest der Auflage befand sich in Longman’s (United Kingdom) oder Liverpool bzw. Glasgow nach London, wo er Lenin traf, der ihn dem iri- Lagerhaus in North Strand, das ebenfalls zer- oder Wales. Dass dabei Dublin ins Fadenkreuz schen Sozialisten Jim Larkin vorstellte. Als er sein stört wurde. Beinahe wäre O’Brian’s Meister- geriet, ist der Unerfahrenheit der meist jungen Auswandererschiff nach Kanada verpasste, lan- werk nicht mehr erschienen, waren die Ver- Piloten und der eher bescheidenen technischen dete er in Dublin. Dort arbeitete er für eine rus- kaufszahlen bis dahin doch recht dürftig. Ausrüstung der Flugzeuge zuzuschreiben, ob- sische Ölfirma, bis diese ihre Handelsbeziehun- „Ulysses“-Leser erinnern sich vielleicht an die wohl Dublin im Gegensatz zu den feindlichen gen einstellte. „Hades-Episode“, in der Leopold Bloom an der Städten auf Verdunkelung verzichtete. Man Zwischendurch war er auch einmal (1922) Beisetzung Paddy Dignam’s teilnimmt. Das für fühlte sich sicher. fälschlicherweise als deutscher Spion von briti- die Beerdigung zuständige Institut wurde von schen Behörden (Irland war damals noch Teil H.J. O’Neill geleitet, einem Undertaker aus der des UK) verhaftet worden. In London hatte er North Strand-Gegend. Auch sein Betrieb über- das Fish & Chips – Geschäft, das hauptsächlich stand die Bombenattacke nicht. von italienischen Immigranten betrieben wur- de, kennen gelernt. Die Gegend um North Deutsche Angriffe auf das neutrale Irland Strand war trotz Innenstadtlage damals fast ländlich geprägt, vielleicht erinnerte sie Beshoff Bereits vor dem 31. Mai gab es Luftangriffe auf sogar an seine ukrainische Heimat, als er dort irische Städte. Auch wenn teilweise abenteuer- mit Hilfe italienischer Freunde seinen Einstand liche Gründe für die Bombardierungen gesucht als „Chipper“ feierte. wurden – heute ist es unumstritten, dass es sich Beshoff war nicht das einzige prominente Op- um Piloten- bzw. Navigationsfehler gehandelt fer der Bombennacht: Flann O’Brien (Brian haben muss. Bei den oft unerfahrenen deut- 26 irland journal XXIII, 4.12 IRISH LIFE LESEBUCH 26. August 1940, Co. Wexford: Zwei Bomben Allerdings gibt es auch andere Vermutungen: fallen in der Nähe von Campile auf ein Haus Da es sich bei dem betroffenen Stadtteil um eine und im Ort auf die Molkerei. Beim ersten Ab- besonders von der jüdischen Gemeinde be- wurf wird das Dach eines Privathauses zerstört, wohnte Gegend handelt (mit Synagoge), wer- die zweite Bombe tötet drei junge Frauen. den die Deutschen verdächtigt, einen anti-jü- Während die irische Regierung mit Protesten dischen Einsatz geflogen zu haben. Beide Ge- recht zurückhaltend ist (man will die Deutschen rüchte haben sich als haltlos erwiesen. nicht provozieren), gibt Nazi-Deutschland den Irrtum zu und überweist als „Entschädigung“ 5. Mai 1941, Malin, Co. Donegal. Vermutlich 9000 Pfd. Sterling. Noch 2006 verlangt eine iri- wähnt sich der deutsche Pilot über nordirischem sche Zeitung eine Untersuchung der Vorfälle Gebiet, als er seine explosive Fracht über einem von 1940, da immer wieder Gerüchte auftau- Feld “entsorgt”. chen, dass die Bombardierung ein Racheakt für die Versorgung britischer Truppen mit Milch- The „Belfast Blitz“ produkten aus Campile – bei Dünkirchen (Frank- reich) hat man nach der Evakuierung des briti- Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Strand) und Dun Laoghaire nach Norden. Bis schen Expeditionskorps Kisten mit entsprechen- Bombardierungen Belfasts, hatten sie doch, zu 140 Brände wüteten in der Stadt, die Hel- dem Logo gefunden. wenn auch indirekt, etwas mit North Strand fer aus der Republik konnten nur wenig aus- zu tun. Als wichtiger Industriestandort im Ver- richten. Bei den Rettungsarbeiten fiel einem 20. Dezember 1940, Dun Laoghaire und einigten Königreich (Textilindustrie, Harland & verschütteten Belfaster der Dubliner Akzent Sandycove, Co. Dublin: Drei Verletzte durch ei- Wolff-Werft) galt Belfast als legitimes Ziel für der Feuerwehrleute auf: „Mein Gott, die Deut- nen vom Kurs abgekommenen deutschen Flie- die deutsche Luftwaffe. schen müssen verdammt starke Waffen haben, ger (Ziel: Liverpool), dasselbe gilt für das aus wenn sie uns bis nach Dublin bomben kön- seiner Staffel verloren gegangene Flugzeug, das Am 30. November 1940 hatte ein Aufklä- nen!