«Gerade Zahlen bringen Glück» Luigi Taveri gehört zu den erfolgreichsten Schweizer Sportlern der Geschichte. Der dreifache Motorradweltmeister und Sieger von dreissig Grossen Preisen feiert dieses Jahr seinen 80. Geburtstag und fährt immer noch begeistert schnelle Maschinen. Von Peter Holenstein und Vera Hartmann (Bild) Luigi Taveri wurde am 19. September 1929 in chen Jahr hatte er zuvor bereits die Grossen Danke für den Glückwunsch und dass Sie Horgen als Sohn einer rennsportbegeister- Preise von England, Holland, Belgien, Irland das alte Eisen noch nicht vergessen haben! ten Familie geboren. Seine ersten Fahrver- und Deutschland gewonnen. 1964 und 1966 Wie Figura zeigt, ist es nicht verrostet. Sie suche als Motorradrennfahrer machte er im wurde er auf Honda erneut Weltmeister in der fahren immer noch Oldtimer-Rennen, und Alter von vierzehn Jahren auf einer Moto- 125-ccm-Klasse. Insgesamt wurde er siebenmal auch Ihr altes Rennkombi passt Ihnen noch sacoche A50. Für seine Testfahrten «entlehn- Vizeweltmeister und fünfmal WM-Dritter. perfekt. Wenn man Sie so auf Ihrer Rennma- te» Taveri die Rennmaschine jeweils im Ga- Taveri, der in Japan, Italien und England schine sitzen sieht, scheint es, dass die Jahre ragenbetrieb seines siebzehn Jahre älteren noch heute als Motorsportlegende verehrt fast spurlos an Ihnen vorbeigegangen sind. Bruders Hans, bei dem er eine Lehre als Auto- wird, gehört zu den wenigen Rennfahrern, Wahrscheinlich kommt das daher, dass die mechaniker absolvierte. die das gefährlichste Motorradrennen der Jahre schneller vergehen, als man Rennen Damit er sein erstes Motorradrennen be- Welt, die berüchtigte Tourist Trophy auf der fahren kann. Wie auch immer: Ich bin froh, streiten konnte, musste er das Einverständ- Isle of Man, mehrmals gewannen. Der Schwei- dass mein Leben auf zwei Rädern nur weni- nis seiner Eltern sowie eine polizeiliche zer siegte 1962, 1965 und 1966. ge Blessuren hinterlassen hat, doch wie jeder Spezialbewilligung einholen. Als Beifahrer Durch seine Erfolge reihte sich Luigi Taveri Oldtimer bin auch ich reparaturanfällig. Seit im Seitenwagen einer Husqvarna-Maschine, ein unter die damaligen Motorrad-Superstars einiger Zeit benötige ich beispielsweise ein die von seinem Bruder gesteuert wurde, ging wie Jim Redman, Mike Hailwood, Carlo Ubbi- Hörgerät, wohl eine Folge des jahrzehnte- Luigi Taveri 1947 beim Grossen Preis von ali, Ralph Bryans, Phil Read und Bill Ivy. Als langen infernalischen Motorenlärms. Aber Europa auf der Bremgartenwald-Rennstre- langjähriger Honda-Werksfahrer war er in den sonst fühle ich mich rundum fit und hoffe, cke bei Bern an den Start. Das Gespann lag sechziger Jahren zudem massgeblich daran in diesem Leben noch ein paar Runden dre- eine Zeitlang in Führung, fiel dann jedoch beteiligt, den japanischen Motorrädern zu hen zu können. wegen eines Motorschadens aus. einem erfolgreichen Rennsport-Comeback zu Wann fuhren Sie das letzte Mal eine Renn- Seinen ersten grossen Erfolg verzeichnete verhelfen und sie weltweit auch als Strassen- maschine? Taveri 1951, als er auf der Aschenbahn im In- maschinen bekanntzumachen. Für seine Ver- Ich hatte letztes Jahr Gelegenheit, auf dem nenraum der Rennbahn Oerlikon ein