SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Szymon Goldberg und seine Geige (1) Von Karl-Dietrich Gräwe Sendung: Montag, 1. September 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 SWR2. Musikstunde GOLDBERG UND SEINE GEIGE Folge 1 Montag, 1. September 2014, 9.05 - 10 Uhr K.D. Gräwe Szymon Goldberg wurde 1909 in der polnischen Stadt Włocławek geboren. Freunde, Kollegen, Mitarbeiter, alle Zeugen seiner Kunst würden später bestätigen, dass er als Geiger, Kammermusiker, Dirigent und Pädagoge eine Persönlichkeit war, die höchsten künstlerischen Anspruch mit vornehmer Zurückhaltung und unaufdringlicher Natürlichkeit verband. Mit den Insignien des Wunderkindes ausgestattet, zog Goldberg im Knabenalter von gerade 8 Jahren von Warschau nach Berlin, wo Wanda Landowska ihn bei sich aufnahm und Carl Flesch sein Lehrer wurde - Flesch, der gebürtige Ungar, der „Vater des modernen Geigenspiels“, der Großmeister der Violinkunst. Und Flesch, der unerbittlich strenge Pädagoge, der schon vielen werdenden Genies zur Reife verholfen hatte oder noch verhelfen sollte, so manchen anderen Kandidaten aber auch scheitern ließ - Flesch gab dem jungen Goldberg kostenlosen Unterricht und überwachte seine weiteren Schritte. Mit 12 hatte der Schüler in Warschau seinen ersten öffentlichen Auftritt. Seine Feuerprobe bestand er mit dem 1. Violinkonzert von Paganini. Dabei war Goldberg dem Naturell nach eher das Gegenteil eines Teufelsgeigers und Hexenmeisters. Bald darauf spielte er das Paganini-Konzert auch in Berlin, dann ging er, der sich jetzt Simon Goldberg nannte, auf Anraten von Flesch ans Erste Pult der Dresdner Philharmonie, und als er eben mal 20 war, berief Wilhelm Furtwängler ihn als Konzertmeister zu den Berliner Philharmonikern - „wohl den besten Konzertmeister Europas überhaupt“, so Furtwängler. Der gerade erst im Entstehen begriffene Rundfunk holte Goldberg gleich ins Studio, seine ersten Schellack-Aufnahmen machte er auch, darunter eine mit Dvořáks „Slawischem Tanz“ in e-Moll, op. 46 Nr. 2 - in einem Arrangement für Violine und Klavier, das Fritz Kreisler schon mal für den eigenen Gebrauch angefertigt hatte. 01. Antonín Dvořák Slawischer Tanz e-Moll, op. 46 Nr. 2 3’01“ Szymon Goldberg: Beim ersten Ton ist zu erkennen, was sein Geigenspiel auszeichnet: Treffsicherheit und Bestimmtheit des Ansatzes, schlanke und entschiedene Linienführung, kristallklare Intonation, unangestrengte Natürlichkeit, rigoroser Verzicht auf übertriebenes Vibrato und Sentimentalität. Einige - seltene - Portamenti mag man heute als altmodisch 3 empfinden, vor 100 Jahren gehörten sie noch zum festen Repertoire der Phrasierungskunst. Als gefragter Solist ging Goldberg auch gleich ins Aufnahmestudio, um einen „Slawischen Tanz“ von Dvořák einzuspielen, den in e-Moll op. 46 Nr. 2 in einer Bearbeitung seines älteren Kollegen Fritz Kreisler. Kreisler übte - im Gegensatz etwa zu Goldberg - nur ungern, er war aber geradezu der Erfinder eines betörend anmutigen Geigentons, der ihn weltberühmt machte. Komponieren konnte Kreisler auch, Musiktheorie hatte er noch bei Anton Bruckner gelernt, und jahrelang führte er die Musikwelt und die Zunft der Kritiker an der Nase herum: mit pseudo-barocken Violin-Piècen, die angeblich von Pugnani, Corelli oder Couperin, in Wirklichkeit aber von ihm selber stammten. Einer von Kreislers ständigen Klavierbegleitern war der Ungar Arpád Sándor, der nebenher Zeitungskritiker war und der auch bei dieser Aufnahme eines fast echten Dvořák mit Szymon Goldberg am Klavier saß. Die Schellackaufnahme entstand 1832. 1933 war das Jahr der Machtergreifung durch Adolf Hitlers Nationalsozialisten, und 1934 ereilte auch Szymon Goldberg ein Berufsverbot. Furtwängler, der seinen Konzertmeister nicht verlieren wollte, soll ein Veto eingelegt haben, das blieb aber ohne Wirkung. Goldberg war im Gegensatz zu unzähligen anderen Betroffenen hellsichtig und realistisch genug, um vorauszusehen, dass er als Pole und Jude vom Dritten Reich nichts Gutes zu erwarten hatte. Er war und blieb der Schmied eines eigenen, wenn auch zwiespältigen Glücks und ergriff mitsamt seiner Frau Hals über Kopf die Flucht. Die Umstände, die sein weiteres Leben begleiteten, ließen immerhin eine Laufbahn zu, die stationenreich um die Welt führte. Er dehnte seine jetzt zur Internationalität gezwungene Tätigkeit auch als Pädagoge aus, unterrichtete in Luzern an der Seite des Pianisten Artur Schnabel, unternahm