Prof. Dr. Guido Knopp Historiker Und Journalist Im Gespräch Mit Dr

Prof. Dr. Guido Knopp Historiker Und Journalist Im Gespräch Mit Dr

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0209/20020924.shtml Sendung vom 24.09.2002, 20.15 Uhr Prof. Dr. Guido Knopp Historiker und Journalist im Gespräch mit Dr. Walter Flemmer Flemmer: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlich willkommen zum Alpha- Forum. Er ist der bekannteste, manche sagen, der einflussreichste Historiker der Bundesrepublik. Die Bücher, die seinen Namen tragen, erreichen eine Millionenauflage. Und unter ein paar Millionen Zuschauern tut er es auch nicht mehr. Ich heiße zu unserem Gespräch herzlich willkommen Herrn Professor Dr. Guido Knopp. Knopp: Grüß Gott, Herr Flemmer. Flemmer: Wir werden heute auch ein wenig über Sie als Person sprechen. Sie wurden im Januar 1948 in Hessen geboren. Sie haben eine Hessin zur Mutter und jeweils einen Oberschlesier zum Großvater und Vater. Ihr Vater hatte mit seinen damals 18 Jahren noch schnell in den Krieg gemusst, der Großvater hatte in die Bundesrepublik ausweichen müssen, wie man gelegentlich ja so schön sagt. Wie ist es Ihnen eigentlich mit dieser zweiten Heimat gegangen? Ich habe vor ein paar Tagen einen jungen Künstler kennen gelernt, der in Bayern geboren wurde, während seine Eltern aus Böhmen stammen. Er sagte zu mir: "Ich habe Wurzeln in Bayern, aber ich habe Pfahlwurzeln in Böhmen!" Er ging nun auch wieder dorthin, kaufte sich eine Scheune und eröffnete darin sein Atelier. Er sagte mir aber: "Ich habe es wahnsinnig schwer mit den Tschechen!" Hat es bei Ihnen in der Familie eigentlich auch mal das Gespräch darüber gegeben, eigentlich in die Heimat zurückkehren zu müssen? Oder sind doch alle Hessen geworden? Knopp: Bei mir ist es so, dass ich ja sogar in einem doppelten Sinne "Beute-Bayer" bin. Ich bin es zunächst einmal qua Region, denn ich bin in Aschaffenburg aufgewachsen, im äußersten Norden Bayerns. Manche sagen ja auch, das sei das letzte Schwanzhaar des bayerischen Löwen. Franz Josef Strauß hat das eines Tages aber überzeugend widerlegt: Der bayerische Löwe schaut nach Norden, von wo der Feind dräut. In Aschaffenburg befindet sich also nicht das Schwanzhaar, sondern das Haupthaar. Zum Zweiten ist es natürlich so, dass ich zur Hälfte das Kind einer Vertriebenenfamilie bin. In den fünfziger und frühen sechziger Jahren hat es bei uns am Freitagabend eine ganz bestimmte Tradition gegeben: Ich ging da mit meinen Eltern zu den Großeltern, die ja aus Oberschlesien vertrieben worden waren, und dort gab es dann immer einen "Schlesien-Abend". Meine Großeltern waren ja schon im März, April 1945 vor der Roten Armee aus Oberschlesien geflüchtet. Nach dem 8. Mai sind sie dann wieder zurückgegangen: Für viele ist das heute etwas Überraschendes, aus der damaligen Sicht war das überhaupt nichts Ungewöhnliches. Sie dachten, dass der Westen von Deutschland ein vom Krieg ruiniertes Land darstellt, in dem eine große Ernährungsnotlage herrscht. Sie dachten: "Dort, in Oberschlesien, haben wir wenigstens unser Haus, dort sind wir wer, dort kennt man uns!" So sind eben auch meine Großeltern nach Oberschlesien zurückgegangen. Das war im Juni 1945. Und siehe da, in ihrem Haus lebte schon eine andere Familie, eine gleichfalls vertriebene Familie polnischer Herkunft aus der Lemberger Gegend. Sie bewohnten dann dort eben ein konfisziertes deutsches Haus. Meine Großmutter, und das war für sie ein wirkliches Trauma, durfte