Jakob Wimpfeling Als Zentrale Gestalt Des Oberrheinischen Humanismus

Jakob Wimpfeling Als Zentrale Gestalt Des Oberrheinischen Humanismus

Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg DIETER MERTENS Jakob Wimpfeling als zentrale Gestalt des oberrheinischen Humanismus Originalbeitrag erschienen in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 6 (2012), S. 49-72. Jakob Wimpfeling als zentrale Gestalt des oberrheinischen Humanismus Dieter Mertens 1. Reiser - Wimpfeling - Franck Die drei Protagonisten dieser Tagung sind im Abstand jeweils eines halben Jahrhun­ derts geboren: Friedrich Reiser 1401, Jakob Wimpfeling 1450, Sebastian Franck 1499. Wimpfeling ist Reiser und wohl auch Franck nie begegnet, aber Wimpfeling wusste von Reiser, und Franck wusste von Wimpfeling. Als Reiser 1458 in Straßburg als rückfalliger Ketzer verbrannt wurde, besuchte der junge Wimpfeling die Latein­ schule seiner Heimatstadt Schlettstadt. Erst vierzig Jahre später interessierte ihn jene Ketzerverbrennung aus einem nicht bekannten Grunde sehr. Sein Freund Geiler von Kaysersberg stellte 1497 in Straßburg Nachforschungen über "diesen Friedrich" an und übermittelte das Ergebnis nach Speyer, wo Wimpfeling damals als Domprediger wirkte. 1 Vier Jahre später machte Wimpfeling, der inzwischen in Straßburg lebte, von den Informationen Geilers Gebrauch im zweiten Buch seiner Schrift "Germania", mit der er beim Rat der Stadt dafür warb, dass dieser zum Wohle Straßburgs ein Gymna­ sium für die 15- bis 20jährigen als Ausbildungsstätte für die künftige Führungsschicht einrichten möge. Diese sollte einmal mit derselben Weisheit regieren, die der Straß• burg er Rat schon in früheren Zeiten bewiesen habe. Wimpfelings Aufzählung vor­ bildlicher Maßnahmen schockierte damals nicht, sie entsprach vielmehr gängiger Regierungslehre. In einem Atemzug nennt er die Errichtung von Kirchen und Spitä• lern, die Mehrung des Gottesdienstes, die Vertreibung der Juden, die Ehrerbietung gegenüber dem Nachfolger des Hl. Petrus und Stellvertreter Christi und die zu dessen Verteidigung vorgenommene Verbrennung des Ketzerführers Friedrich, der schlecht über die Konstantinische Schenkung gedacht, der sie "bekämpft" habe? Jakob Wimpfeling, Briefwechsel, hrsg. von Otto Herding und Dieter Mertens (Jacobi Wimpfelingi opera selecta III/l-2), München 1990, Nr. 79, 277-280. - Albert de Lange, Friedrich Reiser und die "waldensisch-hussitische Internationale". Quellen und Literatur zu Person und Werk, in: Ders. - Kathrin Utz Tremp (Hgg.), Friedrich Reiser und die waldensisch-hussitische Internationale im 15. Jahrhundert (Waldenserstudien 3), Heidelberg.u.a. 2006, 29-74, hier: 39-41. 2 Emil von Borriest (Hg.), Wimpfeling und Murner im Kampf um die ältere Geschichte des Elsasses, Heidelberg 1929, 136: de Constantini donatione male sentientem. Damit ist die ekklesiologische Be­ deutung der Schenkung gemeint, aber nicht die von den Juristen diskutierten Fragen ihrer Rechtsfol­ gen oder überhaupt der Rechtmäßigkeit, auch nicht die von Nikolaus von Kues und Lorenzo Valla er­ örterte Frage der historisch-philologischen Echtheit. Der Vollständigkeit halber sei auf eine Stelle in Wimpfelings ,Apologia pro republica christiana', Pforzheim: Thomas Anshelm, 1506, BI. gV, hinge­ wiesen. Dort nimmt Wimpfeling den Gedanken aus der ,Germania' wieder auf, dass Straßburg seine Treue zur Kirche dadurch bewiesen habe, dass die Stadt die päpstlichen Legaten stets ehrenvoll auf­ genommen und dass sie den Ketzerführer verbrannt habe, der die Konstantinische Schenkung be­ kämpfte (et haeresiarcham Constantini donationem impugnantem igni cremavit). 