Konzertreisen durch das frei gebliebene Europa, durch die ganze freie Welt. Nur seine Augen ließen noch die Trauer über das Verlorene erkennen. Von New York aus startete er gemeinsam mit seiner Frau und seiner Klavierpartnerin Lili Kraus auch eine Tournee nach Asien. Lili Kraus war nicht nur eine Künstlerin von unbestechlicher stilistischer Integrität, sondern auch die kongeniale Mitspielerin schlechthin. Auf Java wurden die Reisenden von den mit Nazi-Deutschland verbündeten Japanern 3 Jahre lang in einem Kriegsgefangenenlager interniert. Nach dem 2. Weltkrieg nahm Goldberg in aller Welt wieder seine Aktivitäten auf – als Geiger, als Dirigent, als Lehrer. Und überall traf er auf adäquate Partner, bei den Pianisten, Kammerensembles, Orchestern, auf Festivals an einflussreichen Ausbildungsstätten in Amerika und Europa. In den USA fand er in Artur Balsam auch wieder einen ebenbürtigen Klavierbegleiter. Ein Beispiel von 1953: Johannes Brahms, Violinsonate Nr. 2 A- Dur, op. 100, 3. Satz, Allegretto grazioso. 4 02. Johannes Brahms Violinsonate Nr. 2 A-Dur, op. 100, 3. Satz 5’16“ Artur Balsam war 1953 in dieser Aufnahme der Violinsonate Nr. 2 A-Dur von Brahms der Klavierpartner von Szymon Goldberg. Balsam stammte aus Warschau, er war in Berlin Schüler von Artur Schnabel gewesen. Nach seiner Emigration in die USA wurde er einer der begehrtesten Begleiter berühmter Solisten und ein Spezialist für die Kammermusik. 1955 in Amsterdam gründete Goldberg mit dem Niederländischen Kammerorchester ein Eliteensemble. Dessen Chefdirigent blieb er bis 1979, fast ein Vierteljahrhundert lang. Mozart war einer seiner Favoriten, und eine besonders glaubwürdige Liebeserklärung ist eine Aufnahme des Violinkonzerts Nr. 4 D-Dur, KV 218, mit dem 2. Satz, dem Andante cantabile. 03. W.A. Mozart Violinkonzert Nr. 4 D-Dur, 2. Satz 8’13“ Szymon Goldberg als Dirigent, an der Spitze des von ihm gegründeten Niederländischen Kammerorchesters, mit dem 2. Satz, Andante cantabile, aus Mozarts Violinkonzert Nr. 4 D-Dur, KV 218. Als im Jahr 1909 Szymon Goldberg in Włocławek geboren wurde, gehörte die Stadt noch zum zaristischen Russland. Hier kam 11 Jahre später, nach dem 1. Weltkrieg, auch Marcel Reich-Ranicki zur Welt. Beide wurden allerdings schon im Knabenalter ihrer polnischen Heimat untreu, zuerst zog es den Geigenschüler nach Berlin, dann den angehenden Literaten. Goldberg fand bei Wanda Landowska, der Pianistin und Cembalistin, eine Unterkunft und an der Hochschule für Musik in Carl Flesch seinen Lehrmeister. Dessen Bewunderer konnten sich nie entscheiden, welcher von beiden der Größere war: der Geiger Flesch oder der Pädagoge Flesch. Dabei waren seine Hände nicht einmal zum Geigenspiel prädestiniert, seine Finger eigneten sich nicht so recht für Oktavgriffe. Dass er aber auch die perfekt wie kein anderer beherrschte, verdankte er der eisernen Selbstdisziplin, die er dann seinen Schülern abverlangte. Carl Flesch im Alter von 63 Jahren, mit dem Schlusssatz aus Händels Violinsonate Nr. 14 A-Dur, am Klavier Felix Dyck, in einer Aufnahme von 1936. 5 04. G.F. Händel Violinsonate Nr. 14 A-Dur, 4. Satz (Carl Flesch) 2’31“ 1936 machten der 63-jährige Carl Flesch, Goldbergs Geigenlehrer, und der Pianist Felix Dyck diese Aufnahme von Händels Violinsonate Nr. 14 in A-Dur. Im letzten Viertel seines Lebens ging Goldberg ein weiteres Mal die Partnerschaft mit einem Klaviergenie ein, das ihm ebenbürtig war, mit dem jungen Radu Lupu, der bei derselben Lehrerin studiert hatte wie einst sein rumänischer Landsmann Dinu Lipatti, damals aber noch nicht den Kultstatus bezogen hatte, den er heute genießt. Sämtliche Violinsonaten Mozarts hatte Goldberg schon in den 30er Jahren in London mit Lili Kraus aufgenommen, sie sind bis heute ein Opus summum der Diskographie. In den 70ern spielte er Mozarts Sonaten noch einmal mit Radu Lupu ein, durch 36 Lebensjahre getrennt, aber eines musikalischen Sinnes. Eine ganze Reihe von Werken, die Franz Schubert für ihre Instrumente komponiert hatte, nahmen die beiden auch auf. Aus Schuberts 3. Sonate in A-Dur hier der 2. Satz, ein Scherzo. 05. Franz Schubert Violinsonate Nr. 3 A-Dur, 2. Satz 4’00“ Eine Einspielung, die 1978 in London entstand: Der 69-jährige Szymon Goldberg und der 33-jährige Radu Lupu mit dem Scherzo aus der Violinsonate Nr. 3 A-Dur von Franz Schubert. Maria Theresia von Paradis war in der

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