“ Dem Inferno fielen 900 Menschen zum versehentlich Carrickmacross bombardiert (kei- rungsflugzeug Aufnahmen von kriegswichti- Opfer, nur London beklagte mehr Verluste bei ne Personenschäden). gen Objekten in Belfast gemacht. Dabei ent- einem einzigen Luftangriff. Viele Belfaster deckte man, dass die Stadt nur mäßig vertei- Bürger (vor allem Katholiken) verließen die 1. Januar 1941, Duleek und Julianstown, Co. digungsbereit war. Mit nur sieben Flak-Batte- Stadt und suchten Schutz im Süden. Züge mit Meath: (keine Personenschäden). rien und nur wenigen Schutzräumen in der Ha- Flüchtlingen kamen an der Amiens Street Sta- fengegend gehörte Belfast zu den verwund- tion (heute Connolly Station) in der Nähe von 2. Januar 1941: Zwei Bomben zerstören sie- barsten Metropolen im Vereinigten König- North Strand an. Dieser Umstand und die Hil- ben Häuser im Dubliner Stadtteil Terenure (kei- reich. Durch die Niederlage Frankreichs Anfang feleistung der Dubliner Feuerwehren wurden ne Personenschäden). Drei Bomben auf Bally- 1940 hatten die Deutschen eine ideale Basis auch als Begründung für die Bombardierung murrin, Co. Wexford (weder Sach- noch Perso- für den Bombenkrieg gegen die Briten ge- der North Strand-Gegend angeführt. Dass die- nenschäden). Sprengkörper auf Brachland in schaffen. se Spekulation Unsinn ist, beweist schon die Dublin, hochexplosive Sprengsätze auf die Cur- Tatsache, dass in Belfast ganze Bomberverbän- ragh-Pferderennbahn, Co. Kildare, Bombenab- In der Nacht vom 7. zum 8. April 1941 ver- de planmäßig eingesetzt waren, während die wurf auch in Co. Wicklow. In der Nähe von Bor- nichtete ein kleines Geschwader der Luftwaf- Bombenabwürfe im Süden durch einige, von ris, Co. Carlow fallen drei Mitglieder einer Fa- fe Dockanlagen der Harland & Wolff-Werft. Fliegerstaffeln versprengten „Einzeltätern“ milie den Abwürfen zum Opfer. Das war aber nur der Auftakt: Am 15. April ausgeführt wurden. waren 180 Bomber nach Belfast unterwegs und 3. Januar 1941, South Circular Road, Dublin warfen zwischen 22.45 Uhr und 3.45 Uhr 206 Belfast hatte noch nicht alles überstanden: In (zwanzig Verletzte, zwei zerstörte Gebäude). Tonnen Spreng- und 800 Brandbomben ab. Um der Vollmondnacht vom 4. auf den 5. Mai Nach dieser Serie kommen Gerüchte auf, dass 4.35 Uhr erbat die nordirische Regierung Hilfe 1941 kam Görings Luftwaffe zurück. Diesmal die Bombardierungen von der Royal Airforce aus Dublin. Auf höchster diplomatischer Ebe- waren die Docks, die Werft, die Fugzeugfab- unter Verwendung deutschen Beutematerials ne und unter Mitwirkung der katholischen rik und Schiffe im Hafen das Ziel. 191 Men- ausgeführt worden sind, um Irlands Partei-nah- Hierarchie wurde das heikle Thema (Irland war schen kamen ums Leben, viele Belfaster hat- me für die Alliierten zu provozieren. Dass die ja neutral!) diskutiert. Schließlich entsandte ten die Stadt verlassen und campierten in den deutsche Propagandaabteilung diese Gerüch- man Feuerwehreinheiten aus Dundalk, Drog- Hügeln im Umland oder waren zu Verwand- te nicht dementiert, versteht sich von selbst. heda, Dublin (von der Feuerstation North ten aufs Land gezogen. IRISH LIFE LESEBUCH XXIII, 4.12 irland journal 27 Das Inferno von North Strand (s. Karte rechts, 4) Die Nacht zum 31. Mai war für die Jahreszeit ungewöhnlich mild und klar. Viele Dubliner, die auf dem Nachhauseweg vom Pub waren, hiel- ten noch ein Schwätzchen und beobachteten das einzelne deutsche Flugzeug, das hoch am Nachthimmel seine Kreise flog, als ob der Pilot nach etwas Ausschau halten wollte. Andere Flugzeuge in seiner Begleitung waren längst zur Irischen See abgeschwenkt. Das war nicht wei- ter besorgniserregend, man war an deutsche Flieger gewöhnt und nur selten gab es Zwi- schenfälle. Immer wieder tauchte der Bomber vom Typ Heinkel He III im Licht der Suchschein- werfer der irischen Armee auf. Vorkehrungen Um 1.30 Uhr fielen die ersten Bomben auf die staunlich ist, dass „nur“ 90 Verletzte registriert zur Sicherheit fanden kaum Beachtung, man Richmond Street (1) und Rutland Place (2), kurz werden. Die herbeieilenden Notdienste sind vertraute auf die Neutralität, verzichtete auf danach in der Nähe des Pumpwerks im Phoe- hoffnungslos überfordert, als sie mit der Suche Abdunklung. Zur Not gab es ja das Handbuch
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