nicht mehr in ihr eigenes Haus gehen. Sie wollte ihre von der Flucht verschlissenen Schuhe wechseln gegen ein paar Schuhe aus ihrem Haus. Man ließ sie aber nicht mehr hinein. Man sagte ihr nur: "Frau Knopp, gehen Sie schnell weg, sonst kommen Sie nach Sibirien!" Dieses merkwürdige Erlebnis mit den Schuhen war für meine Großmutter viel belastender, viel dramatischer, als alle anderen weiß Gott schlimmen Erlebnisse während der Flucht und auf dem späteren Vertreibungsweg durch die Tschechoslowakei zusammen mit meinen beiden Tanten, ebenfalls attraktiven jungen Frauen. Und dort sind weiß Gott schlimme Dinge passiert. Sie haben sich dann in Bayern wiedergefunden. Ein typisches Schicksal: Man ging dorthin, wo der Erste einen Job erhielt. Meine Tante kannte den damals frisch ernannten Oberbürgermeister von Aschaffenburg. Er hat ihr erstens eine Wohnung und zweitens einen Job als Lehrerin verschafft. So fand sich dort eben die Familie zusammen. Wir hätten genauso gut in Leer in Ostfriesland, in Freiburg im Breisgau oder in Landshut in Niederbayern leben können. Nun, es war eben Aschaffenburg. Freitagabends nun gab es immer, wie gesagt, diesen "Schlesien-Abend". Das war für mich als Kind und als pubertierender Knabe natürlich ein bisschen lästig: Da gab es schlesische Gerichte, da gab es Mohn und Thymian und "Himmel und Erde" usw. Und es gab wehmütige Erinnerungen an die alte Heimat. Für einen 12-, 13-, 14-Jährigen, der diese Heimat nicht kennt, ist das natürlich langweilig. "Schon wieder Freitagabend, schon wieder 'Schlesien-Abend'! Muss ich da wirklich mitgehen?" Was bekam ich als Antwort? "So lange du deine Beine noch unter meinen Tisch streckst..." Sie kennen ja sicherlich auch diese Sprüche aus den frühen sechziger Jahren. Gut, ich ging also mit. Es hat recht lange gedauert, bis ich die Großeltern verstanden habe: dass der Verlust von Heimat ein Schmerz ist, der bleibt und der auch ein Recht darauf hat, zu bleiben. Dass ich mich nun in den letzten Jahren so viel damit beschäftigt habe, ist auch ein bisschen ein Akt von Wiedergutmachung an meinen Großeltern. Flemmer: Sie hatten aber nie den Gedanken, dorthin zurückzukehren? Knopp: Nein. Flemmer: Ich habe das in der eigenen Familie ja ähnlich erlebt: Meine Frau stammt ebenfalls aus Oberschlesien. Bei ihr war es so, dass da meine Schwiegermutter mit vier kleinen Kindern plötzlich in Bayern aus dem Zug ausgeladen worden ist. Sie verstanden kein Wort: Sie sprachen eine andere Sprache als dort im tiefsten Niederbayern. Sie mussten sich zuerst einmal akklimatisieren bzw. assimilieren. Aber sie wollten dann eben auch nicht zurück, weil sie sagten: "Die dort drüben haben uns ja alles genommen. Damit ist das sozusagen abgeschlossen! Unsere neue Heimat ist hier!" Das heißt, man kehrt dann vor allem als Nachgeborener wohl nicht zu diesen Wurzeln zurück. Aber, und damit komme ich zu meiner nächsten Frage, in einem neuen Europa wird dann ja diese Form der Mobilität vorhanden sein, sodass diese Differenzen ausgeräumt sein werden. Wobei es ja erfreulicherweise so ist, dass mit den Polen das Verhältnis wesentlich besser ist als mit der Tschechischen Republik, denn dort gibt es im Augenblick ja große Schwierigkeiten. Kommen wir zurück zu Ihren Lebensläufen, wie man vielleicht auch sagen kann, denn Sie haben dann 1975 in Würzburg im Fach Politik und Geschichte promoviert. Danach haben Sie einen journalistischen Weg eingeschlagen. Wollten Sie eigentlich je ein Universitätshistoriker