49 Über die Konstantinische Schenkung wurde längst schon unterschiedlich gedacht.3 Im 12. Jahrhundert diskutierte Otto von Freising (1112-1158) ihre Rechtmäßigkeit und erzählte Giraldus Cambrensis (1146-1223) erstmals die Geschichte von der Stimme, die laut rief, damit alle es hörten: die Schenkung sei das in die Kirche einge­ gossene Gift, das sie ganz verderbe.4 Laut Giraldus war dies ein Jubelruf des Teufels, nach Walther von der Vogelweide (um 1170 - um 1230) erscholl der Weheruf eines Engels: Zehant der engel lu te sehre: "owe, owe, zum dritten we, E stuont diu kristenheit mit zühten schone. Der ist nu ein gift geva lien, ir honec ist worden zeiner gallen. Das wirt der welt hernach viI leit. {( (Da schrie sogleich der Engel laut auf: "Wehe! Wehe! Zum dritten Mal wehe! Einst stand die ganze Christenheit in ihrer Ordnung da und herrlich. Jetzt ist ein Geschenk als Gift an sie gefallen, Honig ist zu Galle geworden. Das wird der Welt noch einmal Leid bereiten!,,)5 Wer kritisch über die Schenkung Kaiser Konstantins an Papst Silvester und deren Folgen dachte, musste noch kein Ketzer sein, wohl aber, wer wie die Waldenser und seit etwa 1415 auch die Hussiten der Überzeugung war, dass die römische Kirche seit Papst Silvester nicht mehr die Kirche Jesu Christi sei, dass diese vielmehr verborgen weiterlebte in jenen Christen, die sich von Silvester und seinen Nachfolgern lossagten und den Weg der Armut gingen.6 Wimpfelings kurze Charakterisierung Reisers knüpft zweifellos an dessen Äuße• rung über die Päpste und die Konstantinische Schenkung an, die in die Straßburger Verhörprotokolle Eingang gefunden haben. Reiser hatte erklärt, er schätze einen schlichten Laien höher als den Papst. Denn zu Zeiten Papst Silversters habe sich eine Jürgen Miethke, Die "Konstantinische Schenkung" in der mittelalterlichen Diskussion. Ausgewählte Kapitel einer verschlungenen Rezeptionsgeschichte, in: Konstantin der Große. Das Bild des Kaisers im Wandel der Zeiten, hrsg. von Andreas Goltz und Heinrich Schlange-Schöningen (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 66), Köln-Wien 2008,35-109. 4 Ottonis episcopi Frisingensis, Chronica sive Historia de duabus civitatibus, edd. Adolf Hofmeister - Walter Lammers, lat.-dt. (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 16), Darmstadt 1961, 290-297 (Pro­ log zum 4. Buch), bes. 294 f .. - Giraldus Cambrensis, Gemma ecc1esiastica, dist. II, cap. 38, edd. J. S. Brewer, London 162, 360: [. .] antiquus hostis humani generis in publica audientia alta voce clama­ vif: ,Hodie ecclesiae venenum inJudi {,. et vere venenum, quia Jermentum illud venenosum quo totam ecclesiae massam male corrupit ( ... der alte Feind des Menschengeschlechts rief in öffentlicher Ver­ sammlung mit lauter Stimme: ,Heute habe ich der Kirche Gift eingegossen'. Und es war wirklich ein Gift, weil es ein giftiger Sauerteig war, durch den es den gesamten Teig der Kirche übel verbarb. ) Diese