Universität Trier Fachbereich II: Medienwissenschaft Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät Fernsehkunst – das Verhältnis von Kunst und Fernsehen im künstlerischen und öffentlichen Diskurs Eine typologische und inhaltliche Untersuchung von Fernsehkunstwerken im deutschsprachigen Raum von den 1960er-Jahren bis heute vorgelegt von Dorothée Henschel, M.A. aus Trier 1. Gutachter: Prof. Dr. Martin Loiperdinger, Universität Trier 2. Gutachter: Prof. Dr. Annette Deeken, Universität Trier Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Kunst und Fernsehen 5 2.1 Forschungsstand 6 2.2 Untersuchungsgegenstand 18 2.3 Methodisches Umfeld und Vorgehensweise 20 2.4 Fragestellung 26 2.5 Das Fernsehen und seine gesellschaftliche Bedeutung 30 3. Die Rolle des Fernsehens 35 4. Kunst und Öffentlichkeit 42 4.1 Formen der Kunstöffentlichkeit im Wandel 43 4.1.1 Kunst und ihre Museen 46 4.1.2 Eine neue Kunstauffassung als Grundlage für den Wandel der 57 Kunstöffentlichkeit 4.1.3 Fernsehen als neuer (musealer) Raum der Kunst oder neues 61 Mittel und Thema der Kunst? 4.1.4 Die Kunst als Medienereignis 65 4.2 Exkurs – Radiokunst 70 5. Das Verhältnis von Kunst und Fernsehen im künstlerischen 77 und gesellschaftlichen Diskurs 5.1 Das künstlerische Potential des Fernsehens 78 5.2 Versuch einer Typologisierung der Fernsehkunst 84 5.2.1 Interventionen 86 5.2.2 Sendungen zu Kunstveranstaltungen 92 5.2.3 Fernsehspiele – Fernsehtheater 101 5.2.4 Kunstprojekte im Rahmen von Fernsehsendungen 110 5.2.5 Eigenständige Produktionen 117 5.3 Agenda Setting 125 5.3.1 Das deutsche Fernsehen – System und Technik 127 5.3.2 Der Apparat 141 5.3.3 Das Programm 151 5.3.4 Das Dispositiv Fernsehen 161 5.3.5 Raum und Zeit 171 5.3.6 Der Kunstraum 183 5.3.7 Künstler im Fernsehen 186 5.3.8 Fernsehen vs. Video 190 6. Wirkungsgeschichte 194 6.1 Kunst- und Medienkritik 196 6.2 Bewertung durch das Fernsehen am Beispiel von 203 Black Gate Cologne 6.3 Rückkopplung – wechselseitige Beeinflussung von 208 Kunst und Fernsehen 7. Fazit und Ausblick 213 8. Anhang 219 8.1 Katalog mit Kurzbeschreibungen 219 8.2 Bibliographie 242 1. Einleitung Erst kürzlich in den tagesthemen vom 16. Februar 2017: Nach dem Block zu den Fußballmeldungen sahen nach ARD Angaben rund 2,1 Millionen Zuschauer ein ungewöhnliches Bild. tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni und seine Kollegin Susanne Daubner warten. Zamperoni spielt mit seinen Moderationskarten, wirkt ungeduldig und schweigt. Im Hintergrund läuft ein Spruchband „Bitte warten“, und dies für ganze 28 Sekunden. Die meisten Zuschauer gingen von einer realen Panne aus. Nach 28 Sekunden aber folgte ohne jeden weiteren Kommentar der Beitrag zur Ausstellung Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit in der Hamburger Kunsthalle. Die Zuschauer waren begeistert. Dies ließ sich an den Reaktionen in den Sozialen Netzwerken deutlich nachvollziehen. Das Hamburger Abendblatt bezeichnet Zamperoni gar als „darstellender Künstler“1. Die tagesthemen greifen hier zu einem Mittel, welches in den 1960er-Jahren als „Intervention“ bezeichnet worden wäre, ein künstlerischer Eingriff in das Fernsehprogramm, der zu einer Verunsicherung des Zuschauers und zu einer Metadiskussion über das Medium Fernsehen anregen sollte. Nur: dass im Jahr 2017 die „Intervention“ nicht mehr durch einen Künstler erfolgt, sondern durch die Redaktion der tagesthemen und deren Moderator als Akteur. Dies stellt einen deutlichen Unterschied zu den künstlerischen Arbeiten der 1960er-Jahre dar, die unter anderem im Folgenden besprochen werden sollen. Die Aktion verdeutlicht jedoch, wie sich Kunst und Fernsehen wechselseitig beeinflussen, und das, obwohl dem Fernsehen immer wieder ein künstlerisches Potential abgesprochen wird. Lothar Mikos bezeichnet dieses Phänomen als eine „Stigmatisierung des Fernsehens“2, die bereits mit Adornos und Horkheimers Aufsatz zur Kulturindustrie begonnen habe. „Mit der Stigmatisierung wird eine sich selbst erfüllende Prophezeiung geschaffen, die Qualität im Fernsehen weitgehend verhindert“3, so Mikos. Ein Qualitätsfernsehen sei nämlich nicht mehr möglich, da ihm die soziale Anerkennung fehle, und dies hauptsächlich dadurch, dass das Fernsehen durch die Fernsehkritik diskreditiert werde und sich dies in der öffentlichen Meinung festgesetzt habe. Die Versuche von Künstlern in den 1960er-Jahren, das künstlerische Potential des Mediums Fernsehen zu nutzen, und die gleichzeitige Stigmatisierung des Fernsehens 1 http://www.abendblatt.de/kultur-live/tv-und-medien/article209643075/Ingo-Zamperoni-laesst-2-1-Millionen- Zuschauer-warten.html (Stand 21.3.2017) 2 Mikos, Lothar: „Ist der Ruf erst ruiniert…“ Die Stigmatisierung des Fernsehens. In: tv diskurs 36, Jg. 10/2/2016, S. 30-35. 