werden? Knopp: Nein, ich wollte immer in den Journalismus. Ich habe schon während meiner Schülerzeit für die Lokalzeitung geschrieben. Das war eben dieser klassische Weg: Ich fing an beim "Main-Echo" in Aschaffenburg. In der Studienzeit habe ich dann für Frankfurter Zeitungen geschrieben: Für die "Neue Presse", für die "FAZ" und schon damals für die Lokalausgaben. Für mich war es immer klar, dass ich eines Tages Journalist werden möchte. Ich habe ganz bewusst Geschichte und Politik studiert, hätte aber nie gedacht, dass ich mein Hobby, denn Geschichte war im Prinzip seit meinen frühen Kindertagen mein Hobby, eines Tages zu meinem Beruf machen könnte. Ich habe mich daher auch in den ersten Jahren meiner Berufslaufbahn ganz breit bewegt: Ich arbeitete im Ressort "Politik" im weitesten Sinne. Ich war dann bei Hubert Burda in seinem Verlag das, was man schon damals Trainee nannte. Ich habe bei der "Welt am Sonntag" in Hamburg Zeitgeschichte und dann auch Außenpolitik gemacht. Für kurze Zeit war ich dort dann Auslandschef. Ich ging dann zur "FAZ" und habe dort ebenfalls Außenpolitik gemacht: Ich war für Afrika zuständig. Das waren alles Lehr- und Wanderjahre, bei denen man Erfahrungen sammelt. Danach ging ich dann aber doch recht bald zum ZDF und machte dort eine Reihe auf, die eigentlich so ähnlich wie unser heutiges Gespräch strukturiert war. Sie hieß "Fragen an die Zeit". Flemmer: Davor hat es auch noch die "Aschaffenburger Gespräche" gegeben, die Sie ebenfalls initiiert haben. Bleiben wir doch noch einen Augenblick beim schreibenden Journalismus. Ich habe meinen jungen Kollegen immer wieder gesagt, dass man ihnen nur wünschen kann, sie sollten möglichst bei einer Lokalzeitung anfangen. Knopp: So ist es. Flemmer: Dort sollen sie ihren Polizeibericht schreiben, ihre kleinen Artikel schreiben usw. Denn das Schreiben lernt man eigentlich weniger beim Fernsehen, sondern bei einer Tageszeitung, die gar nicht klein genug sein kann. Denn diese Übung, in kürzester Zeit etwas aufs Papier bringen zu müssen, das dann auch wirklich sitzt, lässt sich durch nichts ersetzen. Insofern sehe ich den Journalismus eigentlich immer genau dort verankert. Ich habe den Eindruck, dass Sie das ebenfalls genauso erfahren haben. Knopp: Da bin ich völlig d'accord. Ich sage immer meinen jungen Leuten, dass ich diese Erfahrung nicht missen möchte, auch unter Zeitdruck etwas schreiben zu müssen. Bei mir war es freilich so, dass ich mich dazu zwingen musste und dass mich mein Chefredakteur dazu zwingen musste, auch mal handfeste, ordentliche Berichte über Kaninchenzüchtervereine, SPD- oder CSU-Ortsvereine zu schreiben. Denn am Anfang geriet bei mir immer alles gleich zur Satire. Das waren alles diese Kursivberichte in den Kästen: Ich machte unheimlich gerne Satiren. Flemmer: Das können Sie dann ja in einem dritten Beruf in Ihrer Pensionszeit aufgreifen. Knopp: Ja, natürlich. Ich musste mich jedenfalls zwingen lassen, auch mal handfeste Berichte über bestimmte Sachverhalte zu schreiben. Aber es war eine tolle Erfahrung, eine tolle Lehre. Wer formulieren kann, wer eine Begabung fürs Formulieren hat und wer gerne schreibt, hat schon mal eine wesentliche Voraussetzung auch fürs Fernsehen. Denn wenn das nicht da ist, dann geht das dort eigentlich auch nicht. Flemmer: Ja, natürlich. Ohne Kommentare geht es eben auch nicht. Knopp: So ist es. Das Bildliche kann man sich eben leichter anlernen als das Inhaltliche.

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