"Ein Mächtiger Pfeiler Im Bau Der Bundesrepublik". Das Gesetz Über

"Ein Mächtiger Pfeiler Im Bau Der Bundesrepublik". Das Gesetz Über

REINHARD SCHIFFERS „EIN MÄCHTIGER PFEILER IM BAU DER BUNDESREPUBLIK" Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951* I. Bestimmungen über das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz 1. Vorschläge für eine Verfassungsgerichtsbarkeit in den Jahren 1946 bis 1948. Die im internationalen Vergleich ungewöhnliche Aufgabenfülle des Bundesverfas­ sungsgerichts (im folgenden BVerfG) und sein hohes Ansehen bei der Bevölkerung lassen leicht vergessen, daß dieses Gericht sozusagen ein verspätetes Verfassungsor­ gan ist. Es steht zwar gleichberechtigt neben den anderen obersten Bundesorganen, also neben Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung1, ist aber anders als diese Organe nicht mit der Gründung der Bundesrepublik ins Leben getre­ ten, sondern erst zwei Jahre später, am 28. September 19512. Zunächst mußten Parla­ ment und Regierung die gesetzliche Grundlage für die Errichtung des Gerichtes schaffen: das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12.März 19513 (BVerfGG), dessen Entstehung4 die bald erscheinende Edition dokumentieren soll. Erst mit diesem Gesetz wurde das Institutionengefüge der Bundesrepublik vervoll­ ständigt. Der Hinweis, daß mit diesem Gesetz der Staatsaufbau der Bundesrepublik * Der vorliegende Beitrag wird in erweiterter Form die Einleitung zu der Edition „Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951" bil­ den, die von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn veröffentlicht wird: Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 4. Reihe „Deutschland seit 1945", Bd. 2, hrsg. von Karl Dietrich Bracher, Rudolf Morsey und Hans- Peter Schwarz, Düsseldorf 1984. - Wenn in den Fußnoten dieses Beitrags zitiert wird: „Dok. Nr." (mit der jeweiligen Ziffer), so handelt es sich um Verweise auf Dokumente, die in der erwähnten Edi­ tion abgedruckt werden. - Zum Titel des Beitrags vgl. Carlo Schmid, in: BT-Sten. Ber., Bd. 6, 116. Sit­ zung, 1.2. 1951, S.4419B. 1 Vgl. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12., neu bearb. Aufl., Karlsruhe 1980, S.263f.; Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, 22., neu bearb. Aufl., München 1978, S.289f. 2 Vgl. Hermann Höpker-Aschoff, Ansprache bei der Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts am 28.September 1951, in: Das Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe 1963, S. 1 ff. 3 BGBl.I,S. 243. 4 Zur Entstehung des Gesetzes vgl. Heinz Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Pro­ zeß, Tübingen 1968, S. 95-136. Ein mächtiger Pfeiler im Bau der Bundesrepublik 67 komplettiert werde, findet sich dementsprechend wiederholt in den Beratungen des Bundestages und des Bundesrates5. Blickt man auf die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland6 und im Ausland7, dann war die Entscheidung zugunsten eines BVerfG als selbständi­ gem Verfassungsorgan nicht selbstverständlich. Bei der staatlichen Neuordnung in Deutschland nach 1945 stellte sich - zunächst auf Länderebene - in der staatsrechtli­ chen und politischen Diskussion auch die Frage, wer in einer gewaltenteiligen demo­ kratischen Repräsentativverfassung die Funktion eines Bewahrers und „Hüters der Verfassung"8 übernehmen sollte. Eine Möglichkeit besteht darin, eines der ohnehin vorgesehenen obersten Staatsorgane mit dieser zusätzlichen Funktion auszustatten und von direkter Beeinflussung durch die anderen Machtträger freizuhalten9. Wenn man jedoch eine besondere Verfassungsgerichtsbarkeit10 - als richterliche Prüfung der Einhaltung fester Verfassungsschranken oder als verfassungsrechtliche Streit­ schlichtung - institutionalisiert, dann gehört dies nicht zu den notwendigen Folge­ rungen des Rechtsstaates oder der Demokratie. Eine derartige Verfassungsgerichts­ barkeit „ist vielmehr Ausdruck einer ganz bestimmten Auffassung von der Überordnung der Verfassung und von ihrer Judifizierung, vom Recht als Norm und von der Stellung der Richter zum Recht, endlich von der Position der Gerichte im Staatsganzen"11. Die Auffassung von der Rechtsstaatlichkeit als Verfassungsprinzip kam nach 1945 bereits in denjenigen Landesverfassungen zum Ausdruck, die vor dem Grundgesetz entstanden sind und die einen eigenen Staatsgerichtshof vorsahen, wofür die Länder Bayern, Hessen, Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern bis 5 So BT-Prot., Bd.2, 28.Sitzung, 19.1. 1950, S.865D, 870 C; 112.Sitzung, 18.1. 1951, S.4218 C; Bd. 6,114. Sitzung, 25.1.1951, S.4287C;BR Sitzungsbericht Nr. 16, 17.3. 