3 Ebd., S. 30. !3 in der öffentlichen Meinung als reines Unterhaltungs- und Informationsmedium wurden bereits in meiner, der Universität Trier vorgelegten Magisterarbeit zum Thema „Kunst und Fernsehen – Fernsehgalerie Berlin Gerry Schum“ dargelegt. Dabei stellte sich heraus, dass die Verwendung des Begriffs „Fernsehkunst“ im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs weitgehend vermieden wird. Nach meinem 2013 veröffentlichten Plädoyer für diesen „nicht gebräuchlichen Begriff“ müssten demnach zahlreiche Fernsehkunstwerke neu bewertet und zur Fernsehkunst gerechnet werden.4 In den letzten Jahren hat zwar bereits eine vermehrte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kunst und Fernsehen stattgefunden, eine klare Abgrenzung der Fernsehkunst zur Video- oder Medienkunst hat es jedoch nicht gegeben. Deswegen soll in der vorliegenden Arbeit anhand von Fernsehkunstwerken aus einem Zeitraum von den 1960er-Jahren bis heute die Frage nach einer Eigenständigkeit der Fernsehkunst untersucht werden, denn dass Fernsehkunst immer noch im deutschen Fernsehen existiert und Einfluss auf einzelne Fernsehsendungen genommen hat, zeigt Ingo Zamperonis Adaption in den tagesthemen. Es geht dabei nicht nur um eine Einordnung der Fernsehkunst in den medienwissenschaftlichen, sondern auch um ihren kunsthistorischen Kontext. 4 Henschel, Dorothée: Fernsehkunst – Plädoyer für einen nicht gebräuchlichen Begriff. In: Klung, Katharina/Trenka, Susia/Tuch, Geesa (Hrsg.): Film- und Fernsichten. Beiträge des 24. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums, Marburg:Schüren 2013, S. 336-346. !4 2. Kunst und Fernsehen Bereits seit Beginn des Fernsehens als auch seit Beginn der Fernsehkunst haben sich die unterschiedlichsten Akteure mit dem Verhältnis von Kunst und Fernsehen und des sich aus dieser Relation ergebenden künstlerischen Potentials beschäftigt. Dazu zählen Soziologen, Philosophen und Politiker, Künstler, Galeristen und Kulturschaffende, die Fernsehverantwortlichen und selbstverständlich die Kunst- und Medienwissenschaftler. Das Fernsehen und sein Bildungs- und Kulturauftrag sind stark mit der Gesellschafts- politik verknüpft. Besonders der Einfluss des Fernsehens auf den Zuschauer und die dadurch ausgelösten Veränderungen des Individuums und der Gesellschaft sorgen für eine intensive Beschäftigung mit dem Medium Fernsehen im Wissenschaftsdiskurs. Aber auch die kunsthistorische Forschung beschäftigt sich verstärkt mit dem Einsatz von Massenmedien in der Kunst. Dazu zählt auch der Umgang der Künstler mit dem Medium Fernsehen, wenn auch die Betrachtung die Grenzen zwischen Fernsehen, Video und Multimediakunst nicht scharf genug zieht. Die einleitenden Kapitel sollen sich hauptsächlich mit einer ersten Darstellung des bisherigen Forschungsstandes, der Definition des Untersuchungsgegenstands, der sich daraus ergebenden Fragestellung sowie der Ermittlung einer geeigneten Methode zur Untersuchung des Verhältnisses von Kunst und Fernsehen beschäftigen. !5 2.1 Forschungsstand Ebenso wie die Kunst- und Medienkritik entscheidend zum Diskurs über das Verhältnis von Kunst und Fernsehen beigetragen haben, hat sich auch die wissenschaftliche Forschung verschiedener geisteswissenschaftlicher Fachgebiete mit der Television und der Kunst beschäftigt. Und dies begann bereits vor der massenhaften Verbreitung des Fernsehens in der Gesellschaft. Besonders die Soziologie und Philosophie beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Kunst und Fernsehen und den Auswirkungen des Fernsehens auf die Gesellschaft und die Kultur. Meist zitiert ist wohl Lucio Fontanas Manifest des Spazialismo aus dem Jahr 1948. Er schreibt: „Durch Funk und Fernsehen werden wir künstlerische Ausdrucksformen von ganz neuer Art ausstrahlen.“5 Dabei handelt es sich allerdings, wie der Name schon sagt, um eine Äußerung aus dem Blickwinkel des Künstlers mit der Beschreibung der theoretischen Möglichkeiten des noch neuen Mediums. Man könnte noch weiter zurückgehen bis zu Bertold Brechts sogenannter Rundfunktheorie. Sie besteht aus wenigen kleinen Schriften sowie aus einigen experimentellen Rundfunkarbeiten. Grundlegend sind zwei wegweisende Texte: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks aus den Jahren 1932/33 und Vorschläge für den Intendanten des Rundfunks aus den Jahren 1928/29. Außerdem hat Brecht sich in seinem Aufsatz Radio – eine vorsintflutliche Erfindung? von 1927/28 sowie mit dem Hörstück Der Flug der Lindberghs. Ein Radiolehrstück für Knaben und Mädchen von 1929 mit dem Thema befasst. Brecht sieht im Rundfunk ein Medium, das die aktive Partizipation des Rezipienten möglich und nötig macht. Der Rezipient wird dadurch selbst zum Produzenten.6 In der genannten Rede über die Funktion des Rundfunks heißt es dazu weiter: „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikations- apparat zu verwandeln.
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