Speed- dienste um die japanische Marke erhält er von Salzburgring eine neue 125er-KTM-Werks- way-Rennen gewann und auch beim an- Honda noch heute jedes Jahr ein neues Motor- maschine zu testen. Beim Abbremsen vor schliessenden Rennen auf der Zementbahn rad als Leihgabe. der Zielkurve entging ich nur knapp einem auf einer 350er-Norton-Maschine siegte. Taveri, der sich im internationalen Rennzir- bösen Sturz. Der drahtige und kleingewachsene Taveri kus auch durch seine sprichwörtliche Beschei- Der Grund? galt in der Motorsportszene schon bald als denheit und Fairness einen Namen machte, Macht der Gewohnheit! Auf meiner dama- unerschrockener Draufgänger, weil er seine ging von der Bühne, als sich die Japaner 1967 ligen Honda-Rennmaschine musste man wilde Speedway-Kurventechnik (mit dem in- mit ihren Werksmaschinen vom Grand-Prix- die Handbremse mit aller Kraft betätigen; neren Bein am Boden) mitunter auch auf As- Sport zurückzogen und das Feld wieder weit- bei den heutigen Hightech-Karbonbremsen phaltstrecken praktizierte. Nach den ersten gehend den Privatfahrern überliessen. Am genügt jedoch ein Antippen mit den Finger- siegreichen Rennen auf der Avus-Rundstre- 27. August 1967 bestritt er mit seiner Fünf- spitzen. Das hatte ich für einen Augenblick cke in Berlin attestierten ihm deutsche Sport- zylinder-Honda anlässlich des Schweizer Berg- vergessen. Als ich die Bremse kräftig durch- journalisten «Weltklasse-Talent» und be- rennens Ollon–Villars sein letztes offizielles zog, war die Geschwindigkeitsverzögerung schrieben ihn als «halbverrückten Kerl aus Rennen, das er mit Streckenrekord gewann. derart brachial, dass ich beinahe kopfüber der Schweiz, der nur eines kennt: Vollgas!». Nach seinem Rücktritt eröffnete er in Wädens- vom Motorrad geflogen bin. Ebenso ein- Im Laufe seiner zwanzigjährigen Karriere wil ein Carrosserie-Spritzwerk, das er vor eini- drücklich wie das Bremsvermögen war die bestritt Taveri 135 Grand-Prix-Rennen, bei gen Jahren einem langjährigen Mitarbeiter unfassbare Beschleunigung der Maschine. denen er 30-mal gewann und 90 Podestplät- verkaufte und in dem er ein kleines Museum Man hat das Gefühl, an Ort sitzenzubleiben, ze errang. Als einziger Rennfahrer siegte er mit seinen Rennmaschinen und gewonnenen während die Piste auf einen zufliegt, fast wie auf sämtlichen Rennstrecken der Welt, auf Pokalen eingerichtet hat. in einem Computerspiel. Grossartig, unver- denen bis 1966 Motorrad-GPs ausgetragen Taveri, der in Samstagern wohnt, seit 54 Jah- gleichlich, ein Hammer! wurden, und als bis heute einzigem Fahrer ren mit seiner Frau Tilde verheiratet und zwei- Was sind die wichtigsten Unterschiede zu gelang es ihm, in allen zu seiner Zeit gefahre- facher Vater ist, fährt noch immer Oldtimer- den Rennmaschinen aus Ihrer Zeit? nen Klassen (50 ccm, 125 ccm, 250 ccm, 350 ccm Rennen. Zum letzten Mal geht er im Sommer Mit der Ausnahme, dass sich beide beim Gas- und 500 ccm) einschliesslich Seitenwagenren- dieses Jahres auf der belgischen Grand-Prix- geben nach vorne bewegen, lassen sich da- nen WM-Punkte zu erringen. Während sei- Strecke von Spa Francorchamps an den Start. malige und heutige Rennmaschinen über- ner Laufbahn fuhr er für die Rennställe von