1950, S.269D. 6 Vgl. Willi Geiger, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Kommentar, Berlin-Frankfurt/M. 1952, S.XIff.; Ulrich Scheuner, Die Überlieferung der deutschen Staatsgerichtsbarkeit im 19. und 20. Jahrhundert, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, hrsg. von Christian Stark et al., Bd. 1, Tübingen 1976, bes. S. 20 ff., 44 ff. 7 Vgl. Scheuner, Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepu­ blik, in: DVB1.67.Jg. (1952), S.294f. 8 Zum Ursprung des Begriffes bei Heinrich Triepel 1923, der ihn auf den Staatsgerichtshof des Rei­ ches (StGH) bezog, zur Inanspruchnahme dieses Titels durch den StGH selbst in seiner Entschei­ dung vom 15.10.1927 und zu seiner Umdeutung durch Carl Schmitt, der diese Funktion 1931 dem Reichspräsidenten zuwies, vgl. Eduard Dreher, Glanz und Elend der Staatsgerichtsbarkeit. Zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951, in: NJW4.Jg. (1951), S.377. 9 Auch der StGH nach der Weimarer Verfassung war kein völlig selbständiges Organ, sondern wurde beim Reichsgericht bzw. beim Reichsverwaltungsgericht gebildet (§ 1 des Gesetzes über den Staats­ gerichtshof vom 9.7. 1921) (RGBl. S.905). 10 Die Begriffe „Verfassungsgerichtsbarkeit" und „Staatsgerichtsbarkeit" werden in diesem vorwie­ gend historischen Beitrag nicht begrifflich unterschieden. Zur Diskussion über den Sinngehalt der beiden Begriffe bereits in der Weimarer Zeit vgl. Martin Draht, Die Grenzen der Verfassungsge­ richtsbarkeit, in: VVDStRL, Heft9, 1952, S. 19-22; Scheuner, Überlieferung, S.50 Anm. 177. 11 Siehe Scheuner, Probleme und Verantwortungen, S. 294, und ähnlich Willibalt Apelt, Erstreckt sich das richterliche Prüfungsrecht auf Verfassungsnormen?, in: NJW 5. Jg. (1952), S. 2. 68 Reinhard Schiffers Anfang 1949 die gesetzlichen Grundlagen schufen12. Organisation und Arbeitsweise der Landesverfassungsgerichte kamen bei den Beratungen des BVerfGG wieder zur Sprache13. Das galt auch für die Richterwahl und die Richteranklage, wo die Unab­ hängigkeit der Rechtsprechung gegenüber staatlichen Eingriffen und der Schutz des Staates und des einzelnen vor dem Mißbrauch eben dieser Unabhängigkeit abzuwä­ gen waren14. Zur gleichen Zeit wie die ersten Verfassungen und Staatsgerichtshöfe in den Län­ dern entstanden zahlreiche Vorschläge für eine gesamtstaatliche Ordnung, von denen die meisten auch eine mehr oder weniger ausgebildete Verfassungsgerichtsbarkeit vorsahen. Diese Vorschläge aus den Jahren 1946 bis 1948, die zum Teil regelrechte Verfassungsentwürfe darstellten, stammten entweder von den politischen Parteien oder aus dem Bereich der Länderexekutiven oder von zonalen Institutionen. Zu den frühesten Überlegungen, die in den Parteien zu einer künftigen gesamtstaatlichen Verfassungsgerichtsbarkeit angestellt wurden, gehören die Empfehlungen des Verfas­ sungsausschusses der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU vom Frühjahr 194715. Eine ihrer Thesen sah einen Verfassungsgerichtshof für Verfassungsstreitigkeiten aller Art vor. Insbesondere sollten bei Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichsregie­ rung und einer Landesregierung beide den Verfassungsgerichtshof anrufen können, sofern nicht nach Reichsgesetz ein anderes Gericht bestimmt war16. Damit war in die­ ser Frage die Grundposition für die weiteren Beratungen dieses Verfassungsausschus­ ses bis in das Jahr 1948 abgesteckt17. Ein weiteres Gremium der CDU/CSU, in dem Fragen einer gesamtstaatlichen Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit erörtert wurden, war der von süd­ deutschen Politikern im März 1947 gebildete „Ellwanger Kreis"18. Entsprechend der föderalistischen Ausrichtung seiner Mitglieder sollte nicht nur in der künftigen 12 Vgl. Geiger, Kommentar, S. 335 ff., 353 ff., 318 ff., 323 ff., 329 ff., sowie die Synopsen „Staatsge­ richtshof" und „Rechtspflege", in: Vergleichende Tabellen der Länderverfassungen, gedr. vom Deutschen Büro für Friedensfragen Stuttgart 1.11.1947 (NL Hch. Th. Kaufmann I-071-028, Fasz. 134). 13 Vgl.Dok.Nr.23. 14 Vgl. statt vieler Belege die Debatten im Verfassungsausschuß der Verfassunggebenden Landesver­ sammlung von Württemberg-Baden mit Beiträgen von Staatsrat Karl (Carlo) Schmid, damals Mit­ glied der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, in: 1.Lesung: 4.Sitzung, 2.8. 1946, S.25-36;6.Sitzung, 8.8.1946, S.35f.;2.Lesung: 13.Sitzung, 29.8.1946, S.22ff., 25ff. (Archivdes Landtags von Baden-Württemberg). 15 Christlich-Demokratische Union Deutschlands Sekretariat des Verfassungsausschusses. Aktenver­ merk über die Sitzung des Verfassungsausschusses am 23.April 1947 (NL W.Strauß ED 94, Bd. 138). 16 Ebenda, S. 3 f. 17 Bericht über die Beratungen des Verfassungsausschusses der CDU/CSU in Düsseldorf am 24./ 25.5. 1946, Darmstadt, 31.5. 1948, gez. Dr. v. Brentano, mit Anlagen A-E (NL Strauß ED 94, Bd. 139). 18 Vgl. Wolfgang Benz, Föderalistische Politik in der CDU/CSU. Die Verfassungsdiskussion im „Ell­ wanger Kreis" 1947/48, in: VfZ 25 (1977), S.776-820. Ein mächtiger Pfeiler im Bau der Bundesrepublik 69 rechtsstaatlichen Verfassung, sondern

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