Erzählung hat Giraldus nach der ,Gemma ecc1esiastica ' (ca. 1197) in drei weiteren Werken verwendet, s. Gerhard Laehr, Die Konstantinische Schenkung in der abendländischen Literatur des Mittelalters bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Historische Studien 166), Berlin 1926 (Reprint Vaduz 1965),72. Die Lieder Walthers von der Vogelweide, hrsg. von Friedrich Maurer, Bd.l: Die religiösen und politischen Lieder (Altdeutsche Textbibliothek 43), Tübingen 1955, 82 (Lachmann 25,11); Walther von der Vogelweide; Gedichte. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Ausgewählt, übersetzt und mit einem Kommentar versehen von Peter Wapnewski (Fischer Bücherei 732), Frankfurt a.M. 1965, Nr. 41, 134f. 6 Vgl. Laehr, Schenkung (wie Anm. 4), 76ff.; Amedeo Molnar, Die Waldenser, Freiburg u.a. 1993, 244ff. 50 Stimme vom Himmel vernehmen lassen, es sei Gift ausgegossen worden in der Heili­ gen Kirche; und daher kämen die Päpste.7 Mit der Hinrichtung Reisers hatte der Straßburger Rat deshalb, wie Wimpfeling schrieb, das Papsttum verteidigt und sich dessen Wohlwollen erworben. Wimpfeling selber bejahte den päpstlichen Primat und den weltlichen Besitz der Kirche, aber er besaß sehr genaue Vorstellungen von den Pflichten des Klerus, des hohen wie des niederen, und dem richtigen Gebrauch des Kirchengutes. Für Gottesdienst und Predigt und fur Diakonie und Bildung sei es einzusetzen, während die Kleriker sich der freiwilligen Selbstbescheidung, der fruga­ litas, zu befleißigen hätten. Die große Kluft zwischen Sein und Sollen empörte ihn und trieb ihn an, sich der Erziehung einer Generation zu widmen, die seine Vorstel­ lungen von einer erneuerten Kirche und Gesellschaft verwirklichen würde - nicht als Ketzer wie Reiser, sondern als Führungspersönlichkeiten geistlichen oder weltlichen Standes in Kirchen, Schulen, Universitäten, an Höfen und in Städten. Als Sebastian Franck, Ingolstädter Baccalaureus artium seit Dezember 1517, sein Studium an der Artistenfakultät in Heidelberg fortsetzte, lag Wimpfelings letzter Aufenthalt dort acht Jahre zurück. Wimpfeling hatte 1509/1510 im Haus des Heidel­ berger Theologen Pallas Spangel (t 1512) logiert, um das Studium von Straßburger Patriziersöhnen zu beaufsichtigen, und hatte auch Philipp Melanchthon beeindruckt, der ebenfalls bei Spangel wohnte. Wimpfeling verschaffte ihm erste Auftritte in zweien seiner damals, 1510, publizierten Drucke. Der zwölfjährige Melanchthon, in dem einen Druck PhUippus Pullisolus mit latinisertem, in dem anderen mit dem gräzisierten und dem deutschen Namen Melanchton vernaculo Schwartzerd benannt, ist mit lateinischen Versen vertreten in den Serien von Gedichtbeigaben zu der Le­ bensbeschreibung Geilers von Kaysersberg und zu der Streitschrift, mit der Wimpfe­ ling gegen den Poeten Jakob Locher die theologische Disputation als unverzichtbares Instrument der Wahrheitssuche verteidigte.8 Die letztere Schrift hatte Martin Bucer, junger Dominikanermönch aus Schlettstadt und Student in Heildelberg, vor Augen, als er 1518 die Kritik des Beatus Rhenanus an "unseren" Theologen konterte. Bisher hätte sie "unser Altmeister Wimpfeling" (senior noster, Ule Wimphelingius) ganz hervorragend beschützt. Jetzt könne

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