Aus Anlass seines 80. Geburtstages wird dort haupt nicht miteinander vergleichen. Alles Ducati, MV Agusta, MZ und Kreidler sowie ab der grosse Sportsmann mit einem «Luigi- ist anders, zuverlässiger und vor allem viel 1960 als Werksfahrer für Honda. Taveri-Day» geehrt. sicherer geworden. Die Motorradtechnik 1962 wurde Taveri auf dem Sachsenring hat sich in allen Bereichen auf schier un- bei Hohenstein-Ernstthal zum ersten Mal Luigi Taveri, wir gratulieren Ihnen zum Vor- vorstellbare Weise weiterentwickelt: die Weltmeister in der 125-ccm-Klasse. Im glei- aus herzlich zum grossen Runden . Standfestigkeit und PS-Kraft der Motoren, 48 Weltwoche Nr. 18.09 «Absolute Leidenschaft, totale Hingabe, eiserne Disziplin, technisches Verständnis»: Rennfahrer Taveri, 80. Weltwoche Nr. 18.09 49 die Bauweise der Fahrzeugrahmen und Ausloten der physischen und physikalischen im Notfall auch richtig, nämlich «knochen- kupplungsfreien Getriebe, die Stossdämp- Grenzbereiche sowie der Wettkampf sind schonend» stürzen zu können. Auch das fer und Bremsen, die Aufhängung, das für den Piloten die eigentliche Herausfor- muss gelernt werden. Handling, die Strassenlage, die Reifen. derung. Die Wahrnehmung der Geschwin- Dazu hatten Sie reichlich Gelegenheit. Sie Hinzu kommt die ganze Fahrzeugelektro- digkeit ist für den Fahrer eine ganz andere sind fast so oft gestürzt, wie Sie auf dem Po- nik und Telemetrie, die Aufschluss über als für die Zuschauer. Ob man mit 200 oder dest standen. den Zustand der Maschine und sämtliche 230 km/h auf eine Kurve zufährt, nimmt Aktionen des Piloten gibt. Zu meiner Zeit man als Pilot viel weniger wahr als das Ver- «Was man heute als Ideallinie mussten die Mechaniker noch glauben, passen des richtigen Bremszeitpunktes oder bezeichnet, hiess damals was wir ihnen über das Fahrverhalten der die Abweichung von der Ideallinie. Maschine sagten. Heute können die Inge- Hat sich, verglichen mit früher, die Ideallinie ‹Kampflinie›.» nieure während des Rennens praktisch alle auf den Rennstrecken geändert? technischen Daten am Bildschirm ablesen; Und wie! Was man heute als Ideallinie be- Ich habe meine Stürze nicht gezählt, aber man sieht sofort, wie die Maschine reagiert zeichnet, hiess damals «Kampflinie». Die es waren einige. Den wohl fürchterlichsten und wann und wo der Pilot geschaltet, durch die heutige Motorrad- und Reifen- Abwurf erlebte ich 1954 beim Grossen Preis beschleunigt oder abgebremst hat. Und technik möglich gewordenen extremen von Spanien in Barcelona. Im Rennen der selbstverständlich sind die Rennmaschi- Schräglagen lassen viel spätere Bremszeit- 500-ccm-Klasse blockierte bei Tempo 200 nen auch schneller geworden. Zwischen punkte zu. Man kann sozusagen mit Vollgas der Motor. Ich kann mir bis heute nicht er- den Rundenzeiten von damals und heute auf eine Kurve zufahren, kurz davor innert klären, warum ich lediglich einen Knöchel- liegen Welten. Sekundenbruchteilen rabiat abbremsen und riss davontrug. Aber der Schock nach dem Welche Höchstgeschwindigkeiten fuhr schon vor dem Kurvenausgang wieder voll Unfall war so gross, dass ich drauf und dran man vor vierzig Jahren? beschleunigen. Das verändert die
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